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Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5339 Wohnort: NRW
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22.01.2018 21:00 Ruhm und Ehre II - Der Gewinner des Aufbruchspreises von Bananenfischin
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Der Aufbruchspreis des DSFo geht an
amplitudenspektrum eines audiosignals von crim
Wir gratulieren!
Begründung
Ein Bewusstseinsstrom, beim Gehen ins Handy diktiert. Ein nächtlicher Fußmarsch zu einem Treffen mit Freunden, über Brücken und durch Unterführungen, an Plakatwänden, Tankstellen und Mülleimern vorüber, an Bushaltestellen vorbei und vom Bus überholt, dessen Fahrscheinkosten sich der Erzähler sparen will. Doch das langsamere Vorwärtskommen auf den eigenen zwei Beinen ist in Wirklichkeit Erkenntnisarbeit. Das, was ist, die Umgebung, die Straße und Gebäude, das wechselnde Licht von Mond, Straßenlaternen, Neonlampen und Dunkelheit, die Bruchstücke von Natur in Form von Tannenzweigen und Herbstlaub, all das wirft den Erzähler buchstäblich fortschreitend auf das zurück, was fehlt, und lässt eine Abwesenheit erkennbar werden, die sich gleichermaßen versteckt hat in den Gedanken über Fremde und an Freunde: Die Frau, mit der er einst zusammen war und deren Gedächtnisbild sich als Folie über die Frauen legt, denen er äußerst flüchtig auf seinem nächtlichen Gang begegnet, aber auch und vor allem der mangelnde Halt im Außen und in sich selbst.
Im Text fließt all das organisch über Assoziationsketten; Gedankenlinien ergeben sich aus vormals scheinbar punktuellen Überlegungen und Eindrücken und bereiten den Kern vor, zu dem der Erzähler schließlich vordringt. Denn zunehmend stellt sich heraus, dass es hier am Beispiel der Trennungsgeschichte um mehr geht, um Existenzielles. Die Unzulänglichkeit, dass man der Wirklichkeit nicht mit der Sprache gerecht werden, dass die Worte immer unzureichend sind, und umgekehrt, dass man die Wirklichkeit des sprachlich Ausgedrückten nicht im Physischen wahrnehmen kann, dass das, was wichtig ist, immer abwesend bleibt. Die Inkongruenz verstört und lässt sich nicht überwinden, es sei denn, man versucht, wie im letzten Satz angedeutet, die Illusion gewaltsam aufrechtzuerhalten auf Kosten des Ganz-in-der-Welt-Seins.
Diese Unvollständigkeit zieht sich durch den ganzen Text, findet sich besonders deutlich in der den Titel provozierenden Stelle, die Beschreibung der grafischen Darstellung des sich über die Zeit verändernden Frequenzgehaltes eines akustischen Signals. Dieses inspiriert auch die typografische Form des Textes und verselbstständigt sich zu einer zentralen Isotopie. Das Motiv der Punkte und Linien findet sich wiederkehrend, als solche, die Menschen verbinden, als Linien der frequenzabhängigen Amplitude bei der Äußerung »ich liebe dich« und als Punkte und Linien in Texten, die dem Erzähler vielleicht ein wenig Halt geben könnten, aber denen in dieser Hinsicht letztendlich durch die nur fragmentarisch mögliche Selbsterzählung kein Erfolg beschieden sein kann.
Wie der Text thematisiert und problematisiert, sind nicht nur der ins Handy gesprochene Text, sondern auch alle Erinnerungen durch den Prozess, dessen Resultat sie sind, gestaltet – verlieren ihre Unmittelbarkeit, werden unwirklich, vielleicht sogar zu Kitsch. Gleichzeitig spricht der Text unbewusste Abwehrmechanismen wie Verdrängung und Verschiebung an und macht deren Einfluss auf die instabile Welterfahrung bewusst. Konsequenterweise wird der Autor als Gestalter seines Textes sichtbar und der Text balanciert literarische Überhöhung, Selbstreflexion im Akt des Sprechens/Schreibens und persönliche, emotionale Direktheit gekonnt aus. Dass dies gelingt und der Bewusstseinsstrom damit gleichermaßen artifiziell wie unmittelbar sein kann, ist eine besondere Stärke dieses mit dem Aufbruchspreis des 6. »Zehn Tage, zehntausend Zeichen«-Wettbewerbs ausgezeichneten Textes.
Schlusswort
Und hiermit beenden wir nun den offiziellen Teil des Wettbewerbs. Wir bedanken uns bei euch, die ihr mitgemacht habt, sei es als Autoren, als Rezensenten oder auch nur als Leser. Das hohe Niveau der Texte und der Kritiken hat wieder einmal bestätigt, dass es im Forum sowohl Autoren als auch Publikum für ernste Literatur gibt und die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dieser Art des Schreibens immer ertragreichere Früchte trägt.
Euer Organisationsteam (Bananenfischin & sleepless_lives)
_________________ Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge
Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft
I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf) |
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Literättin Reißwolf
Alter: 58 Beiträge: 1836 Wohnort: im Diesseits
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22.01.2018 21:04
von Literättin
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Glückwunsch crim! Freue mich für dich und deinen wirklich sauguten Text, den ich immer wieder gerne lese.
_________________ when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -
Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -
Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.) |
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Constantine Bücherwurm
Beiträge: 3311
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22.01.2018 21:20
von Constantine
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Von meiner Seite ein erneuter Glückwunsch, crim.
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4299
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22.01.2018 21:21
von hobbes
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Ebenfalls meinen Glückwunsch an crim!
Bananenfischin hat Folgendes geschrieben: | Und hiermit beenden wir nun den offiziellen Teil des Wettbewerbs. |
Heißt das, ihr macht hier gleich noch eine Kneipe auf und crim gibt einen aus?
Sehr schön.
Vielen Dank übrigens auch noch an euch beide, Bananenfischin und sleepless, das war ein sehr feiner Wettbewerb. Ich würde euch glatt einen ausgeben, gäbe es eine Kneipe.
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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22.01.2018 21:32
von crim
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Wow. Ich habe schon viele Kommentare zu Texten erhalten, ganz großartige, gerade wieder von Lorraine (und ich belasse es mal bei diesem einen Namen, in der Hoffnung, dass die anderen, die auf der langen Liste derer sind, die sich tief in die Texte Anderer hineinbegeben können, kritisch und wohlwollend, involviert und aufzeigend, und und und, wissen wer sie sind) - dieser Kommentar hier, naja es ist eine Laudatio, aber trotzdem, macht mich sehr glücklich. Diese Begründung von euch ist der eigentliche Preis. Ich hoffe in Zukunft auch wieder tiefer in fremde Texte gehen zu können, aber jetzt trink ich erstmal einen.
Vielen Dank für die Organisation und das Geschenk dieses Blicks, vor dem der Text fast nackt dasteht.
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Jenni Bücherwurm
Beiträge: 3310
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22.01.2018 21:39
von Jenni
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Herzlichen Glückwunsch, crim!
Hätte ich wie gesagt genauso entschieden, und selbst warst du dir ja deiner Sache offenbar ebenfalls sehr sicher.
Danke auch von mir an BaFi und Sleepless für den Wettbewerb und das tolle Thema, das zu sehr schönen Texten inspiriert hat.
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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22.01.2018 21:43
von crim
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Hi Jenni,
nein, ganz und gar nicht sicher, ich hatte damit nicht gerechnet.
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anderswolf Reißwolf
Beiträge: 1069
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22.01.2018 21:54
von anderswolf
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Herzlichen Glückwunsch, crim! Und danke für Deinen wunderbaren Text, in dem es tatsächlich (in der Entspannung nach der Wettbewerbsphase viel deutlicher) immer wieder und noch mehr zu finden gibt, als zuerst gedacht/wahrgenommen.
Und vielen Dank an BaFi und sleepless (neben allem anderen) für die Laudatio/Begründung, die mir klar macht, wo ich mit meinen Kommentaren vielleicht mal hinzukommen versuchen sollte.
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Eulenbaum Klammeraffe
E
Beiträge: 867
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E 22.01.2018 22:16
von Eulenbaum
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Herzlichen Glückwunsch, Crim! Eine schöne Begründung, sehr viele Gedanken rund um den Text.
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holg Exposéadler
Moderator
Beiträge: 2396 Wohnort: knapp rechts von links
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22.01.2018 22:35
von holg
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Hey crim, meinen Glückwunsch.
Das hat dein Text echt verdient, aber das hab ich ja schon geschrieben.
Beim ersten Lesen war ich beinahe sicher, dass er von Eredor ist. Aber mit öfterem Lesen und genaueren Hinsehen, waren da ein paar Momente, die an etwas anderes erinnerten, Wanderungen, der spezielle Blick, dieser Rhythmus, Sprachfluss, aber ich bin nicht drauf gekommen, dass du dahinter steckst. Warst wohl zu lange nicht zu sehen. Nach der Aufdeckung war das beinahe ein Hand/Stirn-Erlebnis.
Schön, dass du dabei warst.
_________________ Why so testerical? |
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Lorraine Klammeraffe
Beiträge: 648 Wohnort: France
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22.01.2018 22:40
von Lorraine
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Absahner!
crim, ganz herzlichen Glückwunsch auch von mir. In meinem Fall war es so, dass erst Nihils Text mir den Weg zu deinem/zur Lust am Lesen öffnen konnte, und das hier
Begründung hat Folgendes geschrieben: | Konsequenterweise wird der Autor als Gestalter seines Textes sichtbar und der Text balanciert literarische Überhöhung, Selbstreflexion im Akt des Sprechens/Schreibens und persönliche, emotionale Direktheit gekonnt aus. |
hatte ich nicht im Wettbewerb erwartet, bin da ein wenig verstaubt reingegangen ... und Nihils und auch Jennis Text sind in dieser Hinsicht auf verschiedene Weise beispielhaft (finde ich).
Allen fünf Nominierten wünsch ich, dass sie weiter so gut an sich zweifeln, dann kommt auch ab und zu mal was Gscheites dabei raus!
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Constantine Bücherwurm
Beiträge: 3311
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22.01.2018 22:55
von Constantine
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Lorraine hat Folgendes geschrieben: | Allen fünf Nominierten wünsch ich, dass sie weiter so gut an sich zweifeln, dann kommt auch ab und zu mal was Gscheites dabei raus! |
Die positive Seite des An-sich-zweifeln.
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finis Klammeraffe
F
Beiträge: 577 Wohnort: zurück
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F 22.01.2018 22:56
von finis
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Herzlichen Glückwunsch, crim, auch von mir! Sehr schöner Text.
Und ja, danke für die Organisation und die ganze Arbeit, die ganz offensichtlich hier reingesteckt wurde! Das war ein wirklich schöner Wettbewerb.
_________________ "Mir fehlt ein Wort." (Kurt Tucholsky) |
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Nihil { }
Moderator Alter: 34 Beiträge: 6039
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22.01.2018 23:01
von Nihil
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Cool! Herzlichen Glückwunsch, crim!
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Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5339 Wohnort: NRW
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23.01.2018 20:11
von Bananenfischin
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crim hat Folgendes geschrieben: | dieser Kommentar hier, naja es ist eine Laudatio, aber trotzdem, macht mich sehr glücklich. Diese Begründung von euch ist der eigentliche Preis. Ich hoffe in Zukunft auch wieder tiefer in fremde Texte gehen zu können, aber jetzt trink ich erstmal einen.
Vielen Dank für die Organisation und das Geschenk dieses Blicks, vor dem der Text fast nackt dasteht. |
Das zu lesen, freut.
_________________ Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge
Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft
I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf) |
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crim sex, crim & rock'n'roll
Beiträge: 1578 Wohnort: München
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23.01.2018 20:49
von crim
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Ja, auch nochmal Danke für die Glückwünsche hier. Ich freu mich noch ein bisschen weiter.
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Heidi Reißwolf
Beiträge: 1425 Wohnort: Hamburg
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23.01.2018 22:07
von Heidi
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Dann gratulier ich hier auch gleich noch mal
zum Aufbruch.
Glückwunsch, crim, und ich freu mich auch ein wenig weiter.
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d.frank Reißwolf
D Alter: 44 Beiträge: 1129 Wohnort: berlin
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D 24.01.2018 01:24
von d.frank
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Ich kann eure Entscheidung verstehen!
Das ist so ein Text, der völlig unaufgeregt sich nur aus sich selbst heraus speist, er kommt ohne Tragödie, ohne gewollte Sprachgewalt, ja fast sogar ohne Ton aus und die Überlegungen, die er dabei anstellt, sind weise und beziehen sich von allen Texten am Stärksten auf die Vorgabe. Ich habe ihn blind als reines Liebesgedicht gesehen und dann auch leider nicht mehr zu ihm zurückgefunden. Danke für das Augenöffnen, einen herzlichen Glückwunsch an den Autor und bitte noch viel, viel mehr davon, von diesem Ganzen.
_________________ Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer |
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