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anderswolf Reißwolf
Beiträge: 1069
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26.11.2020 17:59 Schattengäste von anderswolf
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Ich öffne die Tür und trete ein
in dies alte Haus der Stille,
und mich umfängt und mich verschlingt
gleich einer großen Welle,
gleich einem schwarzen Loch
das Auge im tosenden Sturm und doch
ersticke ich und sterbe fast
in dieser Nacht voll totem Grau
als mein eigner Schattengast.
Du öffnest und du suchest mich
in meinem kalten Herz voll Qual;
ich fasse und ergreife dich
und ziehe dich mit Donnerhall
in meine Tiefe ohne Ende.
Oh! würden diese Wände,
die einst ein Haus gewesen,
keine Stimmen, keine Namen,
keine Erinnerung mehr tragen!
Oh! hätte doch ein jeder Traum sein Ende!
Einst majestätisch das Portal,
doch jetzt gespalten voller Qual,
birgt nur noch Schatten voller Pein:
Arme Schatten, die mein Herz
erfüllen nur mit scharfem Schmerz
und die mit kalten Stimmen schrei’n.
Schatten der Vergangenheit
raunen meine Namen
mit leisen, rauen Klagen
und stehen nur und schauen nur
von Ewigkeit zu Ewigkeit
mit ihren Augen voller Fragen.
Der Morgen graut
nah dieser stillen Nacht
und langsam leert sich die Ruine.
Schattengast um Schattengast
verliert von seiner Schattenmacht,
bis er sich auflöst und verblasst.
23 Jahre ist das alt, und 17 Jahre alt war ich damals. Stolz außerdem, so sehr von mir selbst bewegt, dass ich den Text unbedingt bei einer Soiree meiner Schule vortragen musste. Heute schwanke ich zwischen dem Gefühl von Jugendsünde und der Begeisterung für mein jugendliches Ich, das so gefestigt war im Glauben an das eigene Talent.
Warum ich es jetzt in den Lyrik-Einstand stelle? Weil ich erstens zwei Gedichte Vorsprung brauche, um die Werkstatt für mich freizuschalten, und weil ich zweitens eine mäßige Beziehung zu Lyrik habe (siehe Kokon). Drittens kommt ein Schwarzes Loch drin vor, was mit Nichts. Alles. aktuell scheint, aber nur Zufall ist.
Das zweite Gedicht wird dann wohl das sein, an dem ich derzeit arbeite (mit hoffentlich größerer Kunstfertigkeit. Oder auch nicht. Was weiß ich schon.)
Über Feedback freue ich mich natürlich so oder so. Vielleicht ist ja noch was zu retten.
Weitere Werke von anderswolf:
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Windes_Urpoesie Gänsefüßchen
Alter: 27 Beiträge: 27 Wohnort: Europa
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27.11.2020 21:08
von Windes_Urpoesie
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Lieber anderswolf,
dein Name verrät es mir schon irgendwie.
Wenn man sich auf das Dunkle einlässt, - gewiss spricht ein Zauber daraus, so wie ich den Zauber in deinem Gedicht finden konnte.
Es erinnert ein wenig an Baudelaire, dessen Name ja auch schon dunkeltief wie die Nacht klingt.
Man wünscht sich gleichsam etwas in seiner Brunnenstube zu sterben,
doch dann, zum Glück, ein versöhnendes Ende.
Danke dir.
_________________ Wie ein Irrlicht schwebt die Traumfigur des Windes durch die Weltgeschichte. Folgt seiner alten Weise, und geht mit mir zusammen auf die Reise. Wir treffen uns am Portal der Himmelsschneise. |
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anderswolf Reißwolf
Beiträge: 1069
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30.11.2020 14:16
von anderswolf
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Windes_Urpoesie hat Folgendes geschrieben: | Lieber anderswolf,
dein Name verrät es mir schon irgendwie.
Wenn man sich auf das Dunkle einlässt, - gewiss spricht ein Zauber daraus, so wie ich den Zauber in deinem Gedicht finden konnte.
Es erinnert ein wenig an Baudelaire, dessen Name ja auch schon dunkeltief wie die Nacht klingt.
Man wünscht sich gleichsam etwas in seiner Brunnenstube zu sterben,
doch dann, zum Glück, ein versöhnendes Ende.
Danke dir. |
Danke Dir, dass Du meinen Text gelesen und in ihm etwas gefunden hast, das in Dir etwas zum Klingen bringt. Die Assoziation zu Baudelaire hat mich zunächst überrascht, dann aber doch erreicht (sein Wikipedia-Artikel enthält die Zwischenüberschrift "Der alternde Dandy", das hat mich überraschend getroffen).
Tatsächlich erzählt mir mein Text mittlerweile mehr über mich, als ich damals beim Schreiben in ihn hineinlegen wollte. Und was am Ende in der Brunnenstube stirbt, sind vielleicht nur die Erinnerungen an ein anderes, tragischeres Leben.
Danke nochmals für die Beschäftigung mit meinen "Schattengästen".
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Nina Dichterin
Beiträge: 5012 Wohnort: Berlin
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26.12.2020 10:36
von Nina
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Lieber anderswolf,
mir gefällt Dein frühes Gedicht. Es klingt! Ich habe es zwei Mal gelesen, mir ist eigentlich nur eine eine Stelle aufgefallen, an der ich ein Wort nur leicht verändern würde, und zwar gleich in der ersten Strophe heißt es:
Zitat: | Ich öffne die Tür und trete ein
in dies alte Haus der Stille, |
da würde ich "dieses" anstelle von "dies" setzen. Aber das ist Geschmackssache. Ansonsten würde ich es so lassen, wie es ist. Ich finde, Du hast ein gutes Gespür für Sprache und den Inhalt hast Du interessant gestaltet.
Ich freue mich auf mehr Lyrik von Dir!
Liebe Grüße
Nina
_________________ Liebe tut der Seele gut. |
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dürüm Wolf im Negligé
Alter: 46 Beiträge: 966 Wohnort: Cape Town
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26.12.2020 12:10
von dürüm
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Hallo anderswolf,
Wow. Mit siebzehn habe ich sowas noch nicht geschrieben.
Chapeau.
Ich bin nicht wirklich der Experte für Metrik, aber mir fällt auf, dass ich beim lauten Lesen ab und zu über die Betonung stolpere.
D.h. ich würde eventuell tatsächlich einmal Silben und Betonungen markieren und damit spielen, um den Fluss noch gleichmäßiger zu machen.
Aber insgesamt habe ich auch Lust auf mehr!!
Gruß
Kerem
_________________ Versuchungen sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie wiederkommen.
(Oscar Wilde)
Der Willige wird vom Schicksal geführt. Der Störrische geschleift.
(Seneca) |
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anderswolf Reißwolf
Beiträge: 1069
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29.12.2020 17:58
von anderswolf
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Hallo Nina, hallo Kerem,
vielen Dank für Eure sehr positiven Gedanken zu meinem "Altwerk".
Die Metrik (und dadurch das "dies"/"dieses" gleich in der zweiten Zeile) ist wirklich nicht ganz unproblematisch, und ich frage mich mittlerweile, wie ich das rezitiert habe damals auf der Bühne. Jetzt stolpere ich beim Lautlesen dauernd, werde mal schneller und langsamer, und dann achte ich auch noch auf den (wie ich mittlerweile finde) überpathetischen Inhalt...
Ich bin aber auch ein bisschen überkritisch, denke ich. Gleichzeitig weiß ich aber nicht, ob ich da allzu viel ändern könnte. Immerhin ist das Gedicht ja jetzt doch schon recht alt, und ich habe keine Ahnung, ob ich mich jemals wieder in diese Gedanken einfühlen kann, denen dieses Gedicht entsprungen ist. Oder ob ich das will.
Habt trotzdem vielen Dank für Euer Feedback. Es freut mich, dass die "Schattengäste" tatsächlich noch berühren können.
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Peter0185 Gänsefüßchen
Alter: 39 Beiträge: 18 Wohnort: Heppenheim
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07.09.2021 19:01
von Peter0185
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Hallo anderswolf,
Dein Gedicht „Schattengäste“ erinnert mich an eine Reise in das Innere eines Selbst, und den Umstand, sich mit seinem eigenen Wesen auseinanderzusetzen.
Die dritte Strophe ist im Konjunktiv geschrieben. Vielleicht ein Versuch, Unangenehmes zu verdrängen. Die Begegnung mit seinen Schatten kann faszinieren „Einst majestätisch das Portal“, und ferner einen Menschen an den Rand seiner Existenz bringen: „ersticke ich und sterbe fast.“
Dennoch spricht das lyrische Ich diesen unsterblichen Schatten gewisses Mitleid zu: „Arme Schatten“ sowie deren Wunsch verstehen zu wollen: „mit ihren Augen voller Fragen.“ Schließlich überwindet das lyrische Ich seine Vergangenheit.
Falls meine kleine Interpretation zutrifft, dann halte ich die Botschaft Deines Gedichtes für gelungen. Den Wunsch, eins zu sein. Sich mit den Schattenseiten des eigenen Lebens auseinanderzusetzen. Ängsten mit Verständnis und Mut gegenüberzutreten, bis sie die Macht über einen verlieren: „bis er sich auflöst und verblasst.“
LG
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anderswolf Reißwolf
Beiträge: 1069
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09.09.2021 18:25
von anderswolf
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Hallo Peter,
vielen Dank für deine Interpretation meines Gedichtes. Schätzungsweise dürfte sie ziemlich zutreffend sein, auch wenn ich aus der zeitlichen Entfernung von fast zweieinhalb Dekaden meine ursprüngliche Intention beim Dichten natürlich nicht mehr direkt bei der Hand habe. Meinem Verständnis von 1997 nach entsprang Lyrik einem obskuren Quell in der Tiefe der Seele. Und war dann eben einfach da. Hintergedanken oder gar Tiefe waren nicht vorgesehen.
Eine Botschaft habe ich also nicht zu bestätigen.
Gleichwohl deckt sich deine Deutung mit dem Leben, das ich mit 17 führte, mit den Gedanken, die ich wohl auch dachte, und der Veränderung, die sich in mir grundsätzlich vollzog. Tatsächlich erlebte ich damals eine Auseinandersetzung mit dem, was ich in jüngeren Pubertätsjahren noch Dämonen genannt hätte, was aber nach der Lektüre von Joan Aikens gleichnamigem Roman "Schattengäste" wurden: Abziehbilder früherer Traumata, Verwaschungen von Schmerzpunkten.
Schätzungsweise also habe ich diesen mehr oder weniger bewussten Abschied von längst obsoleten, aber dennoch fühlbaren Verletzungen, sprich Narben in dieses Gedicht gekippt; deine Interpretation zu lesen verdeutlicht mir mehr als der Text selbst, wie sehr sich diese Gefügeverschiebung in Worte gegossen hat.
Deinem Fazit also, dass nur die Auseinandersetzung mit den Teilen in uns, die uns Angst machen, uns zu einem vollständigen Menschen erwachsen lässt, würde ich zustimmen. In Bezug auf das Gedicht und auf das Leben.
Vielen Dank für deine Auseinandersetzung mit einem Text, der mir aus vielen Gründen viel bedeutet; deine Worte haben mir einen Grund mehr gegeben, ihn zu mögen.
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Peter0185 Gänsefüßchen
Alter: 39 Beiträge: 18 Wohnort: Heppenheim
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10.09.2021 18:41
von Peter0185
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Hallo anderswolf,
vielen Dank für Deine Ausführungen. LG und ein schönes Wochenende
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