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Altbekannte Kapelle


 
 
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Pencake
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Beitrag14.03.2023 10:50
Altbekannte Kapelle
von Pencake
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Es ist dein Begräbnis
du Baba, in diesem Sarg aus hellem Holz
ich dekonstruiere ein paar Worte
werfe Buchstaben über den Kasten
sie machen dieses Tacktack auf harter Oberfläche
fallen, kugeln, rollen in Reihe
im Spalier über rissige Adern auf Uraltfliesen  

Die Priesterin hätte gern mehr Platz an der Stirnseite des Sarges
hätte gern die erste Sitzbank
verrückt
sie ist eingedübelt, sagt der Bestatter
ihr Hintern in Augenhöhe vor mir
das Sargbesteck streckt Mittelfinger aus der dunklen Silhouette      

Ach Baba, ihre Predigt ein Fiasko
wünsche so sehr, die Worte könnten an mir vorbeirauschen
stattdessen Stachel einer verwahrlosten Distel im
Herz
sorry für den Kitsch  

Ablenkungsweise
bück ich mich zu den blutenden Adern
greife mir einige rolling stones
Paint It Black, Sympathy For The Devil, oh je
ich renn lieber ein Stück neben den
Wild Horses
du hast diese Freiheit verdient
gimme shelter

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anuphti
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Beitrag17.03.2023 10:44

von anuphti
Antworten mit Zitat

Moin Niko,

Schön Dich zu lesen!

Du spielst mit doppelten Wortbedeutungen, altbekannte Kapelle (Gebäude und Band), verrückt (die Bank oder die Priesterin) etc.

Baba, das ist eine Großmutter, auf russisch und ukrainisch.

Gimme shelter. Ein Antikriegslied.

Deshalb verorte ich dieses Stück sofort im Hier und jetzt und in dem Krieg, der gerade die Ukraine verwüstet.
Ich kenne die Lyrics der Rolling Stones nicht gut genug, bin mir aber sicher, dass ich noch mehr Bezüge finden würde, wenn ich danach suchen würde.

Sehr gerne gelesen. Sehr berührt.

Liebe Grüße
Nuff

PS
Gestolpert bin ich über das Sargbesteck. Meintest Du Sarggesteck? Also den Blumenschmuck?


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Learn from the mistakes of others. You don´t live long enough to make all of them yourself. (Eleanor Roosevelt)

You don´t have to fight to live as you wish; live as you wish and pay whatever price is required. (Richard Bach)
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Mercedes de Bonaventura
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Beitrag20.03.2023 17:43

von Mercedes de Bonaventura
Antworten mit Zitat

@Nuff, für einen Lyriklehrling bitte: wie kommst du auf Krieg in der Ukraine?

Zitat:
Es ist dein Begräbnis
du Baba, in diesem Sarg aus hellem Holz…

Baba. Vater? Türkisch? Persisch?

Zitat:
…werfe Buchstaben über den Kasten
sie machen dieses Tacktack auf harter Oberfläche
fallen, kugeln, rollen in Reihe
im Spalier über rissige Adern auf Uraltfliesen

Fallen, kugeln, rollen? Murmeln? Kindheitserinnerung?
Rissige Adern? Hände einer alten Person?

Zitat:
Die Priesterin hätte gern mehr Platz an der Stirnseite des Sarges…

Die Priesterin? Nicht Pfarrerin. Nicht Pastorin. Nicht Schamanin. Nicht freikirchlich Geistliche? Eine Priesterin der Jesiden?

Zitat:
….das Sargbesteck streckt Mittelfinger aus der dunklen Silhouette…

Sargbesteck? (Die Habsburger haben einst die Herzen gekrönter Verstorbener separat bestattet, in einem Sargbesteck. Das wird wohl kaum gemeint sein.)
Tippfehler? Die Spitzen eines Gestells auf dem der Sarg liegt?


Zitat:
Ablenkungsweise
bück ich mich zu den blutenden Adern

Blutende Adern? Krampfadern? Der Trauernde ist schon etwas älter?



Ein Sohn auf dem Begräbnis seines Vaters. Baba als möglicher Hinweis auf Herkunft/Nationalität.
Sehr schöner Text, aber diese Raterei... (Oh Lyrik, du liederliches Luder. Wir werden wohl kein Liebespaar mehr werden, wenn ich mich auch noch so gerne von dir verführen lasse.)


Beste Grüße.


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anuphti
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Beitrag20.03.2023 19:49

von anuphti
Antworten mit Zitat

Hi Mercedes,

habe ich doch geschrieben smile

Baba heißt Großmutter auf russisch und ukrainisch.
Und Gimme Shelter ist ein Antikriegslied.

Das heißt aber überhaupt nicht, dass ich mit meiner Interpretation richtig liege, sondern, dass dieses Stück, wie viele gute Lyrik viele Deutungsebenen öffnet. Und da ist nur meine ganz persönliche.

Ich weiß nicht, ob Pencake einfach nur auf die Rollings Stones anspielen wollte (altbekannte Kapelle=berühmte Band) oder auf ein sakrales Bauwerk, in dem eine Beerdigung statt findet.

Er nennt am Ende mehrere Stücke der Rolling Stones, die allesamt, mit Trauer, Traurigkeit, Krieg, Verlust etc. , bei den Wild Horses aber auch mit Hoffnung, zusammenhängen.
Juli 2022 haben die Rolling Stones mit ukrainischen Chören zusammen gesungen, und später auch Gimme Shelter.

(Also habe ich einfach einmal extrapoliert lol )

Die Priesterin hat mich etwas aus dem Konzept gebracht, weil in der orthodoxen Kirche Frauen keine Priester sein können, aber vielleicht ist je meine "Kriegsassoziation" auch völlig falsch. Aber das ist das Schöne an guter Lyrik, Du darfst Deine ureigenen Bilder finden.

Ein Sarggesteck ist der Blumenschmuck auf dem Sarg und davor.
Und da können durchaus Blüten herausragen.

Liebe Grüße
Nuff


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Mercedes de Bonaventura
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Beitrag21.03.2023 12:05

von Mercedes de Bonaventura
Antworten mit Zitat

anuphti hat Folgendes geschrieben:
Aber das ist das Schöne an guter Lyrik, Du darfst Deine ureigenen Bilder finden.

Verfälscht man dadurch nicht die Aussage des Textes, die Dichterwahrheit, die sich zeigt, wenn man betrachtet was ehrlich vor einem liegt: das vom Autor niedergeschriebene Wort, nicht eigene Kopfbilder, die man gerne sehen und deuten möchte? (Siehe Nachfrage Krieg in der Ukraine.)
Wäre nicht rein die Analyse von Satzbau, Zeitform, Stil, Struktur, Wortwahl, Reimschema, Vers, Strophe, Rhythmus etc., frei von Spekulation, Annahme, Deutung, Empfindung etc., die einzig wahre gültige Arbeit an einem lyrischen Werk?


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anuphti
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Beitrag21.03.2023 12:48

von anuphti
Antworten mit Zitat

Mercedes de Bonaventura hat Folgendes geschrieben:
anuphti hat Folgendes geschrieben:
Aber das ist das Schöne an guter Lyrik, Du darfst Deine ureigenen Bilder finden.

Verfälscht man dadurch nicht die Aussage des Textes, die Dichterwahrheit, die sich zeigt, wenn man betrachtet was ehrlich vor einem liegt: das vom Autor niedergeschriebene Wort, nicht eigene Kopfbilder, die man gerne sehen und deuten möchte? (Siehe Nachfrage Krieg in der Ukraine.)
Wäre nicht rein die Analyse von Satzbau, Zeitform, Stil, Struktur, Wortwahl, Reimschema, Vers, Strophe, Rhythmus etc., frei von Spekulation, Annahme, Deutung, Empfindung etc., die einzig wahre gültige Arbeit an einem lyrischen Werk?


Das würde wahrscheinlich eine KI so machen.

Für mich liegt das Schönste an der Lyrik darin, dass Du als Leser interpretieren darfst und kannst.

Ich habe schon Gedichte geschrieben, die bis zu vier verschiedene Interpretationen bekommen haben.
Entweder Du formulierst als Lyriker so eindeutig, dass der Leser nur die eine Intention verstehen kann oder Du nimmst in Kauf, dass unterschiedliche Leser unterschiedliche Assoziationen haben.

Das ist in meinen Augen völlig legitim, zumal Lyrik außerhalb einer bestimmten Form natürlich von den Worten lebt, die den Inhalt ausmachen, und sobald es "eindeutig" wird, ist es wahrscheinlich fast schon nicht mehr lyrisch, weil mir der Dichter quasi vorgibt, wie ich das Gedicht zu lesen habe.

Aber je vager ich bleibe, je mehrdeutiger die Worte sind, die ich verwende, desto spannender wird die Interpretation.

Aber das ist vielleicht auch nur meine Ansicht smile

Liebe Grüße
Nuff


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Mercedes de Bonaventura
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Beitrag22.03.2023 10:30

von Mercedes de Bonaventura
Antworten mit Zitat

anuphti hat Folgendes geschrieben:
Für mich liegt das Schönste an der Lyrik darin, dass Du als Leser interpretieren darfst und kannst.


Bleibt zu hoffen, dass mit dieser Art Feedback dem Autor geholfen werden konnte.
Poetischste Grüße.


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anuphti
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Beitrag22.03.2023 12:04

von anuphti
Antworten mit Zitat

Mercedes de Bonaventura hat Folgendes geschrieben:
anuphti hat Folgendes geschrieben:
Für mich liegt das Schönste an der Lyrik darin, dass Du als Leser interpretieren darfst und kannst.


Bleibt zu hoffen, dass mit dieser Art Feedback dem Autor geholfen werden konnte.
Poetischste Grüße.


Hm.
Das klingt für mich wertend negativ. Meinst Du das auch so?

Feedback-Bereich bedeutet für mich, ich gebe meinen Leseeindruck wieder, damit der Autor weiß, wie sein Werk beim Leser ankommt.

Hier geht es ja nicht unbedingt um "Arbeit an dem Werk" und Pencake ist ein erfahrener Lyriker, der im Feedback Bereich sicher nichts postet, an dem er noch herumwerkeln möchte.

Aber irgendwie vermeine ich einen unterschwelligen Widerwillen gegen meinen Kommentar zu spüren?
Nehme ich das richtig wahr oder interpretiere ich da irgendwas rein, was Du nicht beabsichtigt hast.

Ich habe vor allem den Eindruck, dass Dich meine Assoziation "Krieg in der Ukraine" aufgeregt hat.

Aber vielleicht warten wir einfach, bis Pencake sich selber meldet und mich fragt, wie zum Teufel ich auf die Ukraine komme smile extra

Liebe Grüße
Nuff


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Mercedes de Bonaventura
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Beitrag22.03.2023 17:13

von Mercedes de Bonaventura
Antworten mit Zitat

anuphti hat Folgendes geschrieben:
Das klingt für mich wertend negativ. Meinst Du das auch so?

Gemeint ist es genau wie es geschrieben steht, komplett wertungsfrei.
Wenn Pencake von den Kommentaren profitiert, dann hat das Feedback seinen Zweck erfüllt.


anuphti hat Folgendes geschrieben:
Aber irgendwie vermeine ich einen unterschwelligen Widerwillen gegen meinen Kommentar zu spüren?

Widerwillen? Ganz und gar nicht:
Pencake hat Folgendes geschrieben:
Die Priesterin hätte gern mehr Platz an der Stirnseite des Sarges
hätte gern die erste Sitzbank
verrückt


Deine Betrachtung:
Nuff hat Folgendes geschrieben:
Du spielst mit doppelten Wortbedeutungen … verrückt (die Bank oder die Priesterin) etc.


Ich sehe, weil es so geschrieben wurde, das Wort verrückt verrückt. In eine neue Zeile verrückt.

Meine Herangehensweise mag einfach klinischer sein. Ich seziere was vor mir liegt, untersuche die Machart, Struktur, Funktion, die Mittel, die vom Autor eingesetzt werden, um Emotionen beim Leser zu wecken.




anuphti hat Folgendes geschrieben:
Aber vielleicht warten wir einfach, bis Pencake sich selber meldet und mich fragt, wie zum Teufel ich auf die Ukraine komme.

Gerne.


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Pencake
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Beitrag24.03.2023 12:15

von Pencake
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Moin Nuff und Mercedes,
Dank für eure Gedanken zum Text.  

In diesem Fall erscheint es mir sinnvoll – von mir ungeliebt und recht konsequent vermieden aus gutem Grund –, den eigenen Text in groben Zügen zu erklären.    
„Kapelle“ bezeichnet eine kleine Kirche, die Klamotten/Ornate für ein Hochamt/feierliche Messe und eine Gruppe von Musikern.
 „Baba“ ist im vorliegenden Text ein Kosename für einen deutschen Vater.
Das LI sitzt in einer Dorfkirche beim Trauergottesdienst, nachdem sich sein Vater in hohem Alter das Leben genommen hat. Seine Gedanken kreisen um Erinnerungen, Beobachtungen in der Kirche, das Verhalten und die Predigt der Geistlichen. Sowie um Songs, die die eigene Situation zunächst wegen ihrer Titel, beim letzten Song wegen der paradoxen Kombination aus Song-Titel und Song-Inhalt beschreiben.
Das Besteck war im Schreibprozess ein Tippfehler, der zum gewollten Wortspiel/Bild wurde, da der Tote unter anderem zum Fraß vorgeworfen wird.
      
Anuphti, vielen Dank, dass du mich an deinen Assoziationen/Gedanken zum Text hast teilhaben lassen. Und ob diese nun der Intention des Autors entsprechen …

„Für mich liegt das Schönste an der Lyrik darin, dass Du als Leser interpretieren darfst und kannst."

… besser lässt sich diese von mir sehr geschätzte Haltung, an Lyrik ranzugehen, nicht erklären.

Mercedes, deine Bedenken verstehe ich. Andererseits würde deine Sichtweise eines allzu sehr in Kauf genommenen Verfälschens einer „Dichterwahrheit“ bedeuten, dass ein Großteil der Lyrik „wertlos“ ist, solange ich nicht exakt die zugehörige Biografie des Autors, dessen stilistische Eigenarten und sonstige Stücke seines Werkes kenne. Für mich zu kurz gegriffen, da Lyrik mehr können, mehr eröffnen sollte, siehe oben.
Und sowas hier, „Bleibt zu hoffen, dass mit dieser Art Feedback dem Autor geholfen werden konnte. Poetischste Grüße“, hat mehr mit deinen Empfindlichkeiten zu tun als mit zuträglichem Austausch über ein Stück Text.

Ansonsten freue ich mich über die Kommentare von euch beiden, die das Stück angestoßen hat.

HG, Niko
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Pencake
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Beitrag24.03.2023 12:32

von Pencake
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Ich sollte besser hinsehen und lesen.  

Mercedes, ich nehme das hier hochoffiziell zurück: "Und sowas hier, „Bleibt zu hoffen, dass mit dieser Art Feedback dem Autor geholfen werden konnte. Poetischste Grüße“, hat mehr mit deinen Empfindlichkeiten zu tun als mit zuträglichem Austausch über ein Stück Text."

Denn du hast das ja in deiner letzten Antwort sehr sachlich und auf den Punkt geklärt:

"Gemeint ist es genau wie es geschrieben steht, komplett wertungsfrei.
Wenn Pencake von den Kommentaren profitiert, dann hat das Feedback seinen Zweck erfüllt."

Ich bitte hier um Entschuldigung - darf ich's aufs Alter, mein nachlassendes Augenlicht fehlende Geschwindigkeit im Kopf und all das schieben?

War lange nicht in diesem Forum unterwegs für eigene Texte – womöglich bin ich auch nur außer Form.

HG, Niko
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anuphti
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Beitrag24.03.2023 16:40

von anuphti
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Moin Nico,

schön, dass Du Dich gemeldet hast! Es ist immer ein Highlight, wenn ich einen Beitrag von Dir sehe.

Und ich freue mich, dass Du mir meine interpretatorischen Freiheiten  nicht übelgenommen hast lol

Die Ukraine beherrscht im Moment derartig dominant mein Denken, dass ich überall nur noch Blau-Gelb sehe.

Schöne Grüße nach Hamburg!!

Nuff


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Mercedes de Bonaventura
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Beitrag24.03.2023 17:01

von Mercedes de Bonaventura
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Pencake hat Folgendes geschrieben:
… da Lyrik mehr können, mehr eröffnen sollte…

Was genau ist dieses mehr?


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Mercedes de Bonaventura
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Beitrag25.03.2023 17:02

von Mercedes de Bonaventura
Antworten mit Zitat

Pencake hat Folgendes geschrieben:
...würde deine Sichtweise eines allzu sehr in Kauf genommenen Verfälschens einer „Dichterwahrheit“ bedeuten, dass ein Großteil der Lyrik „wertlos“ ist, solange ich nicht exakt die zugehörige Biografie des Autors, dessen stilistische Eigenarten und sonstige Stücke seines Werkes kenne.

Dass ein Großteil der Lyrik „wertlos“ ist?

Merci hat Folgendes geschrieben:
Wäre nicht rein die Analyse von Satzbau, Zeitform, Stil, Struktur, Wortwahl, Reimschema, Vers, Strophe, Rhythmus etc., frei von Spekulation, Annahme, Deutung, Empfindung etc., die einzig wahre gültige Arbeit an einem lyrischen Werk?

Es geht um das Arbeiten an einem lyrischen Werk, um Kommentare, Feedback, adäquate Rückmeldung.
Merci hat Folgendes geschrieben:
Eine gültige, eine wahre Aussage über einen Text lässt sich nur finden,
wenn man betrachtet was ehrlich vor einem liegt: das vom Autor niedergeschriebene Wort.

Alles andere ist
Merci hat Folgendes geschrieben:
Spekulation, Annahme, Deutung, Empfindung etc.


anuphti hat Folgendes geschrieben:
Deine ureigenen Bilder finden…

würde zu einer Verfälschung der Dichterwahrheit führen, da man die Beweggründe,
Pencake hat Folgendes geschrieben:
…die zugehörige Biografie des Autors, dessen stilistische Eigenarten und sonstige Stücke seines Werkes...

nur in den seltensten Fällen kennt,…

anuphti hat Folgendes geschrieben:
Und ich freue mich, dass Du mir meine interpretatorischen Freiheiten nicht übelgenommen hast.
Die Ukraine beherrscht im Moment derartig dominant mein Denken, dass ich überall nur noch Blau-Gelb sehe.

…was zu falschen Auslegungen und Missverständnissen führen kann.



Pencake hat Folgendes geschrieben:
„Für mich liegt das Schönste an der Lyrik darin, dass Du als Leser interpretieren darfst und kannst." (anuphti)
… besser lässt sich diese von mir sehr geschätzte Haltung, an Lyrik ranzugehen, nicht erklären.

Und obwohl diese Herangehensweise ganz offensichtlich subjektiv ist, auf Mutmaßung und Annahme beruht, sich eine Interpretation nur unzureichend durch konkrete Textstellen belegen lässt und möglicherweise bloß starker Einbildungskraft entspringt, wird darin etwas Wertvolles, eine Bereicherung gesehen?


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Beitrag25.03.2023 18:38

von anuphti
Antworten mit Zitat

Mercedes de Bonaventura hat Folgendes geschrieben:


Pencake hat Folgendes geschrieben:
anuphti hat Folgendes geschrieben:
„Für mich liegt das Schönste an der Lyrik darin, dass Du als Leser interpretieren darfst und kannst."

… besser lässt sich diese von mir sehr geschätzte Haltung, an Lyrik ranzugehen, nicht erklären.


Und obwohl diese Herangehensweise ganz offensichtlich subjektiv ist, auf Mutmaßung und Annahme beruht, sich eine Interpretation nur unzureichend durch konkrete Textstellen belegen lässt und möglicherweise bloß starker Einbildungskraft entspringt, wird darin etwas Wertvolles, eine Bereicherung gesehen?


Ja.


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Beitrag25.03.2023 20:38

von Pencake
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Kurz geantwortet: Dieser Bereich hier heißt Feedback, nicht „Analyse“. Das erklärt im Grunde schon alles.

Dennoch ein paar Dinge im Einzelnen. Dies allein schon deshalb, da du neben deinen eigenen Aussagen jene von Anuphti und mir von oben im Laufe dieses Posts auch noch so gegeneinander montiert hast, als entspränge dieser Darstellung eine Logik, die deine Auffassung von „Arbeit an einem lyrischen Werk“ zweifelsfrei nachweist. Aus meiner Sicht absurd. Hier ein paar Punkte, weshalb:
  
„Wäre nicht rein die Analyse von Satzbau, Zeitform, Stil, Struktur, Wortwahl, Reimschema, Vers, Strophe, Rhythmus etc., frei von Spekulation, Annahme, Deutung, Empfindung etc., die einzig wahre gültige Arbeit an einem lyrischen Werk?“

Was soll das sein, „die einzig wahre gültige Arbeit an einem lyrischen Werk?“ Von wem stammt diese Wahrheit, wer hat hier was „einzig Gültiges“ festgelegt? Abgesehen davon, dass – höre ich von „einzig wahren gültigen“ Dingen – sich in mir stets großen Widerwillen regt: Selbst wenn ich die Frage ernstnehme, wie kommst du bloß darauf?
Weshalb sollten Spekulationen, Annahmen, Empfindungen zu einem Gedicht – insbesondere in den Fällen, in denen ich mich direkt mit dem Autor über das Stück austauschen kann, nicht „gültig“ oder nicht „wahr“ sein?

„Eine gültige, eine wahre Aussage über einen Text lässt sich nur finden, wenn man betrachtet, was ehrlich vor einem liegt: das vom Autor niedergeschriebene Wort.“

Auch hier wieder dieses seltsame „wahr“ und „ehrlich“ – nebenbei, wie könnte denn da etwas UNehrlich vor dem Leser liegen? Doch zurück zum Thema: Die eigentliche Frage ist doch, was mache ich nach diesem Blick auf das geschriebene Wort des Autors? Belasse ich es bei einer Analyse?

(Einschub aus der Perspektive des Gedichteverfassers: Meinst du im Ernst, ich bin scharf drauf, dass mir jemand mitteilt, welche Stilmittel ich verwendet habe, wie mein Versmaß aussieht und welchen Satzbau sie oder er erkannt hat?)   

Doch zurück zum Leser: Oder beschäftige ich mich weiter mit dem Text in Form von meinetwegen Spekulation, Annahme, Deutung und Empfindung – womöglich auch Interpretation, Assoziation, Fantasterei, spielerischen Einbau in meinen Alltag, in weiterführende Drogenerfahrung oder was weiß ich? Ach so, geht ja alles nicht, denn um die Ecke wartet ja schon die Gültigkeits- und Wahrheits-Polizei …
Anders gefragt: Sind Aussagen dazu, was der Text mit mir gemacht hat, wie er mich fühlen lässt, was er in mir auslöst, an welche Dinge ich dabei denken musste, weshalb ich ihn scheiße finde oder dass ich ihn von nun an jede Nacht unter mein Kopfkissen lege … bis hin dazu, inwieweit ich ihn mutig interpretiere und mit einer Bedeutung auflade, die mir beim Lesen ohne Wissen um Hintergründe in den Sinn kam … sind das alles KEINE „gültigen, wahren Aussagen über einen Text“?

Des Weiteren sprichst du über eine „Verfälschung der Dichterwahrheit“, da eben Biografie und sonstige Hintergründe des Autors nicht bekannt, und hast Angst „vor falschen Auslegungen und Missverständnissen“.

Aus der Perspektive des Schreibers: Wer soll denn bitteschön meine „Dichterwahrheit“ verfälschen? Eine Person, die meinen Text liest, sich traut, mir dazu ein paar Gedanken zu schreiben, wie sie den Text empfindet, und was sie darin sieht? Echt jetzt? Dieses Ding, dieser fragile Spielball Dichterwahrheit muss ja ganz schön auf den Hund gekommen sein.
Falsche Auslegungen und Missverständnisse zu meinen Texten? I love it – immer her damit. Weil sie mich genauso weiterbringen können wie die Momente, wenn jemand bei meiner Intention genau ins Schwarze trifft.    

Zum Finale: „Und obwohl diese Herangehensweise ganz offensichtlich subjektiv ist, auf Mutmaßung und Annahme beruht, sich eine Interpretation nur unzureichend durch konkrete Textstellen belegen lässt und möglicherweise bloß starker Einbildungskraft entspringt, wird darin etwas Wertvolles, eine Bereicherung gesehen?“

Ja und ob. Und mir ist völlig unverständlich, wie das im Rahmen dieses Forums nicht geschätzt werden könnte. Hier hat jemand den Mut gehabt, seine Gedanken zum Text über das Terrain WYSIWYG hinaus auszudehnen. Da ist jemand ein Risiko eingegangen. Bravo – denn das ist ein Mehr, das Lyrik in meinen Augen unter anderem im besten Falle beim Leser auslöst.
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Beitrag26.03.2023 16:25

von Mercedes de Bonaventura
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Pencake hat Folgendes geschrieben:
Dies allein schon deshalb, da du neben deinen eigenen Aussagen jene von Anuphti und mir von oben im Laufe dieses Posts auch noch so gegeneinander montiert hast, als entspränge dieser Darstellung eine Logik, die deine Auffassung von „Arbeit an einem lyrischen Werk“ zweifelsfrei nachweist.


Was sich nicht alles in eine unschuldige Textcollage  hineininterpretieren lässt?
Es wurde nichts absichtlich „gegeneinander montiert“.

Pencake hat Folgendes geschrieben:
Was soll das sein, „die einzig wahre gültige Arbeit an einem lyrischen Werk?

…rein die Analyse von Satzbau, Zeitform, Stil, Struktur, Wortwahl, Reimschema, Vers, Strophe, Rhythmus etc., frei von Spekulation, Annahme, Deutung, Empfindung etc.,…

Pencake hat Folgendes geschrieben:
Von wem stammt diese Wahrheit, wer hat hier was „einzig Gültiges“ festgelegt?

Die Wahrheitsfrage stammt von mir. Streng nach (Literaturwissenschaftlichen) Regeln erscheint mir die einzig korrekte Herangehensweise.


Pencake hat Folgendes geschrieben:
Weshalb sollten Spekulationen, Annahmen, Empfindungen zu einem Gedicht – insbesondere in den Fällen, in denen ich mich direkt mit dem Autor über das Stück austauschen kann, nicht „gültig“ oder nicht „wahr“ sein?

Die Richtigkeit deiner subjektiven Empfindungen lässt sich von vornherein anzweifeln (liegt eine Lüge vor?), und ist somit keine gültig wahre Aussage über den Text.


Pencake hat Folgendes geschrieben:
„Eine gültige, eine wahre Aussage über einen Text lässt sich nur finden, wenn man betrachtet, was ehrlich vor einem liegt: das vom Autor niedergeschriebene Wort.“
Auch hier wieder dieses seltsame „wahr“ und „ehrlich“ – nebenbei, wie könnte denn da etwas UNehrlich vor dem Leser liegen?

Ehrlich im Sinn von unverblümt/direkt/unbeeinflusst.


Pencake hat Folgendes geschrieben:
Die eigentliche Frage ist doch, was mache ich nach diesem Blick auf das geschriebene Wort des Autors? Belasse ich es bei einer Analyse?

Wäre meine Vorgehensweise, ja.


Pencake hat Folgendes geschrieben:
(Einschub aus der Perspektive des Gedichteverfassers: Meinst du im Ernst, ich bin scharf drauf, dass mir jemand mitteilt, welche Stilmittel ich verwendet habe, wie mein Versmaß aussieht und welchen Satzbau sie oder er erkannt hat?)  

Man könnte eine rein auf Fakten basierende Diskussion über dein Werk führen.
Deine Erwartungen kenne ich natürlich nicht.


Pencake hat Folgendes geschrieben:
Sind Aussagen dazu, was der Text mit mir gemacht hat, wie er mich fühlen lässt, was er in mir auslöst, an welche Dinge ich dabei denken musste, weshalb ich ihn scheiße finde oder dass ich ihn von nun an jede Nacht unter mein Kopfkissen lege … bis hin dazu, inwieweit ich ihn mutig interpretiere und mit einer Bedeutung auflade, die mir beim Lesen ohne Wissen um Hintergründe in den Sinn kam … sind das alles KEINE „gültigen, wahren Aussagen über einen Text“?

Es besteht die Möglichkeit, dass es sich um gültig wahre Aussagen handelt, genauso gut aber könntest du lügen. Woher weiß man, ob dich ein lyrisches Werk tatsächlich in dieser Weise beeinflusst hat? Vielleicht ist alles nur erfunden, eine Einbildung?

Pencake hat Folgendes geschrieben:
Aus der Perspektive des Schreibers: Wer soll denn bitteschön meine „Dichterwahrheit“ verfälschen? Eine Person, die meinen Text liest, sich traut, mir dazu ein paar Gedanken zu schreiben, wie sie den Text empfindet, und was sie darin sieht? Echt jetzt? Dieses Ding, dieser fragile Spielball Dichterwahrheit muss ja ganz schön auf den Hund gekommen sein.

Aus meiner Sicht:
Warum sollte ich mich mit Un-/Halbwahrheiten herumschlagen, wenn deine Worte in voller Pracht und Schönheit für sich alleine stehen können und mir genug verraten um eine wahre Aussage darin erkennen zu können?

Pencake hat Folgendes geschrieben:

Falsche Auslegungen und Missverständnisse zu meinen Texten? I love it – immer her damit. Weil sie mich genauso weiterbringen können wie die Momente, wenn jemand bei meiner Intention genau ins Schwarze trifft.    

Hier hat jemand den Mut gehabt, seine Gedanken zum Text über das Terrain WYSIWYG hinaus auszudehnen. Da ist jemand ein Risiko eingegangen. Bravo – denn das ist ein Mehr, das Lyrik in meinen Augen unter anderem im besten Falle beim Leser auslöst.

Wunderbar. Dann konnte dir geholfen werden.
Wie gesagt:
Merci hat Folgendes geschrieben:
Wenn Pencake von den Kommentaren profitiert, dann hat das Feedback seinen Zweck erfüllt.


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Pencake
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Beitrag26.03.2023 18:25

von Pencake
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Jo.
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schó
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Beitrag29.03.2023 11:55

von schó
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Also mal abgesehen von der Grundsatzdiskussion, die hier angestoßen wurde, die ich nicht reizlos finde, aber erst einmal liegen lassen möchte, finde ich das Gedicht recht hervorragend. Ich bin begeistert, wie abwechslungsreich und unerwartbar die Verse so vor sich hin mäandern. Ich werde noch genauer hinsehen aber mein erster Eindruck ist: Gut geschrieben.

Es hat Persönlichkeit, das Gedicht. Die Intersprachlichkeit, die kulturellen Referenzen, die Szene die entworfen wird, all das kommt mit spielerischer Lässigkeit daher. Und wo die Worte einen leichten Kitsch bekommen, dort reflektiert das ich dieselbe Geste mit der Aussage: "sorry für den Kitsch". Das Gedicht scheint über sich selbst bewusst zu sein. Ich würde gerne mehr lesen.

Ich deute jetzt noch einige Auffälligkeiten an:

"verrückt": im dritten Vers, sowohl eigenständig, als auch auf den zweiten Vers bezogen.

"eingedübelt": im vierten Vers eine leicht komische Bemerkung vom "Bestatter". Gibt der Szene eine lustige Note.

"ihr Hintern in Augenhöhe von mir": als wäre die ganze Situation kaum auszuhalten. Das Ich kann sich nicht auf die Bestattung fokussieren, ist von solchen Details abgelenkt. Unangenehm.

Auch im nächsten Vers verdeutlicht: Hier läuft etwas schief.

In der zweiten Strophe wird das dann nochmal verdeutlicht.

Die dritte Strophe ist eigentlich die kitschige. Wenn ich es genauer bedenke finde ich es etwas tollpatschig, wie die Verwendung des Wortes "Herz" als Kitsch bezeichnet wird, ohne zu merken, dass die dritte Strophe eigentlich der Kitsch ist. So Lyrik-Kitsch: Oh ich sage jetzt mal ein paar Musiktitel und ordne mich damit in die Pop-Kultur ein und fühle mich dabei so trendy. Ne, das ist peinlich. Es bricht spätestens bei: Ich renn lieber neben den Wild Horses.

Das ist so offensichtlich heutige Lyrik, diese Art von Gedichtgeste, wo die wörtliche Rede mit einem Zitat / einer kulturellen Referenz einhergeht.

Das ist so ich möchte gern nach Christian Krach klingen, aber auf poetische Weise.

Ich habe jetzt diesen Punkt natürlich zur Verdeutlichung überspitzt. Ich finde das Gedicht nach wie vor sehr gut, überraschend gut. Aber in der letzten Strophe erkenne ich eine Geste, die mir allzu häufig in Gedichten begegnet, zu Missgunsten.

Liebe Grüße, hoffe das war ein Feedback, mit dem du etwas anfangen kannst, ich gehe gerne bei Bedarf noch tiefer rein.
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Pencake
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Beitrag30.03.2023 10:53

von Pencake
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Moin schó, Dank für dein Feedback.

Na klar kann ich was damit anfangen.

Zum einen freut es mich, dass du Dinge findest, die dir gefallen.

Aber ich konnte auch zur Mitte deines Posts dieses Innehalten gut nachvollziehen und nach dem „wenn ich es genauer bedenke“ die Erklärungen, weshalb du Strophe 3 als Kitsch oder peinlich empfindest.

Kracht, diese kleine miese Type, schreibt bei mir ab – ich hab meinen Anwalt informiert.

Was für mich gegen die Sichtweise „reine Geste“ oder „kulturelle Referenz für Wichtigtuer und Nachahmer“ sprechen sollte: Der Zusammenhang mit der Band ist im Text von Beginn an eingebunden und kommt am Ende eben nicht aus heiterem Himmel, eingestreut nach dem Motto „ich sag da mal noch ein paar Musiktitel, damit es hip wird“ – auch wenn dieser Bezug dem Leser im Einzelnen womöglich erst im Rückblick klar wird (oder eben nicht, wenn’s danebengeht^^).  

Das beginnt mit der Kapelle im Titel, geht weiter mit den Buchstaben, die in Reihe rollen, über die Finger des „Sargbestecks“ bis hin zu Bandname und Titeln. Die sind dann auch nicht bloß genannt, sondern in der Groß-/Kleinschreibung variiert, um unterschiedliche Ebenen klarzumachen, die das LI damit verbindet:

Die „rolling stones“ treten vor allem in Bezug auf die Erinnerungen auf, die für das LI wie Steine über den Boden rollen – eher ein Vehikel als ein musikalischer Bezug in diesem Moment, deshalb kleingeschrieben.

Die nächsten drei großgeschrieben Titel transportieren rein im Sinne des jeweiligen Songnamens Bezüge, die dem LI zum Tod seines Vaters, der sich das Leben genommen hat, in den Kopf kommen. Zwei Mal etwas, das nach seinen Erfahrungen von außen – ob von einzelnen Menschen oder im religiösen Sinne – gerne mit Suizid in Verbindung gebracht wird: Dieses Düstere (inklusive Bezug zur Depression), der angebliche Pakt mit dem Teufel, das gerne damit verbunden wird - Paint It Black, Sympathy For The Devil. Dann als Kontrast die Wild Horses, weiterhin großgeschrieben, die das LI den anderen beiden Titeln und der damit dargestellten Haltung gegenüberstellt – er will seinem Vater diese Freiheit seiner Entscheidung zugestehen, dessen Weg in diesem Sinne mitgehen – er neben den Wild Horses sind das Bild dafür.

Am Ende dann als Fazit ein Songtitel klein geschrieben, der damit wieder im übertragenen Sinne zu gelten hat. Der Titel spricht von einem erbetenen Unterschlupf, von der Bitte nach Schutz. Der Songtext dazu handelt von Krieg. Hier kommt für das LI alles zusammen: Vergangenheit und Zukunft.

Die Vergangenheit mit einem Menschen, der ihm, seinem Sohn, jederzeit Unterschlupf und Schutz gewährt hat, der immer für ihn da war. Der aber zuletzt in einer kriegerischen Handlung, in einen persönlichen Krieg – der Vater gegen sich selbst – verwickelt war, sein eigenes Leben beendet hat.

Und die Zukunft, in der sich das LI weiter seinen eigenen Kämpfen, seinen eigenen kleinen und großen „Kriegen“ ausgesetzt sieht, für die er aber weiter den Beistand seines Vaters erbittet.   

Nun kann ja der Verfasser seinem Text alle möglichen Intentionen, Bedeutungen und vielschichtigen Inhalte andichten. Ob deren Transport, deren Zugänglichkeit „nach Plan“ klappen, ob sich als Resultat eine Fläche bietet, auf der etwas anderes entsteht, ob es grandios daneben geht, ob was dabei rauskommt, was besser in den Papierkorb gehört, ob Anziehung oder Abstoßung zwischen Werk und Rezipient herrschen, entscheidet der Leser.

Insofern nochmal: Schön, dass bei dir Licht und Schatten angekommen sind – und du dich mit dem Stück überhaupt beschäftigt hast.

HG, Niko
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