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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 10/2013
Strukturbrüche


 
 
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Akiragirl
Geschlecht:weiblichDünnhäuterin

Alter: 33
Beiträge: 3632
Wohnort: Leipzig
Der goldene Spiegel - Prosa DSFo-Sponsor


Beitrag24.09.2013 20:00
Strukturbrüche
von Akiragirl
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Strukturbrüche

Polizeidirektion Leipzig
Abteilung C, Kommissariat II

Vernehmung der Zeugin Hannelore Wieland, geboren am 30.04.1955;
Tonband 1.

Frage: Warum waren Sie am 22.09.2013 gegen 7:30 am Bahnübergang Markkleeberg Mitte?
Antwort: Ich hatte am Tag vorher meinen Sohn in Altenburg besucht, der hat vor kurzem ein Töchterchen bekommen, Frühgeburt, aber herzallerliebst, und weil aber am Sonntag Bundestagswahl war, bin ich dann gleich früh mit dem Zug in Richtung Leipzig gefahren; wissen Sie, das is' bei mir von früher noch so drin, wenn man da nich' pünktlich zur Öffnung der Wahllokale oder vielleicht 'ne Stunde später da war, dann war man ja schon verdächtig. Jedenfalls, ich steig' immer in Markkleeberg aus, nich' am Hauptbahnhof, weil das für mich kürzer zu fahren is', ich hab' an der Straßenbahnhaltestelle gestanden und auf die Bahn gewartet. Von der Haltestelle aus kann man den Bahnübergang gut einsehen, sind nichmal hundert Meter und ohne Kurven, und Bäume gibt's da auch keine.
Frage: Wodurch ist Ihnen Frau Samet aufgefallen?
Antwort: Die hatte so 'ne große, schwarze Tasche umgehängt, 'ne Sporttasche, nur halt größer, und die schien unheimlich schwer zu sein, denn die Frau lief langsam und hat geschwankt. War außerdem recht abgemagert; die Frau, mein' ich, blieb dann nahe bei den Gleisen stehen und wartete da.
Frage: Was passierte, als die Schranken heruntergelassen wurden?
Antwort: Sie is' dann noch'n paar Sekunden da stehen geblieben, schien sich unsicher zu sein, wie's weitergehen sollte, dann hat sie sich unter der Schranke durch gebeugt, die Tasche hinter sich auf'm Boden geschleift und sie quer über die Gleise gelegt.
(…)
----------------

Vernehmung des Zeugen Emil Kluge, geboren am 23.09.1987; Tonband 4.

Frage: Zu welchem Zeitpunkt nahmen Sie Frau Samet das erste Mal wahr?
Antwort: Ich wartete am rechten Straßenrand vor den Bahnschranken auf meinem Fahrrad. Die Frau ging zielstrebig links an mir vorbei, mittig durch die Lücke der beiden Schranken hindurch. Ich konnte ihren Blick von der Seite her sehen, der war vollkommen starr geradeaus gerichtet. Ich dachte, sie hat es wohl sehr eilig und will nicht abwarten. Erst dann habe ich gemerkt, dass sie so was wie einen schwarzen Rucksack dabei hatte. An der Seite waren neonfarbene Reflektorstreifen angebracht.
Frage: Was tat sie mit dem Rucksack?
Antwort: Zuerst stellte sie ihn einfach auf den Gleisen ab und ging weiter. Aber dann hörte man ein lautes Geräusch; es klang schrill und hoch … (überlegt) Das ist schwer zu beschreiben. Wie ein Quietschen, oder – nein. Ein Kreischen. Und in dem Rucksack bewegte sich etwas.
Frage: Was passierte dann?
Antwort: Die Frau drehte wieder um und setzte sich neben den Rucksack. Sie öffnete ihn und ich konnte erkennen, was darin war.
Frage: Könnten Sie beschreiben, was das war?
(…)
----------------

Vernehmung des Zeugen Achim Rauh, geboren am 29.12.1968; Tonband 6.

Frage: Wie würden Sie Frau Samet beschreiben?
Antwort: Na, das war so eine Kümmeltürkin, so eine Kopftuchträgerin. Naja, sie hatte zwar kein Kopftuch drüber, aber Sie wissen, was ich meine, oder? Keinen Funken Respekt für Regeln, wissen Sie, ist einfach unter der Schranke durch. Dabei standen da auch zwei Kinder vor den Gleisen und haben gewartet!
Frage: Was tat Frau Samet auf den Gleisen?
Antwort: Naja, die hatte so eine Art Koffer unter dem Arm. Und den hat sie auf die Schienen gelegt. Ich wusste sofort, dass das nur eine Bombe sein kann. Ein Anschlag, davon hört man doch immer wieder, nich' wahr? Man hat dann auch ganz deutlich so ein mechanisches Geräusch aus dem Koffer gehört, eine Sirene oder so. Naja, mir war jedenfalls klar, dass das ein Unglück geben würde. Ich hab' den Kindern zugerufen, sie sollen von der Schranke weggehen. Aber diese Sirene war verdammt laut, naja, deshalb haben die mich vermutlich gar nicht gehört.
(…)
----------------

Du hältst mich fest. Ich spüre es bei jedem Schritt, als müsste ich gegen einen Sturm angehen. Aber heute ist der Tag gekommen. Keine Sekunde länger wirst du Macht über mich haben.
Die Lichter am Andreaskreuz blinken. Ein Auto bremst ab, Menschen bleiben stehen. Ich höre nichts. Du hast die Welt zu einem Stummfilm gemacht.


----------------
Tonband 4.

Antwort: Es sah aus wie ein Tier, aber ich kann Ihnen beim besten Willen nicht sagen, was für eins. Eine Katze war es bestimmt nicht, auch kein Hund, aber die Größe könnte stimmen. Jedenfalls war es dunkel und behaart, aber man hat es nicht richtig sehen können, weil es sich bewegte und zum Großteil von der Tasche verdeckt wurde. Eigentlich glaube ich doch nicht, dass es ein Tier war.
Frage: Weshalb nicht?
Antwort: Es bewegte sich irgendwie unnatürlich. Abgehackt. Und das durchgängige Kreischen, das es von sich gab … (längere Pause) Ich weiß nicht. Vielleicht war es doch ein Tier.
Frage: Was tat Frau Samet mit dem Tier?
Antwort: Es sah aus, als würde sie es festhalten. Sie schien zu versuchen, den Rucksack wieder zu schließen. In dem Moment war mir klar, dass sie es töten wollte.
(…)

----------------
Tonband 1.

Frage: Was geschah danach?
Antwort: Ich sag‘ Ihnen, mein Herz is' fast stehengeblieben, als ich das Kinderweinen hörte, es war herzerweichend; ein Baby hatte die in ihrer Tasche drin! Im ersten Moment konnt' ich es kaum glauben, aber das Baby hat geweint und immer weiter geschrien und die Frau is' aufgestanden und von der Tasche weggegangen, dabei konnt' ich nicht versteh'n, warum keiner von den Leuten an den Schranken was gemacht hat, wo doch ein Kind in Gefahr war!
Frage: Was tat Frau Samet?
Antwort: Die is' einfach neben den Gleisen steh'ngeblieben und hat  abwechselnd nach links und rechts geschaut, wann der Zug kommt, da bin ich losgerannt; ich konnte an nichts and'res denken, als dass ich dem Kind helfen muss.
(…)

----------------

Zwischen zwei Betonschwellen sollst du sterben. Jeder deiner Zellen soll zerfetzt werden, dein Blut in das Kiesbett sickern und nichts soll übrig bleiben von deinem Gift, das mich schon so lange lähmt. Da kannst du noch so sehr deinen Hass in die Morgenluft hinausjaulen; das hier ist mein Exorzismus.
Siehst du nicht, dass es keinen Sinn hat, sich zu wehren?


----------------
Tonband 6.
Frage: Wann kam der Zug?
Antwort: Na, der kam gar nicht viel später. Irgendeine Frau hat angefangen zu schreien, das war aber nicht die Türkin da. Dann schrien auch noch andere Leute. Einige rannten sogar noch näher ran an die Schranken, das fasst man doch nicht. Ich meine, da war eine Bombe in dieser Tasche, die jeden Moment hochgehen würde, und die müssen unbedingt glotzen, ist doch unklar, oder? Ich bin jedenfalls abgehauen und hab noch gerufen, die anderen sollten das auch besser machen. Naja, deshalb hab ich dann nicht selbst gesehen, was passiert ist, wissen Sie. Nur die Schreie der Leute gehört und das Quietschen der Bremsen vom Zug. Gott sei Dank ist die Bombe nicht hochgegangen.

----------------
Tonband 1.
Frage: Haben Sie die Gleise rechtzeitig erreicht?
Antwort: Nee, und Sie glauben nich', was für Vorwürfe ich mir mach', weil ich zu spät los bin, es ging alles so schnell, und dann, als ich schon fast da gewesen bin und den Zug kommen gesehen hab, da schien die Frau sich doch ein Herz zu fassen und ihr Kind noch retten zu wollen; sie hat sich wieder umgedreht und wollt' wohl nach der Tasche greifen, da is' sie gestolpert und längs auf die Schienen gefallen. Ich konnt' nur entsetzt steh'nbleiben und dann kam der Zug … Um Gottes Willen, ich hoff', Sie verurteilen mich nich'.

----------------
Tonband 4.
Frage: Haben Sie versucht, Frau Samet zu helfen?
Antwort: Ich glaube, die Frau stand unter Drogen. Sie starrte die ganze Zeit auf den Rucksack und das Tier darin, wie hypnotisiert. Ich rief sie immer wieder, hey da, machen Sie, dass sie wegkommen!, aber Sie schien mich nicht zu hören. Ich habe mich aber nicht getraut, zu ihr hin zu rennen, um sie da wegzuziehen. Kurz bevor der Zug da war, ging sie in die Knie und legte sich zu dem Ding auf die Gleise. Sie hatte wohl von Anfang an vor, Selbstmord zu begehen.

----------------

Du wirst mich nicht gehen lassen. Dich zu zerstören ändert nichts. Zu spät erkenne ich, dass du mich zwingen wirst, dir zu folgen. Meine Beine bewegen sich von selbst. Ein letztes Mal nutzt du all deine Macht über mich, und als ich die drei Schritte tue – eins, zwei drei; quer über die Gleise – wird es mir klar: Ich werde niemals frei sein.

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lady-in-black
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Beitrag25.09.2013 12:20

von lady-in-black
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Moin,  smile

dies ist ein Ichwillerstmalnurdiebewertungsfedernfreischaltenkommentar.

Später vielleicht noch einmal mehr. Pfiffig Blinzeln


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Lapidar
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Beitrag27.09.2013 18:27

von Lapidar
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Hmm.. sehr dicht in der Atmosphäre finde ich. Mich hätte noch interessiert welche Art von Dämon das war. Aber ansonsten auch toll, diese unterschiedlichen Zeugenaussagen genau so ist es .. jeder sieht seine eigene Wahrheit.

_________________
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firstoffertio
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Beitrag27.09.2013 23:28

von firstoffertio
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Die Idee finde ich sehr gut (Die Geschichte aus Aussagen und Wahrnehmungen und Erinnerungen der verschiedenen Zeugen aufzubauen.) Jedoch ist sie mir dann doch zu  sehr auf Effekte hin ausgearbeitet. (Ein Moment von Horror sollte hineinspielen?) Der innere Monolog der Frau kommt ein wenig aus dem Off.  So bleibt der Text mir im Hinblick auf die Vorgaben doch zu sehr an einer Oberfläche.
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KeTam
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Beitrag28.09.2013 17:07

von KeTam
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Du beschreibst die selektive Wahrnehmung, die ja aus Zeugenaussagen bekannt ist, eben mit Zeugenaussagen. Und dazwischen halt, die eigene Wahrheit der Betroffenen.
Es liest sich zwar gut, aber ich (was bestimmt damit zusammenhängt, dass es mich nicht überrascht) finde da nichts, was mich im Denken jetzt besonders gefordert hätte.
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adelbo
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Beitrag30.09.2013 12:29

von adelbo
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Hallo Inko,

eine Frau schleppt ihren noch nicht ganz toten Lebensgefährten auf die Bahnschienen, um ihm einen Zug auszusetzen und entschließt sich dann am Ende sich danebenzulegen.

Dazu die Sicht einiger Zeugen. Mich nervt es sehr oft, wenn jemand zu Texten schreibt, das kann doch so gar nicht gewesen sein, deshalb werde ich es auch diesmal lassen.
Es handelt sich ja um E-Literatur, da wird ja auch einiges nur Sinnbildlich erwähnt. Also gebe ich mir in diesem Fall Mühe, die Geschichte von dieser Seite zu betrachten.
Das Thema ist eindeutig vorhanden, auch eine Auslegung der Thesen von Thomas Bernhard ist durch die unterschiedliche Darlegung des gleichen Geschehen erkennbar.

LG
adelbo


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„Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.“

Bertrand Russell
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Kateli
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Das goldene Gleis


Beitrag30.09.2013 17:58

von Kateli
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Gelungen. Finde ich. Besonders gut gemacht sind die individuellen Erzählsprachen, die charakteristischen sprachlichen Besonderheiten  der vernommenen Zeugen, konsequent durchgezogen, wirkt sehr authentisch, Hut ab (wenn ich denn einen auf hätte Wink ). Auch die verschiedenen Wahrnehmungen/Deutungen sind sehr glaubwürdig - und das Krasse daran finde ich, dass das Ganze echt genau so vorstellbar ist ...
Nur die wirkliche Wahrheit (so es die denn gibt, aber mein Hirn will schon gar nicht mehr drüber nachdenken) bleibt im Dunkeln, es gibt keine explizite Auflösung, was ich gut finde, denn so habe ich nicht nur den Raum, sondern auch eine Aufforderung dazu, mir selbst Gedanken zu machen. Wen bringt sie da um? Und kann sich doch nicht davon trennen, auch im Tod nicht? Vermutungen habe ich. Klarheit nicht.
Brauch ich aber auch nicht.
Guter Text.

LG
Nina


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Kara
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Beiträge: 293



K
Beitrag01.10.2013 09:33

von Kara
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Hallo Inko!
Dein Spiel mit den unterschiedliche Wahrheiten gefällt mir. Gut umgesetzt.
Für mich oberes Drittel.
LG, Kara


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...nur wer sich bewegt, bewegt auch was...
... Gras wächst auch nicht schneller, wenn man dran zieht...
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hobbes
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Beitrag01.10.2013 10:40

von hobbes
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Drei Wahrheiten und eine Geschichte dazwischen.

Ich habe jetzt erst einmal nachgelesen, was es mit Strukturbrüchen auf sich hat:
Gablers Wirtschaftslexikon hat Folgendes geschrieben:
Vorgang, dass (...) Änderungen der Werte der Parameter eintreten. Ist ein Strukturbruch vorgekommen, muss eine erneute Parameterschätzung vorgenommen werden.

Wie passend. Ich bekomme ein paar Eindrücke, mache mir ein Bild. Dann gibt es neue, andere Eindrücke - das Bild verändert sich. Und immer weiter. Und am Ende? Tja. Habe ich zwar ein Bild, frage mich aber, ob es das "richtige" ist.

Gut getroffen finde ich die verschiedenen "Stimmen" der Zeugen.

Dass mir die Geschichte gefällt, kann ich jetzt trotzdem nicht behaupten. Ja, die ist ordentlich gemacht und alles, aber sie berührt mich nicht. Was vermutlich einfach in ihrer Art begründet liegt, die eben anders ist, als das, was mir gefällt.
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gold
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Beitrag01.10.2013 19:10

von gold
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Hallo Inko,

Zitat:
Man hat dann auch ganz deutlich so ein mechanisches Geräusch aus dem Koffer gehört, eine Sirene oder so.


Mhm, dass ein Zeuge mit seiner Wahrnehmung so daneben liegt, dass er ein Babyschreien nicht von einer Sirene unterscheiden kann, erscheint mir etwas an den Haaren herbei gezogen.

Ansonsten gefällt mir dein Text, die unterschiedlichen Zeugenaussagen und die Beschreibung der Szene machen deinen Text lebendig.

Lg gold


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finis
Klammeraffe
F


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F
Beitrag01.10.2013 20:04

von finis
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Hallo,

Ich suche jetzt schon seit Tagen nach dem Titelbezug im Inhalt - hätte ich da was finden müssen?!

Die einzelnen Zeugenaussagen sind gut gemacht, auch die Art, wie sie sich im Ton unterscheiden, den Zeugen Achim Rauh mit seiner Bombe fand ich allerdings überzogen. Der Bezug zum Zitat ist dadurch gut gemacht.

Frau Samet versucht sich von einem Etwas zu befreien - aber was ist das? Ein Baby, ein Tier, sagen die Zeugen. Du, sagt Frau Samet, und "Exorzismus". Ein Dämon? Hier hätte ich mir größere Klarheit gewünscht, nicht nur so ein ominöses "Etwas", was ist Frau Samets Ansicht nach in ihrer Tasche?

Befragungen als literarische Gattung wollen mir einfach nicht gefallen, es ist so unpersönlich und immer nur die halbe Geschichte und auch nur ein Ansatz der Personen. Tut mir Leid.

Lieben Gruß
finis


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"Mir fehlt ein Wort." (Kurt Tucholsky)
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Gast







Beitrag02.10.2013 06:35

von Gast
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Hallo smile

Der Titel, den du gewählt hast, stösst mich als Leser mit der Nase auf die Struktur des Textes.
Was wird erzählt? Wie wird erzählt?
Aus den Protokollen der Zeugenaussagen (mit ihren sehr individuellen Wahrheiten - die Interpretation des Zitats aus den Vorgaben wird hier sehr deutlich illustriert - baut sich nach und nach ein Bild auf, das ich mir vom Geschehen machen kann.

Die Einschübe - kursiv - unterbrechen diese Struktur des "protokollarischen" Erzählens, ich bekomme Einblick in die Gedankenwelt einer Frau, die zum Zeitpunkt der Zeugenaussagen bereits tot ist. Ich will das gar nicht werten, es ist klar: das kann man machen. Der Text, bzw. diese Abschnitte bekommen dadurch halt etwas ... mystisches, da droht mir zu entgleiten, was ich (be-)greifen will.

Die Wahrheit eines jeden Zeugen kann ich in den Transkriptionen der Protokolle nachlesen, ich kombiniere und rekonstruiere den Ablauf der Szene am Bahnübergang.
Dann habe ich die Einschübe, die klar machen, dass die Frau unter einem Zwang gehandelt hat, dessen Natur (innerer/äusserer) nicht eindeutig geklärt wird. Was oder wer war in der Tasche, von dem sie wünscht, es möge zerstört werden? Auf einer metaphorischen Ebene könnte ich mir übermächtige Ängst vorstellen, die sie beherrschen, von denen sie sich auch im entscheidenden Moment nicht lösen kann.
Das Problem ist, dass die polizeilichen Protokolle nur die Zeugenaussagen enthalten, mir wird ja der Rest nicht gezeigt, als gäbe es (noch) keine Erkenntnisse darüber, was denn wirklich vom Inhalt der Tasche gesagt werden kann.

Die Frage (Tonband 1), ob die Zeugin die Gleise "rechtzeitig" erreicht habe, erscheint höchst stupide, nachdem der Ausgang des Dramas der Polizei bekannt ist ... mir war wirklich nicht klar, was du dir hier gedacht haben magst.

Die Sprache eines jeden Zeugen hat Wiedererkennungswert, das hilft, die Aussagen auseinander zu halten und du hast eine gute Charakterisierung der Zeugen, dadurch.
Würde ich aber Protokolle lesen, d.h. eben nicht hören, sondern als schriftliche Transkription vor mir liegen haben, dann würde mich allerdings wundern, was diese "nich'" und "mach'" dort zu suchen haben, ich gehe also davon aus, dass ich hier hören soll?

Es bleibt ein wenig das Gefühl, eine halbe Geschichte erzählt bekommen zu haben, als Ermittler noch mitten drin zu stecken, in einer seltsamen Geschichte, noch dazu mit einer Stimme aus dem Jenseits als Quelle für weitere Hinweise. Das mag übertrieben erscheinen, aber so geht es mir gerade.

Komisch, irgendwie gefällt mir das Ganze, aber es ist mir zu unbefriedigend, mir zu sagen, da hat eine Frau ihre Ängste exorzieren wollen und ist gescheitert, die Angst (vor?) hat sie umgebracht.

Mal sehen, ob sich mir noch Erkenntnisse aufdrängen smile

Lorraine
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Bawali
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 80
Beiträge: 538
Wohnort: Wettingen, Schweiz


Beitrag02.10.2013 10:18

von Bawali
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Nachdem ich alle Beiträge aufmerksam durchgelesen habe, gibt es nun zu jedem eine kurze Anmerkung und eine erste vorläufige Einstufung. Aus meiner natürlich subjektiven Sicht stützt sich meine Einschätzung auf Aussage, Verständlichkeit, Schreibstil und das Handwerkliche des Textes sowie natürlich darauf, ob und wie gut Thema und Zitat umgesetzt wurden.

Eine gute Umsetzung von Thema und Zitat hat der Schreibende hier erreicht. Was ihm allerdings den Einzug in die höchsten Befederungen verwehrte, ist der Umstand, dass die Wiedergabe einer Reihe von Verhören das ganze fast zu einem Kriminalstück werden lassen. Da reichen die drei kurzen in kursiv eingestreuten Absätze knapp nicht ganz aus, das ganze als wirkliche E.-Lit. einzustufen.

Die Befederung setze ich im mittleren Drittel an. Die endgültige Federnzahl werde ich erst nach einem weiteren Durchgang, quer über alle Texte vergleichend, setzen.


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ash_p
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Wohnort: Berlin


Beitrag02.10.2013 11:56

von ash_p
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Der Text ist mir zu verwirrend. Man kommt mit den Aufzeichnungen durcheinander. Außerdem ist die ganze Geschichte sehr stereotypbelastet, was mir nicht zusagt. Desweiteren würde auch jeder dämliche Hinterhofnazi eine Bombe von einem Lebewesen unterscheiden können und bei einer Zeugenaussage nicht so einen Müll reden.
Vom Ansatz her also eine gute Idee, aber die Umsetzung ist mir etwas zu platt.


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holg
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Beitrag02.10.2013 12:02

von holg
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Vernehmungsprotokolle.
Nicht überraschend hören wir von jedem Vernommenen eine eigene, wahre Geschichte. Die Idee ist nicht neu und trifft meiner Meinung nach den Kern des Bernhard-Zitates nicht. Du demonstrierst eher die Überzeugung, dass es nicht EINE Wahrheit gibt, sondern viele. Oder dass niemand die eigentliche Wahrheit kennt.
Wäre nur die betroffene Frau Samet zu Wort gekommen, um Unfähigkeit zu demonstrieren, ihre Geschichte zu erzählen, wärest du mMn näher dran gewesen.

Sprachlich ist das dem Protokollstil angemessen, du gibst jedem eine eigene Sprache und alles fügt sich zu einer runden Geschichte. Am Ende glauben wir zu wissen was passiert ist.

Mittelfeld

holg


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Lupo
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Beitrag02.10.2013 19:08
Die drei
von Lupo
Antworten mit Zitat

Mit der Gegenüberstellung unterschiedlicher Zeugenaussagen zum selben Geschehen kann die Relativität von Wahrheit je nach Blickwinkel bestens aufgezeigt werden. Warum aber Tonband 1, 4, 6? Und nicht 1, 2, 3? Da gäbe es wohl noch drei weitere Zeugen. Aber einverstanden! Sechs Zeugen zu Wort kommen zu lassen, wäre zuviel. Die Ausdrucksweise der Gehörten lassen  Rückschlüsse auf den jeweiligen Bildungsgrad zu.
Viel Inhalt in kapper Form.
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Mardii
Stiefmütterle

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Beiträge: 1774



Beitrag03.10.2013 12:21

von Mardii
Antworten mit Zitat

Vielleicht ist es die Nachwirkung der Angst, der Panik, der Anstieg des Adrenalinspiegels und die moralische, psychische oder soziale Voreinstellung der Zeugen des Geschehens, die die voneinander abweichenden Aussagen bewirkt haben. Es lässt sich eine Schnittmenge aus all den Informationen bilden, die ein Minimum des Geschehens als erfahrbar und damit wahr erkennen lässt.
Vielleicht ist es auch die Frage, ob die Geschichte die kursiv gedruckten Passagen überhaupt braucht, um ihre Wirkung zu erzielen, aber – man kann sie auch stehen lassen.
Der Ansatz ist für die Bearbeitung des Themas brauchbar. Eine gute Lösung unter verschiedenen.


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`bin ein herzen´s gutes stück blech was halt gerne ein edelmetall wäre´
Ridickully
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Herbert Blaser
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 58
Beiträge: 313
Wohnort: Basel


Beitrag03.10.2013 16:59

von Herbert Blaser
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Spannender Beitrag. Die Mischung von Polizeiprotokoll und Exorzismus-Fantasie der Frau finde ich gut.

_________________
Wie haben wir den Mut in einer Welt zu leben, in der die Liebe durch eine Lüge provoziert wird, die aus dem Bedürfnis besteht, unsere Leiden von denen mildern zu lassen, die uns zum Leiden brachten?

Marcel Proust
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Amaryllis
Geschlecht:weiblichForenschmetterling

Alter: 38
Beiträge: 1380

Das goldene Stundenglas Das Silberne Pfand


Beitrag03.10.2013 18:42

von Amaryllis
Antworten mit Zitat

Liebe/r Inko,

vorab noch ein paar Worte: Ich persönlich sehe mich nicht als E-Literatur-Expertin, weder in schreibender noch in lesender Form, also nimm es mir bitte nicht übel, sollte ich nicht alles so verstanden haben, wie es vielleicht gemeint war. Zudem habe ich unter einem relativ hohen Zeitdruck gelesen und kommentiert, meine Obergrenze, einen Text zu lesen, lag also bei zwei Lektüredurchgängen.

So, jetzt aber zum Text:

Auch einer meiner Lieblingstexte. Ich finde die Verhörfragmente toll - einziger Vorschlag meinerseits: Du könntest die unterschiedlichen Erzählstimmen sicher noch besser herausarbeiten, beispielsweise Emil Kluge könnte eine Spur jünger klingen. Auch die Themenvorgabe hast du ideal umgesetzt, alles dreht sich um den Moment, der quer auf den Gleisen liegt, und auch darum, wie unterschiedlich die Leute die Situation wahrnehmen und es so auch mitteilen. Durch die Widersprüche wird jede einzelene Aussage zur Lüge.
Gut gefällt mir auch der offene Schluss, für mich ist selbst nach zweimaligem Lesen nicht ganz klar, was in der Tasche war. Magst du vielleicht noch verraten, woran du gedacht hast?

Ich weiß, das Kommentar ist etwas kurz, aber ich hab wirklich nicht viel zu meckern gefunden wink

Meine Bewertung erfolgt, sobald ich alle Texte kommentiert habe.
Alles Liebe,
Ama


_________________
Mein Leben ist ein Scherbenhaufen...
Aber ich bin der Fakir.
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anderswolf
Geschlecht:männlichReißwolf


Beiträge: 1069



Beitrag04.10.2013 10:38

von anderswolf
Antworten mit Zitat

Aus Zeitmangel derweil nur ein Kommentar zum Befedern, Erläuterung später.
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anuphti
Geschlecht:weiblichTrostkeks

Alter: 58
Beiträge: 4320
Wohnort: Isarstrand
DSFo-Sponsor Pokapro 2015


Beitrag04.10.2013 12:16

von anuphti
Antworten mit Zitat

erneut das Thema "juristische Wahrheit".

Viele Aussagen sind wie Teile in einem Puzzlespiel. Stimmt mit meiner Auffassung über Wahrheit überein.

Deshalb gerne gelesen. Erzähltechnisch hätte ich es mir noch etwas gewagter und vielschichtiger gewünscht. So liest es sich wie ein Poliziereport.

6 Federn

LG
Nuff


_________________
Pronomen: sie/ihr

Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)

You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach)
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Rübenach
Geschlecht:männlichExposéadler
R


Beiträge: 2832



R
Beitrag04.10.2013 12:46

von Rübenach
Antworten mit Zitat

Vorab:
Um alle Texte befedern zu können, musste ich mich häufig bei der Bewertung sehr kurz fassen. Außerdem habe ich dieses Mal sehr subjektiv bewertet und keine Bewertungsschemata (drei Federn für die Umsetzung der Vorgaben etc.) benutzt. Natürlich führt dies im Einzelfall zu völlig ungerechten Beurteilungen. Ist mir aber auch egal. Was mir bei sehr vielen Texten aufgefallen ist, ist die fehlende Auseinandersetzung mit dem Bernhard-Zitat. Entweder es wird ohne triftigen Grund in den Text gepackt, oder der Autorin glaubt, es sei ausreichend zu zeigen (oder zu behaupten), dass es immer mehrere Wahrheiten gebe.

Sorry, aber für eine individuelle Kommentierung ist die Zeit zu knapp.

5 Federn. Ich habe im Schnitt 4,32 Federn vergeben


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