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The Brain Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1966 Wohnort: Over the rainbow
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02.12.2012 23:26 [außer Konkurrenz] Der Pfandleiher von The Brain
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Der Pfandleiher
Tom starrte wie so oft auf das Plakat, dass seit Jahren an der Hauswand gegenüber prangte. Kinder hatten vor langer Zeit die Ecken abgelöst und Teile davon zerrissen. Der Wind trieb sein Spiel mit flatterndem Papier. Durch Regen und Schnee bräunlich verfärbt, schimmerte ein Lächeln das schon lange der Vergangenheit gehörte. Eine hübsche junge Frau deren gedruckter Blick sich voller Zuversicht auf Toms kleinen Laden richtete hielt eine Tube Zahnpasta mit elegant anmutendem und doch energischem Griff in der erhobenen rechten Hand. Tom kannte jedes noch so kleine Fältchen im Gesicht der Frau. Tag für Tag, Monat für Monat war sie die Frau, die immer da war.
Von den Menschen vergessen, verschont vom Wandel der Zeit, sah sie zu ihm herüber, leistete ihm Gesellschaft in diesem kleinen Raum, in dem sein Leben zwischen staubigen Schachteln, alten Schränken aus Eichenholz, einem noch älterem Tresen und einer gläsernen Vitrine zerrann. Nur ab und an riss ihn das leise Klingeln der Türglocke aus seinen Gedanken. Die Menschen die seinen Laden betraten waren meist nicht allzu gesprächig. Eher schüchtern, oft verlegen traten sie näher. Beinahe wirkten sie, als hätten sie schwere Schuld auf sich geladen. Selten von Worten begleitet, schoben sie ein goldenes Armband, eine Kette mit Edelsteinen, die antike Taschenuhr von Großvater, oder all die mehr oder weniger liebgewordenen Dinge, von denen man sich ein wenig Geld zu erhalten versprach über das speckig gewordene dunkle Holz, ihrem neuen Besitzer entgegen, stets von einem fragenden Blick begleitet, der Hoffnung und Verzweiflung zugleich beherbergte.
Manchmal kamen die Menschen zurück, die Dinge, für die sie einen kargen Preis erhalten hatten, wieder auszulösen. Die meisten von ihnen kamen nie mehr - und einige wenige wurden zu regelmäßigen Besuchern. Waren diese am Anfang meist noch elegant gekleidet, so konnte man von mal zu mal an deren Mänteln und Hüten den Verfall des Daseins erkennen.
Tom stellte schon lange keine Fragen mehr. Wozu auch? Die Geschichten wiederholten sich, verloren an Bedeutung, versanken in einer ihnen innewohnenden Tragik, die Tom nicht mehr bereit war auf sich zu laden. war es doch sein Metier, aus der Not seiner Klienten Kapital zu schlagen.
Über all den von Gram Geplagten, verlor Tom sein Lachen. Morgens hastete er mit eiligen Schritten durch die Gassen, um sich sogleich hinter seinem Tresen zu verkriechen, bis er des Abends in sein kleines möbliertes Zimmer zurückkehrte. Er wartete bis es dunkel wurde. Er wartete bis es hell wurde. Wartete auf das Leben, dass doch irgendwann beginnen müsste. Das einzige Lächeln, das Tom begleitete, war das der Frau auf der Plakatwand.
Er erzählte der Frau von seinen Träumen, von seiner Sehnsucht nach Liebe. Und sie hörte geduldig zu, immer gleichbleibend lächelnd. Nie wurde sie ärgerlich. Nie entgegnete sie ein böses Wort.
Eigentlich erwiderte sie nie irgend etwas. Aber das war Tom gleichgültig. Sie war da. Wann immer er einen Zuhörer brauchte. Tom nannte sie Maria.
Heute war wieder so ein Tag. Tom zählte die Einnahmen des gestrigen Tages, stopfte die Geldscheine in seine Hosentasche und blickte zufrieden zu Maria. Die Geschäfte entwickelten sich in diesen von Krisen geschüttelten Zeiten wirklich gut.
Das Klingeln der Türglocke riss ihn aus seinen Gedanken. Eine Frau, deren Lebenszeit sich in tiefen Furchen in ihr Gesicht gegraben hatte, betrat mit einem leisen Hüsteln den Laden. Ihr Mantel, dessen einstmals stolzer Preis noch zu erahnen war, war an den Ärmeln verschlissen, die Farbe, vielleicht einmal ein kräftiges Schwarz, einem diffusen Grau gewichen. Um den Kopf hatte sie ein Tuch geschlungen, aus dem ihr immer noch blondes Haar hervorlugte. Mit verängstigten Augen, die mehr gesehen zu haben schienen, als es für ein Leben gut sein konnte, blickte sie herüber und trat an Tom. Sie kramte in ihrer Manteltasche und legte wortlos einen Ring aus Gold, üppig mit Rubinen und Diamanten verziert, auf den Tresen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie den Ring ein letztes Mal zärtlich streichelte. Ein Lächeln das Tom kannte.
Ein unbekannter Schmerz brannte sich durch seine Seele. Ließ ihn für einen Moment erstarren.
Mit zittrigen Händen ergriff er den Ring, wog ihn hin und her. Schließlich griff er in die Kasse und zog ein paar Scheine heraus. Mehr, als er selbst für den Ring bekommen würde.
Die Frau zögerte nicht lange, griff zu und wandte sich der Tür zu. Im Gehen lächelte sie ihn ein letztes Mal an. Dann war sie verschwunden.
An diesem Abend hatte es Tom nicht eilig nach Hause zu kommen. Mit einer Leiter unterm Arm und einer Spachtel in der Hand sah man ihn über die Straße gehen.
Weitere Werke von The Brain:
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Dienstwerk Reißwolf
Alter: 55 Beiträge: 1254 Wohnort: Gera/Markkleeberg
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17.12.2012 00:31
von Dienstwerk
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Oh, ist das schön! Und so traurig...
Schade, dass der Text disqualifiziert wurde. Hätte der blöde Ring nicht doch irgendwie beweglich sein können? Doch eigentlich wurde ja die verblichene Schönheit des alten Werbeplakates lebendig. Insofern...
Feine Geschichte, gern gelesen.
Beim nächsten FFF - Augen auf!!!
LG, Ana
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The Brain Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1966 Wohnort: Over the rainbow
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17.12.2012 19:34
von The Brain
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Hallo Ana,
tja ... das hatte ich Maria auch schon mal geschrieben ... hätte ich diesen blöden Ring durch eine alte Spieluhr ersetzt ... hätte der Geschichte gut gestanden und mir die Disqualifikation erspart.
Dabei sollte man doch meinen, dass man sich genug mit Lesen beschäftigt -und dann so ein Faux pas ...
Na, nächstes Mal wieder ....
Liebe Grüße
Brain
_________________ Dinge wahrzunehmen,
der Keim der Intelligenz
(Laotse)
***********
Die Kindheit endet nicht mit dem Erwachsenwerden.
Sie begleitet dich durch all deine Lebenstage.
***********
Alle Bücher dieser Welt
Bringen dir kein Glück,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurück.
(Hermann Hesse) |
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RUMO Schneckenpost
Alter: 61 Beiträge: 14 Wohnort: Nähe Frankfurt
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18.12.2012 00:58
von RUMO
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Hallo Brain,
sehr schöne Beschreibung der Stimmung von Einsamkeit und schweren Zeiten.
Wirklich schade, wie Dienstwerk schon sagt: „Hätte der blöde Ring nicht doch irgendwie beweglich sein können?“
Außer diesem Faux pas, alles im Griff.
Gruß
RUMO
_________________ Nächster Versuch... |
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OrangeHair Leseratte
Alter: 53 Beiträge: 108 Wohnort: Wien
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18.12.2012 10:48
von OrangeHair
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Ich bin beeindruckt mit welcher Eleganz du die Stimmung aufgebaut hast. Und endlich auch jemand, der es sich traut lange Sätze zu schreiben.
Mir gefällt es, wie du statt Punkten an manchen Stellen Kommata setzt. Da merkt man richtig, wie sich die Geschichte aufbaut.
Am besten hat mir der Satz:
Mit verängstigten Augen, die mehr gesehen zu haben schienen, als es für ein Leben gut sein konnte, blickte sie herüber und trat an Tom.
Der hat so etwas Düsteres an sich.
Schade - nächstes Mal wirds bestimmt was!
LG Orange
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The Brain Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1966 Wohnort: Over the rainbow
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18.12.2012 13:15
von The Brain
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Hallo Rumo,
danke für die aufmunternden Worte ...
versemmelt ist versemmelt -
wann bitte ist der nächste FFF? ... smile ...
Liebe Grüße Brain
_________________ Dinge wahrzunehmen,
der Keim der Intelligenz
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The Brain Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1966 Wohnort: Over the rainbow
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18.12.2012 13:19
von The Brain
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Liebe Orange,
das mit den langen Sätzen - wenn man sie wohldosiert einsetzt, ein Mittel das Tempo zu setzen.
Der von dir zitierte Satz ist (hoffe ich mal) leider auch der Einzige, der offensichtlich einen Fehler enthält - aber was soll's. Im Eifer des Gefechtes ...
Ich weiß aber was du meinst und danke dafür!
Liebe Grüße
Brain
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Piratin Exposéadler
Alter: 58 Beiträge: 2186 Wohnort: Mallorca
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18.12.2012 14:40
von Piratin
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Hallo Brain,
Dir gelingt es, nicht nur das Plakat einzubinden, sondern mit ihm transportierst Du eine Stimmung, die sich im Protagonisten widerspiegelt. Einfach nur schön. Wirklich schade für die Disqualifikation.
Liebe Grüße
Piratin
_________________ Das größte Hobby des Autors ist, neben dem Schreiben, das Lesen. |
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Nina Dichterin
Beiträge: 5012 Wohnort: Berlin
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18.12.2012 14:49
von Nina
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Hallo Brain,
ich war überrascht, als ich keinen Text von Dir im Wettbewerb fand, jetzt weiß ich warum, - weil er hier steht.
Schöne Geschichte. Hat mir gefallen. Den letzten Satz verstehe ich allerdings nicht.
LG
Nina
_________________ Liebe tut der Seele gut. |
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The Brain Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1966 Wohnort: Over the rainbow
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18.12.2012 21:30
von The Brain
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Hallo liebe Piratin,
so ein schöner Kommentar tröstet mich doch beinahe über meine Dummheit hinweg.
Vielen Dank dafür!
Liebe Grüße
Brain
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The Brain Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1966 Wohnort: Over the rainbow
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18.12.2012 21:35
von The Brain
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Hallo Nina,
FFF ohne Brain? Never ever ...
Da komm ich doch aus der hintersten Ritze hervorgekrochen.
Danke dir für's Vorbeischauen!
Der letzte Satz verbirgt sich für dich hinter Fragezeichen?
Kleiner Schubser:
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hängt das Plakat .....
jetzt klarer?
Liebe Grüße
Brain
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Eredor Dichter und dichter
Moderator Alter: 32 Beiträge: 3415 Wohnort: Heidelberg
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18.12.2012 22:05
von Eredor
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wow, die idee mit dem plakat ist so hoffnungslos romantisch und gleichzeitig wunderschön. ich kann mir den protagonisten richtig gut vorstellen wie er in seinem verstaubten laden steht und aus dem verwischten fenster auf maria starrt. wirklich toll! und wenn nicht der ring sich bewegt, bewegt zumindest die geschichte.
lg dennis
_________________ "vielleicht ist der mensch das was man in den/ ersten sekunden in ihm sieht/ die umwege könnte man sich sparen/ auch bei sich selbst"
- Lütfiye Güzel |
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The Brain Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1966 Wohnort: Over the rainbow
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18.12.2012 23:59
von The Brain
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Hallo Eredor,
you made my day night ... smile ...
_________________ Dinge wahrzunehmen,
der Keim der Intelligenz
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