Kaugummi [Drabble]

[Mumienfreund]

[Mumienfreund]

[Klemens_Fitte]

Protokolliert

Ich sterbe. Ich habe nur einen Schuh an. Mein linker Fuß hat sich in einer Schlaufe der Matratze verfangen, und ich ziehe sie hinter mir den Flur entlang. Ich bin rastlos. Ich sterbe. Ich habe die Matratze verloren. Ich setze mich an einen der Tische. Ich muss Wasser lassen. Ich stehe auf, ziehe Jogginghose und Inkontinenzeinlage nach unten und uriniere auf den Boden. Ich sterbe. Vor zwanzig Jahren habe ich meine Muskeln verloren. Ich habe Hunger. Ich nehme die Blumen aus der Vase und stecke sie mir in den Mund. Ich spucke das Zerkaute aus. Ich sterbe. Helfen Sie mir.

[Sue Rovia]

Das Drabble finde ich sehr sehr gut.
Später vielleicht mehr dazu.

[Klemens_Fitte]

[nebenfluss]

Ich finde das Drabble auch sehr gut (bedrückend natürlich auch), hadere nur ein bisschen mit dem Titel. Mir scheint dieser kühle, behördenmäßige Protokoll-Begriff nicht recht zum Inhalt zu passen. Und wer sollte den protokollieren (das Protagonisty kommt mir dafür nicht in Frage).

[Jenni]

Mir gefällt die Symmetrie zum Beginn des Lebens: Ich-muss-aufs-Klo-ich-hab-Hunger-wie-weit-ist-es-noch-hab-Durst-nein-alleine!!! Wo ist eigentlich dein zweiter Schuh?

(Ja, ich lese hier auch manchmal mit.)

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Existenzmangel

Der Text, der gerade am Nebentisch entsteht, hat einen existenziellen Mangel, oder anders: einen eklatanten Mangel hinsichtlich seiner Existenz. Damit ist nicht das Offensichtliche gemeint – natürlich existierte der Text schon, bevor das erste Wort auf dem Bildschirm erschien. Und würde man jedes einzelne seiner mittlerweile 973 Wörter in einem ebenso aufreibenden wie zwecklosen Prozess von Verbesserung und Verschlimmbesserung streichen und durch ein anderes, vermeintlich passenderes ersetzen, wäre es trotzdem derselbe Text. Man kann auch jedem seiner Sätze attestieren, Ausdruck von Intention und Gestaltungswillen zu sein. Nur wird sich, was der Text auslöst, letzten Endes auf ein »Und jetzt?« reduzieren lassen.

[nebenfluss]

[crim]

Das von Sue für sehr sehr gut befundene Drabble halte ich auch für sehr sehr gut. Es sticht natürlich auch schon rein formal aus den anderen (zumindest den letzten paar) heraus, durch die Stilistik mit dem kurzen Sätzen, den anapherigen Anfängen und den Wiederholungen. Plus: thematisch führt das an einen ganz anderen Ort. Aber damit will ich gar nicht die Qualität der anderen schmälern, sondern umgekehrt wird ein Schuh draus.

[nebenfluss]

[Klemens_Fitte]

Schrei net so

Schrei net so. Mach emol dein Arm lang. Komm, geh fort. Geb mer dei Stirn. Kehr dei Lebe aus. Zieh die Nas ins Maul. Leg dei Gebet uffs Kreuz. Schwitz dr dei Panik ausm Leib. Tunk di nunter. Streck mer de Arsch ins Gsicht. Lupf dein Kadaver uff mein Speicher. Hals dir dei Graue uff. Krampf dei Seele zamm. Glotz mr mitte ins Loch. Schnauf die Nacht in Scherbe. Lös dei Gurgel vom Fleisch. Schrei net so. Brech dein Blick an de Decke. Winkel dei Füß ab. Mach dei Knoche kurz. Spreiz dei Herz. Schrei net so. Schrei net so.

[Klemens_Fitte]

Sprachnachricht

Hallo, Grüße aus Italien, ihr Daheimgebliebenen. Wir ham einen tollen Zeltplatz hier, direkt am Wasser. Leider ohne Meerblick, wegen so ner blöden Hecke. Ich wollte schon n Guckloch reinschneiden. Aber sonst ist’s echt traumhaft hier. Hatten gestern schon n krasses Erlebnis, da ham sich n Camper und der Hausmeister ne Prügelei geliefert. Aber nette Nachbarn ham wir. Einziges Manko sind die Moskitos, die sind noch schlimmer als damals in Finnland. Wenigstens jucken die Stiche net so. (0:37)
Sorry, musste kurz den Platz wechseln, da ging der Rasensprenger direkt neben unserm Zelt an. Ja. Sonst ist’s aber echt schön hier. (0:11)

[nebenfluss]

Lustige Idee.
Bin mir nicht sicher, ob das mit den Rasensprenger passt.
Was uns einmal fast von einem Campingplatz vertrieben hätte, war ein Knirps im Nachbarzelt, der wahrscheinlich (hoffentlich!) Geburtstag hatte und bei dem in stundenlanger Dauerschleife dieses Lied aus dem Ghettoblaster dudelte:
https://www.youtube.com/watch?v=4H8Xh_AkwBM

[crim]

Klemens macht krasses Kontrastprogramm. Bei "Schrei net so" kommen ganz ungute Assoziationsketten bei mir ins Laufen, harter Text. Bei "Sprachnachricht" dann locker leicht ironisch. Könnte man vielleicht vor dem Wechsel der Nachrichten einen Stolperstein einbauen? Etwas das auf den gerade angeschalteten Rasensprenger verweist. Eine Unmutsäußerung? Oder einfach ein deutlicherer Abbruch der ersten Sprachnachricht?

[Gast]

Du sprichst mir aus dem Herzen! Ich habe mir vor drei Jahren ein kleines Womo zugelegt. Der einzige Vorteil – zumindest in der Hauptsaison: Man kann schnell wieder weg. Zum nächsten überfüllten Campingplatz, auf dem der Nachbar zwei Meter weiter den Grill anschmeißt und dir die Bude vollräuchert.
  
Das mit dem Rasensprenger ist wahrscheinlich gar nicht so unrealistisch. Meine Vermutung:  Aufgrund der Trockenheit müssen die Betreiber den Boden öfter wässern, da er sonst völlig versandet.

Und Mücken plagen gerade Touristenziele in Kroatien.

Ich hätte den Camper schon wieder verkauft und würde nur noch radeln, aber meine Freundin krieg ich bislang noch nicht so recht aufs Bike.

LG
DLurie

[nebenfluss]

[Klemens_Fitte]

[crim]

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Später

Später wird nichts davon in der Zeitung stehen, auch der Eugen wird vergeblich auf einen Anruf der Lokalredaktion warten, dabei ist er der Erste gewesen, der den Transporter ins Dorf hat fahren sehen, weil er nicht in der Sonntagsmesse gewesen ist, angeblich, weil ihm der Wetterumschwung zu schaffen macht, aber in Wahrheit kann der Eugen den Pfarrer nicht leiden, weil der in seinen Augen ein linker Hund ist, einer, der immer schön und keinem gut tut und der keine segnenden, sondern nur tätschelnde Gesten kennt, und so steht der Eugen im Hof und raucht, als der Transporter ins Dorf fährt.