(GED)Gehen lassen

[SylviaB]

Mir ist übel!
Ich weiss,
das ist nicht dein Problem...
Nein!
Es ist meins
ganz allein!

Der Klumpen in meinem Magen
schmerzt,
lässt mich zusammen sinken,
wie einen alten verknöchterten Baum -
dessen Wurzel stark
das Holz jedoch
durch Maden morsch geworden ist.

Die Sorge um dich
hat das Blattwerk braun werden lassen.
Die Äste brechen unter der
kleinsten Belastung!

Ich sehe den Weg
den du gehst...
Kann dich nicht aufhalten!
Will es auch gar nicht mehr!

Der Wind fühlt sich nicht frisch an!
Riecht faulig nach Unheil!
Er ist rauh und reißt an meiner Borke.
Stückweise fällt sie
wie ein Vorbote
in die Tiefe...

Ich sehe dir nach.
Sehe dein Lächeln!
Du fühlst dich gut!
Deine Äste strecken sich
dem Himmel entgegen.
Doch deine Wurzel ist kurz
und die Angst
schnürt mir die Luft ab,
dass du irgendwann fällst,
weil das nasse glitschige Erdreich
dich nicht halten kann.
Der Regen dich unterspült
oder der Druck des Windes
zu groß wird.

Aber ich lasse dich gehen!
Ich muss!
Nur eines kann ich tun:
Mein bisher schützendes Blattwerk
wird für dich weichen,
damit die Sonne dich stärkt!
Du kräftig genug bist
den Widrigkeiten des Lebens
zu widerstehen!

Und ich werde mit meinen Wurzeln
ein Bett bereiten -
auf das du fallen kannst...

Ich dachte, ich stell noch ein "freundlicheres" ein, so als Gegenpol.

[Brynhilda]

Dieses Gedicht verlangt eine etwas tiefere und ausführlicher Kommentierung. Aber ich will mich dennoch daran wagen und hoffe, daß ich nichts vergesse oder übersehe.

Fangen wir an mit der ersten Strophe. Die würde ich wegstreichen. Sie ist nicht gut geschrieben. Zu platt, zu alltäglich. Und sie bringt dem Text auch nichts. Sie ist überflüssig, also kann sie ruhig dem Nirwana der obsoleten Zeilen anvertraut werden. Keine Sorge, dort ist sie gut aufgehoben.

Die zweite Strophe: Schon wieder der Magen. Dein lyrisches Ich ist ein echter Magen-Darm-Charakter. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig flappsig, so ist es aber nicht gemeint. Das heißt nämlich, daß dein LI sich der Dinge annimmt und sehr leidet, wenn es sie nicht richtig verdauen kann. Es drückt Empfindsamkeit und Offenheit aus, und manchmal läd man sich mehr auf, als man ertragen kann.
Diese Strophe finde ich sehr schön. Sie ist gelungen. Ich mag die Baummetapher, die sich durch das ganze Gedicht zieht. (Ich liebe Bäume und alles, was sie uns bringen.)

Die Dritte Strophe ist sehr schön. SChlicht und eindringlich. Das vor Sorge verdorrende Blattwerk oder Laubwerk. DIe morschenden Äste. Schön.

Die vierte Strophe würde ich kürzen. Etwa in der Form:
Ich sehe den Weg
den du gehst...
und ich will dich nicht aufhalten.
So, finde ich, wird es noch dichter und eindringlicher.

Die fünfte Strophe leidet ein wenig unter ihrer Subjektivität. Zu viel Sinne treten hier auf und machne den Text staksig. (Ich hoffe, du verstehst, was ich damit meine.)
"Riecht faulig nach Unheil" ist nicht so gelungen. Das riecht nach Ärger, mächte man da sagen und in andere Platitüden verfallen.

Jetzt kommt die schwierigste Strophe.
Folgende Zeilen würde ich streichen oder verändern
1. Sehe dein Lächeln! - streichen
2. Doch die Angst schnürrt mir die Luft an. - verändern. Das ist so ein Gemeinplatz. 1000 geschrieben. Da fällt dir was besseres ein.
3. Weil das glischig nasse Erdreich - verändern. Glitschig würde ich weglassen. Das Wort ist zu platt und raubt dem Text ein Stück Poesie. (Was hältst du von dem feuchten Erdreich?)
4. Der Druck des Windes - verändern. Druck ist mir hier zu kraftlos. Es drückt nicht das aus, was du sagen willst.

Die siebte Strophe hat nur einen kleinen Makel: "Mein bisher schützendes Blattwerk". Das ist zwar eine schöne Formulierung, aber das Wort "Bisher" stört und sagt nichts aus.

Die letzte Strophe ist einfach nur schön. Ein würdiges Ende für diesen Gesang. Alles in allem ist es ein schönes Gedicht. Wenn ich nicht der Meinung wäre, hätte ich mir diese Mühe nicht gemacht, das kann ich dir sagen.

Generell glaube ich, daß ich deine Gedichte, auch die zukünftigen, mögen werde. Sie haben etwas in sich, das mich sehr anspricht und ich freue mich auf viel, viel mehr von deinen Texten.

Liebe Grüße,
Ilka

[SylviaB]

Ich danke dir sehr für deine Mühe. So macht es wirklich Sinn etwas in einem Forum zu veröffentlichen.

Ich werde mir das Ergebnis hinter den Kulissen erstmal ansehen.
Dieses Gedicht war für meine Tochter bestimmt, deshalb werde ich den ersten Block nicht streichen. Denn sie soll schon wissen, dass es nicht ihres ist...sondern ganz klar meins...!

Ansonsten muss ich jetzt erstmal rumprobieren Das find ich spannend.
Ich meld mich hier wieder sobald ich ein Ergebnis habe.

Lieben Gruß
Sylvia

PS: Ich muss mich mal mit Haikus beschäftigen, die kenn ich gar nicht.  

[SylviaB]

Liebe Ilka,

ich habe lange mit mir gehadert, dieses Werk von mir, umzuschreiben.
Aber nach so langer Zeit, muß ich tatsächlich zugeben, du hattest recht.
Ich habe einige Änderungen vorgenommen und denke, nun ist es zumindest weitgehendst lesbar. Ich möchte dir für deine Geduld und für deine Hilfe danken.

Vol.II

Der Klumpen in meinem Magen
schmerzt,
lässt mich zusammen sinken,
wie einen alten verknöchterten Baum -
dessen Wurzel stark
das Holz jedoch
durch Maden morsch geworden ist.

Die Sorge um dich
hat das Blattwerk braun werden lassen.
Die Äste brechen unter der
kleinsten Belastung!
Ich sehe deinen Weg
und will dich nicht aufhalten.

Der Wind fühlt sich nicht frisch an!
Er ist rauh und reißt an meiner Borke.
Stückweise fällt sie
wie ein Vorbote
in die Tiefe.

Ich sehe dir nach.
Du fühlst dich gut!
Deine Äste strecken sich
dem Himmel entgegen.
Doch deine Wurzel ist kurz
und der Gedanke quält mich,
dass du irgendwann fällst,
weil das durchtränkte Erdreich
dich nicht halten kann.
Der Regen dich unterspült
oder die Kraft des Windes
zu stark wird.

Aber ich lasse dich gehen!
Ich muss!
Nur eines kann ich tun:
Mein schützendes Blattwerk
wird für dich weichen,
damit die Sonne dich stärkt!
Du kräftig genug bist
den Widrigkeiten des Lebens
zu widerstehen!

Und ich werde mit meinen Wurzeln
ein Bett bereiten -
auf das du fallen kannst.

[Tayfun]

Hallo Sylvia und Brynhilda,
ich finde das Gedicht in seiner jetzigen Fassung hervorragend, aber auch die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Text ist ein gelungenes Paradestückchen für dieses Forum.
Liebe Grüße, Tayfun

[Brynhilda]

Hallo Sylvia!

Das Gedicht ist wunderschön geworden, und ich freue mich sehr darüber, daß ich helfen konnte.

Liebe Grüße,
Ilka

[SylviaB]

@Tayfun

Es ist immer schwer Kritik einzustecken. Aber ich finde es viel schwerer zu "sehen". Also ich mag Kritik aber ich brauche manchmal einige Zeit sie wirklich im Text zu verarbeiten. Aber Ilka ist sehr einfühlsam was solche Texte betrifft und ich muß zugeben, sie hat ein phantastisches Verständnis für lyrische Texte.


@Ilka

Ich kann nur noch mal Danke sagen. Es ist mir eine Ehre mit dir zusammen an einem Text zu arbeiten.

Lieben Gruß
Sylvia

[Idefixchen]

Halo Sylvia,

ich traue mich fast gar nicht was zu deinem Gedicht zu schreiben
Ich finde es sehr anschaulich, ich kann mir die beiden Bäume lebhaft vorstellen.

Einzig diesen Teil würde ich noch verändern:

[SylviaB]

Das wäre aber nicht richtig.

Wie ein alter verknöchter Baum sah sie aus.

Wie einen alten verknöchterten Baum ließ man sie liegen.

Da kommts auf die Grammatik an Idefixchen.


Lieben Gruß
Sylvia

[Idefixchen]

Aha... Man lernt immer dazu