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Federfuchser Leseratte
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Beiträge: 147
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F 19.02.2020 15:20 Zwei Reiseskizzen von Federfuchser
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Zwei Reiseskizzen
1. Bismark oder die geliehene Zeit
In Bismark war die Zeit nicht nur stehen geblieben, sie war auf eine geheimnisvolle Weise abhanden gekommen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die Bahnhofsuhr Stunde und Minute korrekt anzeigte. Ich war mir sicher: Dabei konnte es sich nur um eine geliehene Zeit, keineswegs um die Ortszeit handeln.
Doch dann entdeckte ich, dass alles noch viel verwirrender war...
Vor ein paar Wochen befand ich mich auf einer Fahrt durch die Altmark in Sachsen-Anhalt. Auf einem Wegweiser an der Bundesstraße las ich: Bismark 16 km.
Bismark?
Mir war der Name bisher nur im Zusammenhang mit dem Reichsgründer und 'eisernen Kanzler' Otto von Bismarck bekannt. Dass es einen Ort dieses Namens gab überraschte mich, und mein Interesse war geweckt. Bei der nächsten Kreuzung verließ ich die große Straße und bog in Richtung Bismark ab.
Vom Zustand der Nebenstrecke bis dorthin nur so viel: Mehr als einmal überlegte ich, ob es nicht besser sei, zurück auf die gut ausgebaute Bundesstraße zu fahren.
Heute weiß ich: Es wäre einen Fehler gewesen.
Der Ort schlug mich auf eine seltsame Weise sofort in seinen Bann. Und obwohl nun schon einige Monate verstrichen sind, geistern die Eindrücke, die ich während der kurzen Ortsbesichtigung empfing, immer noch in meinem Kopf herum. Nicht, dass etwas Besonderes passiert wäre – im Grunde passierte nichts – zumindest nichts Erwähnenswertes. Doch gerade diese tödliche Langeweile, die mich anwehte wie ein lauer Abendwind, dieses Gefühl absoluten Stillstandes, das sich häufig vor einem Gewitter einstellt, all das hinterließ in mir einen tiefen Eindruck.
Nun gut, einiges geschah schon. Leute liefen auf den Straßen herum und Autos fuhren, wie überall im Land. Ein paar Tauben flatterten aufgeregt hoch, irgendwo bellte ein Hund, schrie ein Kind. Und wenn ich richtig erinnere lief gerade die Kleinbahn in den Bahnhof ein. Alles nicht erwähnenswert und vor allem: Entsetzlich trivial, denn dergleichen geschieht in jeder Sekunde eine Million Mal auf der Welt.
Ich stellte mein Auto ab und schlenderte durch die Straßen des Städtchens. Bald kam ich auf einen weiten Platz, der von niedrigen Häusern gesäumt war. Die Leute bewegten sich bedächtig, wie im Zeitlupentempo, so kam es mir vor. Der Platz fiel leicht ab, und ich hatte von meinem Standort aus einen weiten Blick über den Ort, der jetzt unter dem wolkenverhangenen Himmel ziemlich verloren wirkte.
In einiger Entfernung entdeckte ich über den Dächern die schwarzen Kronen von hohen Kiefern. Ich vermutete einen Park. Der entpuppte sich jedoch als ziemlich weiträumiger Friedhof, umgeben von einer Backsteinmauer, die in allen möglichen Rottönen schimmerte. Diese Mauer allein war ein Abenteuer für sich: Vom Alter gebeugt, von Wind und Wetter schwer gezeichnet, teilweise rußgeschwärzt, mit Moos und kleinen Büscheln aus Farnkräutern bewachsen. Sie zog sich wie eine endlose rote Schlange dahin. Für einen Moment hatte ich den Eindruck, als habe dieses Bauwerk, so krumm und windschief wie es dastand, die Zeit aufgesaugt, die ich in dem Ort selbst vermisste. Hinter der Mauer stand dunkel und geheimnisumwoben der Kiefernwald mit den verwitterten Grabsteinen zwischen den Stämmen, in absoluter Zeitlosigkeit, darüber graues, schweres Gewölk.
Nachdenklich kehrte ich um. Wieder kam ich an der Bahnhofuhr vorbei. Der große Zeiger rückte gerade eine Minute vor. Ich nahm mein Handy und verglich. Was war das? Die Zeit stimmte! Doch es konnte unmöglich die Ortszeit sein! Denn die steckte ja in der Friedhofsmauer! Also musste es eine andere, fremde – eine geliehene Zeit sein! In einer spontanen Eingebung lief ich zurück zum Friedhof. Die Mauer stand immer noch unverändert da, alt, krumm, bemoost. Doch jetzt ereignete sich etwas Außerordentliches, Überraschendes: Für einen kurzen Moment riss die Wolkendecke auf; ein Sonnenstrahl ließ die Mauer aufleuchten, vor mir lag eine endlose flammende Welle. Es war ein jähes Aufglühen; der Eindruck war so stark, dass ich einen Moment überwältigt stehen blieb. Schwarz und erstarrt standen die Kiefern, grau und dunkel die Häuser, dazwischen die glühende Mauer. Die Wolkendecke schloss sich, und alles lag wieder grau in grau vor mir.
Mir war sofort klar: Eine höhere Macht hatte mir ein Zeichen gegeben. Ich sollte nach einem feurigen Ereignis suchen, mit dem das Schicksal dieser Stadt zusammenhing. Es würde eine Erklärung für die gefühlte Zeitlosigkeit sein.
Ein Verdacht stieg in mir hoch...
Zuhause schlug ich, ohne abzulegen, meinen Laptop auf und forschte nach. Tatsächlich, da stand es: Der Ort brannte im Jahre 1676 vollständig ab, kein Haus, keine Kirche, keine Kanzlei blieb verschont, er verglühte regelrecht, nur die Friedhofsmauer blieb erhalten. Dabei war mit sämtlichen Dokumenten anscheinend auch die Zeit abhanden gekommen...
Seitdem geht mir dieser kleine Marktflecken nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe schon viele große Städte besichtigt, Berlin, Paris, London, um nur einige zu nennen. Aber keiner dieser städtebaulichen Highlights hat mich gedanklich so nachhaltig beschäftigt wie dieses armseelige und anscheinend aus der Zeit gefallene Bismark mit seiner geliehenen Zeit.
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_________________ Es ist nicht schlimm, alt zu werden, man muss nur jung dabei bleiben. |
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Calvin Hobbs Klammeraffe
Alter: 55 Beiträge: 564 Wohnort: Deutschland
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21.02.2020 19:13
von Calvin Hobbs
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Hallo
Zweimal gelesen, sehr angenehm. Weiter so
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Nina Dichterin
Beiträge: 5012 Wohnort: Berlin
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21.02.2020 23:47
von Nina
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Lieber Federfuchser,
ich kann mich nur anschließen: Sehr schön geschrieben. Ich bin richtig mitgegangen mit den Beschreibungen, so leicht und klug, wie sich der Protagonist durch die Landschaft bewegt, so bewegt es auch mich.
Ich weiß nicht, in welche Richtung diese Geschichte sich weiter entwickeln wird, es könnte alles mögliche folgen: Fantasy, Horror, um nur zwei zu nennen. Oder fließt es einfach weiterhin so schön wie im eingestellten Textausschnitt?
Du kannst erzählen. Ganz wundervoll und leicht, wirklich schön.
Zwei Kleinigkeiten sind mir aufgefallen:
Zitat: | Es wäre einen Fehler gewesen. |
... ein Fehler gewesen, nicht einen.
Zitat: | Der Ort schlug mich auf eine seltsame Weise sofort in seinen Bann. |
Der Ort zog mich ... - würde ich sagen. Aber es geht wohl beides, wie ich gerade recherchiert habe - schlug und zog in diesem Zusammenhang. Schlug klingt mir seltsam, aber vielleicht ist das auch etwas Regionales. Ich kenne es als "zog mich in seinen Bann".
Ich freu mich auf die Fortsetzung der Geschichte.
Liebe Grüße
Nina
_________________ Liebe tut der Seele gut. |
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Federfuchser Leseratte
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Beiträge: 147
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F 23.02.2020 13:53 Zwei Reiseskizzen - 2. Unheimliche Begegnungen der Dritten Art von Federfuchser
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2. Unheimliche Begegnungen der Dritten Art
Haben Sie das schon mal erlebt: Ein paar harmlose Alltags-Ereignisse verdichten sich zu einem haarsträubenden Geschehen, dass Sie denken, unversehens in eine Parallelwelt mit unheimlichen Mächten hineingeraten zu sein, die Ihnen zwar berkannt vorkommt. Die aber nicht wirklich die gewohnte ist?
Mir erging es so...
Es war in dem Jahr mit dem ungewöhnlich langen und trockenen Sommer. Die Astronauten der europäischen Raumstation funkten unglaubliche Bilder zur Erde. Schon Ende Juni lag Norddeutschland gelb und ausgedörrt, gleichsam erstarrt, unter der wolkenlosen Lufthülle, nur von graugrünen Waldflecken durchsetzt. Das Wasser wurde allmählich knapp. Der Fährbetrieb auf der Elbe musste eingestellt werden, die Kraftwerke am Rhein konnten nicht mehr richtig kühlen, und die große BASF bekam nicht mehr genug Nachschub für ihre Produktion, weil die Lastkähne auf Grund liefen.
Ein rechter Katastrophensommer.
Ich erzähle das, weil man sonst nicht verstehen kann, warum mich ein paar an sich harmlose Naturschauspiele so mitnahmen.
In diesem Jahr also – es war Anfang Mai, und die Wiesen und Rasenplätze begannen schon gelb zu werden – radelte ich den Elberadwanderweg von Dömitz nach Havelberg hinauf. Dort nahm ich Quartier in einer etwas abseits gelegenen Unterkunft unten in der Elbaue.
Ich will mich jetzt nicht in Einzelheiten verlieren. Was ich berichten will ist folgendes: Als ich mich abends zur Ruhe legte, begann draußen das Konzert der Frösche, und zwar in einer Lautstärke, wie ich sie bis dahin noch nie erlebt hatte. Ich stand wieder auf und trat auf die Terrasse. Es war unbeschreiblich. Aus mehreren Tümpeln lieferten sich die Tiere einen regelrechten Sängerwettstreit. Es hörte sich an, als wollte jeder Tümpel den anderen in Gesangeslust überbieten. Da knurrte und knarrte es bedrohlich, dort läuteten verhalten zarte Glöckchen, hier erscholl ein lautes Quak-Quak, dann wieder ein mundartlich gefärbtes Quork-Quork, und immer wieder ein vereinzeltes, tiefes Dong. Es muss die Stimme des Dirigenten gewesen sein, der die ganze Bande im Takt hielt. Nie hätte ich geglaubt, dass Frösche und Kröten solch einen Höllenlärm machen können.
Plötzlich war, wie auf ein geheimes Kommando hin, das Konzert beendet. Doch die Ruhe währte nur kurz. Es schien nur eine Generalpause zu sein, denn schon erklangen einzelne schüchterne Stimmen, und dann brach das Spektakel, lauter und herrlicher als zuvor, von neuem los.
Ich lauschte fasziniert. Es war eine völlig andere Welt, in die ich da hineinhörte. Diese Tiere handelten nach einem Plan, den ich nicht verstand. Unbegreiflich, aber doch real.
Nun gut, sagen Sie. Das mag zwar beeindruckend gewesen sein, aber nicht sonderlich aufregend, und nichts, um daraus eine Geschichte zu machen.
Ich denkee doch. Da war nämlich noch ein anderes Geräusch, ein feines Wimmern oder Jammern, das über dem Quakkonzert lag. Es schien von weiter weg zu kommen und klang wie das Singen von Telefondrähten, durch die der Wind geht, nur unheimlicher.
Noch während ich diese Möglichkeit überlegte, sah ich ein, dass sie nicht stimmen konnte. Zwar kratzte tatsächlich in etwa fünfhundert Metern Entfernung eine Telefonleitung einen dünnen Strich in den Abendhimmel, doch es herrschte zu diesem Zeitpunkt absolute Windstille. Begierig darauf, die Ursache dieser Sphärenklänge zu ergründen, setzte ich mich in Bewegung.
Um es kurz zu machen, es kam aus einem fast vollständig von blühenden Seerosen bedeckten Teich, und nun war mir auch klar, wer da so erbärmlich jammerte: Es waren Unken. Noch nie zuvor hatte ich Unkenrufe gehört, deshalb kam ich erst darauf, als ich vor dem Teich stand. Jetzt war mir auch klar, warum man nicht 'unken' soll, und warum Unkenrufe angeblich Unheil ankündigen. Es hörte sich an wie das Gejammer hunderter kleiner Kinder, die den Verlust ihrer Eltern beweinen.
Mir kam es vor wie eine unheimliche Begegnung der Dritten Art.
Anscheinend hatten die Unken mein Kommen bemerkt, denn das Gejammer brach jetzt ab. Ich stand bewegungslos, begierig, noch mehr von der Tragödie, die da gerade gesungen wurde, zu erfahren. Tatsächlich erhob nach einiger Zeit ein Vorsänger seine Stimme, und nach und nach stimmten die anderen mit ein.
Mittlerweile war es fast dunkel geworden. Eine Wolkenbank hatte sich vor das Abendrot geschoben und verstärkte noch die unheimliche Wirkung. Auf dem Rückweg kam ich an einen Kasten mit öffentlichen Bekanntmachungen vorbei. Ich blickte hinein. Ein Schmierfink hatte etwas auf die Scheibe gekritzelt. Ich entzifferte:
Abend
einbrechendes dunkel | | |