Kaugummi [Drabble]

[Klemens_Fitte]

Reinkarnation

Was zwangsläufig unerwähnt blieb, wenn in Chatverläufen oder in den Privatgesprächen der übrigen Bewohner der Youtuber-WG die Sprache auf Jerome Shnukkel kam, war dessen früheres Leben bei den Robinsons, einer in jeder Hinsicht durchschnittlichen Mittelschichtfamilie aus Wauwatosa, Wisconsin, bei denen Jerome – damals unter dem ebenfalls höchst durchschnittlichen Namen Rufus – stolze vierzehn Jahre als Familienhund und bester Freund der Zwillinge Ruth und Rutger gelebt hatte; ein Leben, von dem ihm nach seiner Wiedergeburt zwar keine Erinnerungen, durchaus aber Charakterzüge verblieben waren, die bei vielen seiner Mitmenschen und insbesondere unter Shnukkels Youtube-Anhängerschaft liebevoll verwortete Assoziationen an das Gebaren eines Golden Retrievers weckten.

[Globo85]

Um es in deinen Worten zu schreiben: Hach.

In meinen Worten: Ich mag das schon wieder so sehr. Und schon wieder: Wäre das ein Buch und stünde ich in einem Laden und hielte es in der Hand und läse diese Zeilen im ersten Kapitel und/oder Klappentext … Du weißt schon.

Danke dafür.

[fabian]

[Klemens_Fitte]

[hobbes]

[Klemens_Fitte]

[Longo]

Das ist sehr gut geschrieben; man muss bei solch' langen Sätzen wirklich an den Worten schnitzen, das hast du meisterhaft geschafft.

MFG Longo

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Die Sternenzecke

Das Erste, was man beim Landeanflug auszumachen vermag, sind die Massentransitlinien Coxa-Trochanter-Femur-Patella und Genu-Tibia-Tarsis, die die zahllosen Wohnkomplexe der Stigmenfelder mit der Peripherie verbinden; unstet blinkende Lichterketten, an die massiven Gliedmaßen der Sternenzecke und ihre Spasmen gebunden. Noch näher, und man sieht die Kuppel der Tarsusstation, den Krater des Raumhafens, die jäh aufragenden Dornentürme der Sensillen. Man stellt sich die angestrengte Betriebsamkeit in der Kommandozentrale des Hallerschen Organs vor, die Berichte, Messwerte, Fakten, die ratlosen Beobachtungen, die dort zusammenlaufen und in ohnmächtige Entscheidungen münden. Ringsum ist endlose Kälte und Finsternis, und die Milliarden Bewohner der Sternenzecke ahnen, sie sind allein.

[fabian]

Die ersten Worte? Für mich noch lustig. Wird es banal? Bunt? Da liegen zwei Jargons wild übereinander (SF, Technik – Biologie), eine Dynamik entfaltet sich, ins Bunte mischt sich Mementohaftes, führt hin zum Existenziellen, zum Blick in den Spiegel.

Das sind interessante Bewegungslinien (Gedankenpfade; dieser für mich so schwer greifbare Zusammenhang zwischen Ästhetik, Argumentation; Kommunikation; Spiel und Zweck), die den der Text (die Erzählstimme) seinen Lesern da anbietet.

Und augenzwinkernd sagt: es sind immer Deine Bilder; mein Spiel machst Du zur Botschaft.
ich hatte mein Spiel, Dir bleibt der fixe Rest.

Es ist und bleibt vertrackt: ich denke immer noch nicht wirklich dialektisch, scheint mir.

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Turbokrebs

Sie sagen, ich hab Turbokrebs, Babe. In meinem Mark feuert ein Blastom mit der Kraft von evolutionärem Chaos. Durch meine Venen fließt pures Radionuklid, und das Szintigramm meiner Gefühle für dich zeigt den heißen Knoten des Verzehrens. Ich hab dich ins Netz meiner Haut gelassen, Babe, unsere Berührungen sind das Produkt einer enthemmten Teilung, deine Küsse Zytostatika, aufgelöst in meinem Speichel. Ich werd, was mich ausmacht, bleib undefinierbar, Immunsysteme wie Klassifikationen gleiten an meiner Oberfläche entlang, ohne Halt zu finden. Ich bin Veränderung, Transformation, bin das einzige Werden, das zählt. Du allein kennst meinen Namen, Babe, mein Name ist Turbokrebs.

[fabian]

[EDIT:] Bezieht sich auf:

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Seelen

»Was hat er denn jetzt für ne Seele? Schon eine von den neuen?«
»Nö, ich hab ihm wieder ne alte gegeben.«
»Ich dachte, die sollen wir nicht mehr nehmen?«
»Wieso das denn?«
»Keine Ahnung, so hieß es letztens.«
»Und die alten Seelen wegschmeißen, oder was? Da ham wir noch so viele von. Und an die isser inzwischen ja auch gewöhnt.«
»Hm, ich hab den Eindruck, er tut sich schwer damit, wenn er sie länger hat.«
»Kurz rausnehmen und reinigen.«
»Darf man das? Ich dachte, das sind Einmalprodukte.«
»Ich verwerf doch keine Seele, nur weil da n bisschen Schmodder dran is.«

[Charlie Brokenwood]

Das ist jetzt wieder mal genau meines: find ich klasse

da stellen sich mir nur einige Fragen:

wenn alle wieder eine Seele bekommen, wieso sind dann so viele übrig?
wozu werden die neuen Seelen hergestellt? als Ersatz, wenn die alten zu kaputt sind, um sie zu richten?
wodurch wird eine Seele so kaputt, dass man sie nicht mehr wiederverwenden kann? (das sind dann schon eher die ernsthafteren Überlegungen).

den Schmodder mag ich auch - weil den wohl jede Seele hat (ohne Schmodder wäre es wohl nur KI und keine Seele?), aber für eine "Wiedergeburt" ist es wohl besser, der Schmodder hält sich in Grenzen, da ist es wohl ganz gut, wenn mal nachpoliert wird - ist dann wieder Platz für neuen Schmodder

und eine ganz andere Frage wäre dann noch, wer da wohl die Seelen verteilt?

[fabian]

So, wie dieser Text es nahe legt, sind Seelen im Kapitalismus das imaginierte Gebrauchswertversprechen. Damit der Rubel rollt und der Glaube an das Goldene Kalb sich nicht abnutzt, müssen sie - wie jede Ware – auf Halde produziert und immer wieder neu erworben werden.

Verteilt werden sie – der Text zeigt es eindrücklich und überzeugend – von Abhängigen an Abhängige. So, wie die Anchovis in meiner Lieblingspizzeria auf den Teig: zufällig und mit leichter Hand verstreut, während sich die Handlanger dem Smalltalk und einem Anflug von Entfremdungsgefühlen hingeben.

Seelen – seit Gottes Werk, mit Teufels Beitrag unheilbar vergiftet (es ist ja immer jemand anders schuld).

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Hämmern

Jetzt hau ich mir zum fünften Mal mit dem Hammer auf den Daumennagel, eins, zwei, drei, vier, fünf, immer derselbe Nagel, immer derselbe Daumen, klar, hab ja nur einen an dieser Hand. Die andere hält den Hammer. Es tut scheiße weh, aber so ist das, wer einen Hammer hat, muss hämmern, und wo’s lebt, muss das Blut pochen, und’s pocht ganz schön. Inzwischen ist der Nagel schwarz, ich hol das Dremel-Multitool und den kleinsten Bohrer, den ich finde, bohre den Nagel an, es spritzt bis zur Decke, und augenblicklich lässt der Druck nach. Die nächsten Schläge werden ihn wieder hochtreiben.

[fabian]

Ich lache sehr selten laut, wenn ich lese, aber diesmal hab ich schallend gelacht.

[Charlie Brokenwood]

[fabian]