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Pig


 
 
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Tlönfahrer
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
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Alter: 56
Beiträge: 26
Wohnort: Koblenz


T
Beitrag20.02.2018 23:19
Pig
von Tlönfahrer
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Man nennt mich Pig. Könnten Sie mich sehen, würden Sie verstehen warum. Bei einem Gewicht von mehr als 500 Pfund steht ein anderes Tier für einen Spitznamen nicht mehr zur Verfügung. Aber auch Pig hat schon lange keiner mehr zu mir gesagt. Der einzige, der noch mit mir spricht, ist der junge Armenier vom privaten Pflegedienst. Und der nennt mich immer brav bei meinem Nachnamen. Diese Jungs werden verdammt schlecht bezahlt. Und das, was sie bekommen, erhalten sie weniger fürs Pflegen, als dafür, dass sie immer freundlich sein müssen. Bei mir ist ja noch nicht so viel zu tun. Einmal die Bude durchsehen, Fußnägelschneiden ab und zu oder das ein oder andere Ekzem einschmieren. Ich weiß gar nicht, wie der Junge heißt. Ich nenne ihn Sansibar, und damit ist er offensichtlich zufrieden.

Hemingway hat einmal richtigerweise gesagt, Trinken sei eine Religion. Oder war es Pollock? Egal. Wenn dem so ist, dann ist Essen auch eine Religion. Eine, die wesentlich mehr Hingabe verlangt, sind doch die ästhetischen Opfer viel früher und viel offensichtlicher zu erbringen.

Die hundert Pfund überschritt ich mit sechs, die zweihundert mit vierzehn Jahren. Es war, als wäre man in eine Sekte hineingeboren. Es gab keine unbeantworteten Fragen. Und jedes Problem schien sich darin zu begründen, dass es auf die eine oder andere Weise zu einem Engpass in der Nahrungsaufnahme gekommen war. Man mag eine solche Engstirnigkeit verurteilen. Paradoxerweise entspricht es aber der Wahrheit. Am Ende läuft alles auf das Essen hinaus, daran glaube ich fest.
Nun, ich geh mit dieser Erkenntnis nicht hausieren. Dennoch es ist meine Überzeugung, dass das Essen einen hinreichenden Lebensinhalt bieten kann. Hinreichend genug, um eventuelle negative Folgen in Kauf zu nehmen. Wie im Rennsport zum Beispiel. Oder beim Boxen. Es ist immer der Geist, der die Zerstörung des Körpers billigend in Kauf nimmt. Mein Körper will bestimmt keine fünfzehn Hamburger zum Frühstück haben. Der gäbe sich auch mit ein paar Scheiben Matzen zufrieden. Oder mit ein oder zwei Äpfeln. Ich bin derjenige, der keine Äpfel oder kein ungesäuertes Brot haben will. Ich bin es, der bestimmt, dass die Mayonnaise auf einem Sandwich mindestens einen Zentimeter dick aufgetragen werden muss. Ich ertränke dasselbe Sandwich unter einen halben Liter Ketchup.
Maßloses Essen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern davon, dass man seinen Körper zu einem gehorsamen Hund macht. Man bezwingt dessen Bedürfnis nach Ausgeglichenheit und Mäßigkeit und macht ihn zu einem Gefäß der Gier.

Und das ist gut so, möchte ich sagen.

Witzigerweise ist die erste Frage, die sich vielen Menschen bei meinem Anblick stellen, ob ich es denn noch tun kann. Ich kann Sie beruhigen. Noch kann ich, auch wenn mein Arzt (die einzige Person, die sich außer dem Armenier noch um mich kümmert) mir prophezeit hat, dass damit in den nächsten Monaten endgültig Schluss sei. Verfettung der Drüsen etc. Schwellkörperlähmung infolge von kontinuierlich ansteigendem Cholesteringehalt im Blut. Und und und.

Meinen ersten Sex hatte ich mit einem Pirellikalender, den mein Vater für fünfhundert Dollar bei einer Auktion in Las Vegas ersteigert hatte. Seit ich dreizehn bin, kann ich meinen Schwanz nur noch im Spiegel sehen. Na und? Sex ist die am meisten überschätzte Sache der Welt. Ich habe mir Nutten kommen lassen. Manchmal sogar zwei oder drei zugleich und sie sind über meinen fetten Leib hergefallen, als wären meine kalkweißen Schenkel die Pforten zum Paradies. Sie haben ihre Nasen in meine Fleischfalten gepresst und an mir herumgesaugt und gelutscht. Dennoch bereitet mir ein Tiramisu weit mehr Vergnügen, ja selbst ein Viertelpfünder mit Käse bringt mein Blut eher in Wallung, als ein nackter Frauen- oder Männerarsch, wie jung er auch sei.

Die Völlerei ist der Sieg des Willens über das Bedürfnis. Und weit intensiver in seinem Ausleben, als jedwedes sexuelle Verlangen. Wie oft kann man innerhalb von vierundzwanzig Stunden Sex haben? Drei Mal, vier Mal, fünf Mal vielleicht. Essen können sie den ganzen Tag. Und das Schöne dabei: Das Essen alleine hat nichts von der Lächerlichkeit der Selbstbefriedigung, nichts von jener erbärmlichen Halbheit der Selbststimulierung, die nur dadurch funktioniert, dass man sich eine weitere Person vorstellt. Denn das andächtige Fressen, wie auch das Trinken, ist eine gewollt einsame Tätigkeit. Es ist kein Ersatz, es ist genau das, was man möchte. Der Unterschied zwischen dem Duft eines guten Essens und Musik ist der, dass Musik niemals die Bedürfnisse befriedigen kann, die sie weckt. Aber der Bissen im Mund erfüllt jenes Versprechen, welches der Duft bereits gemacht hat.

Ob ich Angst vor dem Tod habe? Natürlich nicht! Angst vor dem Tod haben nur diejenigen, die sich Diäten verordnen lassen und sie dann durchhalten. Schließlich ist der Tod das finale Abspecken. Damit muss man ja nicht schon vorzeitig beginnen. Und so, wie sich mein Körper bei vielen Dingen endlos Zeit lässt, sei es das Scheißen, das Pissen oder das Einschlafen, ja mit der gleichen Mühsal, mit der ich aufstehe und ein paar Schritte umhergehe, mit der ich mich in die Badewanne hinein und wieder hinauswuchte, mit der gleichen Gemächlichkeit, mit der alle meine Muskeln auf zerebrale Befehle reagieren, wird sich auch mein Körper an das Sterben machen. Da muss ich nun wirklich keine Befürchtungen haben.

Wenn es noch etwas gäbe, für das ich mich stark machen würde, dann für mehr gesellschaftliche Akzeptanz von Fettleibigkeit. Ich wünsche mir, die Leute sähen ein, dass es sich hier nicht um eine Schwäche, sondern eine Stärke handelt. Und mehr noch. Um eine Art Kunst. Man formt den eigenen Körper zu etwas, das einerseits dem eigenen Wesen entspricht, unberührt von den Strömungen der Mode, gleichzeitig aber auch eine Abstraktion dessen darstellt, was weithin als akzeptabel gilt. So bereite ich mein Essen wie der Maler die Farbe anrührt und der Schriftsteller nach den richtigen Worten sucht. Bei den einen steht am Ende das Bild oder das Buch. Bei mir ist es der Körper als amorpher Kontrapunkt zum allgemeinen ästhetischen Empfinden. Und wenn ich in einigen Monaten das Stadium der absoluten Unbeweglichkeit erreicht habe, wäre mein Platz eher der in einer Kunstausstellung, als in einem Krankenhaus oder Pflegeheim.

Zugegeben, dies sind Träume. Aber eines Tages wird es vielleicht so sein. Unsere Lobby ist stark und wächst mit jedem Jahr, das der Wohlstand noch unter uns zu weilen gedenkt.

Was uns zustößt, enthält kein Urteil über uns, habe ich mal gelesen. Das mag stimmen. Aber unser Aussehen provoziert jede Menge Beurteilungen über das, was wir sind, was wir waren oder sein werden. Wenn die Leute mich anschauen, will ich, dass sie urteilen. Sie sollen den unvermeidlichen Rückschluss ziehen, von der Form zum Wesen, von der Gestalt zum Charakter. Und die Menschen tun es. Ich habe es oft gesehen. Niemanden treffen ehrlichere Blicke als einen fettleibigen Menschen.

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Ubalda
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Beiträge: 18



Beitrag20.02.2018 23:59

von Ubalda
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Hallo Tlönfahrer,

ich maße mir nicht an, an Deinem Handwerk rumzupfuschen, das muss ich selbst noch lernen, kann also nur sagen, was ich beim lesen empfinde.
Einerseits bin ich ein bißchen verstört, andererseits ist das so rund und gut geschrieben; bis in die letzte Konsequenz durchdacht.

Das ist ein Text, der einen wirklich rausholt, aus seinem gewohnten Denken. Danke dafür!

Liebe Grüße
Ubalda


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Literättin
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Beitrag21.02.2018 10:14

von Literättin
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Ich fasse mich kurz: In meinen Augen ein Text voll leerer Kalorien.

Oder ich fasse mich lang: Die Figur empfinde ich als in sich nicht stimmig: da hockt er, ein dicker Mensch, und philosophiert in Phrasen und Klischees (man (wer eigentlich?) nenne ihn pig; ab einem Gewicht von gäbe es ...etc. ...; Hemingway sagte... ; er könne sein Geschlechtsteil nicht mehr sehen...; Sex würde im Allgemeinen überbewertet...; er erlebte den ersten mit einem Pirellikalender etc. pp. ...) und beschreibt seine kulinarischen "Genüsse" ebenso klischeebeladen (der berühmte Viertelpfünder, Mayonnaise, Ketchupfluten ...)

Insgesamt entsteht also das allzu bekannte Bild des fetten Amerikaners, der sich in einer Rede eventuell ironisch, eventuell aber auch zynisch oder stellvertretend selbstverachtend, eventuell selbstmitleidig, trotzig, wie auch immer (das ist hier nicht so erkennbar) verteidigt und sich in derselben Manier sein Fastfood gierig reinstopft.

Was für mich unter anderem nicht in sich stimmig erscheint, ist der Übersee-Griff nach Amerika: liest sich natürlich interessanter, wenn es um 500 Pfund geht, statt um 250 Kilo. Und da stutze ich zum ersten Mal: Ein Gewicht von 250 Kilo erscheint mir als alleiniger Grund für den Einsatz eines Pflegesdienstes allein nicht hinreichend. Weder hüben noch drüben.

Zumal "man" ihn "pig" nennt, er also außer seinem Arzt wohl eine gewisse Anzahl an Leuten kennen müsste. Die ahne ich jedenfalls irgendwo, auch wenn sie im Text selbst nicht expliziter auftauchen. Jedenfalls sind da andere Menschen, die ihm einen obligatorisch wenig schmeichelhaften Spitznamen verpasst haben. Also sollte sich auch irgendwo der ein oder andere in seinem Umfeld befinden, der ihm die ein oder andere Besorgung macht, ihm sonst wie die Stange hält? Wie sonst, gelangt er an sein Essen? Und zum die Wohnung durchsehen und zur Körperpflege kommt mit Sicherheit kein Pflegedienst. Und in Amerika ohnehin nicht.

Dann seine Hymne auf das Essen als Religion: Ironisch? Zynisch? Wie auch immer: das quasi-religiöse beißt sich selbstredend mit dem im Text allgegenwärtigen Fastfood, das nicht in irgend einer Weise zelebriert werden muss, weder in der Vorbereitung noch im Verschlingen. Das Ritual wird aber als solches extra noch hervorgehoben?

Rein sprachlich und handwerklich wohl solide. Der Text liest sich auffällig gefällig und süffig leicht herunter. Eben selbst ein literarisches Fastfood, nach dem ich mich ungefähr so gut genährt fühle wie nach einem Hamburger, mit einer Halblitercola runtergespült. Und mit entsprechenden Gärvorgängen bewegt sich dieses literarische Fest-Mahl in meinem oberen Verdauungstrakt.


Andere sehen das mit Sicherheit anders, entdecken etwas kritisches darin oder etwas zum Nachdenken, oder auch ein gelungenes in sich stimmiges Zeit- oder Amerika- oder westlichem Hedonismus gegenüber kritisches Menü. Ich entdecke nur jedemenge leere Kalorien. Und ärgere mich zugegebener Maßen über das enthaltene, mir zu billige, "auf Kosten von Klischee-Dicken" Menschen-Vorführen im Text.


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Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
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Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
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Sue Rovia
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Beiträge: 586
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Das bronzene Floß Silbernes Licht


Beitrag21.02.2018 12:18

von Sue Rovia
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Nun, dann will ich mal meine Krallen zücken und Ihren Text zerpflücken, in Zeile 31, so ich mich nicht verzählt habe, sollte das "sie" vielleicht großgeschrieben werden? Essen können Sie den ganzen Tag? Unter diesem Rechtschreibfehler  (sofern es einer ist) leidet die literarische Qualität dieses Textes erheblich.
Aber wir sind hier ja nicht im Feedback.

500 Pfund entsprechen 226,796Kilogramm.
1 Pfund entspricht 0,453592 Kilogramm.
Die Zwischenstufen in der Entwicklung der Fettleibigkeit können die Kritiker nach mir mithilfe dieser zwei Werte errechnen, sofern sie nicht tagtäglichen Umgang mit dem Pfund pflegen, dann erübrigt sich auch diese Auseinandersetzung.

Man kann diesen Text so gründlich missverstehen, wie man möchte. Und zwar in fast jeder Hinsicht. Man kann natürlich auch seinen Zynismus beklagen, so man möchte.
Man kann eine Figur hineinlesen, das kann man nun wirklich, und sagen, der Text sei aus der Ich-Perspektive geschrieben und die Figur in ihrer nicht gerade spannenden Handlung (da sitzt sie und philosophiert) sei bestenfalls absurd.

Und das kann man definitiv auch nicht leugnen. Ja, man müsste sich in jeder Hinsicht vom Text fortlesen um seine Absurdität zu verleugnen. Man müsste aus den gebotenen Worten kurze Schlüsse (nein, nicht Kurzschlüsse) ziehen: Pfund - Amerikaner, Fettleibigkeit - Vorurteil - Bloßstellung, Hemingway - Philosophie, und spätestens da könnte man sich überlegen, ob man ein Assoziativspiel daraus machen möchte, oder dem Text lässt, was er für sich beansprucht.

Und wer der Figur die Absurdität nicht abspricht, kann nicht auf Idee kommen, es sei hier die Diskriminierung von Individuen oder gar von einer ganzen Bevölkerungsgruppe Vorsatz, er müsste dem Text alles absprechen, insbesondere der Figur alles absprechen, insbesondere müsste er der Figur Verhaltensweisen und Abwehrmechanismen unterstellen (Trotz, Leugnung, ...), was mir nun ganz und gar diskriminierend scheint. Aber lassen wir das.

Dass es keine Grenze gibt zwischen Humor und Ernsthaftigkeit, dass man Humor nicht einmal als Antonym der Ernsthaftigkeit verstehen kann, davon habe ich mich im Laufe meiner Sozialisierung überzeugt, weswegen ich nicht versucht bin, das Wahre im Witz zu leugnen, oder die Traurigkeit im Absurden.
Und ich könnte viel schreiben, ja auch über die Ausgrenzung oder die Diskriminierung, und über die Identifikation mit dem Merkmal, das die Diskriminierung erklären soll, eine Identifikation, die religiöse Züge annimmt, mag sein oder muss sein, wenn sonst nichts da ist, das Identität stiften könnte. Damit geht doch zwangsläufig die Ablehnung jeder anderen Form der Befriedigung einher, und das ist nun nicht einmal mehr überzogen oder absurd, sondern menschlich.
Und in seltenen Momenten, wenn ich dazu gezwungen werde, mir die Satiriker anzusehen, die durch das deutsche Fernsehen stolpern, beklage ich die fehlende Konsequenz des Humors, der das Publikum in seiner Wohlfühlzone lässt, und dem Witz damit jede Bedeutung abspricht. Aber ein Text, der konsequent ist, wird zwangsläufig wahrhaftig:

Zitat:
Wenn die Leute mich anschauen, will ich, dass sie urteilen. Sie sollen den unvermeidlichen Rückschluss ziehen, von der Form zum Wesen, von der Gestalt zum Charakter. Und die Menschen tun es. Ich habe es oft gesehen. Niemanden treffen ehrlichere Blicke als einen fettleibigen Menschen.


Aber ich kann dem Text nichts hinzufügen, und weil ich jeder Textkritik im Grunde misstraue, (ein Leser kann sich einem wahrhaftigen Text im Schreiben nur nähern, was nun eher eine Form der Selbstbefriedigung ist als eine Rückmeldung an den Verfasser), spare ich mir weitere Ausführungen meiner Gedanken, wir sind hier ja nicht im Trash.
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Nina
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Beitrag21.02.2018 13:14
Re: Pig
von Nina
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Hallo Tlönfahrer,

der Prota wirkt auf mich nicht wie eine lebendige Figur, und ich habe mich gefragt, ob es das war, was Du mit diesem Text und dieser Figur vermitteln wolltest. Wolltest Du? Es fiel mir schwer, ihm "zuzuhören", diesem unsympathischen Wesen. Als ich am Ende des Textes war, dachte ich bei der nachfolgend zitierten Passage, dass es vermutlich darum eigentlich ging und geht bei Deinem Text, warum er überhaupt geschrieben wurde. Das ist für mich die Quintessenz des Ganzen.

LG
Nina

Tlönfahrer hat Folgendes geschrieben:
Was uns zustößt, enthält kein Urteil über uns, habe ich mal gelesen. Das mag stimmen. Aber unser Aussehen provoziert jede Menge Beurteilungen über das, was wir sind, was wir waren oder sein werden. Wenn die Leute mich anschauen, will ich, dass sie urteilen. Sie sollen den unvermeidlichen Rückschluss ziehen, von der Form zum Wesen, von der Gestalt zum Charakter. Und die Menschen tun es. Ich habe es oft gesehen. Niemanden treffen ehrlichere Blicke als einen fettleibigen Menschen.
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Lorraine
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Beitrag21.02.2018 16:18

von Lorraine
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Hallo ... smile
Was ist denn das? Ein gigantischer Fettnapfleibiger mit über 500 Pfund Lebendgewicht hält einen Monolog (zum Einstand)? Radikale Vorführung, wie selbst ein denkbar unsympathischer, im wahrsten Sinne unbeweglicher Anti-Held mit ein paar rhetorischen Mitteln einen Leser ins Rutschen bringen kann, bis er am Ende über den letzten WunschSatz des Ich hinaus schlittert und gar nicht merkt, wie er vorgeführt wurde?
Nein, da ist ja ein Unbehagen, irgendwie merkt man doch, dass da was nicht stimmt an der Art, wie sich einer am Beispiel des eigenen Körpers eine ganz Weltanschauung zurechtzimmert, einem widersinnigen, selbstzerstörerischen Verhalten ein Aquädukt des Leseflusses baut, in dem seine Argumentation so flutscht, dass ich am Ende dem Ich in seinem Wunsch beinahe bestätigen möchte, wäre ich nicht schon darauf vorbereitet, wie mit Scheinlogik und -kausalität, mit ›Autoritätenzitat‹ und anderen Argumentationstechniken eine Allegorie auf zeitgenössische Absurdität entsteht und hierin gipfelt:  

Zitat:
Wenn die Leute mich anschauen, will ich, dass sie urteilen. Sie sollen den unvermeidlichen Rückschluss ziehen, von der Form zum Wesen, von der Gestalt zum Charakter. Und die Menschen tun es.


Ja, also, wenn ich nun von der Machart des Textes auf den Verfasser schließe: Er will nicht, dass man seinen Text nur anschaut, geht aber gleichzeitig dieses Risiko ein, dass man flüchtig liest, weil er es hinkriegt, dass es nur so flutscht.
Man schmeckt unter dieser ordentlichen Portion Humor (ob der nun gefällt oder nicht) eine Prise Traurigkeit heraus, denn es gibt diese große, wabbelige Oberfläche ja wirklich, dieses Zuviel, die Unbeweglichkeit, den Egotrip. Sansibar, ausgerechnet ein Armenier,  der liefert dem Ich nicht den allerkleinsten Grund, sich über jemand anders als sich selbst Gedanken zu machen, und die Entfremdung vom eigenen Körper und dessen Bedürfnissen, die als Dressur-Erfolg dargestellt wird, das ist für mich das traurigste Element und gleichzeitig das zentrale. Der Text zeigt für mich die Mechanismen des Selbstbetrugs auf und damit dieselben, mit deren Hilfe man, im eigenen Saft schmorend, Opfer simpelster Manipulation werden kann.

Zwei Kästen Bier und ein schicker Bad-Boy: Wie wär's? Hast ja noch einen Einstandstext frei. smile

GlG von
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Literättin
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Beitrag21.02.2018 17:16

von Literättin
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Ich weiß, ich riskiere den Unmut untereinander persönlich bekannter AutorInnen, aber jetzt frage ich mich in der Tat, ob es auch hier wirklich so ist (wie auch sonst draußen in der Literaturwelt), dass man sich halt kennen muss, persönlich kennen muss, um aus einem schwachen Text ein literarisches Schwergewicht zu machen und Kritiker zu "unfreiwillig literarisch Vorgeführten".

Der Text wird mir weder gehaltvoller noch schmackhafter durch seine informellen Verbindungen. Mich besticht hier halt einfach rein gar nichts wink.


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Beitrag21.02.2018 20:10

von Tlönfahrer
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Hallo Ubalda,

vielen Dank für deinen Kommentar. Und für...

Ubalda hat Folgendes geschrieben:
andererseits ist das ....bis in die letzte Konsequenz durchdacht.


...denn das ist natürlich ein sehr schönes Lob für einen Text.
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Beitrag21.02.2018 20:33

von Tlönfahrer
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Hallo Literättin,

vielen Dank für deine Meinung zu diesem Text und dass du dich nicht nur kurz gefasst hast.

Allerdings will und kann ich gegen das was du schreibst nicht argumentieren, denn deine Sicht auf den Text ist von deiner Warte aus stimmig und ich denke, es gibt viele, die dir zustimmen werden.

Nur eines will ich nicht so stehen lassen:

Literättin hat Folgendes geschrieben:
Und ärgere mich zugegebener Maßen über das enthaltene, mir zu billige, "auf Kosten von Klischee-Dicken" Menschen-Vorführen im Text.


Ich denke nicht, dass in dem Text jemand vorgeführt wird. Pig strotz vor Selbstbewusstsein. Er ist kein Opfer. Er ist Herr seiner selbst. Ob das alles nur Fassade ist oder tatsächlich Fundament, sei dahingestellt. Jedenfalls ist er ist mit sich im Reinen. Auch wenn er ein "Klischee-Dicker" ist. Aber vielleicht fällt es schwer, dies einfach so hinzunehmen und er wäre einem als Opfer lieber.
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Beitrag21.02.2018 21:01

von Tlönfahrer
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Hallo Sue,

vielen Dank für deine Hinweise auf die Rechtschreibfehler.

Und für deinen Kommentar, den ich für lesenswerter halte als den Text mit dem er sich beschäftigt.

Sue Ulmer hat Folgendes geschrieben:

Und in seltenen Momenten, wenn ich dazu gezwungen werde, mir die Satiriker anzusehen, die durch das deutsche Fernsehen stolpern, beklage ich die fehlende Konsequenz des Humors, der das Publikum in seiner Wohlfühlzone lässt, und dem Witz damit jede Bedeutung abspricht.


Ubalda sprach auch schon von Konsequenz und vielleicht ist dies doch eine Art Schlüsselwort - nicht um den Text gut zu finden, sondern einfach um ihn zu finden.  Ich muss gleich noch in der Antwort an Nina darauf eingehen, auf das "Warum dieser Text geschrieben wurde". Nur hier schon so viel: In Wohlfühlzonen findest du keine Erklärung dafür, warum wir Menschen so sind, wie wir sind. Und keine guten Witze.
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Beitrag21.02.2018 21:21
Re: Pig
von Tlönfahrer
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Hallo Nina,

auch dir vielen Dank für deinen Kommentar.

Nina hat Folgendes geschrieben:
Hallo Tlönfahrer,

der Prota wirkt auf mich nicht wie eine lebendige Figur, und ich habe mich gefragt, ob es das war, was Du mit diesem Text und dieser Figur vermitteln wolltest. Wolltest Du? Es fiel mir schwer, ihm "zuzuhören", diesem unsympathischen Wesen. Als ich am Ende des Textes war, dachte ich bei der nachfolgend zitierten Passage, dass es vermutlich darum eigentlich ging und geht bei Deinem Text, warum er überhaupt geschrieben wurde. Das ist für mich die Quintessenz des Ganzen.


Vermitteln wollte ich nichts. Es gab da eine Idee und die wollte ich so weit wie es ging nachverfolgen. Und zwar einen Zustand, der allgemein als Makel angesehen wird, als das genaue Gegenteil darzustellen.

Mir ist Pig auch unsympathisch, aber ich frage mich warum. Warum ist er dir unsympathisch? Eigentlich gibt es nur einen Grund: die augenscheinlich rassitsche Haltung gegenüber seinem armenischen Pfleger, den er einfach Sansibar nennt. Der Rest ist Dicksein und Nutten.
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Tlönfahrer
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Beitrag21.02.2018 21:57

von Tlönfahrer
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Hallo Madame,

herzlichen Dank!


Lorraine hat Folgendes geschrieben:
..und die Entfremdung vom eigenen Körper und dessen Bedürfnissen, die als Dressur-Erfolg dargestellt wird, das ist für mich das traurigste Element und gleichzeitig das zentrale.


Das sehe ich auch so. Die Dressur, die, solange sie dem ästethischen Konsens entspricht, als positiv wahrgenommen wird, auch wenn sie dem Körper Schaden zufügt. Fehlt aber das wohlgefällige Äußere, wird die Dressur zur Misshandlung des eigenen Körpers.


Lorraine hat Folgendes geschrieben:
Zwei Kästen Bier und ein schicker Bad-Boy: Wie wär's? Hast ja noch einen Einstandstext frei. smile


Wie, ich muss noch einen? Shocked
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firstoffertio
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Beitrag21.02.2018 22:37

von firstoffertio
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Zitat:
sondern eine Stärke handelt. Und mehr noch. Um eine Art Kunst. Man formt den eigenen Körper zu etwas, das einerseits dem eigenen Wesen entspricht, unberührt von den Strömungen der Mode, gleichzeitig aber auch eine Abstraktion dessen darstellt, was weithin als akzeptabel gilt. So bereite ich mein Essen wie der Maler die Farbe anrührt und der Schriftsteller nach den richtigen Worten sucht. Bei den einen steht am Ende das Bild oder das Buch. Bei mir ist es der Körper als amorpher Kontrapunkt zum allgemeinen ästhetischen Empfinden.


Ich glaube, hier steckt, was mir nicht ganz stimmig vorkommt.

Einerseits Pig als Avantgarde Künstler, der sich üblichen Strömungen widersetzt und seine sehr eigene Kunst macht, und das Kunstwerk ist sein Körper, der sich von der Mehrzahl anderer "Körper-Künstler" unterscheidet. Die es ja massenweise gibt, nur sehen deren "Körper-Kunstwerke" anders aus.
Beim Vergleich mit dem Maler und dem Schriftsteller lese ich aber analog zum Bild und zum Buch (besser Text?) das Essen, die Speise, die Mahlzeit:
"So bereite ich mein Essen wie"  Darauf kommt es ihm aber ja nicht, oder nicht in erster Linie, an.
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Literättin
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Beitrag22.02.2018 08:46

von Literättin
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Hi Thlönfahrer,

ich halte die Figur "pig" nicht für ein Opfer und ein zum Opfer machen halte ich dem Text nicht vor. Er stimmt für mich in sich nicht und er bedient sich einfachster Mittel, die hier grob zusammen gezimmert in meinen Augen keinen schlüssigen Text ergeben. Vorsichtshalber habe ich mir auch noch mangelnden Humor unterstellt und nachgespürt, ob ich vielleicht eine Text-Raffinesse übersehen habe. Aber egal wie ich ihn zu lesen versuche: für mich stimmt hier wenig. Und mir bleibe ein schales Gefühl nach dem Lesen.

Vielleicht habe ich mich aber auch einfach als Mensch für diesen Text zu sehr mit dem in Amerika zunehmenden Phänomen um sich greifender Adipositas beschäftigt. Mir stehen die tatsächlichen Zusammenhänge einfach zu sehr vorm inneren Auge, als dass das  hier im Text entworfene Szenario nicht ärgern müsste. Und die mir zu simplen Zuschreibungen zu einem "fetten unsympathischen Individuum".

Und so weiß ich einfach nicht, was dieser Text - leicht hoch gegriffen formuliert - der Welt,  oder bescheidener betrachtet, der Literatur, oder dem Leser, zu geben hätte. Vielleicht auch einfach zu harte Kriterien, die ich hier anlege. Immerhin verdeutlicht mir die Auseinandersetzung mit "pig", dass ich die wohl unbewusst mit und in mir herumtrage. Und sie mischen sich wohl immer öfter ein. Auch ungefragt. In meine Textbetrachtungen, und das, ob ich will oder nicht.


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RememberDecember59
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Beiträge: 507
Wohnort: Franken


Beitrag22.02.2018 12:42

von RememberDecember59
Antworten mit Zitat

Hallo Tlönfahrer,
ich hatte deinen Text noch gelesen, bevor all die Kommentare kamen, und dachte mir dabei: Was für ein toller, interessanter Einstand!
Tlönfahrer hat Folgendes geschrieben:
Ich denke nicht, dass in dem Text jemand vorgeführt wird. Pig strotz vor Selbstbewusstsein. Er ist kein Opfer. Er ist Herr seiner selbst.

 Ich hatte anfangs auch nicht den Eindruck, dass du jemanden vorführen willst, aber es gibt eine Stelle, ab der ich mir darüber nicht mehr sicher war und die meiner Meinung nach nicht ins Konzept des Textes passt, nämlich die hier:
Zitat:
Wenn es noch etwas gäbe, für das ich mich stark machen würde, dann für mehr gesellschaftliche Akzeptanz von Fettleibigkeit.

Denn hier wird pig für mich ungewollt irgendwie doch so ein bisschen zum Opfer. Dass ihm die Meinung der Gesellschaft zu seinem Äußeren wichtig ist, lässt das Selbstbewusstsein aufgesetzt wirken. Und das finde ich schade, denn das ist ja einer dieser schrecklichen, unsäglichen Vorwürfe, mit denen manche Gesundheitsfanatiker dicken Menschen das Leben so schwermachen: „Du kannst uns doch nicht erzählen, dass du wirklich glücklich so bist!?“ Der Text knickt hier für mich irgendwie ein und gibt dem Recht. Ich hätte mir aber eine andere Botschaft gewünscht.


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Bartimäus: "...-was ist das?"
Kobold: "Hätte mich das jemand anders gefragt, o Herr, der ihr Schrecklich und Unübertrefflich seid, hätte ich ihn einen Dummkopf genannt, bei Euch jedoch ist diese Frage ein Zeichen jener entwaffnenden Schlichtheit, welche der Born aller Tugend ist. ..."

Bartimäus I (Jonathan Stroud)
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Nina
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Beiträge: 5012
Wohnort: Berlin


Beitrag22.02.2018 12:44

von Nina
Antworten mit Zitat

Hallo Tlönfahrer,

auch beim zweiten Lesen, dieselbe Erfahrung: Diese Figur ist keine Figur. Es ist eine Ansammlung an plakativen Meinungen, die zusammengeschrieben wurden. Die Figur lebt nicht, sie ist konstruiert oder besser gesagt: Plakativ/plakatiert mit/aus Meinungen.
Ich denke immer noch, dass nur deshalb der Text geschrieben wurde, um diese Meinung am Ende kundzutun. Deshalb ist die Figur keine Figur und die Geschichte keine Geschichte. Es ist nur ein Haufen an Urteilen und alles führt nur auf den Fingerzeig am Ende. Vielleicht möchtest Du, der Gesellschaft den Spiegel vorhalten: So denkst du über Dicke oder so. Oder: So könntest du über Dicke denken. Alles muss man sich hier selbst erklären, also echt. *lach* Ich wollte nur kurz erwähnen, dass ich noch mal da war und gelesen habe. Ja, ich glaube darum geht es: Um den Spiegel.

LG
Nina

P.S.: Pig (als Konstrukt) ist ein Opfer hat keinerlei Selbstbewusstsein. Er schlägt einfach zurück, das ist alles.
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Abari
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Der bronzene Durchblick


Beitrag22.02.2018 13:20

von Abari
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Hey,

Nina hat Folgendes geschrieben:
auch beim zweiten Lesen, dieselbe Erfahrung: Diese Figur ist keine Figur.


Das kann ich nur unterstreichen. Der Figur fehlt Leben, drumherum und innerlich. Technisch gehst Du nach vorne, aber inhaltlich fehlt die Substanz der Figur. Das einzige Bein, auf dem die Geschichte steht, ist Fettsein als "Kunst". Kann man machen, führt aber - so glaube ich - zu nichts, besonders wenn es dazu mit so vielen Klischees umschrieben wird wie hier.

Vielleicht lohnte es sich, über diese Klischees nachzudenken, sie zu streichen und zu sehen, was von "Pig" als Mensch übrig bleibt. Und dann daraus eine Figur zu formen, die Qualität hat. Ich bin mir sicher, Du kannst das.

Pig wird nicht alles mit seinem aufgeblasenen "Selbstbewusstsein" (denn er hat keines) kompensieren können. Irgendwie wird ihm die Lüge seines Lebens auch einholen, und sei es durch ein warnend-flaues Gefühl, wenn er so denkt. Niemand ist so. Erst recht nicht, wenn er so reflektiert über Kunst nachdenkt wie Pig. Da wird mir seine Fresslust sprachlich viel zu wenig "schmackhaft" gemacht. Da sitzt kein kunstbeflissener Genießer. Da sitzt - und da hast Du schon recht - ein armes Schwein. Aber der Konflikt ist überhaupt nicht herausgearbeitet. Vielleicht lohnte es sich, auch einmal darüber nachzudenken.

Leider kann ich Dir auch nicht den Bescheid geben, den Du Dir vielleicht erhofft hast. Aber sieh es doch einmal so: Die technische Qualität hat viele Leute gelockt, sich zu äußern. Ich kann also nur sagen: Nur Mut. Fülle die Figur mit Leben und lass Dich nicht von dem so sehr verlocken, was Du über Adipose denkst. Auch in diesen Menschen schlägt ein Herz, das sich nach Nähe sehnt, auch in diesen Menschen wohnt eine Seele, die offenbar nicht ausgefüllt ist; sonst würde sie sich nicht ins Essen flüchten.


_________________
Das zeigt Dir lediglich meine persönliche, höchst subjektive Meinung.
Ich mache (mir) bewusst, damit ich bewusst machen kann.

LG
Abari
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Ubalda
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Beiträge: 18



Beitrag22.02.2018 17:11

von Ubalda
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Hallo in die Runde,

ich bin mir gar nicht sicher, ob diese Geschichte wirklich „Leben“ haben sollte. - Mal abgesehen davon, wie sieht das Leben wohl aus, wenn man 250kg auf die Waage bringt. Soviel Masse um sich herum „erstickt“ den Körper doch total. Ist genauso ungesund, wie zehnmal die Woche ins Fitness-Studio zu rennen und ausschließlich Körner zu essen; diese Schlankheitsfanatiker leben genausowenig, wie Pig; sie sind genau wie er, nur auf ihren Körper fixiert, er soll gefälligst machen, was das wirre Hirn befielt.  

Und wenn ich mir nun vorstelle, dass das eine wirklich böse Satire ist, welche die Auswüchse der „Selbstoptimierung“ ins Gegenteil verdrehen soll, dann ist der Text, so, wie er ist, perfekt. Durch genau das fehlende Leben, die Flachheit in der Tonlage stört es uns doch erst; wäre er jetzt nach dem Moto „Hurra, ich werd so dick, wie es nur geht!“, würden wir es ihm wohl nicht glauben und sagen: „Jaja, red du dir nur was ein.“ Würde er hingegen Traurigkeit transportieren oder eine andere Regung, die zeigt, das er noch „lebt“, würden wir ihn mit guten Ratschlägen bombardieren, wie er mit Selbstoptimierung wieder glücklich werden kann. Die Katze beißt sich da sehr schön in den Schwanz und zeigt, wie tief gewisse Bilder im Kollektiv verankert sind.

Wenn das einer vorträgt, muss er das mit völlig reglosem Gesicht machen und in einer beiläufigen Sprechweise sagen. So wie er, der immer am Klavier sitzt, mit den langen Haaren, wie heißt der denn nochmal... Ach ja, Hagen Rether! In meinem Kopf hört sich das irgendwie echt richtig an.

Jo, soweit mein Senf. Ich hab keine Ahnung von Texte deuten, ist das erste Mal, dass ich mich an diese Sache wage. Was ich fühle, beschreibe ich so gut ich das vermag, hoff, damit niemandem auf die Füße zu treten oder völlig am Thema vorbeizurennen...

Liebe Grüße
Ubalda


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Nonbeliever
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Beiträge: 6



N
Beitrag22.02.2018 17:23

von Nonbeliever
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Hi Tlönfahrer,

geschrieben ist es meiner Meinung nach wirklich toll, das gefällt mir sehr. Es gibt wohl nicht einen einzigen Satz im ganzen Text, den ich persönlich unterschreiben würde aber in jedem Falle haben wir hier tatsächlich mal eine ganz andere Sichtweise. Es ist auch nicht so, dass ich die Hauptperson unsympathisch finde, allerdings habe ich definitiv das Bedürfnis, mit ihm über seine Einstellung diskutieren zu wollen. Irgendwie ist sein Blickwinkel interessant.
Ich hab mir im Vorfeld auch die Kommentare meiner Vorredner und auch deine Antworten durchgelesen. Und ich muss sagen, dein Text regt auf jeden Fall zum Diskutieren an, was ja auch schon mal eine positive Sache ist.

Was mir allerdings sofort ins Auge gefallen ist, und das ist wirklich nur eine winzige Kleinigkeit, ist der Satz zu Beginn. Ein anderes Tier steht für einen Spitznamen nicht mehr zur Verfügung? Doch klar, Elefant. Aber wie gesagt, das ist eigentlich keine Kritik, nur eben mein Gedanke in dem Moment.

Du schreibst unter anderem, dass die Hauptperson kein Opfer ist. Und das stimmt einerseits. Andererseits habe ich doch das Gefühl, dass zwischen den Zeilen Verbitterung mitschwingt, vielleicht auch ein bisschen Selbstaufgabe. Kann aber sein, dass ich das nur so hinein interpretiere. Mit Adipositas gehen nun mal über kurz oder lang körperliche Einschränkungen, Schmerzen, gesundheitliche Probleme einher und das ist auch für einen selbstbewussten Menschen auf die Dauer sicher kein Zustand, den man als angenehm empfindet. Alleine schon, dass man gewisse Dinge nicht tun kann mit einem solchen Gewicht oder der Umstand, dass man eben - und das stimmt leider - ab einer gewissen Fülle immer schief angeguckt wird. Ich wage die These, dass unter diesen Umständen so ziemlich jeder Menschen leiden würde.
Es wirkt irgendwie, als würde sich die Hauptperson das Übergewicht "schönreden" wollen.

Aber wie gesagt, sprachlich find ichs sehr gut. smile

LG Melanie
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Tlönfahrer
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Alter: 56
Beiträge: 26
Wohnort: Koblenz


T
Beitrag22.02.2018 22:36

von Tlönfahrer
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Hallo Zusammen,

vielen Dank, dass ihr euch für diesen Text Zeit genommen und eure Gedanken dazu aufgeschrieben habt.

Eigentlich wollte ich, wie ich es am Anfang gemacht habe, auf jeden Kommentar einzeln antworten, aber ich denke, meine Sicht als Autor ist lange nicht so interessant, wie die der verschiedenen Leser. Und man sieht in diesem Faden die verschieden Meinungen nebeneinander stehen und ich denke mir, einem Text kann nichts besseres passieren als das.

Ich beschränke mich also auf ein paar Anmerkungen und hoffe, es wird mir nicht als Geringschätzung angesehen.

Das Thema der Lebendigkeit der Figur:
Ginge es in diesem Text um Fettleibigkeit, dann müsste Pig "lebendig" sein, damit er die ihm vom Autor übertragene Aufgabe eine Message zu transportieren, bewältigen könnte. Aber eine solche Botschaft gibt es nicht. Pig könnte auch ein unermüdlicher Legobastler sein, ein manischer Zierfischzüchter oder leidenschaftlicher Briefmarkensammler. Das wäre aber langweilig, weil man im Allgemeinen über diese Menschen keine vorgefasste Meinung hat. Das verhält sich bei extrem Übergewichtigen anders. Da greift das Gedankenexperiment, weil es unweigerlich beim Leser auf einen Erfahrungsschatz trifft (beim Autor ebenso). Der Rest ist Versuch und sehen, was passiert.


@firstoffertio

Ich weiß nicht, ob es unstimmig ist. Wenn man die Entwicklung von Pig betrachtet, dann stand am Anfang nicht der Wunsch, ein Kunstwerk zu werden. Die Analogie zum Kunstwerk kommt ja erst durch die Relfektion darüber, dass er durch sein Essverhalten etwas aus seinem Körper macht. Man könnte auch sagen, er ist kreativ.


@Literättin

Es ist interessant zu lesen, wie du versuchst, deiner Abneigung gegenüber dem Text auf die Spur zu kommen.  Und ich verstehe dich. Ein bisschen schmunzeln musste ich natürlich über das "ich weiß nicht, was dieser Text der Welt zu geben hätte", weil das, gerade in einem Literaturforum, ein Maßstab ist, dem 99 % aller Texte, egal mit welcher Inbrunst sie geschrieben wurden, nicht gerecht wird.


@RememberDecember59

Ich habe mir die Passage nochmal angesehen, weil du mich unsicher gemacht hast. Aber ich sehe da eigentlich keine Schwäche oder mangelndes Selbstbewusstsein. Die Schwäche wird eher bei der Gesellschaft ausgemacht, die nicht zu erkennen vermag, dass es sich hier nicht um eine Krankheit, sondern um Körperformungskunst handelt.


@Nina

Nein, ich möchte niemanden den Spiegel vorhalten. Es ist eher eine Einladung an den Leser, an einem Experiment teilzunehmen. Welches heißt: Mal sehen, wie man sich innerhalb einer Meinung fühlt, die man nicht teilt.  


@Abari

Woher weißt du, welchen Bescheid ich mir erhofft habe?
Ansonsten kann ich nur wiederholen, was ich oben schon sagte: Hätte ich einen Text über Fettleibigkeit schreiben wollen, dann wäre der in diesem Text skizzierte Pig natürlich unbrauchbar. Danke auch für den Hinweis, dass in adipösen Menschen ebenfalls ein Herz schläögt. Das war mir neu.


@Ubalda

Mir hast du nicht auf die Füße getreten. Ich bin der Meinung, wenn man Texte kommentiert, geht es weniger um Deutung, als darum, seinen ganz persönlichen Eindruck zu schildern. Da gibt es kein richtig oder falsch. Also geize nicht mit deinem Senf.


@Nonbeliever

Was die Spitznamen angeht, habe ich noch nie gehört, dass einen Übergewichtigen jemand Elefant, Nashorn oder Blauwal genannt hat. Fette Sau hingegen schon.

Ob in den Zeilen Verbitterung oder auch Selbstaufgabe mitschwingt ist schwer zu sagen, weil ich glaube, dass sich Pigs Stimme in jedem Leserkopf anders anhört.
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firstoffertio
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Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
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Beitrag22.02.2018 23:57

von firstoffertio
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Zitat:
@firstoffertio

Ich weiß nicht, ob es unstimmig ist. Wenn man die Entwicklung von Pig betrachtet, dann stand am Anfang nicht der Wunsch, ein Kunstwerk zu werden. Die Analogie zum Kunstwerk kommt ja erst durch die Relfektion darüber, dass er durch sein Essverhalten etwas aus seinem Körper macht. Man könnte auch sagen, er ist kreativ.


eine nachträgliche kreative Rationalisierung?
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Tlönfahrer
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Beitrag23.02.2018 06:47

von Tlönfahrer
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firstoffertio hat Folgendes geschrieben:

eine nachträgliche kreative Rationalisierung?


Oder einfach Akzeptanz der eigenen Situation, die in eine absolute Befürwortung übergeht. Das kann ja durchaus ein kreativer Prozess sein. Von außen würde man das vielleicht immer als Rationalisierung bezeichnen wollen, weil man demjenigen diese absolute Selbstzustimmung nicht abnimmt.
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