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V.K.B.
[Error C7: not in list]
 Alter: 50 Beiträge: 5795 Wohnort: Cocytus
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 11.09.2016 19:00 Das letzte Gedicht von V.K.B.
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Das letzte Gedicht
Ich lebte.
Es war nicht viel, aber es war alles, was ich in diesem Moment noch fassen konnte. Wenigstens lebte ich. Noch. Ich starrte auf die Armbanduhr. Zwei Stunden. Genau zwei Stunden blieben mir, dann würden sie mich holen kommen. Dabei war die Umgebung so friedlich. Ein warmer Herbsttag, die letzten Ausläufer eines Sommers, der sich verspätet hatte. Sie würden sich nicht verspäten. Eine Stunde, neunundfünfzig Minuten. Unaufhaltsam rann mir die Zeit davon. Es roch nach Wald und Natur, nicht mehr nach Benzin und verbranntem Kunststoff. Das Fahrzeugwrack lag bereits etwa 200 Meter hinter mir und bisher hatte niemand von meinem Unfall Notiz genommen. Es war einfach zu einsam hier draußen. Ein Haus irgendwo im Wald, ein Haus, wo ich Hilfe finden konnte. Irgendwo hier draußen. Und seit ich an dieser Wegkreuzung stand, hatte ich hatte keine Ahnung mehr, welchen Weg ich einschlagen sollte. Links oder rechts? Alles würde auf diese Zufallsentscheidung hinauslaufen, seit sie mir das Fahrzeug genommen hatten. Deshalb hat er mir ins Lenkrad gegriffen, wurde mir klar. Sie wollten mich nicht töten, noch nicht. Sie wollten verhindern, dass ich das Haus rechtzeitig finde. Alles drehte sich.
Meine Beine gaben nach, ich taumelte einige Schritte über die Kreuzung, schrie. Niemand hörte mich. Irgendwo in den Bäumen antwortete ein Vogel mit einem Lachen. Sie lachten über mich, die Himmelsboten, keinen Finger würden sie rühren, mir zu helfen. „Du gehörst denen da unten“, lachten sie mich aus, ein ganzer Chor himmlischer Heerscharen mittlerweile, der sich in den Baumkronen gesammelt hatte, um mich zu verspotten. „Im Himmel ist kein Platz für jemanden wie dich“, lästerten sie und es konnte kein Zufall sein, wie ihre Worte denen meines Vaters glichen. Nur dass er nicht vom Himmel gesprochen hatte, sondern seinem Haus. Das Gefühl war allerdings das gleiche. Er hatte mich oft „entartet“ genannt, weil ich mich nicht für das interessierte, was er einen „anständigen Beruf“ nannte. Dachdecker hätte ich sein sollen, wie er. Nicht Dichter. Wobei „Dichter“ nur ein Traum war, ich hatte einiges geschrieben, das mir gefiel und auch bei einigen meiner Kommilitonen Begeisterung ausgelöst hatte, doch veröffentlichen konnte ich nichts davon. Die Ansichten meines Vaters waren ja kein Einzelfall.
„Wenn du auch noch schwul bist, kannst du im Schuppen im Garten wohnen, aber setzt keinen Fuß mehr in dieses Haus, ist das klar, Georg?“ Jedes seiner Worte war wie ein Peitschenhieb. Selbst mein Name klang aus seinem Mund wie ein Fluch. „Wenn du auch noch schwul bist, rufe ich sie an“, hatte er seine Gnade bezüglich des Schuppens ein Jahr später revidiert. Dann hatte er es getan. Irgendwie musste er etwas bemerkt haben. Jedenfalls hatte er sie gerufen.
Am Anfang beobachteten sie mich. Manchmal sah ich ihre ausdruckslosen Gesichter in den Wänden. Schatten waren überall, ich konnte mich nicht verstecken. Sie sahen mir bei allem zu, manchmal flüsterten sie. „Es ist kein Platz für dich in diesem Land, nicht auf dieser Welt, denn bald wird sie komplett uns gehören und du kannst dich nicht mehr verstecken“.
Manchmal schlugen sie mich, wenn ich zu dicht an einer Wand vorbeiging, oder griffen mich und zerrten an mir. Stießen mich an der Bushaltestelle auf die Straße und lachten, wenn das vorbeirasende Fahrzeug mich nur knapp verfehlt hatte. Das war der Moment, wo ich mich entschlossen habe, gegen sie zu kämpfen. Auf meine Weise. Die Macht der Worte. Nicht mit dem Schwert, sondern mit dem Wort, besiegt man die Dämonen der Hölle. Und was für ein mächtiges Wort es sein musste, das Wort ganz am Ende des letzten Verses. Es war meine Aufgabe als Dichter, meine Möglichkeit, mich zu beweisen. Dieses Gedicht fertigzustellen, das das Licht in die Welt zurückberufen würde, das den Besessenen die Augen öffnen und die Dämonen vertreiben sollte. Zwölf Verse mussten es sein, zwölf perfekte Verse. Elf hatte ich. Wenn ich mein Gedicht im Geiste rezitierte, spürte ich die Macht, die davon ausging. Elf perfekte Verse. Der zwölfte fehlte noch. Und ich hatte nur noch weniger als zwei Stunden Zeit, es fertigzustellen und in die Welt hinauszuschreien. Die Dämonen und den Wahnsinn zu vertreiben – und dieses Land, diese Welt, von dem dunklen Schatten zu befreien, der sich über alles gelegt hatte.
Ich versuchte, mich aufzurappeln. Mir war schwindelig, wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung. Aber ich musste das Haus finden, jenes Haus, wo der fehlende Vers auf mich warten würde. Wo sich alles klären würde. Das Haus meines Großvaters. Er hatte alleine hier draußen im Wald gehaust, Dichter war er gewesen, das schien also erblich zu sein. „Wahnsinnig“ hatten sie ihn genannt. Keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt, es hatte mich große Mühe gekostet, überhaupt Hinweise auf seine Adresse zu bekommen. Aber er würde mir helfen können, denn er stammte aus einer Zeit vor den Schatten, und er war nicht von ihnen befallen gewesen. Wenn jemand mir mit dem letzten fehlenden Vers würde helfen können, dann er.
Links! Der linke Weg musste es sein, es konnte nur der linke Weg sein, wenn es noch irgendeinen Sinn in diesem Wahnsinn gab, der unsere Welt geworden war, dann musste es der linke Weg sein. Plötzlich war ich sicher. Ich rannte, stürzte mehr vorwärts als dass ich mich kontrolliert bewegte, aber ich kam voran und das war alles, was zählte. Noch ein Blick auf die Uhr. Zweiundvierzig Minuten blieben mir. Zweiundvierzig Minuten? Wo war die Zeit hin? Hatte ich bewusstlos auf der Kreuzung gelegen, während Vögel und Schatten, Himmel und Hölle, mich auslachten? Weiter vorwärts, das war alles was zählte. Der fehlende Vers. Nur er würde ihn kennen. „In zwei Stunden kommen sie dich abholen“, hatte mein Vater gesagt.
Plötzlich ein Haus vor mir, eine Bruchbude, aber tatsächlich ein Haus. Das letzte Ziel, das ich zu erreichen hatte. Ich stürmte darauf zu, schrie seinen Namen, die Tür stand angelehnt, aber niemand antwortete. Mehr ein Bretterverschlag als ein Haus, voller Spinnweben und Gerümpel. Verlassen! Ich hatte verloren! Die Schatten in den Wänden lachten. „Wir sind auf dem Weg, du Idiot hast deinem Vater ja gesagt, wo du hinwillst! Wir kommen!“ Das Wort „Idiot“ klang wie ein Todesurteil aus ihrem Mund. Dann die Rettung. Ich sah ihn, er stand plötzlich hinter mir, tippte mir auf die Schulter. „Georg, schön dass du mich besuchen kommst! Was kann ich für dich tun?“ Ich konnte es kaum fassen. Schnell erklärte ich, wie ich die Welt retten musste und was mir fehlte. Ich setzte mich an den Tisch und schrieb meine elf Verse nieder. Er nickte anerkennend. Dann nutzen wir die letzten Minuten, den fehlenden Vers zu finden. Gemeinsam. Das Wort, dass dir hilft, kannst du dir niemals selber sagen. Wenige Minuten auf der Uhr verblieben, als wir das Gedicht fertig hatten. Es war vollbracht!
Ich hörte Motorengeräusche von draußen, doch ich lachte. Sie würden mir nichts tun können. Ich würde ihnen das Gedicht ins Gesicht brüllen, die Welt in ein neues Licht tauchen und die Schatten vertreiben.
Sie kamen. Zuerst sah ich nur Schatten, wie immer. Dann nahmen sie ihre grauen Farben an. Vier Dämonen an der Zahl. Zwei von ihnen mit Pistolen. Ich nahm die Hände hoch. „Es ist zu spät für euch!“, rief ich, „Ihr könnt mir nichts mehr tun! Ich habe mein Gedicht fertig. Das Gesicht, dass euch vernichten wird!“
Irritierte Blicke wechselten zwischen ihren dämonischen Fratzen. Einer lachte. „Lass hören, Junge!“
Und so rief ich das Licht in die Welt zurück. Mein Schicksal erfüllte sich in diesem Moment, alles war immer auf diesen einen Moment zugelaufen. Nur zum Erfüllen dieser einen Aufgabe war ich überhaupt geboren worden. Ich rezitierte mein Gedicht voller Inbrunst. Jetzt würden sich die Schatten lösen und von der Welt abfallen. Mein Großvater war verschwunden, auch er hatte seine Aufgabe erfüllt. Ich wartete auf das Licht.
Und sie lachten. Sie lachten einfach nur!
„Schizophren!“, sagte einer von ihnen, „und homosexuell obendrein! Aber tolle Vorstellung, das muss man dir lassen!“ Und sie lachten noch mehr.
Dann schickten sie mich auf die letzte Reise, in ihr letztes Haus, nicht das Haus meines Großvaters, in dem ich den fehlenden Vers zu finden gehofft hatte, sondern in ein Haus, wo alle Verse und alle Worte verstummten. Das eintönige Rattern der Räder auf den Schienen gräbt sich in meinen Geist und verhindert jeden klaren Gedanken. Nur ihr Mantra bleibt, auch noch lange, nachdem wir unter dem Schild hindurchgefahren sind. Nur ihr Mantra, das alle Verse beendet, alle Kunst bedeutungslos macht und jedes noch ungeschriebene Gedicht, egal ob der Schönheit gewidmet oder dem Untergang, zum Tode verurteilt und ungeschrieben sterben lässt. Nur das Mantra der eisernen Lettern, das Ende von allem.
„Arbeit macht frei“
Weitere Werke von V.K.B.:
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MoL
Quelle

Beiträge: 1935 Wohnort: NRW
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 12.09.2016 10:46
von MoL
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Wow. Krass. Und böse-tragisch-genial-gut!
Ob der Protagonist tatsächlich homosexuell ist oder nicht, hätte man ruhig offen lassen können. Macht aber nicht.
Echt klasse, für mich ein Favorit!
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halcyonzocalo
Einsamer Trancer
 Alter: 33 Beiträge: 1251 Wohnort: Irgendwo im Nirgendwo
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 12.09.2016 13:35
von halcyonzocalo
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Bei dieser Geschichte bin ich ein wenig zwiegespalten und so sicher bin ich mir ehrlich gesagt auch gar nicht, um was es jetzt eigentlich geht. Ein junger, schwuler Mann, der am Ende der Geschichte ins KZ gebracht wird, weil sein Vater ihn verraten hat? Oder die wahnsinnige Traumwelt eines Schizophrenen, für den die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Rationalität und Wahnsinn vollkommen verschwommen sind? Ich weiß nicht wieso, aber der ganze Text klingt irgendwie, als sei er von einer jungen Person geschrieben worden.
Das Thema ist in meinen Augen ganz passabel umgesetzt worden. Sprachlich gibt es einige Stellen, die mir gefallen haben (Zb das Bild der krächzenden Vögel). Für mich verläuft die Geschichte wellenartig: Der Beginn ist durchaus gelungen und dicht, der Mittelteil flacht allerdings deutlich ab und klingt ein wenig danach, als habe der/die Verfasser/in überlegt, wie er/sie zum Schluss kommen möchte, der dann auch wieder deutlich stärker ist. Insgesamt kein schlechter Text. Mal schauen, ob am Ende was bei rausspringt.
Edit: Es ist für mich mal wieder sehr schwer gewesen, hinter meinen persönlichen Top 3 eine Reihenfolge festzulegen, da ich einige Texte auf einem ähnlichen Level sehe. Letztendlich habe ich mich dazu entschlossen, deinem Beitrag 5 Punkte zu geben.
_________________ Die minimaldeterministische Metaphernstruktur mit ihrer mytophoben Phrasierung spiegelt den ideeimmanent abwesenden Bedeutungsraum. |
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Uwe Helmut Grave
Opa Schlumpf
 Alter: 68 Beiträge: 1027 Wohnort: Wolfenbüttel
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 12.09.2016 15:13
von Uwe Helmut Grave
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"Schizophren", sagt jemand innerhalb der Geschichte, und genau dieses Wort spukte mir bis zum Schluss im Kopf herum - sowie ein Dialog: "Man muss herausfinden, was der Dichter mit seinen Versen ausdrücken will." - "Wie kann man etwas herausfinden, das er selbst nicht weiß?"
Hat was, der Text - aber was eigentlich?
_________________ U.H.G. - Freude am Lesen
"Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich!" - "Aber er hat ja gar nichts an!" (Hans Christian Andersen) - Die Welt ist anders(en) als sie es dir erzählen. |
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Municat
Eselsohr
 Alter: 55 Beiträge: 380 Wohnort: Zwischen München und Ingolstadt
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 12.09.2016 16:23
von Municat
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Hey unbekannter Autor
Die Gedankengänge des von Familie und System gefolterten und bedrohren Erzählers sind sehr anschaulich transportiert, finde ich. Der Mensch mit seinen Ecken, Kanten und Persönlichkeitsstörungen kristallisiert sich langsam heraus. Da er selbst nicht wirklich zwischen Realität und Gedankenwelt unterscheiden kann, ist es auch für den Leser nicht einfach, zu erkennen, was sich tatsächlich abgespielt hat ... was die Geschichte aber in keiner Weise stört.
Er hatte einen Unfall und sucht den rettenden Unterschlupf nicht unverletzt ... soviel ist klar. Ob er aber seinen Häschern bei dem Unfall entwischt ist, oder ob er alleine auf der Flucht war, nachdem sein Vater ihm angedroht hat, dass er in zwei Stunden geholt wird, und den Unfall selbst verursacht hat, kann ich nicht sicher sagen. An einem kleinen Punkt frage ich mich sogar, ob die Hütte im Wald nicht in Wirklichkeit der Schuppen im Garten ist ... aber dafür ist mir der Verkehrsunfall und das Haus des Großvaters (einschließlich der Suche nach der Adresse) zu deutlich beschrieben.
Sehr packend geschrieben ... und mit einem heftigen Ende versehen.
_________________ Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt  |
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fabian
Eselsohr

Beiträge: 386
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 12.09.2016 20:28
von fabian
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Doppelpost
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Einar Inperson
Reißwolf

Beiträge: 1742 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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 12.09.2016 22:48
von Einar Inperson
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die drei
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis
si tu n'es pas là, je ne suis plus le même
"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer |
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Oktoberkatze
Eselsohr
 Alter: 57 Beiträge: 321
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 13.09.2016 16:14
von Oktoberkatze
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Sehr stimmige Bilder, hat mir gut gefallen. Kaum zu glauben, was in so kurzer Zeit möglich ist
_________________ Die meisten Denkmäler sind innen hohl |
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Eredor
Dichter und dichter
 Moderator Alter: 31 Beiträge: 4692 Wohnort: Heidelberg

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 14.09.2016 11:51
von Eredor
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Hm. Schwierig. Eine phantastische Geschichte über den Nationalsozialismus, in denen Gedichte als geglaubte Magie gegen die Schatten verwendet werden sollen? Vielleicht sehe ich auch einen Hinweis nicht, aber aus obiger Zusammenfassung fehlt mir eine Nachvollziehbare Motivation des Erzählers, die Geschichte genau so zu erzählen, wie er es tut. Hatten Gedichte in der innerfiktionalen Welt schon immer eine magische Funktion? Warum funktionieren sie jetzt nicht? Ist das "Ich" verrückt? Sind die Schatten verrückt? Und was hat das alles mit "Arbeit macht frei" zu tun, dessen Ausspruch zwar schon das Ende Worte bedeuten kann, aber muss denn das Leiden in den Konzentrationslagern, diese harte Realität, unbedingt in die Phantastik der vorangehenden Abschnitte einsickern? Die Spannung ist mir da zu groß, ich kann das nicht nachvollziehen und sehe das als viel zu konstruiert. Sprachlich hat es mich auch nicht gefangen. Schade!
LG Dennis
_________________ "vielleicht ist der mensch das was man in den/ ersten sekunden in ihm sieht/ die umwege könnte man sich sparen/ auch bei sich selbst"
- Lütfiye Güzel |
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holg
Exposéadler
 Moderator
Beiträge: 2269 Wohnort: knapp rechts von links
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 14.09.2016 15:39
von holg
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Das ist zunächst eine für mich beinahe unvorstellbare Menge Text für nur zwei Stunden Zeit. Gut, ich schreibe mit mehr oder weniger 6-8 Fingern. Da dauert manches halt länger.
Was mir gefällt:
Die Eindringlichkeit, mit der das Gedankenkonstrukt des Protagonisten geschildert wird. Sehr deutlich die Psychose gezeichnet, die Stimmen, die Gesichter, die dunklen Mächte, die ihn verfolgen. Deutlicher Spannungsbogen, Crescendo.
Was mir nicht gefällt:
Das Zuviel. Wir haben da einen, der sich in einer Psychose verliert, was eigentlich schon genug wäre. Aber dann ist er auch noch Dichter, schwul und es ist Nazizeit, er wird von seinem Vater "verraten" und natürlich wandert er ins KZ.
Natürlich ist das mit der Nazizeit eine Wendung, sie wird angedeutet z.B. mit "entartet", relativ am Anfang des Textes, oder (sehr hintergründig) mit der Wahl des linken Weges, aber irgendwie auch hinter dem Berg gehalten, damit im Finale das Tadaa umso lauter erschallt.
Und es gibt noch eine Wendung: Die Verfolgung (mit dem imaginären Lenkradgreifer) ist doch auch ein bisschen gar nicht fantasiert, sondern die Fänger sind real und natürlich geht's ins KZ, weil es ist ja Nazizeit und alles ganz, ganz schlimm.
Keine Frage, das war es damals.
Ist das aber relevant für die Geschichte? Würde sie im Hier und Heute auch funktionieren? Ich behaupte ja und damit fühle ich dieses dunkle Kapitel unserer Geschichte als Effekthascherei missbraucht.
Wieder andererseits finde ich den letzten Absatz wirklich gut geschrieben. Er lebt natürlich von dem Spiel mit Freiheit und KZ. Versuche mich gerade an dem Gedanken, den Spruch am Ende (mit entsprechenden Änderungen) durch "Lorazepam befreit" zu ersetzen.
_________________ Why so testerical? |
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Heidi
Reißwolf
H Alter: 41 Beiträge: 1496 Wohnort: Hamburg
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firstoffertio
Show-don't-Tellefant

Beiträge: 6083 Wohnort: Irland
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 14.09.2016 23:31
von firstoffertio
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Das hat was, hat aber auch Längen.
Der Schluss überraschtet mich.
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Tjana
Reißwolf
 Alter: 62 Beiträge: 1932 Wohnort: Inne Peerle
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 15.09.2016 19:54
von Tjana
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Es beginnt wie ein Thriller. Ist spannend. Dann driftet die Geschichte ab, und bei allem Bemühen, ihr auch in der neuen Richtung zu folgen, an psychische Verwirrtheit zu glauben, scheiterte ich fast, weil die für mich nicht stimmig erschien. Die zwei Stunden bleiben unerklärlich, der Unfall auch. Wer hat ihn verursacht (ihm ins Lenkrad gegriffen) und wo ist derjenige verblieben?
Ich lande also wieder im Thriller. Schließlich findet man ihn in einem Haus, bei dem man nur landen (rechtzeitig!) kann, wenn man Agent oder so was ist.
Der letzte Satz sagt mir dann, dass ich eine Verbindung zur Nazizeit hätte erkennen sollen.
Sorry. Habe ich nicht, "entartet" war nicht genug dafür.
Letztlich wohl doch eine Trauma-Geschichte, was die greifenden und spottenden Schatten immerhin erklärt, doch sind es mir hier zu viele Wege, auf denen ich herumirre, um zu verstehen, um was es gehen soll.
_________________ Wir sehnen uns nicht nach bestimmten Plätzen zurück, sondern nach Gefühlen, die sie ins uns auslösen
In der Mitte von Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten (Albert Einstein) |
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hobbes
Tretbootliteratin
 Moderatorin
Beiträge: 4639
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 15.09.2016 20:04
von hobbes
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Meine Erkenntnis aus diesem FFF: Unglaublich, welche Vielzahl an Worten mancheiner in zwei Stunden aus sich herausholt.
Hier sind mir eindeutig zu viel Worte. Vieles wiederholt sich, mal in gleicher, mal in etwas anderer Verpackung.
Ich wette, würdest du den Text um ein Drittel kürzen, würde er mir gleich viel besser gefallen.
In der aktuellen Form habe ich sehr viel Mühe dranzubleiben. Die Geschichte selbst, also deren Inhalt, finde ich gar nicht so schlecht, vielleicht ein wenig arg bemüht, im Sinn von: dies und das sollst du denken und fühlen, lieber Leser.
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Kopfkino
Eselsohr
 Alter: 39 Beiträge: 267 Wohnort: zwischen Fluss und Wald
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 17.09.2016 21:25
von Kopfkino
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Das ist mir Stellenweise zu viel. Nicht leicht nachvollziehbar für mich. Irgendwie nicht ganz meins.
_________________ Lächeln!
____
...
Stop complainig said the farmer
who told you a calf to be?
...
But whoever treasures freedom
like a swallow has learned to fly.
...
(Donna Donna, Zeitlin und Secunda, Übers. Joan Baez) |
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Ithanea
Reißwolf
 Alter: 32 Beiträge: 1270
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 18.09.2016 12:10
von Ithanea
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Der letzte Satz bringt Licht ins Dunkel. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wieso das Schwulsein so schwer wiegt, schon klar, dass es immernoch konservativ-wahnsinnige Väter/Eltern genug gibt, die das genau für so ein Verbrechen halten, aber wer nimmt einen denn heute mit deswegen.
Die Schwierigkeit der ersten Vorgabe "fehlender Vers" sich irgendetwas zu überlegen, das Verse hat oder auf ein bereits bestehendes Gedicht zurückzugreifen, hast du geschickt reduziert, indem dein Gedicht gar nicht wörtlich wiedergegeben wird, und trotzdem ist die Vorgabe ja vollständig erfüllt. Das hätte mir auch mal einfallen sollen. Der Schreibstil ist schnell, an manchen Stellen holprig, aber nichts was dem angesichts FFF einen Abbruch tun würde und passt insgesamt zum rastlosen, im Wahn befindlichen Prota. Am besten gefallen mir die Textstellen, die mir das Drama des Protagonisten nicht extradick aufs brotschmieren, sondern die ganz unscheinbar daher kommen und nicht näher abgehandelt werden, weil das angesichts des Zeitdrucks, in dem Prota sich befindet, gar nicht drin ist, z.B. Zitat: | Schnell erklärte ich, wie ich die Welt retten musste und was mir fehlte. Ich setzte mich an den Tisch und schrieb meine elf Verse nieder. Er nickte anerkennend. |
Insofern wäre, wenn es um Verbesserungsbedarf ging, mein Impuls eher in Richtung mehr reduzieren und aussparen. Insgesamt: Mag ich. Punkte, glaub ich.
_________________ Verschrieben. Verzettelt. |
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Pudelzucker Gänsefüßchen
 Alter: 35 Beiträge: 41
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 18.09.2016 21:47
von Pudelzucker
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Sehr packend geschrieben und spannende Umsetzung des Themas. Das gibt Punkte!
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Michel
Bücherwurm
 Alter: 51 Beiträge: 3656 Wohnort: bei Freiburg
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 19.09.2016 11:41
von Michel
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Paranoid? Psychose? Polizei?
Ein Leben schlägt fehl, weil jemand nicht ins System passt. Nichts "Ordentliches" lernt, Gedichte macht, Vorstellungen entwickelt, Präferenzen hat. Bis zum Schluss bleibt unklar, was Wirklichkeit und was Vorstellung ist oder in welcher Zeit wir uns befinden. "Verbrannter Kunststoff" klingt modern, das Rattern des Zuges in die Vernichtung ist eine Ikone früherer Qualen. Den Schluss finde ich übrigens zu dick aufgetragen, das Räderrattern reicht mir als Hinweis völlig .Auch bei den erlösenden Versen täte es eine Spur weniger Pathos.
Ich kann nicht greifen, warum, aber der Text hat etwas. Vielleicht ist Wahnsinn immer spannend. Aber die lange Rückblende, die einen Großteil des Textes ausmacht, beschädigt den Eindruck wieder.
Fazit: Gute Geschichte, deren konkrete Umsetzung für mich noch holpert. Aber FFF-Texte sind nun mal Rohdiamanten. Weiterschleifen!
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Lilly_Winter
Eselsohr
 Alter: 42 Beiträge: 271 Wohnort: Dortmund
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 19.09.2016 21:03
von Lilly_Winter
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Hallo Inko,
Vorgaben:
Thema »Der fehlende Vers«
Der fehlende Vers in dem Gedicht, damit es perfekt ist.
Jemand steht an einer Kreuzung und kann sich nicht auf den Beinen halten / während einer Autofahrt kann einer der Insassen nicht sagen, ob der Wagen sich bewegt, oder nicht.
Protagonist stolpert die Straße entlang, nach einem Unfall/auf der Flucht.
Jemand wartet auf ein Ereignis, dessen Eintreffen in zwei Stunden erwartet wird.
In zwei Stunden werden sie kommen.
Für zwei Stunden ist das eine Masse an Text. Teilweise verwirrend, ich musste einige Stellen mehrmals lesen. Wer hat hier ins Lenkrad gegriffen, für den Protagonisten scheinen sich Realität und Wahnvorstellungen zu vermischen, deswegen bleibe ich auch teilweise auf der Strecke, weiß nicht was real ist, und was nicht.
Mir gefallen die Beschreibungen der Schatten, und auch die Idee mit dem Gedicht, das unbedingt vollendet werden muss.
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rieka
Sucher und Seiteneinsteiger

Beiträge: 983
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 19.09.2016 22:39
von rieka
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Hallo unbekannter Dichter. Erst einmal – Respekt, Respekt. Einen brauchbaren Text in zwei Stunden aus dem Nichts zu fertigen ist in meinen Augen eine tolle Leistung.
Bei der Punktevergabe war ich stark zerrissen zwischen meinen Vorlieben und dem Versuch, die Aufgabenstellung korrekt zu beachten. Das wirst du kennen.
Jetzt zum Inhalt:
Ein verfolgter und von der Familie geächteter Schwuler in der Zeit des Dritten Reiches. Möglicherweise gleichzeitig auch noch ein psychiatrisch Erkrankter. Ich schwimme da etwas.
Schreibtechnisch, also im Ausdruck, scheint es mir gut gemacht. Du schreibst lebendig, deinen Bildern kann ich gut folgen. Die Zusammenhänge allerdings wirken auf mich manchmal bemüht und unlogisch. Dadurch und aus der Unsicherheit, ob der Prota an Schizophrenie erkrankt ist oder ob man es ihm nur anhängt, entstehen bei mir etliche Fragen:
- Wie passt der Eingriff ins Lenkrad, der Unfall und dass niemand davon Notiz genommen hat, niemand ihn hört, zusammen? Wer greift wie ins Lenkrad und ist aber trotzdem nicht da?
- Wieso haben der Vater und die Anderen ETWAS gemerkt? Was ist dieses etwas. Hat Prota seine Neigung gelebt? Haben sie das gemerkt? Dann wäre die Situation, die Verfolgung, nicht vage, sondern konkret gefährlich gewesen. Wer also sind SIE und was bedeutet das ETWAS, bevor der Vater angerufen hat.
- Was bedeuten im Gesamtzusammenhang die zwölf Verse? Glaubt Prota tatsächlich an die Macht von zwölf Versen. Bedeutet das, dass der Prota doch schizophren ist, in einer anderen Welt lebt? Und das, obwohl er doch, darauf deutet dein weiterer Text hin, die Wirklichkeit sehr klar erkennt?
Für mein Empfinden hast du eine Menge Konfliktpotential in diesen Text gesteckt. Teilstücke davon hätten für eine Geschichte gereicht. Alles zusammen aber wirkt auf mich zu viel und zu unlogisch zusammengefügt. Dann beendest du das Ganze mit dem inhalts- aussage- und vor allem unheilvoll geschichtsträchtigen Satz „Arbeit macht frei“. Das finde ich den Zacken zu viel..
Das Bild von den des Protas negativen Erwartungen krächzenden Vögeln gefällt mir.
Das Bild von den Gesichtern in den Wänden weniger. Aber möglicherweise möchtest du dieses Gefühl des Verfolgt-seins damit darstellen. Vielleicht auch auf seine Erkrankung hinweisen. Falls er tatsächlich krank ist und nicht nur so behandelt wird. Dann würde es genau stimmen.
Jetzt zu den Vorgaben. Du hast sie erfüllt. Mit deren Verknüpfung, also der Herstellung eines sinnvollen Zusammenhangs, hadere ich.
Punkte: 5
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Seraiya
Mondsüchtig

Beiträge: 938
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 20.09.2016 21:41
von Seraiya
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Aufgrund von Zeitmangel beschränke ich mich auf das Nötigste. Für mich ist das der beste Text des Wettbewerbs.
12 Punkte.
LG,
Seraiya
_________________ "Some people leave footprints on our hearts. Others make us want to leave footprints on their faces." |
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Amaryllis
Forenschmetterling
 Alter: 37 Beiträge: 1999
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 21.09.2016 16:03
von Amaryllis
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Liebe/r Inko,
dein Text hat mir gut gefallen - oder sagen wir es mal so, die Idee hat mir sehr gut gefallen, der Verlauf der Geschichte. Die Umsetzung fand ich teilweise ein kleines bisschen holprig, weil mir die Sprache nicht passend vorkam, also für die Zeit, in der deine Geschichte spielt. Ich kann auch schwer den Finger darauf legen, aber ich habe mich zum Beispiel gefragt, ob man den Begriff "schwul" 1940 (oder so) schon verwendet hat, oder ob man da nicht vielleicht ein anderes Wort benutzt hat. Zwei Tipper hast du auch übersehen, wovon einer ein bisschen komisch anmutet (Das Gesicht, dass euch vernichten wird *g*).
Aber ich denke, dass es auf alle Fälle für die Punkteränge reicht - ich vergebe meine Punkte aber erst, nachdem ich alle Texte kommentiert habe.
Liebe Grüße,
Ama
_________________ Mein Leben ist ein Scherbenhaufen...
Aber ich bin der Fakir. |
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