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Pinta Oleander Gänsefüßchen
Alter: 63 Beiträge: 42 Wohnort: Valensole/France
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30.10.2008 13:09 In dieser Nacht von Pinta Oleander
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In dieser Nacht
träume ich wild durcheinander, mein Schlaf wird ständig unterbrochen, ist eine Mischung aus wachsein und träumen, und gleitet schließlich über in eine leidenschaftliche Predigt an alle Außenseiter, Einsamen, Entzückten, Aufsässigen, Selbstmordgefährdeten und Liebessuchenden aller Herren Länder.
Es ist unbestreitbar, sage ich, dass alle Menschen glücklich sein wollen, und es ist unbestreitbar, dass jeder einzelne etwas anderes braucht, um glücklich zu sein.
Es ist weiterhin unbestreitbar, dass neunzig von hundert Menschen nicht wissen, was sie brauchen, um glücklich zu sein.
Die Einsamen schütteln die Köpfe. Ich klettere auf ein Baugerüst, damit man mich besser hören kann.
Es hat sich deshalb, rufe ich, ein großes Angebot von Glücksversprechungen entwickelt, nicht zuletzt darum, weil die meisten Menschen nur dann glücklich sind, wenn sie andere von etwas überzeugen können. Es ist auch möglich, reich zu werden, indem man das erfindet oder verkauft, was andere glücklich macht und diejenigen, die das erfinden oder verkaufen, was andere glücklich macht, tun dies deshalb, weil ihr Glück darin besteht, reich zu sein... was dazu führt, dass ein Teil der Unentschlossenen glaubt, Glück bestehe im allgemeinen aus Reichtum – ein beklagenswerter Irrtum - denn das einzige, was im menschlichen Leben wirklich individuell verschieden ist, ist das Glücksempfinden und deshalb kann das Angebot gar nicht groß genug sein... z. B. eine religiöse Wahnvorstellung oder Anarchismus, oder auch Polygamie über Partnertausch-Annoncen, oder reine Abstinenz aus Angst vor Aids, oder weiße Unterwäsche mit roten Punkten, schwarze oder getigerte Dessous oder Tagträumerei, das Vermitteln von Teilzeitarbeit oder das Herumpfuschen in organischen Genen...
All das hat nichts mit Fortschritt zu tun, sondern ist nur ein Beweis dafür, dass das aktuelle Angebot an Glücksversprechungen immer noch nicht in der Lage ist, mehr als zehn Prozent der planetaren Familie glücklich zu machen.
Das ist wirklich alles unbestreitbar, schreie ich jetzt, aber es scheint mir fragwürdig, warum wir das Glücklichsein eher meiden, es kostümieren und sogar tarnen, und das nur, weil wir es noch nicht wirklich ausprobiert haben oder es gar nicht zulassen können. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen als einen glücklichen Menschen, ich habe nur noch keinen getroffen, aber das mag an mir liegen, weil ich überhaupt ein schlechtes Beispiel bin für meine eigenen Einsichten...
Die Aufsässigen und Selbstmordgefährdeten fangen an, das Baugerüst Teil für Teil abzubauen, und ich muss zusehen, einen anderen Ort für meine Ansprache zu finden. Ich klettere auf einen Mauervorsprung und stelle fest, dass ich ein Mikrofon in der Hand halte und mich selbst interviewe.
Wie heißen Sie?
Pinta Oleander.
Wie alt sind Sie?
Achselzucken.
Verheiratet?
Nein.
Sind sie glücklich über die Tatsache, dass man heute so ziemlich alles eingefroren kaufen kann?
Ja.
Warum? Finden Sie, dass es besser schmeckt?
Nein, es erleichtert das Einkaufen.
Aha, Sie bevorzugen Rationalisierung. Haben Sie Ideen für Rationalisierungen, die noch nicht existieren?
Die Entzückten und Liebessuchenden in der Menge schauen zu mir hoch. Meine Antwort wird mit Spannung erwartet.
Ich zögere.
Man hat fast alles vereinfacht, sage ich und vermeide hinunterzusehen, das Essen, die Transportmittel, das Geldverdienen, die Empfängnisverhütung, das Sich-Amüsieren, das Kinderkriegen, das Kranksein und das Sterben. Alles ist praktisch geworden, testbar, übersichtlich, nett verpackt. Das Jungsein und andere angenehme Dinge werden verlängert, das Altsein und andere unangenehme Dinge werden verkürzt. Satelliten kreisen um unseren Erdball, klären uns über voraussichtliche Klimakatastrophen auf, schicken uns neue Fernsehwelten ins Haus und machen es möglich, sich zu jeder Zeit und an jedem Ort anrufen zu lassen.
Die totale Kommunikation?
Ich denke...
Die Liebessuchenden werden ungeduldig.
Kommen Sie zur Sache, sage ich zu mir.
Aber da fällt mir das Mikrofon aus der Hand und wird von einem bunten Hund im Maul davongetragen.
Es geht niemanden etwas an, flüstere ich, aber ich vermisse Rationalisierungen für die Liebe.
Der Hund bleibt stehen, setzt sich auf seine vier Buchstaben, sieht zu mir hoch und kichert.
Jawohl, erwidere ich ärgerlich, Erleichterungen für die Liebe, etwas mehr Klarheit im Dschungel der Umarmungen, leicht anzuwendende Tests, verlässliche Lügendetektoren, Verkürzungen oder Verlängerungen, je nachdem...
Weitere Werke von Pinta Oleander:
_________________ Lügen haben kurze Beine und die Wahrheit fährt im Rollstuhl... |
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Tiefgang Reißwolf
Alter: 43 Beiträge: 1139 Wohnort: Hamburg
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30.10.2008 15:28
von Tiefgang
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Oh, das ist wunderbar!
Wie du den inneren Monolog in einen Traum wickelst, ihn schön aufbaust und dann einen inneren Dialog draus werden lässt.
Die Stelle, an der du dich dann selbst interviewst hat es mir besonders angetan. Sie ist einerseits eine witzige Idee, andererseits inhaltlich witzig, weil der interviewte Teil von dir nicht so recht weiß, wie ihm geschieht und dem Ganzen mit einem ziemlich bewundernswerten Phlegma gegenübersteht.
Klasse, besonders dieser Satz ließ mich schmunzeln:
Kommen Sie zur Sache, sage ich zu mir.
Danke auch, weil du mich daran erinnert hast, dass ich vom Inhalt schon mal einen verwandten Text geschrieben habe (Eigentlich glücklich).
Dass dein Schreibstil obendrein gut ist und der Aufbau gelungen muss ich nicht noch extra tiefer ausführen ...
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Pinta Oleander Gänsefüßchen
Alter: 63 Beiträge: 42 Wohnort: Valensole/France
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03.11.2008 12:31
von Pinta Oleander
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Vielen Dank für deine positive Kritik zu meinem Text. Dieser ist nur ein kurzer Auschnitt aus einer eigentlich viel zu langen Kurzgeschichte, die hier, in diesem Forum, den Rahmen sprengen würde.
Immer weitermachen ist die Devise, wie auch immer. Disziplin entwickeln, Vertrauen haben in seine Arbeit und die Arme nicht sinken lassen.
Ich denke, das kennst du auch.
In diesem Sinne, bon courage,
LG
Pinta
_________________ Lügen haben kurze Beine und die Wahrheit fährt im Rollstuhl... |
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