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MarleneGeselle Schneckenpost
Alter: 67 Beiträge: 12 Wohnort: Hettingen
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19.02.2014 12:56 Lieber Gisbert von MarleneGeselle
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Hallo,
hier eine kleine Geschichte von mir, die ich als reine Fingerübung fabriziert habe. Gute Unterhaltung.
Lieber Gisbert
Wir stehen hier an deinem Grab, um dir die letzte Ehre zu erweisen, Abschied zu nehmen und uns gegenseitig Trost zu spenden. Wir müssen nun ohne dich auskommen.
Aber zuerst möchte ich mich bei Konrad bedanken, der einen halben Nachmittag damit verbrachte, mich solange zuzutexten, bis ich zusagte, heute ein paar Worte über dich zu sagen. Ohne Konrad wäre mir gar nicht bewusst, welche Rolle du in meinem Leben gespielt hast. Ja, ich habe dir Einiges zu verdanken.
Dich, liebe Marina, möchte ich um Verzeihung bitten, wenn ich hier und jetzt deine Erwartungen enttäusche. Ich weiß, das tat ich mehr als einmal im Leben.
Nun zu dir, lieber Gisbert:
Dein Leben ist schnell runterskizziert. Du warst der hübscheste und freundlichste Junge in der Schule, warst entsprechend beliebt. Deine kleinen Fehler verziehen dir die meisten. Verzeihe mir, wenn ich nicht zu denen gehörte. Aber wir wissen ja alle, dass niemand ohne Tadel ist.
Ausbildung und Beruf machtest du mit Links. Nahezu jedem war es eine Freude, dich zu protegieren. Sieh es mir nicht nach, dass ich nicht zu jenen gehörte.
Das schönste Mädchen unserer Stadt, damit bist du gemeint, liebe Marina, wurde schnell die Deine. Haus und Sportwagen folgten. Entschuldige die Portion Neid, die ich seinerzeit runterschlucken musste. Wir sind alle nur aus Fleisch.
Über deine Karriere und deine zahlreichen Ehrenämter muss ich nicht sprechen. Wir haben alle deinen unvergleichlichen Werdegang verfolgt. Man wird nicht einfach nur so der erste Mann seiner Vaterstadt. Und nun wird es Zeit, darüber zu sprechen, was ich dir zu verdanken habe.
Du hast meine Hausaufgabenhefte aus der Schultasche geklaut, sie umetikettiert und als die deinen ausgegeben. Das lehrte mich, sorgfältig auf meine Sachen aufzupassen und mir beizeiten einen Stil zuzulegen, den wirklich niemand kopieren konnte.
Dass du mir Marina ausgespannt hast mit deinen teuren Geschenken, habe ich dir nie wirklich angekreidet. Hast du mich doch so vor der größten Fehlentscheidung meines Lebens bewahrt.
In der Firma hast du meine Ideen als die einigen ausgegeben, bist damit die Leiter raufgeklettert. Ich blieb zurück, unbemerkt, konnte über meine Zukunft nachdenken. Lieber Gisbert, an dem Tag, an dem du das Abteilungsleiterschild neben die Bürotür festgeschraubt hast, da habe ich meine Kündigung eingereicht. Ja, dir verdanke ich es, in der Schweiz den Durchbruch geschafft zu haben. Da gibt es nichts zu deuteln!
Lieber Gisbert, ich will nun Schluss machen und dir dafür danken, dass du die Reißzwecke in meinem Sitzfleisch warst. Denn es sind die Reißzwecken, die einen zwingen aufzustehen und nachzusehen, was auf dem Stuhl liegt.
Dir, Konrad, nochmals meinen Dank. Schließlich hast du mich dazu gebracht, in der Mitte meines eigenen Lebens Bilanz zu ziehen.
Dir, Marina, mein tief empfundenes Mitgefühl. Die Sonne, die dich wärmte und dich hell und strahlend aussehen ließ, ist verloschen. Du musst nun zusehen, wie du dein eigenes Feuer zum Brennen bringst. Aber wie ich dich kenne, wirst du viele finden, die dir beim Holz sammeln helfen.
Gisbert, mach es gut. Man sieht sich wieder – in jedem Leben.
_________________ Es gibt kein schlimmeres Laster als Tugend im Übermaß. |
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Amaryllis Forenschmetterling
Alter: 38 Beiträge: 1380
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19.02.2014 13:32
von Amaryllis
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Herzlich willkommen Marlene!
Ganz überzeugt mich deine Geschichte nicht - mir fehlt ein bisschen der Rahmen. Mich würde interessieren, wie die Leute auf diese Grabrede reagieren, wie das Szenario ausschaut. Daran läge meiner Meinung nach die wahre Komik in dem Text, nicht in der Aufzählung aller Verfehlungen des Verstorbenen, die so niemand wahrgenommen hat, bzw. wahrnehmen wollte.
Prinzipiell ist es natürlich sicher geschrieben, aber ich finde, dass du den Redencharakter auch mehr hättest betonen können, also mir fehlt ein bisschen das "Gesprochene". Das kann aber gut an meiner österreichischen Herkunft liegen, wir würden statt den Präteritum (außer vl. bei "sein") sicher das Perfekt verwenden.
Ich belass es mal dabei, weil ich mir nicht ganz sicher bin, ob du hier "nur" Feedback haben möchtest oder auch "Textarbeit"
Liebe Grüße,
Ama
_________________ Mein Leben ist ein Scherbenhaufen...
Aber ich bin der Fakir. |
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MarleneGeselle Schneckenpost
Alter: 67 Beiträge: 12 Wohnort: Hettingen
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19.02.2014 13:51
von MarleneGeselle
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Hallo Ama,
danke für dein Feedback, diese Gruppe ist wirklich sehr flink.
Ich wollte seinerzeit den Redentext für sich alleine wirken lassen, habe bewusst auf die Reaktionen der anderen Personen am Grab verzichtet. Ich denke, dass sich sowas in einem Video besser machen würde, das Gesicht verziehen usw. Im Text würde das, so fürchte ich, schnell langweilig, weil man dann auch schnell in endlosen Aufzählungen landet.
Außerdem wollte ich eine große Menge an Informationen unterbringen. Der Leser sollte sich ein gutes Bild sowohl von dem Verstorbenen als auch von seinem Grabredner machen können.
Aber da bin ich gespannt, welche Erfahrungen die anderen Forenmitglieder gesammelt haben.
Liebe Grüße
Marlene
_________________ Es gibt kein schlimmeres Laster als Tugend im Übermaß. |
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Harald Show-don't-Tellefant
Alter: 76 Beiträge: 5104 Wohnort: Schlüchtern
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19.02.2014 13:52
von Harald
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Hallo Marlene,
ein herzliches Willkommen hier …
(Die Geschichte kenne ich doch …)
_________________ Liebe Grüße vom Dichter, Denker, Taxi- Lenker
Harald
Um ein Ziel zu erreichen ist nicht der letzte Schritt ausschlaggebend, sondern der erste! |
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2941 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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19.02.2014 14:23
von Klemens_Fitte
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Hallo Marlene,
ich finde, du hast da eine weiß Gott nicht neue Grundidee sehr passabel umgesetzt. Die Reduktion auf die Rede selbst macht den Grundton des Textes aus und ich denke nicht, dass er in einem größeren Rahmen, einer erweiterten Erzählperspektive genauso funktionieren würde. Du sprichst ja selbst von einer bewussten Entscheidung.
Irgendwie habe ich aber das Gefühl, dass der Text seltsam gedrosselt ist, sich selbst zurücknimmt und die sprachlichen Möglichkeiten, die eine solche 'Abrechnungsschrift' bietet, nicht ganz ausschöpft; alles bleibt ein wenig an der Oberfläche, harmlos.
Solltest du also Lust haben, den Text zu erweitern, wäre das mein Ansatzpunkt.
Liebe Grüße,
Klemens
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Tom Erde Gänsefüßchen
T Alter: 52 Beiträge: 47 Wohnort: Hamburg
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T 19.02.2014 18:04
von Tom Erde
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Hallo Marlene,
herzlich willkommen.
Bitte nicht böse sein, aber als - Geschichte - würde ich deine Fingerübung nicht unbedingt bezeichnen wollen. Als humorige Grabrede vielleicht, als kleine Abrechnung, oder eventuell unter das Motto gestellt - Was ich dir immer schon mal sagen wollte, auch wenn es eigentlich zu spät dafür ist.
Oder ist diese Rede nur ein herausgestelltes Segment einer größeren Geschichte?
Trotzdem die Idee nicht neu ist, habe ich deinen Text gerne gelesen. Es kam keine Langeweile auf!!
In einem Punkt muss ich Klemens_Fitte allerdings beipflichten, mir kam das Ganze auch ein wenig gedrosselt vor, da steckt mehr drin! In einen größeren Zusammenhang gesetzt, wäre dies bestimmt ein Thema für eine lustige Kurzgeschichte.
Grüße
Tom Erde
_________________ Mit deinem Kuss ging´s mir in die Hände,
zu sperren den Drachen hinter brennende Wände.
Nun binden ihn Ketten aus verzaubertem Feuer,
nun winselt und schnurrt es das Ungeheuer.
Tom Erde |
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MarleneGeselle Schneckenpost
Alter: 67 Beiträge: 12 Wohnort: Hettingen
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25.02.2014 10:42
von MarleneGeselle
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Guten Morgen,
und danke für eure Meldungen.
Ja, ich hatte selber mit mir zu kämpfen, als ich diese kleine Grabrede schrieb. Wie viel Hintergrund? Was an Zusammenhang? Im Zweifelsfall belasse ich es immer bei der etwas "dürftigeren, schmaleren" Version, um den Leser zu zwingen, sich selbst mit der Sache zu befassen. Das geht nicht immer gut aus.
Es ist übrigens nichts aus einem größeren Zusammenhang, etwa aus einer Novelle oder gar einem Roman. Aber ich denke, irgendwann eine solche Rede als einen Baustein zu verwenden.
Liebe Grüße
Marlene
_________________ Es gibt kein schlimmeres Laster als Tugend im Übermaß. |
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lilaluna Gänsefüßchen
L
Beiträge: 35
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L 25.02.2014 12:10
von lilaluna
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Hallo Marlene,
bevor ich über Dich herfalle und Dir mitteile, was alles Du besser machen könntest und in welchen Dimensionen Kurzprosa wirklich zu sehen ist, erst mal herzlich willkommen im Club der halbtoten DichterInnen!
Dann: Ich nehme den Text als den, den Du Dir gedacht hast, als Du ihn aufschriebst - er ist, will und braucht auch nicht mehr sein als ein kleiner, frecher Nachruf. Ich finde nicht, dass man über die Reaktionen, die ein solcher in einer Trauergemeinde hervorrufen könnte, einen Spielfilm drehen und deshalb von Dir gleich den kompletten script verlangen müsste - wer lesen kann, kann auch Kopfkino. Und das ist oft vergnüglicher als der fetteste Hollywoodschinken, wie auch Du weißt.
Mir fehlt der Rahmen nicht, wie gesagt. Was ich mir wünschte, wäre, dass von Anfang an klar ist, dass hier ein Mann spricht. De facto erschließt sich das leider erst in der Mitte des Textes, als wir erfahren, dass der Verblichene dem redenden Wesen das Mädchen ausgespannt hat. Das könnte man ändern. Aus Zitat: | Aber zuerst möchte ich mich bei Konrad bedanken, der einen halben Nachmittag damit verbrachte, mich solange zuzutexten, bis ich zusagte, heute ein paar Worte über dich zu sagen. | würde ich ein
"Aber zuerst möchte ich mich bei Konrad bedanken, der mich an unsere gemeinsame Männerfreundschaft erinnerte und mich dazu bewegte, heute ein paar Worte über dich zu sagen." Damit vermiedest Du auch das unschöne Slangwort "zutexten", das bei Grabreden eher unangebracht ist.
Die Sache würde im Übrigen noch besser wirken, wenn Du stellenweise weniger flapsig daherkämest ("runterschlucken", "geklaut", "raufgeklettert", "mit Links", "nichts zu deuteln"). Je gestelzter die Ausdrucksweise, desto witziger! Es wären dann auch die von Dir verarbeiteten Kalauer (der mit der Reißzwecke und der mit dem Holzsammeln) so eingebettet, wie es Aphorismen in Grabreden immer sein müssen.
Bei Miniaturen wie diesen brauchts keinen Hintergund. Wenn das Objektiv auf Makro gestellt ist wie hier, ist's hinter dem Objekt immer verschwommen. Wer für den Hintergrund noch die ausgemalte sixtinische Kapelle verlangt, nimmt in Kauf, dass man das Objekt davor fast nicht mehr wahrnimmt.
Und das wäre schade.
Liebe Grüße
lilaluna
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Soraja Eselsohr
Beiträge: 227
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25.02.2014 12:38
von Soraja
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Hallo MarleneGeselle,
ich finde deine Fingerübung amüsant. Mir sind beim Lesen gleich die eigenen Reißzwecken eingefallen. Deine Fingerübung hat mich über meine Reißzwecken schmunzeln lassen.
LG Soraja
_________________ Soraja wünscht Dir einen wundervollen Tag! |
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MarleneGeselle Schneckenpost
Alter: 67 Beiträge: 12 Wohnort: Hettingen
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27.02.2014 10:26
von MarleneGeselle
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Guten Morgen,
und ein herzliches Dankeschön für euer Feedback.
@lilaluna: Danke für den Tipp wegen der Männerfreundschaft.
Ich wollte in dieser kleinen Grabrede auch rüberkommen lassen, dass der Redner immer noch verletzt ist, nicht hat verzeihen können. Weiß nicht, inwiefern das gelungen ist.
Liebe Grüße
Marlene
_________________ Es gibt kein schlimmeres Laster als Tugend im Übermaß. |
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lilaluna Gänsefüßchen
L
Beiträge: 35
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L 27.02.2014 11:10
von lilaluna
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Hallo Marlene,
wer eine Grabrede hält, die den Toten herabwürdigt, bricht ein Tabu und erscheint daher nach außen immer verletzt, ganz egal, wie er formuliert.
Ich glaube deshalb nicht, dass man diese Verletztheit noch xtra sprachlich zum Ausdruck bringen müsste. Wie schon gesagt: Je konservativer das Sprachspiel des Grabredners, desto knalliger die Vorwürfe. G'schchterln wie das da leben zu einem Großteil von dieser eigentlich leicht zu erzielenden Spannung.
Liebe Grüße
lilaluna
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