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Professor Urls Frauen


 
 
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wunderkerze
Eselsohr
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Beiträge: 384



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Beitrag07.02.2024 20:07
Professor Urls Frauen
von wunderkerze
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1
Vor ein paar Tagen erhielt ich eine WatsApp von meinem Freund
Sebastian Url. Darin lud er mich zum Sonntag, 15 Uhr, zu einem kleinen Cognac ein. Er habe da etwas, schrieb er, das er mir unbedingt zeigen müsse, außerdem sei er auf mein Urteil gespannt.
   Ich überlegte keine Sekunde. Eine Einladung Sebastian Urls, dem berühmten Erfinder und vorzüglichen Gelehrten, auszuschlagen, käme einem Sakrileg gleich.

   Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln führte er mich in sein Schlafzimmer.
    Auf dem Bett lag eine unbekleidete junge Frau mit allen Merkmalen weiblicher Schönheit und lächelte mich an.
   Url bat mich, näher zu treten; ich tat es – und was ich da sah, verschlug mir die Sprache.
   Um das Haupt der schönen Frau lag ausgebreitet der Strahlenkranz ihrer Haare, ein wahrer Heiligenschein, der im sanften Licht der rosa Schummerbeleuchtung wie Goldbronze leuchtete. Ihre Augen: Zwei schwarze Brunnen! Dann ihre Haut! O dieser betörende Schimmer, der, als sie ihre vollkommenen Schultern bewegte, in ein mattes Wachsgelb überging, das mir den Geschmack von Milch und Honig auf die Zunge zauberte.
    Nicht dass ich es gewagt hätte, dieses Wunder zu berühren! Doch Url forderte mich mehrmals dazu auf, und . . . nun ja, wie soll ich sagen – ich erlag seinem Drängen. Zumal die Dame augenscheinlich nichts dagegen hatte, denn sie sah mich auffordernd an. Zunächst strich ich mit den Fingerspitzen sanft über diese herrlichen Schulten – sie lächelte stärker – da griff ich beherzt zu, tastete und fühlte, fühlte und tastete mich weiter abwärts . . . Ich verspürte eine Beglückung, wie ich sie noch bei keiner Frau erlebt hatte. Die Haut war wunderbar weich und glatt, ja, mir fällt kein passenderer Vergleich ein: Wie die Seele einer Heiligen. Jetzt bot sie mir die Hand zum Kuss. Ich nahm sie, dieses zarte Gebilde aus geschmeidigem Elfenbein, meine heißen Lippen berührten zitternd jeden dieser herrlichen Finger, die so weich und feingliedrig aber auch ebenso kalt waren wie die Fühler einer Schnecke.
   Url forderte mich nun auf, ihren Busen zu betasten. Ich sah ihn verblüfft an und stotterte. „Ich . . . ich soll was?“ Die Dame, über meine Verblüffung sichtlich amüsiert, flüsterte lächelnd, ich solle diesem Befehl nur ohne falsche Scham nachkommen, sie habe nichts dagegen. Schon beugte sie sich zu mir herüber und präsentierte mir zwei perfekte Halbkugeln. O welch einmalige Gelegenheit! Ich griff zu . . . Fast schwanden mir die Sinne . . . Allerdings fühlte sich die Haut dieses Busenwunders irgendwie gummiartig leblos an, was ich aber der Überreiztheit meiner Sinne zuschrieb und nicht weiter beachtete.
   Nun bat mich der große Erfinder, Brust, Hüften und Oberschenkel herzhaft zu betasten und zu befühlen. Ich tat ihm auch diesen Gefallen, fühlte, knetete, massierte, was die Dame sichtlich genoss. Als ich genug gefühlt, geknetet, massiert hatte, erbat Url mein Urteil. Wahrheitsgemäß antwortete ich, dass ich keinen Makel gefunden hätte, alles sei von der allerbester Reinheit und der delikatesten Ausformung.  
   Url grinste zufrieden. Dann befahl er der Dame sich umzudrehen. Wie nicht anders zu erwarten, bot auch der Anblick ihrer Rückenpartie das angenehmste Vergnügen. Das schmale Band der Wirbelsäule lief in sanfter Wölbung auf die Gesäßfalte zu, deren abgründige Tiefe mir einen leichten Schwindel bescherte. Url befahl nun, sie möge sich mit angewinkelten Knien auf die Seite legen, und –  – oh, oh, oh, was sah ich da . . . Ich sah, ich erblickte, ich . . . ich . . . ich gewahrte das prächtigste aller weiblichen Hinterteile, ausgebreitet wie die Flügel einer aufgeklappten Muschel. Ihr Sitzfleisch wölbte sich äußerst vielversprechend, nichts war zu bemängeln, sogar ein kleiner, neckischer Leberfleck zierte das edle Gewölbe. Und gar der Lendenbogen . . . Wie das edle Auf und Ab der Silbermelodie einer Flöte. Noch heute bereitet mir die bloße Erinnerung an diese Köstlichkeiten schlaflose Nächte. Wie gerne würde ich in ihrer Beschreibung  fortfahren, doch ich fürchte, es könnte die Leserschaft ermüden. Also gehe ich kurzentschlossen zum nächsten Absatz über.
   Url bat mich, die Untersuchung bedenkenlos fortzusetzen, „Eulchen“ habe sicherlich nichts dagegen. Auf meinen fragenden Blick er klärte er, bei diesem Kosenamen habe nicht der Vogel, sondern der nachtaktive Schmetterling Pate gestanden.
   Nachtaktiv?
   Sofort stürzten meine Gedanken in eine bestimmte Richtung, die eine eigenartige Entdeckung in geradezu abenteuerliche Fantasie-Landschaften zwang. Als ich mich nämlich niederbeugte, um Eulchens rosige Schatztruhe genauer zu untersuchen – Url ließ mich nicht aus den Augen –, entdeckte ich, dass ihr Hinterpförtchen statt eines Schließmuskels so etwas wie eine Herzklappe besaß.    
   Meine Verblüffung war vollkommen, und Url genoss es. „Ha!“, rief er und klatschte wie ein kleines Kind in die Hände, „da staunst du, was? Das ist kein Fehler, sondern so gewollt! Schließlich kommt echte Liebe vom Herzen und geht zum Herzen!“ Dann erbat er ein Gesamturteil. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich mir nichts Reineres, Schöneres, Betörenderes, kurz: Verführerisches vorstellen könne, nichts sei zu bemängeln, alles sei von der allerbesten Reinheit, wie ich es in meinem Leben noch nie gesehen hätte und fügte hinzu: „Wenn da nicht diese kleine . . . äh, Fehlbildung wäre, könnte ich mich glatt in deine neue Freundin verlieben.“ Url lächelte süßsauer und sagte: „Ja, fast wäre mir ein Meisterwerk gelungen.“ Plötzlich füllten sich seine Augen mit Enttäuschung und Trauer.
   Ich sah ihn verwirrt an. Wie krass war das denn? Hatte er „Meisterwerk“ gesagt?
   „Hast du gerade Meisterwerk gesagt?“, fragte ich.
   Noch bevor ich mir tiefer gehende Gedanken machen konnte, bat er mich ins Wohnzimmer.
                                                                                    2
   „. . . die Idee, Frauen mit Hilfe eines 3D-Druckers herzustellen hatte ich, nachdem es mir gelungen war, ein lebendes Kaninchen auf diese Weise zu erzeugen. Der Weg dahin war nicht einfach, aber was ist schon einfach, wenn man Neues schaffen will. Und nebenbei, perfekt ist das Verfahren leider  nicht – doch davon später.“
   Url lehnte sich zurück, legte die Hände zusammen und fuhr fort: „Weißt du, im Prinzip ist es doch so: Ein Kotelett, ein Kaninchen, ein Mensch – alle bestehen aus denselben Grundbausteinen. Du musst zu ihrer Herstellung nur für die entsprechenden Zutaten sorgen. Die Technologie existiert bereits, meine Maschine zur Herstellung von Nahrungsmittel und menschlicher Schädeldecken arbeitet einwandfrei. Für die Erzeugung höherwertiger Produkte fehlten allerdings geeignete Programme. Bis jetzt, muss ich einschränkend sagen, denn . . . hmm . . . nun ja, es gelang mir dank meiner außergewöhnlichen Intelligenz und Willensstärke, in unzähligen durchdachten Nächten ein solches Programm zu entwickeln. Noch, ja noch bin ich weltweit der Einzige, der ein solches Programm besitzt. Ich sehe eine Zeit voraus, wo sich jeder, der über die nötigen Geldmittel verfügt, seine Frau oder von mir aus auch seinen Mann nach seinen Bedürfnissen drucken lassen kann.“
    Ich wollte etwas einwenden, doch Url ließ es nicht zu.
    „Du hast Mathilde, meine letzte leibhaftige Frau nicht wirklich kennengelernt, also muss ich deutlicher werden: Ein wahrer Putzteufel, der den Küchenboden zweimal am Tag mit der Zahnbürste scheuerte. Gut, ich übertreibe etwas, aber die Übertreibung erspart mir weitere Einzelheiten. Ich habe weiß Gott nichts gegen Perfektion. Hätte ich es sonst so weit gebracht? Aber Perfektionismus ist mir verhasst, er ist der Tod jeder Kreativität. Ich wollte nicht jeden Tag die Wäsche wechseln und kalt duschen. Wenn ich versuchte, ihr bei der Hausarbeit zu helfen, schrie sie mir ins Ohr: ‚Kümmere dich gefälligst um deine eigenen Angelegenheiten! Ich komme schon klar‘ Es war ein Martyrium! Dabei ging´s mir bei diesem Hilfsangebot gar nicht um den Haushalt! Ich wollte nur verhindern, dass sie jeden Abend wie mit Pflastersteinen behängt ins Bett sank. Und dann – von wegen heiße Nächte! Nun ja, lassen wir das.“
  Url trank sein Glas leer und schenkte sich wieder ein.
    „Was soll´s. Nobody is perfekt. Also gab ihr den goldenen Handschlag und fasste den Entschluss, meine Frauen in Zukunft unter dem Einsatz modernster Druck-Technologie nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Zunächst entwickelte ich ein Programm in Richtung gemütvoller Charakter. Auf´s Aussehen kam es mir dabei nicht an, hatte ich doch jahrelang unter einer so genannten gut aussehenden Frau gelitten. Ich muss sagen, das Ergebnis war zunächst ausgesprochen vielversprechend. Falterchen war die Gemütlichkeit in Person. Nichts konnte sie aus der Ruhe bringen, kein meterhoch gestapelter Abwasch, kein fleckenübersätes Hemd, kein noch so strenger Schweißgeruch. Sie saß da, lachte, grinste, lachte. Mir war´s nur recht, denn noch steckten mir Mathildes Putzorgien in den Knochen. Doch bald musste ich zu meinem Leidwesen feststellen, dass dieses gemütliche Wesen keinerlei höhere Interessen besaß und nur zu einfachsten Überlegungen fähig war. Im Fernsehen interessierte sie sich nur die alleroberflächlichsten Darbietungen. Nun ja, dachte ich, was soll´s, eine Frau muss nicht unbedingt mit Geist und Grips glänzen. Da gibt´s andere Möglichkeiten. Ich bat sie, in Gesellschaft möglichst wenig bis gar nicht zu reden, dafür aber vielsagend zu lächeln. ‚Lächle, mein Falterchen, mein Augenstern‘, sagte ich, ‚lächle, ein Lächeln zur rechten Zeit kann viel tiefes Verständnis vortäuschen.‘ Auch ein herzhaftes Lachen, geschickt untergebracht, erklärte ich ihr, ersetzt manchmal einen Wasserfall gescheiter Worte. Das ging auch lange gut – bis zu dem Abend, als sie bei einer blöden Bemerkung nicht mehr aufhören konnte zu lachen und ihre KI-Box einen Kurzschluss bekam. Irgendetwas bei Falterchens Programmierung war schiefgelaufen.“
   Url unterbrach sich kurz, wohl wegen einiger seltsamer Laute, die aus dem Schlafzimmer kamen. Doch schon redete er weiter. „Ich setzte mich also vor meinen Computer und änderte das Programm in Hinblick auf mehr geistreiche Beredsamkeit. Verstehe mich bitte nicht falsch. Ich halte Frauen, die ständig reden, nicht unbedingt für die weibliche Krone der Schöpfung. Aber ein wenig mehr als bei Falterchen sollte es schon sein. Auf Äußerlichkeiten legte ich wieder keinen besonderen Wert. Allerdings, als Schlampe sollte sie nicht herumlaufen, die neue Frau, deshalb reduzierte ich ihren Körper auf das Notwendigste. Gerade auf so viel, dass ich sie noch erkennen konnte. Es ging mir ja nicht um ihre Gesamterscheinung, sondern um ihren Mund, genauer, um das, was er zu sagen hatte.
   Zunächst war ich hellauf begeistert. Endlich war da jemand, mit dem ich mich auf gleicher Augenhöhe, wie man so sagt, austauschen konnte; für einen Mann von meinem Format keine Selbstverständlichkeit. Doch schon bald stellten sich ein paar bedeutende Kleinigkeiten ein, die nicht meinen Vorstellungen entsprachen. Da war zunächst ihre Angewohnheit, nicht in klar verständlicher Sprache, sondern in gedrechselten Versen zu reden. Die einfache Bitte, ihr den Salzstreuer zu reichen, geriet unversehens zum Sonett. Den Metztger verwirrte sie, weil sie ihm ihre Wünsche auf Lateinisch vortrug. Gut gut, das war kein Beinbruch, höchstens ein Stilbruch –“ Url lachte überlaut, als habe er gerade den Witz des Jahrhunderts gerissen – „ich gab ihr eine Haushaltshilfe an die Seite, die sieben Sprachen sprach. Nun ja . . . Aber das war nicht nur diese Kleinigkeit, die mir die Freude an ihr verdarb.“
   Url schenkte sich wieder ein und seufzte herzhaft. „Wenn es nur das gewesen wäre . . . Eine Marotte, wie sie in anderer Form wohl jeder von uns hat . . . Aber nein, aber nein, da war leider noch mehr . . . Auch in dieses Programm hatte sich offenbar ein Fehler eingeschlichen, weiß der Teufel, warum . . . Kurz: Jedesmal, wenn ich mit ihr intim werden wollte, wie man so sagt, fing sie an, antikes Schrifttum zu zitieren. Hast du eine Ahnung, wie viele Verse das Gilgamesch-Epos enthält?  Als sie in der ersten Nacht den letzten Vers sang, ging gerade die Sonne auf. Herrgottnochmal! Es war nicht nur ausgesprochen langweilig, sondern auch ausgesprochen lusttötend. Also musste ich mich leider, leider auch von Admiralchen trennen. Du kannst mir glauben, fast zerriss es mir das Herz. Irgendetwas im Programm –“
   „Nun zu Nönnchen. Was war das denn?“
   „Das kannst du laut singen! Ich will es dir sagen: Das war wieder so ein Reinfall, aber ich weiß jetzt, wo der Fehler lag. Zum Teufel! Ich wünschte mir endlich eine Frau mit Humor. Meine Verflossenen waren alle völlig humorlos gewesen. Mathilde hatte nur wie besessen geputzt, Falterchen nur geistlos gelacht, Admiralchen nur hochgestochen geredet – ich wünschte mir ein Wesen mit dem Gespür für Ironie, Heiterkeit und tiefere Bedeutung, kurz, mit Humor. Doch, statt Humor, wie im Programm vorgesehen, entwickelte Nönnchen immer mehr den Hang zu zweifelhaften Blödeleien. Wenn diese Zoten wenigstens ein Grinsen wert gewesen wären!! Ich muss dir nicht erklären, dass ein so genannter Herrenwitz nicht das geringste mit Humor zu tun hat, eher mit dem Gegenteil. Eine Weile machte ich das Spiel mit, schon um zu sehen, wie weit sie es treiben würde. Und . . . Und . . .“
   Url druckste herum und fuhr sich mit einem kratzenden Geräusch durch das stoppelbärtige Kinn. „Hmm . . . Nun ja, einem kräftigen Männerwitz bin ich nicht grundsätzlich abgeneigt. Weißt du, wenn man sich wie ich ständig in höheren Sphären bewegt, verspürt man zuweilen das dringende Bedürfnis, sich in die Niederungen des Trivialen zu begeben. Es ist sozusagen die saure Gurke, die einem das Tortenessen –“
   „Verstehe! Aber wieso saß denn Nönnchen plötzlich auf meinen Knien und versuchte, mich abzuküssen? Ich bin kein Moralapostel und dem Kuss einer Frau nie abgeneigt, aber das fand ich dann doch reichlich geschmacklos.“
   Url schüttelte den Kopf. „Es kam für mich genauso überraschend wie für dich! Als ich sie zuhause zur Rede stellte, konnte sie sich an nichts erinnern. Ich ging das Programm noch einmal mit der allergrößten Sorgfalt durch, und da fand ich den Fehler. Wütend schlug ich mich vor den Kopf: Ich hatte eine bedeutende Kleinigkeit übersehen. Mit meinem Verfahren kann ich zwar alle möglichen Dinge herstellen, Fleisch, Blut, Knochen, Sehnen und das ganze übrige Gekröse, aber nicht so etwas Unstoffliches wie Anstand oder Moral. Denn in den kernspintomografischen Unterlagen, die meinen Berechnungen zugrunde liegen, sind solche . . . ähem, Kleinigkeiten nicht enthalten. Du siehst, manchmal wird auch ein großer Mann zum Narren.“
   „Himmel! Willst du damit andeuten, diese Wesen könnten ohne Bedenken einen Mord begehen?“
   „Ich fürchte, es ist so.“
   „Wenn die Presse davon erfährt!“
   „Soll sie doch! Auch Menschen mit Moral morden. Außerdem existieren diese 3D-Frauen nicht mehr. Zumindest nicht in ihrer ursprünglichen Form.“
   „Rede bitte nicht in Rätseln!“
   „Ich habe sie nach der Trennung wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückverwandelt. Dazu brauchte ich nur die Löschtaste an meinem Spezialdrucker –“
   Die Schlafzimmertür ging leise auf, Eulchen erschien, mit ein wenig Tüll nur notdürftig bekleidet. Url sprang auf, flog ihr entgegen, steckte die Hand aus, da wisperte sie – –

    Nein nein nein! Ich habe mich nicht verhört, auch wenn ich von Herzen wünsche, es wäre so! Eulchen also wisperte kaum vernehmlich, aber doch so deutlich, dass ich es hören konnte. Mir standen die Haare zu Berge – –
   Eulchen also wisperte mit der unschuldigsten Miene der Welt, sie sagte – Zum Henker! Ich kann es immer noch nicht glauben! Also sie sagte: „Papi, ich muss mal Pi-pie!“
   Ja, sie sagte allen ernstes: „Papi, ich muss mal Pi-pie!“

   Ende folgt

12Wie es weitergeht »




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wunderkerze
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Arminius
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Beitrag07.02.2024 20:59

von Arminius
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Hallo wunderkerze,
die Geschichte hat mich sofort mitgerissen (liegt vielleicht daran, dass ich als Biologe schon von solchen Zelldruckern gelesen habe).
Es gibt zunächst praktisch nichts, was den Lesefluss in irgendeiner Weise beeinträchtigt. Bis zu dieser Stelle:

„Nun zu Nönnchen. Was war das denn?“
   „Das kannst du laut singen! Ich will es dir sagen: Das war wieder so ein Reinfall, aber ich weiß jetzt, wo der Fehler lag. Zum Teufel! Ich wünschte mir endlich eine Frau mit Humor. Meine Verflossenen waren alle völlig humorlos gewesen. Mathilde hatte nur wie besessen geputzt, Falterchen nur geistlos gelacht, Admiralchen nur hochgestochen geredet – ich wünschte mir ein Wesen mit dem Gespür für Ironie, Heiterkeit und tiefere Bedeutung, kurz, mit Humor. Doch, statt Humor, wie im Programm vorgesehen, entwickelte Nönnchen immer mehr den Hang zu zweifelhaften Blödeleien. Wenn diese Zoten wenigstens ein Grinsen wert gewesen wären!! Ich muss dir nicht erklären, dass ein so genannter Herrenwitz nicht das geringste mit Humor zu tun hat, eher mit dem Gegenteil. Eine Weile machte ich das Spiel mit, schon um zu sehen, wie weit sie es treiben würde. Und . . . Und . . .“
   Url druckste herum und fuhr sich mit einem kratzenden Geräusch durch das stoppelbärtige Kinn. „Hmm . . . Nun ja, einem kräftigen Männerwitz bin ich nicht grundsätzlich abgeneigt. Weißt du, wenn man sich wie ich ständig in höheren Sphären bewegt, verspürt man zuweilen das dringende Bedürfnis, sich in die Niederungen des Trivialen zu begeben. Es ist sozusagen die saure Gurke, die einem das Tortenessen –“
   „Verstehe! Aber wieso saß denn Nönnchen plötzlich auf meinen Knien und versuchte, mich abzuküssen? Ich bin kein Moralapostel und dem Kuss einer Frau nie abgeneigt, aber das fand ich dann doch reichlich geschmacklos.“
   Url schüttelte den Kopf. „Es kam für mich genauso überraschend wie für dich!


Ich gestehe, da hakt es bei mir aus. Wieso weiß der Ich-Erzähler plötzlich von Urls Schöpfungen, ja sogar den Namen? Zuvor dachte ich, er ist ahnungslos. Habe ich etwas überlesen bzw. übersehen?
Gern gelesen, aber wie gesagt: etwas verwirrt.

P.S. Also gab ihr den goldenen Handschlag Da fehlt das Personalpronomen.


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wunderkerze
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Beitrag07.02.2024 22:21

von wunderkerze
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Danke, Arminius, für die Hinweise.
„Nun zu Nönnchen. Was war das denn?“
Es muss heißen: „Nun zu Nönnchen, der . . . äh, Erscheinung, die du mir vor einem halben Jahr vorgestellt hast. Was war das denn? War das auch ein Programmierfehler?“
(Zur Erklärung: Die ursprüngliche Erzählung ist erheblich länger; da muss der Ich- Erzähler alle diese Geschöpfe persönlich begutachten, was ich weggekürzt habe. Der Bruch ist meiner Aufmerksamkeit leider entgangen. Ich bitte um Entschuldigung).


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Arminius
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Beitrag07.02.2024 22:27

von Arminius
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wunderkerze hat Folgendes geschrieben:
Die ursprüngliche Erzählung ist erheblich länger; da muss der Ich- Erzähler alle diese Geschöpfe persönlich begutachten

Hab ich mir fast gedacht...
Ein erklärender Zweizeiler am Anfang kann nie schaden Wink


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wunderkerze
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Beitrag11.02.2024 15:46

von wunderkerze
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3
    Zunächst verfiel ich in eine Art Schockstarre, dann erfasste mich eine rasende Wut. „Url!“, schrie ich, „was hast du mit dieser Frau angestellt?“
   Url breitete die Arme aus wie ein Priester vor dem Segen. „Lieber Freund“, säuselte er, „was regst du dich auf! Ich will es dir ja erklä –“
   „Nenne mich nicht länger deinen Freund!“, brüllte ich, bebend vor Zorn, „du bist ein Ungeheuer, ein Scharlatan, ein Monstrum, ein . . . ein . . . eine Bestie! Eine erwachsene, wunderschöne Frau in der Blüte ihrer Jahre benimmt sich wie ein unmündiges Kind . . . Sie lässt sich, ach!, befühlen, betasten, wie ein . . . wie eine Hure! Ich fasse es nicht . . . Du hast ihr aufs Schändlichste die Scham geraubt, ihr die Würde genommen. . . Jetzt verstehe ich . . . Oh, wäre ich dir doch schon früher auf die Schliche gekommen! Ich hätte . . . Ich hätte –“
    „Was hättest du? Die Bestie erschossen? Bitte, tu dir keinen Zwang an!“ Url schloss eine Schublade auf, nahm eine Pistole heraus, legte sie auf den Tisch. „Da! Bedien dich! Geladen ist sie! Du musst nur noch entsichern!“   
   Diese Kaltschnäuzigkeit brachte mich endgültig aus der Fassung. „Sebastian Url!“, schrie ich wie ein Besessener, „du hast Gott gelästert auf die schändlichste, unwürdigste, perfideste Weise! Schweig! Jetzt rede ich! Du hast, um deine perversen Gelüste zu befriedigen, die Schönheit auf dem Altar deiner obskuren Wissenschaft geopfert. Ja, ich habe verstanden! Du wolltest die perfekte Frau, ohne die Unvollkommenheiten, die dem Menschen eingeboren sind! Ohne seinen Verstand, Segen und Fluch zugleich! Du wolltest nicht Verständnis, du wolltest Unterwürfigkeit! Ha! Bist du Gott, dass du es wagst, Wesen nach deinem Geschmack zu erschaffen? Nein, du bist nicht Gott! Du bist auch kein Wahnsinniger! Du bist ein mieser, gemeiner, schamloser –“  
   „Genug!“, rief Url, „Schluss jetzt! Du redest wie ein Priester, der zu viel Messwein getrunken hat, so kenne ich dich ja gar nicht!“
   Er ließ sich in einen Sessel fallen. „Setz dich! Was redest du da . . . Pah, Scham! Wer schämt sich denn heute noch? Scham ist eine aussterbende Tugend. Da ist die Politikerin, der ein Plagiat nachgewiesen wird, also Betrug. Schämt sie sich? Nein, sie strebt in aller Öffentlichkeit ein höheres Amt an. Da ist der hochbezahlte Bankmanager, der sein Institut vor die Wand fährt. Ein Schädling übelster Sorte. Ha! Schämte er sich? Nein, er kassiert Millionen und hinterlässt den Schrotthaufen dem Steuerzahler . . . Und, und, und. Also was regst du dich auf? Der Mensch sündigt, weil er sündigen muss, also sündigt er nicht wirklich. Übrigens, deine Entrüstung verstehe ich nicht. Mein lieber . . . du hast doch vorhin ziemlich bedenkenlos zugegriffen.“  
   Ich sah ein: Mit diesem Mann zu streiten hat keinen Zweck. Unversehens zieht er ein Argument aus dem Zylinder, das einen matt setzt.
    „Ich wünschte jetzt, ich hätte es nicht getan“, gestand ich kleinlaut. „Aber auch der Gerechteste sündigt sieben Mal am Tag. Und wie sagtest du doch gerade so schön? Der Mensch sündigt, weil er sündigen muss, also sündigt er nicht wirklich. Und ich . . . Nun, für einen ungebundenen Mann wie mich ist es keine Schande, einer schönen Frau zu erliegen. Außerdem tat ich es nur dir zuliebe, ich tat es aus Freundschaft, nicht in verwerflicher Absicht. Aber du . . . Aber du wolltest sein wie Gott, das ist keine Schande mehr, dass ist Verrat an –“
   „Quatsch! Nun übertreib doch nicht maßlos! Auch wenn ich deinem Gott ein wenig auf die Finger geschaut habe, will ich nicht wie er sein. Gottes Geschäfte sind unrentabel. Schlimmer noch, er steht auf verlorenem Posten, schon mindestens seit zweitausend Jahren. Die Welt wird und wird nicht besser.“
   „Rede keinen Unsinn.“ Ich setzte mich. „Was ist mit dieser Frau da geschehen?“
   `Diese Frau da‘ kauerte in einem Sessel und blickte Url verständnislos an.
    „Mit Eulchen wollte ich –“
   „Nenne sie noch einmal Eulchen“, zischte ich mit Blick auf die Pistole, „und ich erschieße dich tatsächlich! Gib ihr gefälligst einen menschenwürdigen Namen!“
   „Na gut, wie du willst! Nennen wir sie also Eva. Eva, bevor sie den Apfel pflückte. Mit dieser Frau wollte ich –“
   „Papi, es ist dringend!“
    Wir blickten zum Sessel. Eva, in aller Unschuld! Hatten wir sie im Eifer des Wort-Gefechts doch glatt vergessen.

                                                                                    4
   Jetzt geschah etwas, das mich völlig überraschte: Url, der Titan der Wissenschaft und normalerweise die Ruhe selbst, verlor die Nerven. „Dann geh doch aufs Klo, du blöde Kuh, oder piss die Wand an!“, schrie er wütend, „verschwinde, hopp, hopp, hopp!“
   Eva stand auf und verließ schmollend den Raum, wobei ich alle Mühe hatte, meinen Blick von ihrem prächtigen Hintern zu lösen. Wieder so ein Basalreflex, der uns Männer knechtet.
   „Mit . . . ähem . . . Eva wollte ich die abstrakte Idee der vollkommenen Schönheit verwirklichen“, plapperte Url, nun wieder ruhig. „Ich hatte genug von der verstörenden Einfalt des Durchschnittlichen. Jede der Vorgängerinnen Evas war mir nach einiger Zeit auf die eine oder andere Weise unerträglich. Mein Herz lechzte nach Schönheit. Zunächst versuchte ich, mir die absolute, gestaltlose Schönheit in meinen Tagträumen vorzustellen. Doch ich musste bald einsehen, dass sogar meine Geistesstärke dazu nicht in der Lage war, so heiß ich es auch ersehnte. Da hörte ich eines Tages im Radio zufällig eine Klaviersonate von Mozart.“
   Url nannte irgendeine Zahl, die ich vergessen habe.
   „Und dann, beim zweiten Satz, beim Adagio . . . Plötzlich – entschuldige die triviale Wendung – plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Da war sie, die reine, erhabene, schlackenlose Schönheit, nach der ich so lange gesucht hatte! Das schwerelose Auf und Ab der schlichten Melodie entsprach den Umrissen eines Frauenkörpers. Sofort machte ich mich daran, ein entsprechendes Programm zu entwickeln.“                                                                   
   Url hatte schon seit längerem auf die die Pistole gestarrt. Jetzt nahm er sie auf und hielt sie mir hin. „Möchtest du noch?“
   „Werde nicht albern!“
    Er legte sie wieder auf den Tisch. „Ich weiß, dass ich meinen Geschöpfen weder Moral noch Seele einimpfen kann“, fuhr er fort, „doch ein gewisses Kunstverständnis, dachte ich, müsste doch möglich sein, denn das ist keine Angelegenheit der Seele, sondern der Bildung, somit des Gehirns. Wenn ein vollkommener Frauenkörper Musik ist, überlegte ich, dann sollte mein Geschöpf auch musikalisch sein. Also besorgte ich mir kernspintomografische Aufnahmen einer Pianistin, die kürzlich im gesegneten Alter von zweiundneunzig Jahren gestorben ist, und studierte ihre Hirnstruktur. An einer Stelle ihres Kleinhirns fand ich ein Schwarzweiß-Feld, das entfernt Ähnlichkeit mit einer Klaviertastatur aufwies. Besser konnte es nicht laufen! Du weißt, dass ich selber die Geige kratze und mir immer eine Klavierbegleitung im Hause gewünscht habe. Nun war es so weit. Ich übertrug diese Struktur in mein Programm zur Herstellung Eul . . . äh . . . ich meine natürlich Evas . . . reg dich bitte nicht schon wieder auf! Also kurz und gut: Eva spielt Klavier, und zwar nicht schlecht.“
   „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet“, sagte ich scharf, „was ist mit diesem Geschöpf geschehen?“
   Url knetete verlegen seine Fingerknöchel. „Wenn ich das wüsste“, antwortete er dumpf. „Ich hatte ihr Verhaltensinventar auf `Grande Dame` mit den feinsten Manieren ausgelegt. Doch wieder muss etwas schief gelaufen sein. Nicht nur die Herzklappe am falschen Ort, auch ihr Benehmen kann ich mir nicht erklären. Von einer Sekunde auf die andere fällt sie in eine Art frühkindliche . . . wie soll ich sagen . . .“
   Url schwieg bedrückt und goss sich sein Glas voll. „Außerdem ist sie Alkoholikerin.“  
   Die Tür ging auf, eine schlanke, fantastisch aussehende Dame erschien. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich Eva, in engen Jeans und knapper Bluse, was ihre Reize geradezu ins Maßlose steigerte. Sie beachtete weder Url noch mich, sondern steuerte schnurstracks auf die Cognacflasche zu, die sie ergriff und an den Mund setzte. „Vögelchen, bitte jetzt nicht!“, rief Url, sprang auf und nahm sie ihr wieder ab. „Unser Gast möchte gerne etwas von deiner Kunst hören!“ Er sah mich bittend an, und ich widersprach nicht. Was tut man nicht alles für einen guten Freund, besonders, wenn er Sebastian Url heißt.
                                                                       5
   Wir gingen ins Musikzimmer, Eva setzte sich an den Flügel, Url stellte sich wie ihr Manager in die Kurve des Instruments. „Vögelchen . . . äh, Eulchen spielt zunächst –“
    „Url!“, rief ich streng, „bitte!“
   Er glotzte mich kurz an. „Entschuldige! Eva spielt zunächst eine Sonate von Mozart.“ Er nannte irgendeine Zahl, die ich vergessen habe, und Eva legte los.
   Damit wir uns nicht missverstehen. Ich kann sehr gut unterscheiden, ob jemand unsauber oder falsch spielt. Unsauber heißt: Haarscharf daneben gegriffen, aber die Note war schon die richtige – etwa auf der Geige. Url nun, der Meister in allen Lebenslagen, kann beides: Unsauber und gleichzeitig falsch spielen, und ohne die Miene zu verziehen. –
   Mittlerweile hatte Eva ihren Vortrag beendet. Url klatschte Begeisterung, stürzte auf sie zu und umarmte die wackere Pianistin. Aufatmend wollte ich mich schon erheben, da verkündete er: „Wir spielen jetzt ein Duo, und zwar eine Zigeunerweise von Sarasate, Opus –“
   An die Darbietung erinnere ich mich nicht mehr, dafür aber um so intensiver an Evas Allerwertesten, der auf dem leicht gewölbten Klavierhocker den Anblick einer überreifen Birne bot. Dieses edle Körperteil bog sich im Rhythmus der Darbietung, je nachdem, in welche Richtung die Hände seiner Besitzerin flogen. Doch nicht nur der Anstand verbietet mir, hier ins Einzelne zu gehen, sondern auch der Umstand, dass jetzt etwas sehr Eigenartiges geschah: Die Klänge, die Eva aus dem Flügel hämmerte und Url aus der Geige kratzte, verloren in zunehmendem Maße den Zusammenhalt; mir schien, als verfolge jeder der Möchtegern-Virtuosen verschiedene Ziele. Ich saß wie versteinert und traute meinen Ohren nicht. Allmählich wurde mir klar: Das war nicht länger Zweisamkeit, das war Feindschaft, das war Kampf, das war Krieg. Hat Url eben wirklich Sarasate angekündigt, dachte ich bestürzt, oder war das ein Versprecher? Heißt der Komponist in Wirklichkeit vielleicht Sarazene? Diese Leute sollen ja mit ihren Feinden nicht gerade zimperlich umgegangen sein. Schon sah ich Url geigeschwingend auf das Tastentier eindreschen, vernahm das knisternde Geräusch splitternden Holzes sowie das Stahlgewitter zerspringender Saiten –
   – da legte Url mit einem leisen Fluch die Geige auf den Flügel, der Schlachtenlärm brach ab, Eva brach in Tränen aus und ließ einen leeren, aber stark erhitzten Klavierhocker zurück.
   „Entschuldige“, sagte er, „hätte ich das geahnt, dann hätte ich –“
   „Hätte hätte Senfbulette“, unterbrach ich ihn. Ich hatte die Nase gestrichen voll. „Mach dir deswegen keinen dicken Hals. Es ist doch genau das geschehen, was du angekündigt hast. Ihr habt einige Zigeuner zu Waisen gemacht!“
   Wir schieden nicht im Zorn, aber auch nicht in alter Freundschaft.

                                                                               6
   Tags darauf schickte Url mir eine Nachricht, die ich leider nur unvollständig wiedergeben kann.
   „Lieber Alexander“, schrieb er, „da ich dich nicht mehr Freund nennen darf, muss es bei dieser Anrede bleiben. Als du nach dem missglückten Duo aus dem Haus stürztest und die Tür zuknalltest, klang es wie ein Schuss. Ich achtete nicht darauf, denn ich war zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt. Nach einiger Zeit kam aus dem Wohnzimmer ein leises Wimmern, das immer mehr Ähnlichkeit mit einem spitzig hohlen Gelächter annahm. Die Pistole, schoss es mir durch den Kopf, sie liegt noch auf dem Tisch! Ich rannte ins Wohnzimmer: Da hockte Eva auf einem Berg Kissen, die Pistole in der Hand, und lachte, dass ihr die Tränen auf den Busen tropften. In der Pistole steckten Lachgaspatronen; Lachgas führt in kürzester Zeit zur Auflösung dieser 3D-Körper – eine Vorsichtsmaßnahme, sollte ich aus Versehen einen Mörder programmieren. Ich rannte in mein Büro nach der Flasche mit dem Sauerstoff; als ich zurückkam war es bereits zu spät. Eulchen – ich meine natürlich Vögelchen, begann bereits, sich aufzulösen. Sie zerrann mir buchstäblich unter den Händen –“
   An dieser Stelle ging mein Handy aus, diese unselige Ausgeburt einer übertriebenen Technikgläubigkeit: Akku leer.
   Ich rief über Festnetz Urls Büro an; doch seine Sekretärin sagte, der Professor sei vor zwei Stunden nach Fernost aufgebrochen, wohin genau, wisse sie nicht.
Ende des ersten Teils

« Was vorher geschah12



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wunderkerze
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