Kaugummi [Drabble]

[Mumienfreund]

Endlich geht es hier weiter! Ich dachte schon der Herr Fitte hätte sich an einer FFP2-Maske verschluckt oder wäre vom Starkregen verspült worden … und dann kommt – BRÖÖÖMMMM –  so unerwartet und so lässig ein Wergolf um die Ecke gerast – der erste vernünftige Beitrag in diesem Forum seit WOCHEN.

Erinnert mich in stilistisch an Matt Redgate, vielleicht schwingt auch ein bisschen Olive Borden in die Zeilen, und ich meine auch ein wenig Chris Fogle in der Erzählstimme zu hören, aber vermutlich wird das mal wieder niemandem auffallen.

[Klemens_Fitte]

Jasper Holman, Superficial Truth – Lyrics (deutsch)

Ich möchte nicht, dass du denkst,
ich sei oberflächlich, Baby.
Aber dir kann ich es sagen.
Mit dir kann ich ehrlich sein:
Die Wahrheit, Baby, liegt an der Oberfläche.
Sie liegt dort, wo wir sie berühren,
unter unseren Fingerkuppen.
Sie bedeckt uns wie das Salz,
das von den Wellen zurückbleibt,
von der Brandung,
die wie dein Atem ist, Baby,
und sag, hörst du,
wie der Sand unter uns quietscht?
In Australien haben sie einen Strand danach benannt,
Squeaky Beach in Gippsland, Victoria,
da hörst du bei jedem Schritt die Wahrheit unter den Füßen
und, hey Baby … wo war ich grade?

[nebenfluss]

[nebenfluss]

Es lässt mich offenbar nicht los ... quietschender Sand, seltsam ... bevor ich jetzt nochmals meinen obigen Kommentar editiere, ein extra Nachtrag zur Manipulation - hier:

[Mumienfreund]

Nachdem ich intensiv gegoogelt und mir sogar ein Video bei YouTube angesehen habe, bei der man den Sand tatsächlich quietschen hört, habe ich den Eindruck gewonnen, dass der Herr Fitte uns (erneut) aufs Glatteis führen möchte.
Dieser nur scheinbar banale Songtext versucht zu kaschieren, dass wir es hier mit einem unzuverlässigen Erzähler mit ADHS Symptomatik zu tun haben, der:
a) die Wahrheit mit Füßen tritt
b) "Baby" seine Gummipuppe ist
c) fällt mit bestimmt noch ein

[psi]

Neue Drabbles! Und so schöne!
Und wo kann ich den Herrn Holman erreichen und mir die Rechte für die Vertonung sichern? Ich rieche da den Sommerhit 2022 …

[nebenfluss]

@psi:
Vergebliche Mühe. Die Rechte für den Sommerhit 2022 habe ich mir bereits gesichert.
Er wird "I'm not angry anymore (Flick it away!)" heißen; die Vorlage ist noch einen Tick ohrwürmiger als Fitte:
*klick*

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Sprechende Gebäude

Wenn er in der ehemaligen Abfüllhalle saß, hinter der Absperrung aus mit halbtransparenter Folie verhängten Bauzaunelementen, und sein Pausenbrot aß, in der halben Stunde, bevor er die Türen öffnete und die ersten Kunden in die Halle ließ, lauschte er dem Innenleben des Gebäudes: dem Öffnen von Fenstern, dem Einrasten von Türriegeln, dem Rasseln von Ketten und sonstigen Lauten unsichtbarer Geschäftigkeit, die es gar nicht geben konnte, denn er besaß den einzigen Schlüssel und verbrachte die Pausen allein. Vielleicht, dachte er, trug die Halle den Klang der unterhalb oder oberhalb am Hang liegenden Gebäude weiter. Oder das Echo einer anderen Zeit.

[Globo85]

Wow, wie der letzte kleine Satz den/die/das ganze Drabble in ein anderes Licht rückt und soviel besser macht.

Gefällt mir (mal wieder) sehr.

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Der heilige Stefan

Der heilige Stefan schläft, das Haupt auf den weichen Flor des Teppichbodens gebettet, als eine Murmel, von unsichtbaren Kräften in Bewegung versetzt, über den Wohnzimmertisch rollt und dem heiligen Stefan ins Ohr springt.
So erzählt es die Legende, die der HNO-Arzt erfährt.

Einmal tritt der heilige Stefan nach dem heiligen Christopher, als der mit Krücken auf den Spielplatz gehumpelt kommt. Daraufhin droht eine Tante des heiligen Christopher mit Polizei und Gefängnis.
Der heilige Stefan bittet um ein Wunder, und sein Vater erscheint, der eine Haftpflichtversicherung hat.

Weil mich einer der Kindheitsfeinde nötigt, küsse ich den heiligen Stefan auf die Wange.

[Sue Rovia]

Nicht ganz passend zum Thema: Der heilige Sebastian von da Vinci.

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Kennt ihr das auch?

Habt ihr auch öfter dieses deutliche Bewusstsein, eine von euch erschaffene Figur verdanke euch ihr Leben? Und wenn ja, wie geht ihr damit um, wenn ihr das nächste Mal über sie schreibt?

Schreibt ihr auch immer stadt stadt statt?

Müsst ihr auch immer auf etwas herumkauen, wenn euch eine Szene zu schaffen macht?

Hattet ihr schon einmal einen erotischen Traum über euren Antagonisten? Und wenn ja, kam es euch auch so vor, als hättet ihr euren Protagonisten betrogen?

Lest ihr hinterher alle Sätze auf, die ihr fallen gelassen habt?

Tut ihr euch auch immer schwer damit, ein geschlossenes Ende zu

[Sue Rovia]

Der Mensch, der morgens für gewöhnlich neben mir sitzt, (wenn ich nicht gerade im Wedding übernachte), hat beim Lesen deines Drabbles laut gelacht.

Ich wollte auch lachen, aber über meine Lippen kam nur ein "hach".

[Klemens_Fitte]

Hach

[Klemens_Fitte]

Der Protagonist 2

Es fiele leicht, einen spannenderen Ort für den Beginn unserer Geschichte zu finden. Der weiße, mit Flecken getrockneten Desinfektionsmittels überzogene Stehtisch am Eingang des Biergartens kommt uns aber gelegen, weil unser Protagonist dort seinen Namen in einer allen Datenschutzrichtlinien spottenden Kladde hinterlassen und somit unwissentlich für die weitere Verwendung im Roman zur Verfügung stellen wird. Dass sein Name das Resultat einer akuten Krise ist, die der Autor nach dem Studium der Klassiker und beim zunehmend verzweifelten Versuch, einen dieser sogenannten berühmten ersten Sätze zu formulieren, erlitt, ahnt Gramsa Gamsa zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht, noch wird er es jemals erfahren.

[Klemens_Fitte]

Der Paladin der Schatten

»Seht euch vor!« Tippt mitm Spitznagelfinger gegens Manareservoir (das: changiert von fliederfarben zu altrosa, hübsch)/ Setzt Leichenbittermiene auf: was haste denn? so n paar Lampyridae kriegste doch ausm Magierhemdsärmel geschüttelt – und wir schon weiter & übers Felsengesims hinweg (ach guck: von der Felskanzel freier Blick auf die Synode der Seelenfresser)/ »Es müssen Tausende hier unten sein« – und mit so nem Tremolo im Stimmlein & s feine Händchen ganz dicht an mich rangezittert, dass mir doch n bissl fröstelig wird (ich aber: ganz Paladin; die Argusaugen (1 Glück in’n Arkanen Arkaden erstanden zu Zwo Fuffzich – Spottpreise können se) aufs Dunkel fixiert)

[Klemens_Fitte]

Rückkehr

Nach der Entlassung ging Tibbes mit fragilem Blick durch die Straßen. Es erschreckte ihn, dass er den Weg von der U-Bahnstation zu seiner Wohnung wiedererkannte, das Itinerar der Spätkaufläden und Automatencasinos. Die Cafés, die Kneipen, die Bars waren unverändert, aber ihre Fassaden, die Tische und Stühle auf den Gehwegen schienen aus Zuckerglas zu bestehen. Hinter den Scheiben saßen Menschen ohne Gesicht im stummen Gespräch. Und er? Tibbes wusste nicht mehr, wie man redete. In der Wohnung erwartete ihn sein Schweigen, er sah es vor sich, aufgeteilt in unzählige ungesagte Sätze, auf dem Flur gestapelt, den Möbeln, bis unter die Decke.

[Klemens_Fitte]

Der Yeti

Die größte Herausforderung bestand darin, den Yeti an das Geschirr zu gewöhnen, an die Gurte, das Zusammenspiel der diversen Halte- und Sicherungsseile, an denen er im Lauf der Choreografie durch das Bühnenbild und bis in den Schnürboden gezogen werden sollte. Kathrin verbarg ihre eigene Nervosität, während sie Schlaufen, Schnallen und Clips prüfte – durch das dichte Fell des Yeti war es schwierig, den korrekten Sitz der Gurte zu gewährleisten, aber sie wollte sein Vertrauen nicht enttäuschen.

Monate später hängte sie ein Foto an die Wand ihrer Werkstatt, das ihn während einer Probenpause zeigte, erschöpft, aber mit einem befreiten Ausdruck im Gesicht.

[Sue Rovia]

Theater mit Yeti. Eine feine Sache.