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Dieses Werk wurde für den kleinen Literaten nominiert Antigone-Szene


 
 
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EdgarAllanPoe
Geschlecht:männlichPoepulistischer Plattfüßler

Alter: 32
Beiträge: 2356
Wohnort: Greifswald
Bronzene Harfe Die Goldene Bushaltestelle
Goldene Feder Lyrik


Die Tauben
Beitrag06.01.2011 21:31
Antigone-Szene
von EdgarAllanPoe
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat


    ANTIGONE
    Zu früher Stunde schlich ich in den Garten.
    Die Pflanzen schliefen noch; der Tau verging
    an ihren Blüten. Alles war im Schlaf gefangen:
    die Planen auf den Blumenbeeten, das Gras,
    entrückt die Büsten, ihre Träume ungewiss,
    sie hoben ihre Finger mir entgegen,
    verlassen irrt ich vorbei an hohen Stauden,
    an mächtig-alten Resten, die trauernd, stumm
    im Weg mir lagen. Bäume im Laubeskleid,
    die Wipfel ein Angesicht der Trauer, Morgen
    in diesem heißen Mai, noch vor der Glut;
    du ahnst es nicht, wie sehr mich dieser Blick
    erschauern ließ. Das Angesicht des Gartens,
    sein mattes Federn, Rufen aus der Ferne, -
    (von Vögeln? Wächtern?), Krachen eines Asts, -
    bist du’s, mein Bruder? Doch die Büsche
    verweigern jede Antwort, wie du weißt.
    Ich wollte ihn begraben, vor der Hitze noch.

    AMME
    Ich sah, dein Bett war leer, und wollte nach
    dir rufen, meine Liebe; ich durchquert’
    die kalten Zimmer auf der Suche deiner
    entgangnen Schritte, fand jedoch den Hinweis,
    der mich zu dir führen sollte, nicht. Als seist
    du ein Phantom und niemals dagewesen.
    Du hättest aber denken können, dass
    ich jenen Fehler nie vergäße! –

    ANTIGONE
    Verstandestrübung,
    die du dir eingestreut mit aller Wut,
    in all den Jahren schon, die wir zusammen
    verbracht nun haben. Ich seh dich heben deine
    verkrümmte Hand, dann deuten an die Decke,
    die Stimme überschlägt sich schier vor Zorn, -
    was hab ich dir getan, dass du so schreist?

    AMME
    Entwischt bist du! Befehlen widersetzt
    du dich, was andere dir sagen. Ich sterb
    vor Wut. Der König hat mir aufgetragen,
    zu hüten deine unversehrte Haut,
    und du vergeudest meine Mühen, läufst
    fort, lachst mich aus?



    ANTIGONE
    Ich lache nicht; du hast den Sinn des Gartens
    noch nicht verstanden.

    AMME
    Welchen Sinn?

    ANTIGONE
    Den will ich nun erläutern: Nichts lag mir
    so fern wie Aufstand, als ich heute schwach
    die Sonne sah. Ich wusste: Die Hitze wird
    zu irgendeiner Stunde kommen, uns
    so staubig machen, dass man nichts mehr sieht.
    Das Vogelkrächzen klänge nur noch aus
    der Ferne zu uns hin. Paläste würden Fallen
    aus Hitze; das Licht verbinde uns die Augen
    mit seinen mächt’gen Strahlen, ließ uns tappen
    ins Ungewisse, Weiße, das man Sommer nennt.
    Doch nur die Geier würden durch die Luft
    die Schwingen schlagen, sich auf Leichen stürzen,
    an ihnen nagen, bis ihre Mägen voller Abfall
    verrotten. Hättest du dir dieses Schicksal
    für meinen lieben Bruder wünschen wollen?
    So schlich ich durch jenen kühlen Morgen
    (der Wind jedoch war still), die Statuen
    der Vorfahren beäugten meinen Gang, -
    ich sah sie stehn in Reih und Glied, wartend
    auf irgendwen (mich? den Bruder, welcher
    verwesend im Sande liegt?), beeilte mich,
    zur Polyneikes’ Senke zu gelangen. –
    Dort fand ich ihn, die Seite voller Blut,
    die Augen ausgepickt von Geiern, gefräßigen
    Geschöpfen, Würmer krochen um ihn her;
    ich blick auf seine Leiche immer noch,
    von heißer Sommerglut durchtränkt, befleckt
    der einst so gute Bruder, starrend wie
    ein totes Tier, - mit beiden Händen nahm
    ich Sand vom Boden, Körner stäubten über
    den Leichnam, deckten seine blinden Augen
    zu. Ich war frei. Dann tanzte ich zurück,
    den Blick gen Himmel, durch den Morgen, Sonne
    am Bergeshang.

    AMME
    Den Bitten deines Onkels widersetzt –
    ich weiß, wie schlecht das für dich ist, o Liebes!
    Als deine Amme muss ich’s kennen, Tod
    und Strafe werden nun dein Schatten sein,
    dein eigner Schatten zürnt wie eine Schlange!,
    ich kann dich nicht davor behüten! Selbst
    musst du es tun, die Tat vergessen!

    ANTIGONE
    Nein,
    mein Onkel hatte Unrecht: Mein Bruder muss
    begraben werden. Irrend durch das Reich
    der Schatten, fänd er sonst nie die Ruhe,
    die seine Seele braucht. Du kannst es mir
    nicht sagen, was ich tun und lassen soll;
    es zürnt zu wissen mich, dass Tote einsam
    im Sonnenlicht verwesen müssen. Daher
    kann meine Pflicht nur sein, dies Unrecht
    nicht auf den Schultern meines Polyneikes
    zu legen, sondern auf die meinen. Ich sterbe,
    ich weiß, nur wegen meiner Freveltat.
    Dem Bruder Ruhe geben, soll mein Ende sein!
    Ich füge mich ins Schicksal, Amme.

    AMME
    Was hab
    ich dir gesagt, o Liebes, hören ist niemals
    als Stärke eigen dir gewesen! Jetzt
    ist deine Stunde da.   

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Jocelyn
Bernsteinzimmer

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Wohnort: Königstein im Taunus
Das Silberne Fahrrad Ei 1



Beitrag09.01.2011 11:02

von Jocelyn
Antworten mit Zitat

Lieber Inkognito!

Ein sehr, sehr schöner Stil! Ein Gesang! Ich werde diesen Beitrag nominieren! Es war mir ein Genuss, es laut zu lesen.
(Eigentlich schreit es nach einer Vertonung, wie wär's?  Wink )

Zitat:
es zürnt zu wissen mich, dass Tote einsam
im Sonnenlicht verwesen müssen.


Durch deine sommerlichen Naturbilder musste ich immer wieder an den Dormeur du val von Rimbaud denken. Nur dass Antigone dieses Sommerbild nicht als Bild des Friedens empfunden hat. Dafür sah sie die Geier. Die hat sich Rimbaud nur gedacht. Abgesehen davon, dass sein Soldat so einsam starb, dass es für ihn nichts als den Halt in der Natur geben konnte.

Sehr gerne gelesen, Jocelyn
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EdgarAllanPoe
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Die Tauben
Beitrag09.01.2011 11:33

von EdgarAllanPoe
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke, Jocelyn (besonders für deine Nominierung!).
An Rimbaud hab ich hier gar nicht gedacht, aber du hast Recht: Der Unterschied zwischen dem Frieden (der in diesem Sonett am Ende ja in sich zusammenbricht) und dieser Adaptation hier ist recht groß. Wenn du das so verstanden hast, ist das gut; es war auch meine Absicht. Die leicht fragmentarischen, wirren, langen Sätze Antigones sollten über ihre desolate innere Verfassung Aufschluss geben. Im Gegensatz zu recht pathetischen Tiraden z. B. aus der Feder Jean Racines (der eine Tragödie zum gleichen Thema geschrieben hat) wollte ich den Ton hier bewusst etwas moderner gestalten.
(Und: Vortrag ist momentan leider nicht. Ich weiß nicht, wie das gehen soll, hab kein Aufnahmegerät.)
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kleiner schreiberling
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Beitrag20.04.2011 19:59

von kleiner schreiberling
Antworten mit Zitat

Hallo Poe,

die Szene an sich ist sehr schön.  Daumen hoch . Sie entfaltet ihre volle Wirkung leider nicht mangels der Ausarbeitung des Konflikts. Wenn man das Drama von Sophokles gelesen hatersteht man es zwar, aber richtig passts nicht ins Original (wär ja auch langweilig Wink). Eine komplette Tragödie wäre wunderbar.... *bettel*
Als einzelne Szene ist es zwar auch schön elegisch, aber mehr davon wäre toll.

MfG kleiner schreiberling


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Musst du erst das Dach besteigen."
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EdgarAllanPoe
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Die Tauben
Beitrag20.04.2011 20:11

von EdgarAllanPoe
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für deinen Kommentar.
Weißt du was? Als ich grade eben sah, dass du scheinbar die kompletten Szenen in diesem Theater-Forum kommentierst, hatte ich in der Tat die Idee, mehr aus diesem Fragment zu machen. Shocked
(Sophokles' Werk hab ich zwar nicht gelesen, dafür aber die Fassung von Jean Racine, die sich mehr auf Eteokles und Polyneikes konzentriert, und die Version von Jean Anouilh, die mich auch zu dieser Szene inspiriert hat.)
Ich überlege, wie ich das noch fortführen kann.


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(...) Das Gedicht will zu einem Andern, es braucht dieses Andere, es braucht ein Gegenüber. Paul Celan

Life is what happens while you are busy making other plans.
- JOHN LENNON, "Beautiful Boy"

Uns gefällt Ihr Sound nicht. Gitarrengruppen sind von gestern. (Aus der Begründung der Plattenfirma Decca, die 1962 die Beatles ablehnte.)
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Fao
wie Vendetta

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Beitrag20.04.2011 22:40

von Fao
Antworten mit Zitat

Oh, das ist wirklich wunderschön. Habe es zwar noch nicht ganz gelesen - das wird gleich morgen nachgeholt, sobald die Äuglein wieder munter sind - aber war ich bisher lesen konnte, war sanft, ruhig und poetisch.
Ich würd nur die Klammern streichen (nicht den Inhalt).
Fortsetzung? Ja gern.

Achso, das war jetzt meine sehr laienhafte Meinung, denn mir fehlts an Hintergrundwissen Embarassed
Lg,
Fao


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Begrüßt gerechte Kritik. Ihr erkennt sie leicht. Sie bestätigt euch in einem Zweifel, der an euch nagt. Von Kritik, die euer Gewissen nicht anerkennt, lasst euch nicht rühren.
Auguste Rodin - Die Kunst.
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kleiner schreiberling
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Beiträge: 107
Wohnort: Hütte


Beitrag21.04.2011 16:02

von kleiner schreiberling
Antworten mit Zitat

Zitat:
Sophokles' Werk hab ich zwar nicht gelesen

Kann ich nur empfehlen. Für Sophokles und Aischylos gilt in der Dramatik, was für Homer in der Epk gilt: Oft kopiert, nie erreicht (was die anderen Fassungen jetzt nicht in Abrede stellen soll)
Zitat:
... hatte ich in der Tat die Idee, mehr aus diesem Fragment zu machen.

Bestens. Bin froh, dass ich in dieser Richtung zu Diensten sein konnte  Wink

MfG kleiner schreiberling


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