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Pencake Exposéadler
Alter: 55 Beiträge: 2364 Wohnort: Hamburg
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17.05.2017 12:10 Schichtwechsel von Pencake
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Der Junge mit den breiten Schultern klopft stolz auf das Autodach. Ich kenne solche zerfurchten Visagen. Wrestler-Akne nennen sie das in Chuck’s Box Gym unten am Hafen. Der Trapezmuskel des Babys im Körper eines Monsters spannt sich zu beiden Seiten des Nackens in einem Winkel, mit dem Extrembergsteiger ihre Schwierigkeiten hätten. Er streut ein helles Lachen ins gleißende Sonnenlicht, blickt vertrauensselig zu mir rüber.
„Das ist das heißeste Gerät, das ich je angefasst habe“, sein Bizeps liegt wie ein Spanferkel auf der verchromten Dachreling.
Falsch, denke ich, als sie hinter ihm aus dem Blechcontainer kommt.
In mir läuft dieser Film. Alle Schrottteile des Autohofs bemerken sie, schnellen aus ihrem bleiernen Schlaf und richten sich stramm auf, um ihr Respekt zu zollen. Sie macht einen Schritt und alles Metall dieser Halde fliegt wie magnetisch angezogen in ihre Richtung. Einen Meter von ihrem Körper entfernt bleiben sie in der Luft hängen und bilden einen vibrierenden Ring, der um sie kreist. Auch ich bin jetzt aus Metall. Wie ferngesteuert öffne ich meinen Mund, will etwas sagen. Stattdessen bewegen sich meine Beine vollautomatisch, mein Körper gleitet auf sie zu.
Ihre Haare schwarze Flammen, die aus ihrem Kopf schlagen. Ihr Mund eine Frucht, die sich öffnet, um mein Gebet einzusaugen. Ihre Augen zwei Tiere, die mich mit aufgerissenem Rachen niederbrüllen. Ich stehe dicht vor ihr, mein Fleisch öffnet sich, Häute reißen, Knochen brechen, als meine Körpermaterie in meinem Schwanz verwirbelt. Ihre Beine, zwei Schlangen, gleiten auseinander und nehmen meinen pochenden Rest auf. Ich bin in ihr, mit allem, was ich habe, explodiere wie eine Handgranate.
„Ein pures Monster, Ford Mustang Shelby“, das Geräusch einer Autotür, die geöffnet wird, bringt mich zurück auf den Autohof.
„780 PS. Classic Recreations, kennst du bestimmt. Tuner aus Yukon, Oklahoma. Hat dem Schätzchen nen neuen V8-Motor verpasst. Ahhh, was ein Gerät.“
Ricky, der Auto-Checker, sitzt jetzt hinter dem Lenkrad. Von hier aus sieht er aus wie eine aufgespritzte Weinbergschnecke, die sich auf den Autositz verirrt hat.
Ich sehe sie an. Sie erwidert meinen Blick, fragend. Ich nicke leicht, knie nieder, stelle den Lederkoffer auf dem festgestampften Kieselboden ab. Eine Staubwolke Richtung Horizont verkündet den Schichtwechsel in der Zuckerfabrik. Ich öffne den Koffer, nehme die Trompete raus, schlender zum Auto rüber. Es riecht nach Benzin, ich habe einen metallischen Geschmack auf der Zunge.
Ricky sagt irgendwas. Ich höre nicht zu, stelle mich vor die ewig lange Motorhaube. Wieder höre ich Ricky, es klingt aggressiv. Ich zucke mit den Schultern, setze die Trompete an die Lippen. Ich bin kein Krieger, ich bin Musiker.
Mein Mund reguliert automatisch den Luftstrom, meine Finger beginnen ihr Auf-und-nieder-Spiel. Rickys Stimme überschlägt sich, ich sehe ihn aus dem Fahrerfenster lehnen, seine Halsschlagader so dick wie ein Ladekabel.
Chet Baker muss da so einen verdammt lichten Moment gehabt haben, „Secret Love“ steigt auf und sendet unendliche Klänge Richtung All. Ich schließe die Augen, öffne sie wieder, drehe leicht den Kopf. Sie kann mich sehen, ich bin glücklich.
Der Motor springt an und ein dunkles, kehliges Grollen beginnt sich zu steigern. Ich halte die Trompete, spiele und konzentriere mich auf das Flimmern über der Zuckerfabrik.
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2261 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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17.05.2017 17:14
von Pickman
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Krass!
Nur eine Stelle irritiert mich.
Pencake hat Folgendes geschrieben: | Der Trapezmuskel des Babys im Körper eines Monsters |
Welches Baby? Erst beim zweiten Lesen ist mir aufgegangen, dass es um den ersten Sprecher geht.
Wie wäre es damit: "Der Trapezmuskel spannt sich zu beiden Seiten des Nackens in einem Winkel, mit dem Extrembergsteiger ihre Schwierigkeiten hätten. Das Baby im Körper eines Monsters streut ein helles Lachen ins gleißende Sonnenlicht, blickt vertrauensselig zu mir rüber."
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Pencake Exposéadler
Alter: 55 Beiträge: 2364 Wohnort: Hamburg
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18.05.2017 10:07
von Pencake
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Moin Pickman,
Dank für deinen Kommentar.
Guter Einwand. Und gute Alternative - genommen.
HG,
Niko
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Pickman Plottdrossel
Beiträge: 2261 Wohnort: Zwischen Prodesse und Delectare
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23.05.2017 05:08
von Pickman
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Hi Pencake,
My pleasure.
Cheers,
Pickman
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Canyon Leseratte
Alter: 44 Beiträge: 128 Wohnort: Nimmerland
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18.07.2017 21:29 Re: Schichtwechsel von Canyon
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Hey Pencake
Ich muss zugeben, ich bin ehrlich verwundert, dass dieser Text nicht mehr Kommentare aufweist, denn in meinen Augen ist es sehr starker und ausgesprochen inspirierender Text.
Mir gefällt besonders dein Schreibstil, der so extravagant ist, dass die eigentliche Geschichte fast schon in den Hintergrund tritt. Dadurch machst du eine im Grunde banale Szenerie zu etwas ganz Besonderem, was ich persönlich absolut bewundernswert finde.
Tatsächlich gab es in deinem ganzen Text nur eine Stelle, oder vielmehr ein Wort, das mir ein wenig ... nun ja, unpassend vorkam.
Pencake hat Folgendes geschrieben: |
Ihre Haare schwarze Flammen, die aus ihrem Kopf schlagen. Ihr Mund eine Frucht, die sich öffnet, um mein Gebet einzusaugen. Ihre Augen zwei Tiere, die mich mit aufgerissenem Rachen niederbrüllen. Ich stehe dicht vor ihr, mein Fleisch öffnet sich, Häute reißen, Knochen brechen, als meine Körpermaterie in meinem Schwanz verwirbelt. Ihre Beine, zwei Schlangen, gleiten auseinander und nehmen meinen pochenden Rest auf. Ich bin in ihr, mit allem, was ich habe, explodiere wie eine Handgranate.
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Der ganze Absatz ist großartig beschrieben. Das körperliche, fast schon besessene Verlangen eines Mannes zu einer Frau. Alle Beschreibungen sind reich an Metaphern und poetisch anmutend. Und dann mittendrin der Schwanz, der mir dort in seiner Roheit auf den ersten Blick total deplaziert vorkam. Das ist aber vielleicht nur mein ganz subjektives Empfinden, und vielleicht war dieser Kontrast sogar von dir beabsichtigt. Und ehrlich gesagt fällt mir spontan auch kein Wort ein, dass nicht zu klischeebehaftet wäre, um als Ersatz zu dienen. Letztendlich wollte ich auch nur diesen Eindruck schildern, zumal es - wie bereits erwähnt - der einzige war, der mich irritiert hat.
Würde ich nun Stellen hervorheben wollen, die mir gefielen, müsste ich den ganzen Text zitieren, aber das ist wohl nicht nötig.
Ich bin wirklich beeindruckt von deiner Schreibweise, davon kann ich selber noch viel lernen. Das heißt natürlich nicht, dass ich vorhabe zu kopieren. Aber es zeigt mir, was mit (unserer) Sprache so alles möglich sein kann.
Danke dafür.
_________________ "Du bist, was du warst; und du wirst sein, was du tust."
(Buddha) |
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