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appo Leseratte
Beiträge: 111 Wohnort: Bremen
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24.11.2013 23:05 Nebel (Außer Konkurrenz) von appo
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Nebel
Ich kannte das nicht anders.
Im Frühling und auch im Herbst marschierte ich jeden Morgen von unserem Berg hinunter in eine andere Welt. Oben vor unserer Haustür schien die Sonne. Unten im Tal hing der Nebel, stieg dort in trägen Schwaden vom Fluss auf und hielt sich in den dunkelgrünen Wiesen, den Trauerweiden und den Hängen bis zum späten Vormittag. Der rote Triebwagen, in den ich immer um 6 Uhr 44 stieg, um zur Realschule zu fahren, ratterte durch das langgezogene Tal, das vollständig im Nebel versunken blieb. So fuhr er eine halbe Stunde, um am Ende auf eine Anhöhe und endlich wieder im Morgenlicht zum Stehen zu kommen. Unweit des Endbahnhofs befand sich meine Schule. Meine Kameraden Peter und Kalle, die nahebei in der gleichen Straße wohnten, waren in meine Augen glücklich, kannten sie doch weder die morgendlichen Schwaden noch meine Art der Angst vor dem Nebel. Meine Angst, die kam durch die Erzählungen meines Großvaters Jon, der, schon weit über achtzig und einbeinig, von den Bewohnern des Tals hinter den Nebeln erzählte.
„Sie sind übrig geblieben“, raunte er und etwas Geifer lief ihm aus dem Mund.
„Erzähl nicht so ein Schmarrn“, meinte meine Mutter, als sie mit einem Korb voll duftender Wäsche an uns vorbeiging.
„Im Krieg mussten sie alle durch das Tal, die Engländer, die Franzosen, die Deutschen.“
„Ja“, rief meine Mutter. „Und jetzt mach´ ihm auch noch weis, dass sie in der Dämmerung dort stehen und warten.“
„Ich höre sie heute noch manchmal in der Frühe schreien“, knurrte Großvater Jon, „dort in der Dämmerung, wenn das Sichtbare und Unsichtbare so nah beieinander liegt.“
So ging es tagaus und tagein. Ich fing im Schlaf an zu fantasieren von Armeen die durch unsere Dorfstraßen zogen, jungen Soldaten, die am Fluss verbluteten, halb verwesten Toten, die bis nach Kriegsende in den Büschen verrotteten.
„Du sollst aufhören, dem Jungen Angst zu machen“, schrie meine Mutter den Opa an, doch es war zu spät.
Bald sah ich die Gestalten selbst morgens im Frühjahr und im Herbst, wie sie Spalier standen an der sich windenden, mit Kopfstein gepflasterten Straße ins Tal. Bittend sahen ihre Gesichter aus, die Augen in dunklen Höhlen, die Lippen rissig und vertrocknet.
„Komm zu uns“, flüsterten die Toten und griffen nach mir. Voller Furcht rannte ich morgens durch die Schwaden hinunter zu den Schienen.
Nun hatte ich eine jüngere Schwester, die zwei Jahre nach mir auch auf die Realschule kommen sollte und fortan mit mir morgens zum Zug laufen würde.
„Manchmal stehen morgens an der Straße die alten Geister aus dem Krieg“, erzählte ich ihr am Morgen, bevor wir zum ersten Mal gemeinsam zum Bahnhof marschierten.
„Ach die“, meinte Lucia. Die Erzählungen von Jon hatte sie stets langweilig gefunden.
„Falls du Angst bekommst, beschütze ich dich“ bot ich ihr an. Ich war schließlich der große Bruder.
„Mach´ mal“, kicherte sie und warf mit einer Nuss aus ihrem Müsli nach mir.
Als wir uns die Jacken angezogen hatten, rannte ich mit großen Schritten los und hoffte, nicht gleich am ersten Schultag wieder unheimliche Gestalten am Wegesrand zu sehen. Doch sie warteten schon. Eine lange Reihe schemenhafter Figuren zog sich hinunter in das neblige Tal. Soldaten mit blutigen Gesichtern und zerrissenen Uniformen streckten ihre dürren Finger nach mir aus. Und nach meiner Schwester!
„Haut ab, Geht weg, lasst uns in Frieden!“, schrie ich und sprang zwischen Lucia und eine im Nebel schwebende Gestalt, die nach ihren langen Haaren griff. Ich war schließlich ihr Bruder.
Hinter mir hörte ich Lucia lachen.
„Sag´ mal, was machst du da eigentlich?“
„Ich beschütze dich.“
„Wovor?“
Ich zeigte hinter mich.
„Ja, und?“, fragte Lucia.
Ich drehte mich um. Die lange Reihe der Geistersoldaten war verschwunden. Lucia lachte und rannte los. Dabei knuffte sie mich in die Seite. Glücklich lief ich hinter ihr her in den Nebel hinein.
Das kannte ich auch anders.
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Zinna schweißt zusammen, was
Beiträge: 1551 Wohnort: zwischen Hügeln und Aue...
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31.12.2013 15:28
von Zinna
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Hallo Appo,
später gehts kaum in diesem Jahr... Ich hatte mir vorgenommen, einen Kommentar zu deiner Geschichte abzugeben, nun muss ich mich sputen.
Auch dein Beitrag war ja disqualifiziert worden. (Die Vorgaben in der Prosa hatte ich nicht detailiert angesehen und auch nicht gemerkt. So nehme ich nur an, dass die Grenze zur "Nebel"welt in deiner Geschichte nicht als Spiegel anerkannt worden ist(?)
Ich möchte ein paar Gedanken zu deiner Geschichte als solche hier lassen, unabhängig vom FFF.
Zitat: | Nebel
Ich kannte das nicht anders.
Im Frühling und auch im Herbst marschierte ich jeden Morgen von unserem Berg hinunter in eine andere Welt. Oben vor unserer Haustür schien die Sonne. Unten im Tal hing der Nebel, stieg dort in trägen Schwaden vom Fluss auf und hielt sich in den dunkelgrünen Wiesen, den Trauerweiden und den Hängen bis zum späten Vormittag.Schilderung gefällt mir, ich sehe die Umgebung vor mir. Der rote Triebwagen, in den ich immer um 6 Uhr 44 Muss die genaue Zeit sein, da hänge ich kurz und frage mich, ob die genaue Uhrzeit eine Bedeutung hat. Kurz vor sieben reichete doch? stieg, um in die Stadt? zur Realschule zu fahren, ratterte durch das langgezogene Tal, das vollständig im Nebel versunken blieb. Wie ist es in der Suppe? Die Zugfenster wie Milchglas? So fuhr er eine halbe Stunde, um am Ende auf eine Anhöhe und endlich wieder im Morgenlicht zum Stehen zu kommen. Unweit des Endbahnhofs befand sich meine Schule. Meine Kameraden Peter und Kalle, die nahebei in der gleichen Straße wohnten, waren in meine Augen glücklich, kannten sie doch weder die morgendlichen Schwaden noch meine Art der Angst vor dem Nebel. Meine Angst, die kam durch die Erzählungen meines Großvaters Jon, der, schon weit über achtzig und einbeinig, von den Bewohnern des Tals hinter den Nebeln erzählte.
„Sie sind übrig geblieben“, raunte er und etwas Geifer lief ihm aus dem Mund.
„Erzähl nicht so ein Schmarrn“, meinte meine Mutter, als sie mit einem Korb voll duftender Wäsche an uns vorbeiging.
„Im Krieg mussten sie alle durch das Tal, die Engländer, die Franzosen, die Deutschen.“
„Ja“, rief meine Mutter. „Und jetzt mach´ ihm auch noch weis, dass sie in der Dämmerung dort stehen und warten.“
„Ich höre sie heute noch manchmal in der Frühe schreien“, knurrte Großvater Jon, „dort in der Dämmerung, wenn das Sichtbare und Unsichtbare so nah beieinander liegt.“
So ging es tagaus und tagein. Ich fing im Schlaf an zu fantasieren von Armeen die durch unsere Dorfstraßen zogen, jungen Soldaten, die am Fluss verbluteten, halb verwesten Toten, die bis nach Kriegsende in den Büschen verrotteten.
„Du sollst aufhören, dem Jungen Angst zu machen“, schrie meine Mutter den Opa an, doch es war zu spät.
Bald sah ich die Gestalten selbst morgens im Frühjahr und im Herbst, wie sie Spalier standen an der sich windenden, mit Kopfstein gepflasterten Straße ins Tal. Bittend sahen ihre Gesichter aus, die Augen in dunklen Höhlen, die Lippen rissig und vertrocknet.
„Komm zu uns“, flüsterten die Toten und griffen nach mir. Zu dicke in meinen Augen, wozu sollten sie ihn locken oder fangen? Wenn du es weg lässt, fehlte es der Geschichte nicht. Oder es müsste noch mehr auf die Soldaten und einige Schicksale eingegangen werden(?) Würde es weg lassen...Voller Furcht rannte ich morgens durch die Schwaden hinunter zu den Schienen.
Nun hatte ich eine jüngere Schwester, die zwei Jahre nach mir auch auf die Realschule kommen sollte und fortan mit mir morgens zum Zug laufen würde. Würde die zwei Jahre bei "jünger" mit unterbringen.
„Manchmal stehen morgens an der Straße die alten Geister aus dem Krieg“, erzählte ich ihr am Morgen, bevor wir zum ersten Mal gemeinsam zum Bahnhof marschierten.
„Ach die“, meinte Lucia. Die Erzählungen von Jon hatte sie stets langweilig gefunden. Ach die? Da dachte ich, sie kennt die ebenfalls. Klingt jedenfalls nicht skeptisch seitens der Schwester. Vielleicht lieber "Ach, ja" oder "Ja Ja"?
„Falls du Angst bekommst, beschütze ich dich“ bot ich ihr an. Ich war schließlich der große Bruder.
„Mach´ mal“, kicherte sie und warf mit einer Nuss aus ihrem Müsli nach mir. Hier passt die Abfolge nicht. Er erzählt es, bevor sie zum Bahnhof marschieren. Da sehe ich sie im Flur oder an der Tür. So wirft mich ihre Nuss vom Müsli aus der Bahn, weil sie danach die Jacken anziehen...
Als wir uns die Jacken angezogen hatten, rannte ich mit großen Schritten los toller Bruder, denke er passt auf? und hoffte, nicht gleich am ersten Schultag wieder unheimliche Gestalten am Wegesrand zu sehen. Doch sie warteten schon. Eine lange Reihe schemenhafter Figuren zog sich hinunter in das neblige Tal. Soldaten mit blutigen Gesichtern und zerrissenen Uniformen streckten ihre dürren Finger nach mir aus. Und nach meiner Schwester!
„Haut ab, Geht weg, lasst uns in Frieden!“, schrie ich und sprang zwischen Lucia und eine im Nebel schwebende Gestalt, die nach ihren langen Haaren griff. Ich war schließlich ihr Bruder.
Hinter mir hörte ich Lucia lachen.
„Sag´ mal, was machst du da eigentlich?“
„Ich beschütze dich.“
„Wovor?“
Ich zeigte hinter mich.
„Ja, und?“, fragte Lucia.
Ich drehte mich um. Die lange Reihe der Geistersoldaten war verschwunden. Lucia lachte und rannte los. Dabei knuffte sie mich in die Seite. Glücklich lief ich hinter ihr her in den Nebel hinein.
Das kannte ich auch anders. |
Mit den beiden Zeilen:
Ich kannte das nicht anders.
Das kannte ich auch anders
werde ich nicht warm, auch wenn sie die Wettbewerbsvorgabe erfüllen. Sie wirken wie angeklebt und fügen sich nicht an den Text an bzw. ein.
Appo, so weit erstmal meine Gedanken zu deinem Text. Vielleicht hast du Lust, an ihm noch zu arbeiten.
Komm gut hinein in das neue Jahr!
Liebe Grüße
Zinna
_________________ Wenn alle Stricke reißen, bleibt der Galgen eben leer...
(c) Zinna |
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appo Leseratte
Beiträge: 111 Wohnort: Bremen
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19.04.2014 15:29 Oh weh, viel zu spät.... von appo
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Hi Zinna,
vielen Dank für den Kommentar. Ich war länger nicht hier und habe ihn - Asche auf mein Haupt - erst jetzt entdeckt....
Ich schaue ihn mir mal in Ruhe an und antworte in den nächsten Tagen.
LG appo
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appo Leseratte
Beiträge: 111 Wohnort: Bremen
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20.04.2014 10:15
von appo
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Hallo Zinna und frohe Ostern auf diesem Weg!
Ich habe die Geschichte gerade nach vier Monaten zum ersten Mal wieder gelesen. Für eine Übung, die innerhalb von zwei Stunden entstand, bin ich ganz zufrieden mit ihr, aber sie trägt natürlich an dem entscheidenden Punkt sehr dick auf und schwächelt dadurch: die Wahrnehmungen des Jungen im Nebel würde ich jetzt sehr viel subtiler beschreiben. Deine Hinweise sind wichtig. Ich werde sie ins Manuskript übertagen.
Darüber, warum ich disqualifiziert worden bin, weiß ich auch nicht mehr als du. Ich hatte das Bild des Spiegels eher metaphorisch verstanden und dachte, ein verwandtes Bild würde ausreichen. War wohl nicht so. Schnee von gestern.
Schöne Tage und bis bald
appo
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