Feierliche Übergabe

[RaiBruHerte]

Gedicht mit Titel, es erscheint diesen Herbst in einer Antologie.


Feierliche Übergabe

Zeit ist Punkt
zerknittertes Horizontpapier wurde nicht mehr von großen Händen straff gespannt.
meine müden Augen pflücken Lichtpunkte entfernter Sonnen vom dunklen Papier;
sie glänzen wie blankgeschlagene Nagelköpfe im braunen Kistenholz.
Ich verstaue meine kleingebrochenen Gedanken im leichten Reisegepäck.
- Wie schön sie als Mobilee hingen –,
die Fragen packe ich obenauf.
Kleine Wellen erheben sich sanft,
begrüßen aufmunternd meine Füße
immerwieder
am Flussdelta gleite ich getrost hinein
und alle zuerst
wie immer

[Soleatus]

Hallo Raibruherte!

Diese Zeilen wirken auf mich ein wenig zu geschäftsmäßig in der sprachlichen Gestaltung; was ich vor allem an den sehr zahlreichen und ohne Ausnahme als Adjektiv vorangestellten Attributen festmache:

zerknittertes Horizontpapier wurde nicht mehr von großen Händen straff gespannt.
meine müden Augen pflücken Lichtpunkte entfernter Sonnen vom dunklen Papier;
sie glänzen wie blankgeschlagene Nagelköpfe im braunen Kistenholz.
Ich verstaue meine kleingebrochenen Gedanken im leichten Reisegepäck.

Das wirkt unangenehm mechanisch auf mich – dabei bietet das Deutsche doch viele Möglichkeiten, solche Attribute zu gestalten, und die Sprache der Gedichte noch einige mehr; ich glaube, in diese Richtung zu denken, gäbe dem Text mehr Frische und hielte die Aufmerksamkeit des Lesers wach.

"Sanft" ist ein lyrisch eigentlich nicht mehr zu brauchendes Wort; das fällt hier ein weiteres Mal auf, das Wort erzeugt ein wirkliches Schlagloch.

(Nicht wichtig, aber: "Anthologie").

Gruß,

Soleatus

[RaiBruHerte]

Soleatus Danke für deine Antwort.
das fehlende h ist schon wichtig, kanns nimmer ändern.
Ja, die Mechanik, sie endet beim Sterben.
und sanft ? warum nicht mehr?

Grüße

[Soleatus]

Hallo nochmal,

"sanft" gehört eine Gruppe mit zum Beispiel dem Herz-Schmerz-Reim oder der Genitiv-Metapher – lyrische Bausteine, die durch ständigen Gebrauch in meist nicht sehr guten Gedichten von meist nicht sehr guten Verfassern so abgenutzt sind, dass sie keine Wirkung mehr haben (vielleicht von einem Seufzen und einem leichten Augenverdrehen abgesehen). Was nicht heißt, man kann diese Bausteine gar nicht mehr nutzen; aber sie frisch und überzeugend aussehen zu lassen ist meist mehr Arbeit, als gleich etwas neues und frisches zu versuchen ...

Gruß,

Soleatus