|
Autor |
Nachricht |
Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5339 Wohnort: NRW
|
03.05.2010 19:22 Kleine Flucht von Bananenfischin
|
|
|
Ihr kam die Idee, sie hätten einen Tausch gemacht, er und der Topf. Einen schlechten Tausch, zumindest für den Alten. Während dessen Vitalzeichen über Tage hinweg immer schwächer geworden waren, hatte der Topf zu leben begonnen. Eine Landschaft war in ihm gewachsen. Die junge Polizistin konnte den Blick nicht abwenden davon. Auf der trüben Oberfläche des nach der letzten Mahlzeit hinein gefüllten Wassers schwammen zahlreiche unregelmäßige Schimmelinseln. Die feinen grünen Fäden der Myzelien bildeten das Torfmoos, das darauf wuchs, die rostbraunen mit den verdickten Enden waren Gagelsträucher und der helle Flaum an den äußeren Rändern war nichts anderes als Wollgras, das in voller Blüte stand. Wunderschön sah es aus.
"Drei Wochen schon, mindestens." Der Amtsarzt betrat die Küche und setzte sich mit dem Papierkram an den Tisch. "Die Kopfverletzung hat ihn aber nicht umgebracht, da kommt eher Dehydratation in Frage." Sie wollte das nicht hören. Sie wollte viel lieber in diesen Topf, dessen Anblick so viel erträglicher war als der im Wohnzimmer, hineinkriechen. In seiner Landschaft verschwinden, spazieren gehen. Stattdessen sah sie auf. "Ja. Mein Kollege hat mit der Frau von unten gesprochen, mit der, die uns wegen des Gestanks angerufen hat. Sie hat vor einiger Zeit mehrfach ein Klopfen gehört, aber gemeint, es wären nur die Heizungsrohre."
"Tja, so ist das." Der Arzt rückte seine Brille zurecht und senkte den Kopf über die Papiere. Sie starrte wieder in den Topf. Urlaub. Sie brauchte Urlaub. Ganz allein im Grünen. Keine Menschen. Leere im Kopf.
Ihr Kollege kam in den Raum und wedelte mit einem Adressbuch. Schließlich wollten Angehörige daran erinnert werden, dass sie einmal einen Vater gehabt hatten. "Ich bin fündig geworden, wir können los und rufen vom Revier aus an. Übernimmst du das dann, Steffi?"
"Na klar." Im Hinausgehen fragte sie sich noch, wie sich Wollgras wohl anfühlen mochte.
Weitere Werke von Bananenfischin:
|
|
Nach oben |
|
|
Alogius Kinnbeber
Alter: 47 Beiträge: 3206
|
03.05.2010 21:44
von Alogius
|
|
|
Hallo,
sie braucht wirklich Urlaub, wenn sie in der Schimmelei schon Landschaften sieht, die ihre Vorstellungskraft ansprechen. Angesichts des Todes, der für sie irgendwie schon banal geworden ist, jedoch verständlich.
Bizarre Idee, interessante Umsetzung.
Gefällt mir. Sieht vielleicht nicht jeder so.
Ein Favorit für mich.
Lg
Tom
(Ich werte, weil Wettbewerb, etwas strenger als sonst. Der Kommentar ist relativ kurz gehalten, und meine Federung setzt sich zusammen aus: Sprache und Stil, Inhalt, Umsetzung der Aufgabe, eventuelle Fehler. Falls später Fragen sind, kommentiere ich gern ausführlicher.)
_________________ Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt. |
|
Nach oben |
|
|
Dienstwerk Reißwolf
Alter: 55 Beiträge: 1254 Wohnort: Gera/Markkleeberg
|
03.05.2010 22:47
von Dienstwerk
|
|
|
Mit wenigen punktgenauen Worten eine Geschichte erzählt und Bilder im Kopf entstehen lassen.
Ich musste den Text zweimal lesen.
Danke!
LG, Ana
|
|
Nach oben |
|
|
BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7306 Wohnort: NBY
|
03.05.2010 22:52
von BlueNote
|
|
|
Gefällt mir gut. Kreativ die Umsetzung der Vorlage. Der Schluss könnte noch ein wenig markanter sein.
|
|
Nach oben |
|
|
*Gast* Klammeraffe
*
Beiträge: 504 Wohnort: Rheinland-Pfalz
|
* 03.05.2010 22:57
von *Gast*
|
|
|
Sehr gut gelungen, die Geschichte. Könnte sich genauso abspielen. Mir gefällt auch die Einbindung der Schimmelinseln.
Wenn ich raten müsste/dürfte, würde ich auf Biggi tippen.
LG
Sabine
|
|
Nach oben |
|
|
Gast
|
03.05.2010 23:08
von Gast
|
|
|
Hallo liebe Wettbewerbsteilnehmerin (Biggi, bist du's?),
aus Gründen der Übersichtlichkeit gibt's von mir dieses Mal auch ein Bewertungsschema, allerdings ohne Angabe der Federnanzahl - die ändere ich erfahrungsgemäß garantiert noch ein paarmal...
Stil und Sprache: Schön ruhig und sauber geschrieben. Der Leser muss aufmerksam lesen, aber ohne überanstrengt zu werden. Gefällt mir.
Idee: Wieder eine Gedankenreise, dieses Mal aber aus einer spezifischen Situation heraus. Einer Situation, aus der man sich wohl manchmal flüchten muss... Auch das gefällt.
Bonus: Die Idee, im schimmligen Topf diese pittoreske Landschaft zu entdecken, das hat was! Kleiner Bonus.
Fazit: Finde ich wirklich gelungen.
LG,
Soraya
|
|
Nach oben |
|
|
anuphti Trostkeks
Alter: 58 Beiträge: 4320 Wohnort: Isarstrand
|
03.05.2010 23:49
von anuphti
|
|
|
Ausgesprochen originelle Idee!!!!
Sprachlich solide, der Situation angemessen sachlich.
7 Federn
_________________ Pronomen: sie/ihr
Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)
You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach) |
|
Nach oben |
|
|
mondblume Reißwolf
Alter: 45 Beiträge: 1138 Wohnort: Costa Brava
|
04.05.2010 16:04
von mondblume
|
|
|
Das nenne ich mal eine originelle Umsetzung! Solide geschrieben, ohne viel Blabla, gefällt mir sehr gut.
_________________ Die Frau des Spatzen
Die Spanien-Saga:
Wir sind für die Ewigkeit - Hoffnung
Wir sind für die Ewigkeit - Erinnerung
Wir sind für die Ewigkeit - Berührung
Dort, wo die Feuer brennen (Tolino Media Newcomerpreis 2022) |
|
Nach oben |
|
|
Leene Eselsohr
Beiträge: 448
|
04.05.2010 17:16
von Leene
|
|
|
Schöne Szene- und Charakterbeschreibung, ohne viel zu sagen. Ich war schnell "drin" in den Ermittlungen und der Polizistin. Bis auf ihren Wunsch, in den Schimmeltopf zu kriechen und das "Wollgras" zu fühlen. Das Aber: Der Themenbezug ist nur angedeutet und sehr abstrakt.
|
|
Nach oben |
|
|
Ilona Klammeraffe
I
Beiträge: 558 Wohnort: irgendwo in Hessen
|
I 04.05.2010 17:20
von Ilona
|
|
|
Gute Idee! Polizistin flüchtet vor Realität ausgerechnet mit einem Topf angeschimmelten Wassers.
Der Aufbau hat mir gefallen, die lakonische Sprache auch
Ilona
|
|
Nach oben |
|
|
Dienstwerk Reißwolf
Alter: 55 Beiträge: 1254 Wohnort: Gera/Markkleeberg
|
05.05.2010 01:37
von Dienstwerk
|
|
|
Ich nochmal!
Auch hier wiederhole ich gern, dass dieser Text von Anfang an zu meinen Favoriten zählte, der sich allerdings meinen persönlichen 4. Platz mit den "weißen Tauben" teilen muss.
Das bedeutet, dass ich 5 sehr gute Texte unter 42 entdeckt habe, und somit fünfmal die Punkte 7-9 bemüht habe. Alle anderen liegen punktemäßig darunter, teilweise weit darunter.
An dem Text ist nullkommanix auszusetzen, nur der Titel passt m.E. nicht so recht, auch wenn ich den Bezug sehr wohl erkenne.
Gut beschrieben ist die Methode der Polizistin, die versucht, ihre Betroffenheit, durch Detailbeobachtungen weggzudenken. Das klappt aber nicht, garantiert nicht - da bleibt immer was hängen.
Hervorragend beobachtet... Erfahrung, Fremdbericht oder Einfühlungsvermögen? Wie auch immer - toll umgesetzt!
LG, Ana
|
|
Nach oben |
|
|
Sir Charles Blackwood Gast
|
05.05.2010 06:58
von Sir Charles Blackwood
|
|
|
Gefällt mir, die Story. Besonders, wie du die Flucht, den Schutz des Hirns vor dem Wahnsinn des Realen geschildert hast. Hier liegt mehr Wahrheit drin, als mancher denkt.
Liebe Grüße
Sir Charles Blackwood
|
|
Nach oben |
|
|
derSibirier Reißwolf
D
Beiträge: 1250
|
D 05.05.2010 17:04
von derSibirier
|
|
|
oje, der erste Text nach etwa zwanzig Kommentaren, den ich nicht verstanden habe. Hm, sprachlich ist er okay, nichts Besonderes aber auch nicht schlecht.
derSibirier grüßt
|
|
Nach oben |
|
|
Gabi Reißwolf
Alter: 54 Beiträge: 1216 Wohnort: Köln
|
05.05.2010 18:27
von Gabi
|
|
|
Ich bin beeindruck über die Phatasie der Polizistin. Wie kann man nur auf solche Gedanken kommen?
Die Bewunderung für den verschimmelten Topf kann ich allerdings nicht teilen. Ich finde solch einen Anblick eher widerlich.
Aber ich bin ja auch nicht die Polizistin.
L.G.
Gabi
_________________ "Das hier ist mein Dach und mein Tag!" (Oma Thea macht die Fliege) |
|
Nach oben |
|
|
pripri Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 281 Wohnort: Schweiz (Zürich)
|
06.05.2010 13:30
von pripri
|
|
|
Zuerst dachte ich mir, oje, schon wieder 'was morbides. Na ja, ist es zwar auch, aber eben nicht nur. Und gerade das macht's wohl aus.
Sprachlich und inhaltlich hab ich gar nix zu meckern. Gerne gelesen
lg pripri
_________________ -Das Herz des Sternenbringers - März 2014 (Thienemann)
-Die Herrscher von Dhaleth/Der Feueropal - August 2014 (Thienemann)
-TBN - Frühjahr 2017 (Droemer/Knaur) |
|
Nach oben |
|
|
lupus Bücherwurm
Alter: 56 Beiträge: 3913 Wohnort: wien
|
06.05.2010 15:57
von lupus
|
|
|
super Idee, sehr originell
leider fängt die Story ein bisserl verworren an. ich vermute, um die Wortanzahl nicht zu überschreiten ein sehr Info-konzentrierter Einstieg, der aber mE sprachlich ein bisserl holpert.
Dann, wenn die Idee s.z.s. erkennbar wird: sehr gut
Im letzten Absatz gibt's dann eigentlich nix mehr, inhaltlich, sprachlich flacht das extrem ab, mann könnte den fast streichen oder zumindest vieles davon
_________________ lg Wolfgang
gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben
-------------------------------------------------------
"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi |
|
Nach oben |
|
|
Andrea F. Leseratte
A
Beiträge: 154 Wohnort: München
|
A 06.05.2010 17:08
von Andrea F.
|
|
|
Ich wollte zwar noch nie in einen Topf mit Schimmelbelag hineinkriechen, aber die Assoziation und der Kontaxt haben mir trotzdem gut gefallen.
Liebe Grüße
Andrea
_________________ Lesen ist in einer immer schneller lebenden Welt die einzige Methode der Verlangsamung. |
|
Nach oben |
|
|
Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5339 Wohnort: NRW
|
06.05.2010 21:23
von Bananenfischin
|
|
|
Nä, also, da sach ich mal nix zu ...
_________________ Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge
Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft
I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf) |
|
Nach oben |
|
|
Tamar Leseratte
Beiträge: 123
|
06.05.2010 22:00
von Tamar
|
|
|
Die Idee, dass das Bild ein Topf mit Schimmel ist, finde ich interessant. Die äußere Handlung dagegen gefällt mir nicht so gut. Mann stirbt, Polizei kommt, Polizistin braucht Urlaub. Da wär noch mehr Potential in der Geschcihte drin gewesen.
|
|
Nach oben |
|
|
Biggi Klammeraffe
Alter: 52 Beiträge: 782 Wohnort: BY
|
06.05.2010 22:37
von Biggi
|
|
|
Liebe(r) Autor(in),
an sich eine recht nette Umsetzung des Bildes in eine Geschichte.
Nur leider absolut unrealistisch.
Kein Mensch - außer er hat seine Nasenschleimhäute irgendwann einmal unwiderruflich verätzt - wird sich in einer Wohnung so hinsetzen, wenn es im Treppenhaus nach Tod und Verwesung gerochen hat. Das geht einfach nicht, so sorry. Sie denkt nicht an Urlaub, sondern an das Frühstück, das ihr gerade die Kehle emporsteigt.
Von daher hat der Text mich nicht mitreißen können, obwohl er sprachlich nicht schlecht gemacht ist. Ständig dieser Gedanke: "Das ist absurd" stört das Lesevergnügen doch ganz erheblich.
Sprachlich und stilistisch eine solide Basis!
Gruß,
Biggi
|
|
Nach oben |
|
|
hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4299
|
08.05.2010 14:01
von hobbes
|
|
|
Tolle Idee, tolle Umsetzung - hätte nicht gedacht, dass so eine Gesichte in so wenig Wörter passt.
Auch eine meiner Favoriten.
_________________ Don't play what's there, play what's not there.
Miles Davis |
|
Nach oben |
|
|
Aknaib Klammeraffe
Alter: 64 Beiträge: 740 Wohnort: Dresden
|
08.05.2010 14:44
von Aknaib
|
|
|
Hallo Autor,
für ein umfassendes Kommentieren sind es zu viele Geschichten.
Entscheidend ist für mich: Erkenne ich eine Bezug zum Thema? Ist der Text für mich verständlich? Ich möchte auf eine klare oder subtile Weise unterhalten werden. Ist das Ende offen und der Autor hat es damit geschafft, meiner Phantasie freien Raum zu geben umso besser.
Konnte ich keinen Bezug zum Thema erkennen, habe ich von vornherein nur ein oder zwei Punkte vergeben. Insgesamt habe ich zwischen 1 bis 8 Punkten verteilt. Wobei ich 7 und 8 Punkte jeweils ein einziges Mal vergeben habe.
Zu deinem Text:
Für mich enthält er die originellste Idee der Themenumsetzung.
Stilistisch sicher geschrieben. Jedoch könnte noch ein wenig an der Dezimierung von Hilfsverben gearbeitet werden.
Am letzten Satz, eine stille –gelungene Pointe, würde ich noch feilen und direkt einbringen wie sich Wollgras auf der Haut anfühlt. Denn wenn sie zuvor den Schimmel als Wollgras erkennt, stell ich mir vor, sie weiß wie es sich in natura anfühlt.
Grüße von Bianka
|
|
Nach oben |
|
|
|