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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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09.04.2012 08:50 Unversehen von Jocelyn
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Unversehen
So durchsichtig wie Bäume ohne Blätter stehen die Fragen an den Häuserfassaden.
Wir sehen sie nicht, egal, die Tage werden länger und der Frühling fängt an.
Lass uns fortgehen, hatten wir gesagt, aber nicht zu weit.
Es ist Vormittag, Zwanzig nach Elf. Wir laufen durch die stillen Straßen. Die erste freie Stunde für die sonntäglichen Brötchenverkäufer. Die Theken haben sie schon hochgeklappt. Der Asphalt ist leer. Die meisten Menschen sind nach Spanien gefahren. Alle Fenster und Türen der Stadt gehörten uns, hätten die Menschen nicht ihre Schlüssel mitgenommen. So drehen wir um zum Nachhauseweg und gehen wieder ins Bett. Du fährst mit deiner Zunge durch meinen Mund und ich spüre das Einmalige unserer Erregung. Wir finden uns inmitten der Körper, die uns alles bedeuten, und wenn wir wollten, könnten wir in diesem Moment sogar aus den Flüssen von Brasilien trinken. Aber wir halten die Fenster geschlossen. Hören niemanden, vergessen jeden. Die Lauscher bleiben draußen und können uns nicht sehen. Sie müssten uns schon in ein großes Tuch wickeln, um uns zu Markte zu tragen. Aber nichts bliebe in ihren Händen.
PS: Der Text ist mir nachträglich zum Thema "Verhüllung ist Verheißung" in den Kopf gekommen.
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Weitere Werke von Jocelyn:
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)
"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire) |
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derSibirier Reißwolf
D
Beiträge: 1250
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D 09.04.2012 16:09
von derSibirier
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Was soll ich jetzt dazu sagen. Ein starker Text. Aber das Thema der Verhüllung ist mir zu schwach umgesetzt.
Wäre der Text im Wettbewerb gewesen, zugelassen worden von Nihil und David, hätte er von mir sieben Federn bekommen, obwohl er weit mehr wert ist.
Grüße
Sibirier
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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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09.04.2012 19:43
von Jocelyn
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Vielen Dank für die schönen Federn. Der Wettbewerb ist ja nun vorbei, aber das ist trotzdem eine nette Geste von dir, die ich zu schätzen weiß.
Zur Verhüllung: In dem kurzen Textstück steckt sie auch im übertragenen Sinne, im "Sichverschließen" drin. Vielleicht wäre es aber auch besser, den Text losgelöst von allen Vorgaben zu lesen. Da hast du Recht.
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)
"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire) |
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Max Sin Leseratte
Beiträge: 169
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11.04.2012 18:49 Die große Offensive II von Max Sin
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Ich lese den Text jetzt einmal losgelöst von der Vorgabe.
Ich finde deinen Text in seiner Einfachheit sehr schön, er transportiert dieses extreme Gefühl der alleinen Zweisamkeit der Liebenden.
Jedenfalls wenn es darum gehen soll.
Max
_________________ „Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer?“
- Hesse |
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derSibirier Reißwolf
D
Beiträge: 1250
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D 11.04.2012 19:24
von derSibirier
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Zitat: | ... und wenn wir wollten, könnten wir in diesem Moment sogar aus den Flüssen von Brasilien trinken. |
Eine Aussage wie diese, lieber Max, hat mit "einfach" nichts zu tun. Tausend Texte muss ich immer lesen, bis ich so etwas finde.
Doch bitte, Jocelyn,
"sogar"
lasse es verschwinden.
Grüße
Sibirier
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Max Sin Leseratte
Beiträge: 169
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11.04.2012 19:28 ! von Max Sin
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Mit einfach war nicht unbedingt einfach gemeint.
Max
_________________ „Ich wollte ja nichts als das zu leben versuchen, was von selber aus mir heraus wollte. Warum war das so sehr schwer?“
- Hesse |
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derSibirier Reißwolf
D
Beiträge: 1250
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D 11.04.2012 19:59
von derSibirier
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Das ist sie, die Kunst des Schreibens:
Leicht verständlich, mit zutreffenden
und ungeahnten Worten.
Sibirier
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Gast
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11.04.2012 20:15
von Gast
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Hallo Jocelyn,
ich finde deinen Text sehr schön, verständlich, poetisch. Da hätte ich auch eine Menge Federchen spendiert.
Liebe Grüße
Monika
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Gast
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11.04.2012 20:57
von Gast
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Hallo,
ich bin begeistert. Wie man mit so wenigen Worten so viel ausdrücken kann. Hut ab!
LG
Dlurie
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MT Reißwolf
Alter: 52 Beiträge: 1090 Wohnort: Im Süden (Niedersachsens)
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12.04.2012 10:35
von MT
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Hi, Jocelyn,
ausgezeichnet! Ein wunderbarer Text.
Wie sagte Mark Twain? "Schreiben ist leicht. Man muss nur die falschen Wörter weglassen."
LGMT
_________________ Das Schicksal verzichtet oft auf Kommentare, es begnügt sich damit, zuzuschlagen.
Siegfried Lenz |
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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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14.04.2012 14:57
von Jocelyn
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Liebe LeserInnen,
war ein paar Tage weg, bin angenehm berührt davon, eure Zeilen zu lesen. Danke!
Das "sogar" sollte ich vielleicht wirklich weg lassen, Sibirier. Wird überdacht.
LG, Jocelyn.
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)
"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire) |
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Mr. Curiosity Exposéadler
Alter: 35 Beiträge: 2545 Wohnort: Köln
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14.04.2012 21:55
von Mr. Curiosity
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Hallo,
den Beitrag hätten wir auf jeden Fall zugelassen. Ich finde das Thema auch nicht zu vage umgesetzt. Schöne, stimmungsvolle Bilder, viel gesagt auf wenig Raum.
Auch ein starker Text, der es verdient hätte, beim PoKaPro auf den vorderen Plätzen zu landen. Schade, dass du ihn nicht einreichtest. Andererseits ist der Wettbewerb häufig unberechenbar, von daher schwer zu sagen, welche Position er am Ende eingenommen hätte.
LG David
_________________
"Wenn du Schriftsteller sein willst, dann sag, dass du der Beste bist ...
Aber nicht, solange es mich gibt, kapiert?! Es sei denn, du willst das draußen austragen."
(Ernest Hemingway in "Midnight in Paris") |
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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14.04.2012 23:46
von firstoffertio
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Dein Text (ver)birgt sehr viel in seiner Kürze.
Z.B. weiss ich nicht, worauf sich das "wir sehen sie nicht" in Relation auf
"So durchsichtig wie Bäume ohne Blätter stehen die Fragen an den Häuserfassaden" bezieht. Auf die Bäume oder die Fragen? Die Fragen hier finde ich ohnehin interessant. Was für Fragen sind das wohl?
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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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16.04.2012 15:41
von Jocelyn
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Mr. Curiosity hat Folgendes geschrieben: | Hallo,
den Beitrag hätten wir auf jeden Fall zugelassen. Ich finde das Thema auch nicht zu vage umgesetzt. Schöne, stimmungsvolle Bilder, viel gesagt auf wenig Raum.
Auch ein starker Text, der es verdient hätte, beim PoKaPro auf den vorderen Plätzen zu landen. Schade, dass du ihn nicht einreichtest. Andererseits ist der Wettbewerb häufig unberechenbar, von daher schwer zu sagen, welche Position er am Ende eingenommen hätte.
LG David |
Der Text entstand zum Ende der Befederungszeit, wäre also nicht rechtzeitig fertig gewesen. Danke für das Feedback. Freut mich.
@first...
Ja, der Text hat durchaus auch fragmentarische Elemente, die aber viel Raum lassen und hier nicht stören. Vielleicht ist das auch lyrische Prosa. Die doppelte Lesart gefällt mir. Vielleicht haben ja beantwortete Fragen Blätter, wer weiß es.
_________________ If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)
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Jocelyn Bernsteinzimmer
Alter: 59 Beiträge: 2251 Wohnort: Königstein im Taunus
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19.03.2014 07:37
von Jocelyn
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Hallo, vielen Dank. Habe das zufällig entdeckt und bin wirklich fast fassungslos und auch berührt. Vielen Dank für den Preis. Das mir, die ich schon wieder mein Passwort neu anfordern musste...
Ich sollte mal wieder schreiben, denke ich. Gestern ist mein Sohn ausgezogen. Ich schau mal, kann sein, dass ich bald die innere Muße finde, wer weiß?
Liebe Grüße Jelka.
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(Jim Croce)
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"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire) |
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