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Oni


 
 
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Blätterklingen
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Alter: 37
Beiträge: 177
Wohnort: Tübingen


Beitrag01.12.2014 20:48
Oni
von Blätterklingen
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M.

Zaghaft lasse ich mich auf das tägliche Klang – und Farbspiel des Unterrichts ein. Das kristallklare Flüstern. Die erdrückenden Blautöne. Bekannte, unwirkliche Normalität. Betäubend vertraut vereinen sich die feinen Noten der Klasse zu einem kaum wahrnehmbaren Summen. Sie lassen die Gedanken abschweifen; hin zu den Bildern verdrängter Abgründe. Phantastische Töne roter Leere, fern der überbelichteten Realität, die mich umgibt. Mit verführerischem Klängen versuchen sie, alles um mich auszublenden.
Lenk' dich ab, befiehlt mir die Gegenstimme der Vernunft und ich gehorche.
Meine Blicke durchschweifen die blaue Monotonie des Raumes, jagen etwas, dass fesselnd genug ist, um die rot gefärbten Tagträume wegzuschließen. Als sie die hohen Fenster erklimmen, finden sie, was ich suchte. Dort scheint der Mond im blauen Licht des Tages, umringt von kreisenden Wolken, die ihn zu verschlingen drohen. Gebannt blicke ich zu dem reflektierenden Narbengebilde. Seine Krater haben mich schon immer beruhigt. Er trägt seine Male offen, ich maskiert.
Ob er sie auch kennt, die schneidenden Bilder, die meinen Blick zu ihm trieben? Die roten Phantasmen, die nicht in diese Welt passen – und doch nach Umsetzung verlangen. Vielleicht ist der Himmel seine blaue Wirklichkeit, in die er nicht gehört und die Wolken sind seine roten Gedanken, die ihm nahe kommen, ohne ihn jemals einzunehmen.Völlig deplatziert in Raum und Zeit...
Die Vorstellung dieses Himmelsschauspiel meiner eigenen Realität verdrängt die Bilder und Gedanken aus meinem Kopf. Ruhig atme ich ein und lasse die Umgebung wieder über die Schwelle meiner Wahrnehmung gleiten. Die Anderen richten ihren Blick nach vorne oder nach unten. Niemand scheint den Mond zu bemerken, wie er zur falschen Tageszeit am Firmament thront. Vielleicht ist ihnen das Fenster zu hoch, vielleicht sind ihre Gedanken blau wie der Tag, sodass sie keine Ablenkung brauchen. Stattdessen starren sie auf ihre Art zur Tafel; auf die Weise, wie sich die Hinterköpfe ihrer Mitschülerinnen bewegen; in die Rillen der leeren Pulte, auf denen ihre Gesichter liegen oder womöglich in das Nichts hinter allen Dingen. Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, sie sind nicht greifbar für mich.



Der Mond ist so narbig, weil Freiheit verletzt

D.

Es liegt nichts greifbares hinter den Dingen, die sich auf den Dach abspielten. Jetzt bin ich das Messer und das Messer ist alles. Alles was ich bin, liegt in meiner Hand. Alles was ich bin befindet sich im Treppenhaus und bewege mich vom Dach der Schule in den Flur des dritten Stockes. Vom Himmel abwärts. Wohin der Stahl zeigt, wird es geführt. Gehorsam ist die Maske hinter der ich mich verstecke. Ohne die Klinge war ich nichts. Auch alles, was vor dem Moment liegt, in dem ich den Flur des dritten Stocks betrete, hört auf zu existieren.
Ich bin das Messer das folgt. Die anderen weichen mir aus, weichen zurück. Gerade weit genug, damit ich sie nicht haschen kann, doch nah genug, dass mich ihre Angst noch feindlich  anspringt. Die Furcht ist ihre Maske. Was auch immer sich dahinter verbirgt, es flieht vor meinen Augen.
Nur der Mond weicht meinem Blick nicht aus. Der Mond und das Mädchen, das nun vor mir steht. Ich hebe die Klinge empor. Sie weicht nicht zurück. Das Licht ist klar und doch steril. Da ist Angst in ihrem Blick, aber sie weicht nicht zurück. In dem kalten Metall spiegelt sich der Mond. In ihren Pupillen sehe ich mich. Nein, nicht mich, nur mein Spiegelbild, das nicht vor mir zurückweicht. Das ist nicht meine Angst, das ist nur die Reflektion meiner Angst. Ich will nicht mehr das Messer sein, steht in meinen Pupillen geschrieben. Ich sehe es in ihren Augen. In meiner Iris. In der Nachahmung meines Blicks, sehe ich wie mein Wille zerfällt. Ich breche an meinen Augen entzwei. Langsam strecke ich die Waffe dem Mädchen entgegen. Sie soll weggehen. Die Reflektion. Das Mädchen. Die Angst. Es soll aufhören. Sie weicht nicht vor mir zurück. Das Messer ist auf sie gerichtet. Langsam nimmt sie es aus meiner Hand.
 

Die Sonne macht farbig, was Wolken entsetzt

N.

Das Metall in meiner Hand spiegelt mein Inneres, es lässt mich erkennen. Ich bin Oni, dass Messer das fängt. Es hat alles abgetrennt, was im Kern nie zu mir gehörte und ließ nur ein N zurück. Der Rest ist von mir abgefallen wie die Maske fremder Angst.
Das Mädchen das einst Messer war, fällt vor mir auf den Boden und bleibt Regungslos liegen. Ich senke die Klinge und wende meinen Blick ab. Alle Augen wandern zu mir, denn ich bin Oni. Auch der Mond sieht nur mich. Die Wolken und der Himmel, niemand kümmert sich um das Mädchen, das hinter mir liegt. Mitten im Flur. Niemand hat gesehen, wie ihre Maske an mir zerbrach. Nur ich. Ich zerbreche nicht.
Das helle Licht und die ängstlichen Blicke meiner Mitschüler lassen mich kalt. Ich atme die Ruhe, die ihnen fehlt. Von irgendwoher aus den archaischen Tiefen meines Unbewussten summt etwas das alte Lied von Jäger und Beute.
Meine Faust umfasst die Klinge fester. Schmerz breitet sich von ihr aus. Unerwartet. Finger zucken. Meine Pupillen dürfen das Zucken der Finger nicht imitieren. Die Ruhe weicht vor mir zurück. Niemand darf es sehen. Nichts hat sich verändert. Es ist nur ein Grad am Griff. Das wird es sein. Warmes Blut in meiner Hand. Blut, kein Angstschweiß. Keine Unsicherheit. Nur das fehlerhafte Messer, das mir wie ein Kompass die Richtung diktiert. Und das Ich, das folgt.
Langsam streife ich durch den langen Gang voller halbtransparenter Schatten. Masken ohne Substanz. Sie weichen mir aus. Nur das Messer ist real. Es ist alles, was zählt. Es ist alles, was ich bin und solange ich es führe, bin ich vor allem geschützt. Vor allen anderen und von der Angst, die aus meiner Hand tropft.
Der Stahl zeigt auf eine Tür, ich öffne sie. Das Messer zeigt auf ein Mädchen. Ich werde sie öffnen. Meine Füße tragen die Klinge zu ihr. Die Waffe hebt sich... Ich zögere. Mein Arm verkrampft. Unfähig, in mein Opfer zu stürzen. Meine Hände tropfen. Ich kann sie nicht öffnen. Ich kann nicht. Wie gelähmt starre ich sie an. Sie starrt auf die Spitze der Klinge, auf die Schneide, auf den Griff, auf die Angst die aus meiner Hand fließt... Mit ihren kalten Augen starrt sie mir das Messer aus der Hand. Ich ertrage es nicht. Soll sie es doch haben. Ich bin es nicht wert.

Das Messer, es trifft dich, wenn du es verführst

O.

Starr umspielt das kalte Licht mein Spiegelbild in der Klinge. Es ist verzerrt, doch das ist nicht schlimm. Es ist das Wertvollste, was ich je in der Hand hatte. Seit die Andere es mir gab, wird es wärmer. Viel wärmer. Von meiner Hand breitet sich merklich ein nie gekanntes Wohlgefühl in meinem ganzen Körper aus. Es ist, als wäre das Messer die einzige Wärmequelle in einer völlig erfrorenen Welt.
Mein Name ist O. Ich weiß, dass dies mein Name ist, weil er auf dem silbergrauen Metall des Messers steht. Vielleicht stand dort einst mehr und mein Name ging über diesen Buchstaben hinaus. Aber das Messer flüstert mir zu, dass alles was früher war, nicht mehr wichtig sei. Und ich glaube ihm jedes Wort, denn es ist so rein, dass es im Licht des Mondes  blaue Schatten wirft. Die Andere weicht einige Schritte vor mir zurück. Ich habe nicht gemerkt, dass ich aufgestanden bin. Aber die Klasse merkte es. Alle Augen blicken zu mir. Ich bin Oni, das Messer, das opfert. Ich weiß dies, weil das Messer es mir sagte. Doch ich begreife nicht, was es zu bedeuten hat.
Alles was ich weiß ist -  sie alle bestehen aus Eis: die Tische, die Menschen, die Gedanken, der Mond… auch ich bin aus Eis und nur aus dem Messer flutet Wärme in die Welt. Mehr als Wärme, Hitze. Ein Übermaß seiner Energie strömt in mich, durch mich hindurch und aus mir heraus. Trage ich es zu lange bei mir, wird mein Arm aus Eis verbrennen. Es muss kühlen, an jemanden gekühlt werden, der nicht Oni ist. Das Messer fordert und meine Mitschüler verstehen es, einige von ihnen sind zögerlich aufgestanden. Diejenigen, die mir am nächsten stehen, suchen Abstand von mir. Ihre Blicke weichen mir aus, sobald sich die Klingen unserer Augen berühren. Doch was jetzt geschieht ist unausweichlich. Ich weiß das, weil das Messer es mir prophezeite.
Nur ein Augenpaar fixiert das meine. Ich verstehe nicht, was von mir verlangt wird, aber die Spitze der Klinge zeigt auf sie. Es wärmt mich, verbrennt mich und zeigt auf sie. Auf das Mädchen, das den Mond anstarrte. Es will sie. Ich will es nicht. Nicht mehr, es ist zu viel.
Ich stehe vor ihrem Pult, wie ich hier hergekommen bin, ist mir entfallen. Eben war ich noch an meinem Platz, zwei Reihen hinter ihr. Sie betrachtet mich ungewohnt ruhig. Fast skeptisch. Als würde sie abwägen ob ich real bin oder nicht. Die Hitze des Messers wird unerträglich, aber ich spüre es kaum. Da ist etwas anderes hinter ihr. Hinter allen Dingen. Versonnen schaue ich ins Nichts, das ich war, bevor ich Oni wurde. Der Griff des Messers brennt wie Feuer. Es fällt mir kaum auf. Der Schmerz ist dumpf und weit entfernt. Dort hinter allen Dingen. Vielleicht ist das Eis meiner Hand schon geschmolzen. Alles ist so weit weg. Irgendwo am Rande meiner Wahrnehmung spüre ich, dass meine Hand noch Finger hat. Aber sie hält das Messer nicht mehr.

Und Träume sind giftig, wenn du sie berührst


M.


Der metallene Griff des Messers ist kalt. Eiskalt. Erst als ich den Stahl aus dem Pult gezogen habe, begann ich zu zweifeln, ob all dies nur Einbildung ist. Das Messer ist echt, das Mädchen vor mir ist echt. Wäre dies meine Vorstellung, hätte sie es bereut, ihre Waffe fallen zu lassen. Als würde sie meine Gedanken lesen, zuckt sie zusammen. Haben mich meine Augen verraten - oder erschrak sie vor ihrer eigenen Unvorsichtigkeit? Im Affekt stehe ich auf und versuche, sie zu beschwichtigen. Das muss real sein, ich bin es gewohnt mich in der Realität zu rechtfertigen. Bevor ich etwas sagen kann, sehe ich, wie sich meine Mitschüler erheben. Alle die nicht schon standen, erheben sich und weichen vor mir zurück. Ich spüre ihre Blicke überall auf mir. Sie mustern mich, wie die Herde den Wolf. Es fühlt sich stechend an, beunruhigend, echt. Beinah so echt wie das Messer in meiner Hand. Nein, das ist keine Einbildung. Ich bin der Jäger, sie das Wild. Doch statt blanker Angst blicken mich blaue Augen voller Unsicherheit an. Ungewissheit, die schnell in Angriffslust umschlagen kann. Und ein Teil von mir bettelt geradezu danach. Nicht der vernünftige Teil, nicht der Teil der verstanden hat, dass dies kein Spiel ist. Die Herde macht sie stark und ich bin es nicht gewohnt, das Messer offen vor mir zu tragen, statt in mir.
Sie lauern. Warten auf eine Tat. Anspannung durchfährt meinen Körper und lässt die Härchen im Nacken wie kleine Klingen aufstehen. Ich will weg von der Situation, weg von ihnen, so weit wie möglich. Instinktiv weiche ich einige Zentimeter zurück, doch spüre ich schnell ein Pult im Rücken. Sie tauschen Blicke aus, ändern ihre Haltung. Ich habe mich falsch verhalten. Ich sehe es in ihren weit aufgerissenen Augen.
Szenen überschlagen sich in meinem Kopf. Sie kommen auf mich zu. Zaghaft, doch beständig. Übelkeit steigt in mir auf. Wie viele von ihnen könnte ich überwältigen? Einige. Sie kommen näher. Das Messer ist kalt in meiner Hand. Vielleicht ein paar. Aber was würde es bringen? Meine Gedanken haben mich nicht zum Mörder gemacht. Das Messer wird es auch nicht schaffen. Die Luft ist voll vom Drang zu überleben. Es gibt kein entkommen. Voll vom Zwang, den Fehler auszumerzen. Sie weichen nicht zurück. Ich bin der Fehler. Sie sind  überall um mich herum. Sie kreisen mich ein. Leg das Messer weg, sagen ihre Blicke. Adrenalin marodiert durch meine Nervenbahnen. Ich darf das Messer nicht loslassen. Sie kommen näher. Das Messer gehört zu mir. Noch näher. Sie dürfen es nicht haben. Zu nah. Viel zu nah.
Ihre Arme greifen nach mir. Nach dem Messer. Schützend verstecke ich es an meiner Brust. Erstaunlich gut schmiegt es sich an meine Rippen. Gleich werden sie mich zerreißen. Sie werden es mir weg nehmen. Unfähig, etwas dagegen zu tun, schließe ich meine Augen. Ich will in der Dunkelheit vor einer Welt flüchten, in dem man mir mein Messer stiehlt. Ich halte den Atem an und die Klinge tut es mir gleich. Durch den Stahl, spüre ich meinen Herzschlag. Schlagartig öffne ich meine Augen, bereit für alles was nun kommen mag.
Vor mir sind Pulte, Stühle, dahinter Wände und tiefe Schatten. Verunsichert sehe ich mich um. Angespannter als zuvor. Sie sind weg. Alle weg. Der Fußboden ist klebrig unter meinen Füßen. Etwas rotes spiegelt sich im Messer. Auf der Suche nach der Ursache fällt mein Blick auf die hohen Fenster. Der Mond ist gegangen. An seine Stelle ist eine blutrote Abendsonne getreten.



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dürüm
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Beitrag03.12.2014 23:20

von dürüm
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Hallo Blätterklingen,

zuerst hatte ich einen LSD-Rausch vor Augen.

Dann eine schizophrene Jugendliche.

Zum Schluss eine Borderlinerin, die sich selber ritzt.

Aber Du schreibst, es wäre Fantasy ... und das macht mich stutzig, Du verwebst mehrere Realitäten und Wahrnehmungen, aber für meinen Lesegeschmack zu verschachtelt, ich ertappe mich dabei, Zeilen zu überspringen und quer zu lesen.

Am meisten haben mich die fett gedruckten Überschriften gefangen.

Gruß
Kerem


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Blätterklingen
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Beitrag04.12.2014 12:06

von Blätterklingen
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Hallo Dürüm,

Vielen lieben Dank für deinen Kommentar, auch wenn er mich etwas gespalten (schizoit^^) zurücklässt.

Vielleicht ist es wirklich etwas zu verschachtelt, obwohl ich mich eigentlich um eine klare Sprache bemühte. Ich muss auch sagen, dass ich ganz froh bin "Fantasy" als Kategorie angegeben zu haben, da damit vielleicht eher die Aufforderung besteht: Ließ es, wie es da steht. Nicht als Metapher. Oder auch nicht, je nachdem. Ich zweifele gerade eher an mir selbst.


Ich frag einfach mal ein paar Sachen, die mir wirklich weiter helfen würden, um das ganze unter umständen verständlicher zu gestalten:

-Du schreibst das du an EINE schizophrene Jugendliche dachtest, welche der Ich-Figuren hat dich daran erinnert? Oder war es der Text allgemein?

- Hast du eine Textstelle, an der du das mit dem Borderline festmachst?

-Ließt du quer, weil dir der Stil nicht gefällt, oder wegen der Wiederholungen oder kannst du das sonst irgendwie spezifizieren?

- Ist hierzulande(?) eigentlich bekannt, was "Oni" ist, oder kennt man das Kinderspiel "Kagome Kagome"?

liebe grüße und sorry wegen dem herumgefrage,

Matthias


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XY
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Beiträge: 36



X
Beitrag04.12.2014 14:01

von XY
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Hallo Blätterklingen,

ich kann nicht wissen, was der Vor-Kritiker beim Lesen empfand, aber ich kann meine Empfindungen nicht treffender ausdrücken, als er. Den Borderleinverdacht könnte er an dem auffälligen Messerfetisch festgemacht haben, der aus den Absätzen wie ein mahnendes Geschwür heraus quillt. Einen Zusammenhang zu dem japanischen Kinderspiel konnte ich nicht erkennen. Ich habe keine Vorstellung davon, ob und wie man deine Beiträge verständlicher machen könnte. Für mich ergaben sie keinen erkennbaren Sinn. So schließe ich mich dem Vor-Kritiker vollständig an.

Beste Grüße
XY

PS. Querlesen könnte als Metapher für den mit jeder gelesenen Zeile zunehmenden Drang zum Überspringen gedacht gewesen sein.
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tronde
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Beiträge: 522

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T
Beitrag04.12.2014 14:09

von tronde
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Hallo!
So als Kurzgeschichte gefällt mir der Text, als längerer Text wären mir zu viele Interpretationsmöglichkeiten in den Bildern drin. In der kurzen Form kann ich mich auch drauf einlassen, die Bilder einfach nur wahrzunehmen, ohne sie einer Analyse/Realitätsprüfung unterziehen zu müssen, in einem Roman würde es ich auf Dauer zur Weißglut treiben. Hier passt es.

Kagome Kagome kannte ich nicht, macht für mich klarer, dass das Messer ein Dämon sein könnte.
Schizophrenie ist ja weniger eine gespaltene Persönlichkeit als eine Person, die von unserer Realität / der Wahrnehmung dieser gespalten ist, weil sie in ihrem Wahn(system) lebt. Die Person an sich ist dabei meist auf ihre Weise kohärent, wenn auch nicht unbedingt für "Normalos" nachvollziehbar.

Die gespaltene Persönlichkeit / multiple Persönlichkeitsstörung / dissoziative Störung wäre ja das passende mit den wechselnden? Protas, aber für mich passt dann nicht, dass die Persönlichkeiten noch registrieren, dass sie kein Messer mehr in der Hand haben. Klar könnte theoretisch die grade verdrängte Person nach eine Wahrnehmung von dem haben, was draußen passiert. Aber auch da hätte der Körper ja noch das Messer in der Hand.

(Eine schizoiDe Persönlichkeitsstörung ist dann nochmal was anderes Smile )

Nein, für mich war es vor der Erklärung über Oni eher surreal oder rausch-/traumhaft.
Das Ganze als wechselnde Bessenheit erklärt es für mich aber doch am Besten.  Eigenes Bewusstsein und dass des Dämons vermischen sich, produzieren in den Protas Aussetzer, für mich stimmig.

Ein paar Nicklichkeiten sind mir aufgefallen, mehrfach fehlt ein Komma nach "das Messer KOMMA das ..."
"etwas Rotes" gehört großgeschrieben.
"Durch den Stahl KEIN KOMMA spüre ich".

Der Sprachrhythmus gefällt mir auch, vom entspannteren am Anfang bis zum gehetzten am Schluss.
Das offene Ende bleibt, sind die anderen alle weg oder alle tot?
Wirkt wie ein - für mich - gelungenes Experiment, das Zerfasern des Bewusstseins unter dämonischem Einfluss zu beschreiben, aber vielleicht interpretiere ich da auch nur zu viel hinein Smile

Grüße
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dürüm
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Beitrag04.12.2014 15:00

von dürüm
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Blätterklingen hat Folgendes geschrieben:
Hallo Dürüm,

Vielen lieben Dank für deinen Kommentar, auch wenn er mich etwas gespalten (schizoit^^) zurücklässt.

Vielleicht ist es wirklich etwas zu verschachtelt, obwohl ich mich eigentlich um eine klare Sprache bemühte. Ich muss auch sagen, dass ich ganz froh bin "Fantasy" als Kategorie angegeben zu haben, da damit vielleicht eher die Aufforderung besteht: Ließ es, wie es da steht. Nicht als Metapher. Oder auch nicht, je nachdem. Ich zweifele gerade eher an mir selbst.


Ich frag einfach mal ein paar Sachen, die mir wirklich weiter helfen würden, um das ganze unter umständen verständlicher zu gestalten:

-Du schreibst das du an EINE schizophrene Jugendliche dachtest, welche der Ich-Figuren hat dich daran erinnert? Oder war es der Text allgemein?

Im ersten Abschnitt habe ich an drogeninduzierten Realitätsverlust gedacht, aufgrund der Mischung von optischen und akustischen Wahrnehmungen.
Im zweiten Abschnitt, mit der Spiegelstelle kam ich auf Schizophrenie, weil sie ihr Spiegelbild zuerst nicht als "körpereigen" erkennt.


- Hast du eine Textstelle, an der du das mit dem Borderline festmachst?

Die Stelle, wo das Blut über ihre Hand rinnt, im dritten Absatz (ihre Faust umfasst die Klinge fester...)

-Ließt du quer, weil dir der Stil nicht gefällt, oder wegen der Wiederholungen oder kannst du das sonst irgendwie spezifizieren?

Schwer zu sagen, wenn der Textinhalt und die Sprachmelodie mich nicht packen, überspringe ich zum Teil ganze Sätze, sogar Absätze. Für mich war nicht erkennbar, was die Aussage des Textes sein soll. Dass es sich um verschiedene Protas handelt, ist mir ebenfalls nicht aufgefallen. Also wahrscheinlich eine Mischung aus Wiederholungen, sehr viele Messer, Monde und verängstigte Personen und eine unklare Botschaft.

- Ist hierzulande(?) eigentlich bekannt, was "Oni" ist, oder kennt man das Kinderspiel "Kagome Kagome"?

Oni sind japanische Dämonen, die ich hier im Text aber nicht typisch wiedergefunden habe. Kagome war mir nicht bekannt (habe ich jetzt gegoogelt)' finde ich aber auch jetzt nach dem Wikieintrag in Deinem Text nicht wieder.

liebe grüße und sorry wegen dem herumgefrage,

Kein Problem!
Gruß
Kerem


Matthias


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Blätterklingen
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Beitrag04.12.2014 16:26

von Blätterklingen
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Hallo XY,

Eine gewisse Kohärenz kann man den Texte denke ich trotzdem nicht absprechen

"Den Borderleinverdacht könnte er an dem auffälligen Messerfetisch festgemacht haben, der aus den Absätzen wie ein mahnendes Geschwür heraus quillt."

Das sehe ich ein. Allerdings ist nur an der einen Stelle die dürüm nannte, diese Doppeldeutigkeit tatsächlich vorstellbar. Ich glaube wenn ihr von Borderlein redet, dann meint ihr beide "nur" den Aspekt des Selbst-verletzendem Verhalten, oder? Fremd-verletzenden Verhalten, oder der Wille danach wäre für mich persönlich da eher zu diagnostizieren, eine Freundin meinte sogar sie muss bei jeden zweiten Wort an einen Amoklauf denken...

Hallo tronde,

Bei den meisten Sachen kann ich dir eigentlich einfach nur recht geben. So ein Stil würde kein Roman überleben. Zumindest keiner der gelesen werden will ; ) Gerade solche Experimentellen Ideen eignen sich daher meines Erachtens super für die Form der Kurzgeschichte.

Genau! In meiner Vorstellung war es auch so, das derjenige der das Messer trägt, wie im Kinderspiel Oni ist, der einerseits ein Dämon ist, andererseits ziemlich bedrängt und zwischen den anderen gefangen. Es gibt gründe, warum in vielen asiatischen Psycho/Horror-filmen dieses Spiel aufgegriffen wird. Es hat etwas unheimlich verstörendes für die Person die im Kreis steht.

Es sollte eigentlich keine dissoziative Identitätsstörung sein, es sind tatsächlich verschiedene Protas, die aber alle in der Ich-form geschrieben sind. Du hast völlig recht, das Messer wird ja übergeben und sie tragen auch alle unterschiedliche Namen (Oder Bezeichnungen, also die Buchstaben: M.O.N.D), unterschiedliche Aufgaben (Das Messer das folgt; das Messer das fängt; das Messer das opfert) und sagen auch noch etwas über ihre Vorgängerin . Ohne jetzt zu sehr darauf zu pochen, verhalten sie sich meines Erachtens auch alle anders, obwohl das natürlich auch nur ein blödes argument ist, das tun die Spliter einer multiplen Persönlichkeit ja auch.
Wenn da irgendwas in dem Text ist, das eher auf eine gespaltende Persönlichkeit hinweißt, zeig/zeigt bitte mit dem Finger drauf, das würde ich doch gerne ausradieren.

"Das Ganze als wechselnde Bessenheit erklärt es für mich aber doch am Besten. Eigenes Bewusstsein und dass des Dämons vermischen sich, produzieren in den Protas Aussetzer, für mich stimmig."

Also ehrlich gesagt ist das haargenau das was es sein sollte. Mit dem surrealen traumhaften Rausch kann ich aber auch problemlos leben. Darum habe ich die Erklärung mit dem Oni/Kagome,Kagome- Komplex außen vor gelassen. Jetzt überlege ich mir am Anfang noch irgendetwas zu setzen, was den Leser in die Richtung stupst. Auch wenn das anscheinend die Verwirrung nicht in allen Fällen mindert.

Die Nichtigkeiten der Orthografie sind mir sehr wichtig! Danke für die Anmerkungen!

Mit deiner Interpretation bin ich absolut zu Frieden, daher auf keinem Fall überinterpretiert!

Hallo dürüm ,

Danke das du dir noch mal Zeit genommen hast!

Was den ersten Abschnitt angeht: ok, wirkt wirklich so. Gemeint war eher eine Wahrnehmungsstörung der Protagonistin, das sollte ich vielleicht noch konkretisieren.
Ah, ok, ich sehen was du meinst im zweiten Abschnitt. Sie wirkt allgemein etwas zerstört und das sollte ich in der Sprache zumindest so rüberbringen, das sie irritiert bis irre aber nicht gespalten wirkt.

"Die Stelle, wo das Blut über ihre Hand rinnt, im dritten Absatz (ihre Faust umfasst die Klinge fester...) "

Ah, verdammt. Hier meint Klinge das ganze Messer, das korigiere ich mal besser. Später schreibe ich zwar noch: "Ein Grad am Griff" aber die Klinge ist hier tatsächlich ungewollt doppeldeutig. Dass ist das Problem wenn man massenweise Synonyme sucht^^°


Ok, das querlesen ist dann dem Textverständnis natürlich sehr abträglich. Wie ich schon tronde geschrieben habe, gibt es da eigne meines Erachtens nach recht klare Stellen. Zum einen ist es durch Absätze und Überschriften getrennt, sie haben auch andere Namen, oder krüppel-namen die sie ja auch nennen. Aber wenn man da ganze Absätze überspringt, kann da glaube ich auch nichts ankommen. Allgemein lässt mich das als Germanist etwas Fassungslos zurück. Wenn du so viel überspringst entgehen dir doch ganze Bücher zwischen den Absätzen, oder o.o?

"Oni" hat ziemlich viele Bedeutungen, unter anderem auch in den Kagome Kagome Spiel. Da hilft Google allein leider nicht weiter. Fälschlicherweise ging ich davon aus, dass der ganze Komplex bekannter ist... Ich glaub das muss ich auf jeden Fall noch einmal deutlicher herausstellen... Vielleicht sollte ich einen Vierzeiler an den Anfang stellen, der das Spiel erklärt und die Doppeldeutigkeit des bedrohlichen und gleichzeitig bedrohten Spielers im Kreis.


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Malaga
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Beitrag05.12.2014 13:54

von Malaga
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Hallo Blätterklingen,
ich dachte beim Lesen auch, wie Deine Freundin, es ginge um einen Amoklauf.
Grüße,
Malaga
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Blätterklingen
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Beitrag05.12.2014 17:45

von Blätterklingen
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Hallo Malaga,

Ist auch absolut drin angelegt. Nur das er etwas... merkwürdig verläuft und die Person, die den Amoklauf durchführt zwischen-zeitig wechselt.^^

Ich mag das Thema "Amoklauf" eigentlich auch, nur das es eben immer etwas heikel ist. Es realistisch darzustellen, ist meines Erachtens nach auch etwas abgedroschen. Es gibt schon recht viele Darstellungen in allen möglichen Medien dazu, die entweder durch mangelndes Taktgefühl brillieren, oder das ganze völlig überzogen darstellen.

Ich finde es auch erstaunlich, dass das Wort normalerweise völlig anders benutzt wird, als seine lexikalischen Wurzeln erlauben. Dort ist es nämlich als spontaner Anfall blinder Wut umschrieben,meistens sind Amokläufe aber präzise aufgeführte lang geplante Racheaktionen, also eigentlich das genaue Gegenteil.

Jetzt habe ich dir ein Ohr abgekaut,
schmatzende Gelaber-Grüße,
Matthias


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Beitrag05.12.2014 18:30

von Malaga
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Hab nachgeguckt - beide noch dran Smile

Ein Gedanke beim Lesen, fällt mir jetzt wieder ein, war: wie sieht es tatsächlich in Gedanken und Wahrnehmung eines Amok laufenden Schülers aus? Dass Drogen oder Persönlichkeitsstörung hier mitmischten, hatte ich auch angenommen.
Lange Vorbereitung ja, aber vielleicht reicht dann der eine Anlass, um einen Anfall blinder Wut zu proozieren.
Auf jeden Fall interessant zu lesen.
Grüße,
Malaga
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Beitrag08.12.2014 11:30

von Blätterklingen
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@Malaga,

Dann ist es gut. Ich will ja auch nicht, dass die Leute wie Van Gogh durch die Gegend rennen^^

Ja, M. ist auf jedenfall soetwas wie eine dissoziative Wahrnehmungsstörung und ist ziemlich in ihrere eigenen Welt gefangen. Ich frage mich, wie man den Eindruck weg bekommt, sie würde Drogen nehmen, ohne das es plump formuliert ist. Nicht das es schlimm wäre, aber irgendwie würde ich gerne wissen, wie man es in diesem Fall am besten wegrationalisiert.
Beispielsweise eine Formulierung wie: "Ich bin wie auf Drogen, dabei habe ich noch so etwas genommen" würde kaum in den Kontext passen und wäre recht plakativ. Wenn man diese Wahrnehmungsprobleme nicht erst seit gestern hat, wird man eher in der eigenen Gedankenwelt keine Vergleiche suchen, es ist einen ja bekannt.


Zum Amok:
Eine junge Frau in Amerika hat an einem Montag, statt zur Schule zu gehen, aus ihrem Wohnheimzimmer auf die Schüler geschossen, die vorbei gingen. Als man sie später fragte, warum sie das getan hatte, meinte sie: "Ich hasse einfach Montag".
Du hast also auf jedenfall recht, das kann auch durch für uns kaum nachvollziehbare oder wahrnehmbare Anlässe heraus einfach herausplatzen. Anders als bei diesem Beispiel (und Amerika) ist es aber meistens so, das ausrastende Schüler meistens nicht bewaffnet sind, sondern um sich schlagen, überwältigt werden und sich beruhigen. im schlimmsten Fall gibt es dann verletzte.


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Beitrag22.12.2014 19:42

von Blätterklingen
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Ich hab noch ein paar Änderungen vorgenommen, die das ganze glätten und straffen sollten

Oni

M.

Zaghaft lasse ich mich auf das tägliche Klang- und Farbspiel des Unterrichts ein. Das kristallklare Flüstern. Die erdrückenden Blautöne. Bekannte, unwirkliche Normalität. Betäubend vertraut vereinen sich die feinen Noten der Klasse zu einem kaum wahrnehmbaren Summen. Sie lassen die Gedanken abschweifen, hin zu den Bildern verdrängter Abgründe. Phantastische Töne roter Leere, fern der überbelichteten Realität, die mich umgibt. Mit verführerischem Klängen versuchen sie, alles um mich auszublenden.
Lenk’ dich ab, befiehlt mir die Gegenstimme der Vernunft, und ich gehorche.
Meine Blicke durchschweifen die blaue Monotonie des Raumes, jagen etwas, das fesselnd genug ist, um die rot gefärbten Tagträume wegzuschließen. Als sie die hohen Fenster durchdringen, finden sie, was ich suchte. Dort scheint der Mond im blauen Licht des Tages, umringt von kreisenden Wolken, die ihn zu verschlingen drohen. Verloren blicke ich zu dem reflektierenden Narbengebilde. Seine Krater haben mich schon immer beruhigt. Er trägt seine Male offen, ich maskiert.
Ob er sie auch kennt, die schneidenden Bilder, die meinen Blick zu ihm trieben? Die roten Phantasmen, die nicht in diese Welt passen – und doch nach Umsetzung verlangen. Vielleicht ist der Himmel seine blaue Wirklichkeit, in die er nicht gehört, und die Wolken sind seine roten Gedanken, die ihm nahe kommen, ohne ihn jemals zu vertilgen.Völlig deplatziert in Raum und Zeit …
Die Brechung meiner eigenen Realität verdrängt die Bilder und Gedanken aus meinem Kopf. Ruhig atme ich ein und lasse die Umgebung wieder über die Schwelle meiner Wahrnehmung gleiten. Die anderen richten ihren Blick nach vorne oder nach unten. Niemand scheint den Mond zu bemerken, wie er zur falschen Tageszeit am Himmel steht. Vielleicht ist ihnen das Fenster zu hoch, vielleicht sind ihre Gedanken blau wie der Tag, sodass sie keine Ablenkung brauchen. Stattdessen starren sie auf ihre Art zur Tafel; auf die Weise, wie sich die Hinterköpfe ihrer Mitschüler bewegen; in die Rillen der leeren Pulte, auf denen ihre Gesichter liegen, oder womöglich in das Nichts hinter allen Dingen. Ich kann es nicht mit Gewissheit sagen, sie sind nicht greifbar für mich.



Der Mond ist so narbig, weil Freiheit verletzt

D.

Es liegt nichts Greifbares hinter den Dingen, die sich auf den Dach abspielten. Jetzt bin ich das Messer und das Messer ist alles. Alles, was ich bin, liegt in meiner Hand. Alles, was ich bin, befindet sich im Treppenhaus, und bewegt sich vom Dach der Schule in den Flur des dritten Stocks. Vom Himmel abwärts. Wohin der Stahl zeigt, wird er geführt. Gehorsam ist die Maske, hinter der ich mich verstecke. Ohne die Klinge war ich nichts. Auch alles, was vor dem Moment liegt, in dem ich den Flur des dritten Stocks betrete, hört auf.
Ich bin, was dem Messer folgt. Die anderen weichen mir aus, weichen zurück. Gerade weit genug, damit ich sie nicht haschen kann, doch nah genug, dass mich ihre Angst noch feindlich anspringt. Die Furcht ist ihre Maske. Was auch immer sich dahinter verbirgt, es flieht vor meinen Augen.
Nur der Mond weicht meinem Blick nicht aus. Der Mond und das Mädchen, das vor mir steht. Ich hebe die Klinge empor. Sie schreckt nicht zurück. Das Licht ist klar, beinah steril. Da ist Angst in ihrem Blick, aber sie geht nicht weg. In dem kalten Metall spiegelt sich der Mond. In ihren Pupillen sehe ich mich. Nein, nicht mich, nur mein Spiegelbild, das nicht vor mir zurückweicht. Das ist nicht meine Angst, das ist die Reflektion meiner Angst. Ich will nicht mehr das Messer sein, steht in meinen Pupillen geschrieben. Ich sehe es in ihren Augen. In meiner Iris. In der Spiegelung meines Blicks sehe ich, wie mein Wille zerfällt. Ich breche an meinen Augen entzwei. Langsam strecke ich die Waffe dem Mädchen entgegen. Sie soll weggehen. Die Reflektion. Das Mädchen. Die Angst. Es soll aufhören. Sie weicht nicht vor mir zurück. Das Messer ist auf sie gerichtet. Langsam nimmt sie es aus meiner Hand.
 

Die Sonne macht farbig, was Wolken entsetzt

N.

Das Metall in meiner Hand spiegelt mein Inneres, es lässt mich erkennen. Ich bin Oni, das Messer, das fängt. Es hat alles abgetrennt, was im Kern nie zu mir gehörte, und ließ nur ein N zurück. Der Rest ist von mir abgefallen wie die Maske fremder Angst.
Das Mädchen, das einst Messer war, fällt vor mir auf den Boden und bleibt regungslos liegen. Ich senke die Klinge und wende meinen Blick ab. Alle Augen wandern zu mir, denn ich bin Oni. Auch der Mond sieht nur mich. Die Wolken und der Himmel, niemand kümmert sich um das Mädchen, das hinter mir liegt. Mitten im Flur. Niemand hat gesehen, wie ihre Maske an mir zerbrach. Nur ich. Ich zerbreche nicht.
Das helle Licht und die ängstlichen Blicke meiner Mitschüler lassen mich kalt. Ich atme die Ruhe, die ihnen fehlt. Von irgendwoher summt etwas das alte Lied von Jäger und Beute.
Meine Faust umfasst den Griff fester. Schmerz breitet sich von ihr aus. Unerwartet. Finger zucken. Meine Pupillen dürfen das Zucken der Finger nicht imitieren. Die Ruhe weicht vor mir zurück. Niemand darf es sehen. Nichts hat sich verändert. Es ist nur ein Grat am Griff. Warmes Blut in meiner Hand. Blut, kein Angstschweiß. Keine Unsicherheit. Nur das fehlerhafte Messer, das mir wie ein Kompass die Richtung diktiert. Und ein Ich, das folgt.
Langsam streife ich durch den langen Gang voller halbtransparenter Schatten. Masken ohne Substanz. Sie weichen mir aus. Das Messer ist alles, was zählt. Es ist alles, was ich bin, und solange ich es führe, bin ich vor allem geschützt. Vor allen anderen und vor der Angst, die aus meiner Hand tropft.
Der Stahl zeigt auf eine Tür, ich öffne sie. Das Messer zeigt auf ein Mädchen. Ich werde sie öffnen. Meine Füße tragen die Klinge zu ihr. Die Waffe hebt sich … Ich zögere. Mein Arm verkrampft – unfähig, in mein Opfer zu stürzen. Meine Hände tropfen. Ich kann sie nicht öffnen. Ich kann nicht. Wie gelähmt starre ich das Mädchen an. Sie starrt auf die Spitze der Klinge, die Schneide, den Griff, auf die Angst, die aus meiner Hand strömt … Ihre kalten Augen starren mir das Messer aus der Hand. Ich ertrage es nicht. Soll sie es doch haben. Ich bin es nicht wert.

Das Messer, es trifft dich, wenn du es verführst

O.

Starr umspielt das kalte Licht mein Spiegelbild in der Klinge. Es verzerrt, doch das ist nicht schlimm. Es ist das Wertvollste, was ich je in der Hand hatte. Seit die Andere es mir gab, wird es wärmer. Viel wärmer. Von meiner Hand breitet sich ein nie gekanntes Wohlgefühl in meinem ganzen Körper aus. Es ist, als wäre das Messer die einzige Wärme in einer völlig erfrorenen Welt.
Mein Name ist O. Ich weiß, dass dies mein Name ist, weil er auf dem silbergrauen Metall des Messers steht. Vielleicht stand dort einst mehr, und mein Name ging über diesen Buchstaben hinaus. Aber das Messer flüstert mir zu, dass alles, was früher war, nicht mehr wichtig sei. Und ich glaube ihm jedes Wort, denn es ist so rein, dass es im Licht des Mondes blaue Schatten wirft. Die Andere sucht zaghaft Abstand von mir. Ich habe nicht gemerkt, dass ich aufgestanden bin. Aber die Klasse weiß es. Alle Augen blicken zu mir. Ich bin Oni, das Messer, das opfert. Ich weiß es, weil das Messer es mir gesagt hat. Doch begreife ich nicht, was es zu bedeuten hat.
Alles, was ich weiß, ist – sie alle bestehen aus Eis: die Tische, die Menschen, die Gedanken, der Mond … auch ich bin aus Eis, und nur aus dem Messer flutet Wärme in die Welt. Mehr als Wärme, Hitze. Ein Übermaß seiner Energie strömt in mich, durch mich hindurch und aus mir heraus. Trage ich es zu lange bei mir, wird mein Arm aus Eis verbrennen. Es muss kühlen, an jemandem gekühlt werden, der nicht Oni ist. Das Messer fordert, und meine Mitschüler verstehen es, einige von ihnen sind aufgestanden. Die mir am nächsten stehen, suchen Abstand. Ihre Blicke weichen mir aus, sobald sich die Klingen unserer Augen berühren. Doch was jetzt geschieht, ist unausweichlich. Ich weiß das, weil das Messer es mir prophezeit hat.
Nur ein Augenpaar fixiert das meine. Ich verstehe nicht, was es von mir verlangt, aber die Spitze der Klinge zeigt auf sie. Das Messer wärmt mich, verbrennt mich und zeigt auf sie. Auf das Mädchen, das den Mond anstarrte. Es will sie. Ich will es nicht. Nicht mehr, es ist zu viel.
Ich stehe vor ihrem Pult, wie ich hergekommen bin, ist mir entfallen. Eben war ich noch an meinem Platz, zwei Reihen hinter ihr. Sie betrachtet mich ungewohnt ruhig. Fast skeptisch. Als würde sie abwägen, ob ich bin oder nicht. Die Hitze des Messers steigt, aber ich spüre sie kaum. Da ist etwas anderes hinter ihr. Hinter allen. Versonnen schaue ich ins Nichts, das ich war, bevor ich Oni wurde. Der Griff des Messers brennt wie Feuer. Es erreicht mich nicht. Dort hinter allen Dingen. Vielleicht ist das Eis meiner Hand schon geschmolzen. Alles ist so weit weg. Irgendwo am Rande meiner Wahrnehmung spüre ich, dass meine Hand noch Finger hat. Aber sie halten das Messer nicht mehr.

Und Träume sind giftig, wenn du sie berührst


M.


Der metallene Griff des Messers ist kalt. Eiskalt. Erst als ich den Stahl aus dem Pult gezogen habe, begann ich zu zweifeln, ob alles nur Einbildung ist. Das Messer ist echt, das Mädchen vor mir ist echt. Wären sie Vorstellung, hätte sie es bereut, ihre Waffe fallen zu lassen. Als würde sie meine Gedanken lesen, zuckt sie zusammen. Haben mich meine Augen verraten – oder erschrak sie vor sich selbst? Im Affekt stehe ich auf und versuche, sie zu beschwichtigen. Das muss real sein, ich bin es gewohnt, mich in der Realität zu rechtfertigen. Bevor ich etwas sagen kann, sehe ich, wie sich meine Mitschüler erheben. Alle, die nicht schon standen, erheben sich und weichen vor mir zurück. Ich spüre ihre Blicke überall auf mir. Sie mustern mich, wie die Herde den Wolf. Es fühlt sich stechend an, verstörend, echt. So echt wie das Messer in meiner Hand. Das ist keine Einbildung. Ich bin der Jäger, sie das Wild. Doch statt blanker Angst blicken mich blaue Augen voller Unsicherheit an, die schnell in Angriffslust umschlagen kann. Und ein Teil von mir bettelt geradezu darum. Nicht der vernünftige Teil, nicht der Teil, der verstanden hat, dass dies kein Spiel ist. Die Herde macht sie stark, und ich bin es nicht gewohnt, das Messer offen vor mir zu tragen statt in mir.
Sie lauern. Warten auf eine Tat. Etwas spannt meinen Körper und lässt die Härchen im Nacken wie kleine Klingen aufstehen. Ich will weg von ihnen, von der Gefahr, von meinem Wunsch und der Bedrohung, die sie in mir sehen. Instinktiv weiche ich zurück, bis ich ein Pult im Rücken spüre.
Sie tauschen Blicke, ändern ihre Haltung. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich sehe es in ihren weit aufgerissenen Augen. Szenen überschlagen sich in meinem Kopf. Sie kommen auf mich zu. Zaghaft, doch beständig. Übelkeit steigt in mir auf. Wie viele von ihnen könnte ich überwältigen? Das Messer ist kalt in meiner Hand. Vielleicht ein paar. Meine Gedanken haben mich nicht zum Mörder gemacht. Das Messer wird es auch nicht schaffen.
Sie weichen nicht zurück. Ich bin der Fehler. Sie sind überall. Sie kreisen mich ein. Leg das Messer weg, sagen ihre Blicke. Ich beginne zu zittern. Ich darf das Messer nicht loslassen. Sie kommen näher. Das Messer gehört zu mir. Noch näher. Sie dürfen es nicht haben. Zu nah. Viel zu nah.
Ihre Arme greifen nach mir. Nach dem Messer. Schützend berge ich es an meiner Brust. Erstaunlich gut schmiegt es sich an meine Rippen. Sie werden mich zerreißen. Sie werden es mir wegnehmen. Unfähig, etwas zu tun, schließe ich meine Augen. Ich will in die Dunkelheit flüchten, vor einer Welt, in der man mir mein Messer stiehlt. Ich halte die Luft an, und spüre den Atem der Klinge. Durch den Stahl schlägt mein Herz. Schlagartig öffne ich meine Augen, bereit für alles, was kommen mag.
Vor mir sind Pulte, Stühle, dahinter Wände und tiefe Schatten. Ich sehe mich um. Angespannter als zuvor. Sie sind weg. Alle. Der Fußboden ist klebrig unter meinen Füßen. Etwas Rotes spiegelt sich im Messer. Auf der Suche fällt mein Blick auf die hohen Fenster. Der Mond ist gegangen. An seine Stelle ist eine blutrote Abendsonne getreten.


_________________
was ist das? Das ist keine Kunst! Kunst ist etwas was verfault, wenn man es nach zwei Tagen nicht in den Kühlschrank stellt!
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