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[KUG] Rosebud

 
 
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Lore
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 90
Beiträge: 932
Wohnort: Düsseldorf


Code Philomele
Frauenschicksale in einer Großstadt
Beitrag18.12.2007 13:35
[KUG] Rosebud
von Lore
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Heiligabend 2002.

Zwei Stunden Fahrt habe ich noch vor mir.

Die Vorweihnachtszeit war stressig gewesen, ich fühle mich entsprechend und wäre
am liebsten zu Hause geblieben, aber das würde Mutter mir nie verzeihen.
Ich werde pünktlich sein.

Jäh verändert sich mein Umfeld.
Es geschieht etwas - mit mir - von einer Sekunde auf die nächste.

Und wenn der Engel nichts anderes wäre als ein Echo?
Hervorgerufen durch eine geistige Projektion?
Im gleichen Moment, in dem diese Zweifel beginnen, löst sich das Gebilde,
das mich wie ein rosa Nebel zu umgeben scheint, langsam, aber unaufhaltsam auf.
Tödliche Kälte erfasst mich und ich spüre, wie das Leben - ebenso langsam und unaufhaltsam -
aus mir flieht.

Kalkül?
Nützt es etwas, wenn ich meine Zweifel an der realen Gegenwart eines
Schutzengels bewusst unterdrücke?
Mich einfach dem Gedanken überlasse, dass da jemand ist, der mich begleitet?
Ich muss es versuchen, oder ich bin verloren.
Verloren zwischen dem Schrott meines schweren Mercedes, der auf der nächtlichen
A3 mit einem von der Autobahnbrücke geschleuderten Gegenstand kollidiert war.

Eingeklemmt in meinem Gefährt und unfähig mich zu bewegen,
sehe ich entfernt die Lichter der vorbeifahrenden Wagen.
Ich weiß, es wird mich vor dem Morgen niemand finden, denn der Unfallgegenstand
kann keinen anderen Fahrer mehr gefährden.
Er steht jetzt, seltsam verbogen, auf meiner zertrümmerten Motorhaube.
Es ist der Einkaufswagen eines Supermarktes und eine Sekunde lang streift
mich der abstruse Gedanke, dass ich immerhin auf skurrile Weise zu Tode kommen werde.
Wer sonst wird schon via Aldi-Einkaufswagen ins Jenseits befördert.

Wenn SIE geht, werde ich einsam sterben.
SIE? Sind Schutzengel weiblich?
Oder ist es nur meiner, dessen feminine Gegenwart ich spüre,
seit ich ganz aus meiner Bewusstlosigkeit erwacht bin.

Sie drängt sich nicht auf.
Ich weiß, sie wird mich verlassen, wenn meine kritischen Gedanken
alles sind, was ich zu bieten habe.

Ich springe.
Hinein in eine mir bisher unbekannte Welt.
Bewusst und mit dem mir eigenen und nicht einmal in dieser verzweifelten
Situation zu unterdrückenden Kalkül.

Rosebud, Rosebud, verlass mich nicht.

Es ist nur ein verzweifelter innerer Ruf, ich bin zu schwach,
meine Stimme kann niemanden mehr erreichen.

Woher ich weiß, dass ich meinem Schutzgeist einen Namen geben muss,
um ihn an mich zu binden, das weiß ich nicht.
Ebenso unerklärlich ist mir die Wahl dieses Namens,
er ist in meinem Kopf wie eine altbekannte Melodie.

Ich höre auf, rationale Überlegungen zuzulassen.
Ich kann sie mir nicht mehr leisten diese Zweifel.
Niemand außer diesem Lichtwesen, das jetzt zögernd innehält
und sich mir erneut zuwendet, wird meine Ängste auffangen können.

Ich scheine an der Oberfläche des Bewusstseins zu treiben.
In einer Art Zwischenexistenz, in der eine gnädige Einrichtung wohl verhindert,
dass die Schmerzen mich zerstören.
Oder sollte ich etwa? Panik erfasst mich.
Heißt es nicht, bei durchgetrenntem Rückenmark erlischt jedes Schmerzgefühl?
Werde ich gelähmt aus dieser Horrorsituation herauskommen, eine lebende Tote sein?

„Möchtest Du nicht in erster Linie gerettet werden?“

Für einen Moment glaube ich, Selbstgespräche zu führen.
Doch dann merke ich, diese Frage erreicht mich – stimmlos -
aus der Richtung des nebulösen Gebildes,
das sich flureszierend neben mir niedergelassen hat.

„Nicht für ein Leben im Rollstuhl.“
Ich möchte es schreien, aber es bleibt bei diesem angsterfüllten Gedanken,
der dennoch von meinem Gegenüber aufgenommen wird.
Die Verbindung zwischen uns scheint keiner Stimme zu bedürfen.

„Ich bin hier, bei Dir.“

Meine erste Reaktion ist totale Entspannung, ich gebe mich und mein
Schicksal bedingungslos in die Hände von Rosebud.

Doch schon Sekunden später überfallen mich erneut massive Zweifel .
Wo zur Hölle war dieser Schutzgeist während der bisherigen Einbrüche in meinem Leben?

Wieso hat er sie nicht verhindert?

„Sie zu verhindern hätte bedeutet, einen Lernprozess zu unterbrechen,
der für deine geistige Entwicklung notwendig war.“

Rosebud hat die Kommunikation zwischen uns wieder aufgenommen.

„Na klar, das würde ich auch antworten, zumindest würde eine solche Antwort
verhindern, dass man als Schutzengel seine Machtlosigkeit zugeben muss.“


Nicht einmal in dieser hoffnungslosen Situation kann ich meinen Sarkasmus völlig ausschalten.

„Denkst Du das wirklich?“

Rosebud zögert einen Moment und plötzlich spüre ich, wie eine Abfolge
von Bildern mein Hirn durchflutet.
Ich sehe mich in den hoffnungslos erscheinenden Lebenssituationen der Vergangenheit.
Der Scheidung von Kurt, dem Tod meines Vaters, der psychischen Erkrankung,
die mich über viele Monate lahm legte, dem Zusammenbruch meiner kleinen Blumenhandlung.
Die damaligen Gefühle überrollten mich ein zweites mal und meine Verzweiflung
steigerte sich sekundenlang ins Unermessliche, um danach zurückzuweichen wie
die Fluten des Meeres zur Ebbe.

Ich sehe.... in einer Klarheit, wie ich sie bisher nicht gekannt habe.
Aus all diesen Katastrophen meines Leben war etwas entstanden, das mich
entscheidend weitergebracht hatte.

Mit der Trennung von Kurt war ich einer Beziehung entkommen,
die mich Stück für Stück zerstört und in die seelische Isolation getrieben hatte.
Der Tod meines Vaters hatte dazu geführt, dass ich aufhörte,
bei jeder Kalamität den Heimathafen anzusteuern.
Ich lernte es endlich, meine Dinge selbst zu ordnen.

Aus der Pleite des Blumenladens erwuchs die Notwendigkeit, mich beruflich
anders zu orientieren.
Ich war frei von Zwängen und versuchte mich endlich an dem,
was ein Leben lang zu meinen unterdrückten Sehnsüchten gehörte.
Ich begann zu schreiben.
Dieses Hobby wiederum rettete mich aus der emotionalen Empfindungslosigkeit
eines Daseins, das keine Höhepunkt mehr zu kennen schien.
Und heute?
Mein Mund war ausgetrocknet und ich versuchte vergeblich,
mit der pelzigen Zunge die trockenen Lippen zu befeuchten.

„Sags mir, welcher Sinn kann darin liegen, auf dem Weg
nach Hause, den Vertrag für meinen ersten Roman im Gepäck,
auf diese Weise zu scheitern?“

Falls Rosebud antwortete, nahm ich es nicht mehr auf.
Ich fiel erneut in eine tiefe Bewusstlosigkeit.

Das Erwachen ist schmerzgepeinigt und martervoll.
Ich liege, in blendende Helligkeit getaucht, in einer Art Korsett aus Gips in einem Klinikbett.
Jemand tätschelt meine Wange und eine professionelle und irgendwie
unbeteiligte Stimme sagt eilig;
„Na also, da ist sie ja wieder. Glück gehabt meine Liebe, das wird wieder."

„Rosebud,“ höre ich mich flüstern.
Meine Augen erfassen nur die direkte Umgebung und nirgendwo ist etwas
zu erkennen, das außergewöhnlich wäre.

„Rosebud, wer ist das? Ein Angehöriger? Sollen wir jemanden benachrichtigen?“

Die Schwester hält für einen Augenblick meine Hand.

„Es wird alles wieder gut.
Diese Autobahnterroristen haben noch in der Nacht den Rettungsdienst
alarmiert, als sie sahen was sie angerichtet haben.
Sie kommen wieder ganz in Ordnung.“

"Ich werde dich nie verlassen, Ich werde immer bei dir sein, bis ans Ende deiner Zeit."

Es ist das Letzte was ich bewusst wahrnehme, bevor ich,
von tiefer Wärme durchdrungen, in einen tiefen, erholsamen Schlaf falle.

Rosebud wird mich begleiten, wohin ich auch gehen werde.

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