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auf dem friedhof


 
 
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Haruki Okada
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 62
Beiträge: 66
Wohnort: Holstein


Beitrag05.01.2014 18:13
auf dem friedhof
von Haruki Okada
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

abgesackte steine korrespondieren
mit verwesenden gefühlen
blaugeäderte altweiberhände legen gelbe rosen
auf grüne gräber
durch spinnweben hindurch
ganz behutsam
bloss den tod nicht aufschrecken
sind ihm schon zu nah  
das grab eines alten mädchens
neunzehn jahre jung
die vorwurfsvolle inschrift
warum nur
rausgewurzelt
aus dem Leben
eine Ahnung von verlust bohrend in der luft
stumme schreie unter tautropfendem rasen
die karawane der alten frauen zieht klagend über
kiesbestreute wege
jahrtausendelang schon ziehen sie dahin
eine runde nach der anderen um
die weiße Kapelle
im uhrzeigersinn
ihre männer haben sich von dannen gemacht
wenn man die mal braucht sind sie tot
und die noch nicht die letzte kurve
gekriegt haben
meiden die gräber riechen selbst abgestanden genug
wollen nichts beschreien

eine trübe herbstsonne zählt vorsichtig zwischen
griesgrämigen wolken hindurch emsig werkelnde weiber
sie greifen den tod mit ihren gichtgekrümmten händen
kolonnen von gräbern marschieren durch
neblige alleen feuchte spinnweben obendrauf überladen mit engeln
aus ton schweigende steine darauf worte worte worte
unser bester vater mutter haben dich geliebt werden dich nie vergessen  
schmucklose holzkreuze und nackte steine  
die engel verstehen auch das
knirschender kies unter abgelaufenen schuhsohlen
ausgetickte uhren erstarrte zeiger auf vergilbtem ziffernblatt
zu viel losgelöstes zwischen angepflanztem
einige reihen weisen lücken auf

schau mal beste lage
mir egal kannst mich eintopfen
wieso keine witze an diesem ort
raureifige vorwürfe aus deinen vollen lippen
verlustangst ist s die du ausdünstest
was daran geschmacklos ist möcht ich wissen
jeder ist mal dran auch du soll nicht so reden
nicht mal dran denken
hahaha denke noch ganz andere dinge
steine sacken während wir mit leichenbittermiene diskutieren
fünfundzwanzig jahre grabpacht vergehen wie im flug
stell mir vor wie knochen aus dem boden wachsen ein wald von knochen
schwingt sich hinauf in schwindelnde höhen ein gewaltiger berg
der mount everest ist nichts gegen diesen
bleich grinsenden knochenkoloss

dann lieber zuhause liegen
kannst mich im garten begraben neben dem hund
sind mir zu viele blanke knochen hier
natürlich schau dich um phantasie ist die währung der hoffenden
zurück zum hund wir liegen seite an seite und
müffeln gemeinsam dem jüngsten tag entgegen
nebeneinander im garten schwarze erde
fängt unsere ausgebleichten gebeine
in ihrem schoß
wir spielen knochenmikado
der hund und ich
bis zur  hauptverhandlung  spielen wir
der saum der richterrobe des vorsitzenden des jüngsten gerichts
streicht über unsere ausgewaschenen Seelen
weiß gewinnt
gottes acker ist überall
die kirche definiert gar nichts sie interpretiert nur
können die sich nicht einfach in ihren glauben fallen lassen
ohne großes palaver und einfach die schnauze halten
wortlos schlüpfen die lebenden zwischen den toten hindurch

am tor eine frau alt und grau spinnweben im gesicht
überreicht mir mit zitternden händen eine gelbe rose lächelt irgendwie schlau
warum krieg ausgerechnet ich die blume
ist doch nett sagst du finde ich seltsam hat mich so merkwürdig angesehen
ein gesicht genauso vogelig wie der abgewandte blick
kräuterzauberhexe wachtelige oma eingesunkene lider
die alten weiber sind die krähen
des friedhofs
hör auf zu lachen ist  unheimlich genug jetzt lachst du
irrational erst etepetete dann so was nicht durch das große tor gehen bringt unglück
werd noch unsicher
hahaha und du wolltest neben dem hund liegen

die gelbe blume muss weg der alten komischer blick beunruhigt mich
über weiß gestreiftem zebra kommt uns die nächste krähe entgegen
bitte sehr gnädige frau
so aufmerksam danke gerne eure runzligkeit
puuh grad noch mal gutgegangen
meine frau schüttelt sich vor lachen hakt mich unter
ich küsse ihr haar der
nebel weicht allmählich sie nimmt meine hand mit festem druck  
vertröste den hund guter alter schatten
s muss noch warten mit dem garten

kurzentschluss fidibus
reisse mich los laufe zurück nehme
die kräuterhexe in den arm danach die grauschleifige nasenhaarige gelbberoste
zebrakrähe verteile küsse auf die blasse trockenheit welker wangen
nichts für ungut meine damen wünsche einen
schönen tag
von heiserem lachen bestäubt renne ich zurück zu susanne
schwindelig du irrer sie küsst mich auf den mund
werde ihr feuer anheizen nachher zu haus
die zebrakrähe und die kräuterhexe wedeln herbstsonne hinterher
weiss so gut
wie nichts
die beiden ein wenig mehr

Punkt



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lilli.vostry
Wortschmiedin


Beiträge: 1219
Wohnort: Dresden


Beitrag05.01.2014 22:55
aw:aufdemfriedhof
von lilli.vostry
Antworten mit Zitat

Hallo Haruki Okada,

ich habe Deinen Text gern gelesen, der mir gefällt mit seiner morbid-schönen Stimmung und wehmütig-augenzwinkerndem Nachdenken über Leben und Tod, wo wie man begraben werden möchte, was von einem bleibt...
Gefallen hat mir die Zeile (für mich der Kern des Textes): "die alten Weiber sind die Krähen des Friedhofs" - um die die Gedanken des LI dann sehr aus- und abschweifend kreisen...

Auch Bilder wie "bleichgrinsender Knochenkoloss" oder "Knochenmikado" sind ausdrucksvoll.

Leider ist der Text durch die Fülle an lose aneinander gereihten Gedanken und Bildern überfrachtet, einiges wiederholt sich, der Aufbau wirkt beliebig mehr wie ein längerer Tagebuch-Eintrag der Eindrücke auf diesem Friedhof. Erst wird allgemein erzählt, später die Du-Anrede, dann heißt es "meine Frau" und dann "Susanne". Das ist beschreibender Prosa-Charakter.

Während ein Gedicht gerade durch die lyrische Ver-dichtung, Reduzierung auf wenige prägnante Bilder und einen bestimmten Sprachrythmus sich von reiner Prosa abhebt. Mit wenigen Worten viel sagen, das ist das Besondere bei Lyrik.

Ich würde Dir empfehlen, das Gedicht auf seinen Aususagekern - mit den schwarzen Klageweibern - zu reduzieren, die ausführliche Gräber-Beschreibung und Aussagen zur Kirche wegzulassen, da zu viel von der eigentümlichen Friedhofsstimmung verlorengeht.

Die erste und letzte Strophe finde ich gelungen und würden mir persönlich genügen.

Aber es ist Dein Text.

Abendliche Grüße,
Lilli


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firstoffertio
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Beitrag05.01.2014 22:55

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Also, erst mal,

da sind gute Bilder drin. Zum Beispiel, wie du die Spinnweben an verschiedenen Stellen benutzt, 'verwesende Gefühle', 'rausgewurzelt aus dem Leben'.

Aber insgesamt ist mir das viel zu lang. Ich weiß am Ende nicht, was dein Gedicht mir vermitteln will.

Ich beende mein Lesen mit dem Gefühl, dass LI nicht oft auf Friedhöfe geht, und eine Aversion gegen sie hat, ja, vielleicht sogar eine Angst vor ihnen. Alles scheint ihm dort als alt und tot zu begegnen, vor allem die Frauen. Hhm. Das geht gegen meine eigene Erfahrung von Friedhöfen..

In der letzten Strophe versucht LI, dagegen anzugehen, auf komische Art und Weise.

Am Ende überlege ich mir, ob LI eventuell ein runzliger alter Mann ist?
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Haruki Okada
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 62
Beiträge: 66
Wohnort: Holstein


Beitrag06.01.2014 13:42

von Haruki Okada
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo lilli.vostry,

danke für Deinen Kommentar.
Ich denke, Du hast recht. Das Gedicht ist ein wenig überfrachtet
und die Formen vermischen sich natürlich gen Ende.
Der Grundgedanke war das (strukturierte) Assoziieren von Empfindungen und Gesehenem.
Die 1. Fassung dieses "Werkes" ist vor Jahren auf einer Hör-CD erschienen,
freundlicherweise eingesprochen von einem österreichischen Schriftsteller und Musiker. Ich habe nur wenig daran verändert.

Gruß

Haruki


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Haruki Okada
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 62
Beiträge: 66
Wohnort: Holstein


Beitrag06.01.2014 13:49

von Haruki Okada
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo firstoffertio,

danke für Deine Anmerkungen.
Ich persönlich mag Friedhöfe.
Sie sind Orte der Ruhe und der Reflexion.
Die Bäume und Hecken, die Blumen, Vögel im Sommer.
Gerne suche ich auch Kirchen auf, wo immer ich bin. Ich setze mich in eine der Bänke und lasse den Geist des jeweiliugen gebäudes auf mich wirken. Weniger gern besuche ich Gottesdienste, weil ich von den meisten Gottesdienern nicht viel halte. Aber ich spüre auch den Tod. Nicht  nur auf dem Friedhof. Bisweilen kann ich ihn an anderen riechen. Auf diese Eigenschaft(en) würde ich liebend gerne verzichten. Geht aber nicht. Meine Mutter und meine Tochter empfinden genauso. Das liegt wohl in der Familie. All das schwingt mit. Das LI ist in diesem Fall recht identisch mit dem Verfasser. Hab grade mal in den Spiegel gesehen. Nein. So runzlig sieht das Gesicht noch nicht aus. Es besteht noch Hoffnung Cool

LG

Haruki


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Oliver
Geschlecht:männlichWortedrechsler
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Alter: 33
Beiträge: 70
Wohnort: BY


O
Beitrag06.01.2014 14:48

von Oliver
Antworten mit Zitat

Hallo Haruki,

du hast angemerkt, dieser Text sei bereits vertont worden. Das kann ich mir sehr gut vorstellen, gerade bei so einer Länge braucht es Spannungsmomente, die leicht von einem geschulten Vorleser gesetzt werden können.

Gleichwohl würde ich dir empfehlen, jedes Wort in jeder Zeile nochmal abzuklopfen. Braucht es das wirklich, ist das "verdichtet" genug?

Wenn ich die erste Strophe langsam und intensiv immer und immer wieder lese, fühle ich ein paar Redundanzien:

abgesackte steine korrespondieren
mit verwesenden gefühlen
blaugeäderte altweiberhände legen [color=red]gelbe[/color] rosen
auf grüne gräber
durch spinnweben hindurch
ganz behutsam
bloss den tod nicht aufschrecken
sind ihm schon zu nah
das grab eines alten mädchens
neunzehn jahre jung
die vorwurfsvolle inschrift
warum nur
rausgewurzelt
aus dem Leben
eine Ahnung von verlust bohrend in der luft
stumme schreie unter tautropfendem rasen
die karawane der alten frauen zieht klagend über
kiesbestreute wege
jahrtausendelang schon ziehen sie dahin
eine runde nach der anderen um
die weiße Kapelle
im uhrzeigersinn
ihre männer haben sich von dannen gemacht
wenn man die mal braucht sind sie tot
und die noch nicht die letzte kurve
gekriegt haben
meiden die gräber riechen selbst abgestanden genug
wollen nichts beschreien

[

jetzt mal ohne die Füllwörter!

abgesackte steine
mit verwesenden gefühlen
blaugeäderte altweiberhände legen rosen
auf grüne gräber
durch spinnweben hindurch
behutsam
den tod nicht aufschrecken
sind ihm schon nah
grab eines alten mädchens
neunzehn jahre jung
vorwurfsvolle inschrift
warum
rausgewurzelt
aus dem LebeAhnung von verlust bohrend in der luft
stumme schreie, tautropfender rasen
die karawane der alten frauen zieht über
kiesbestreute wege
jahrtausendelang schon ziehen sie
eine runde nach der anderen um
die weiße Kapelle
im uhrzeigersinn
männer haben sich von dannen gemacht
wenn man die braucht sind sie tot
die noch nicht die letzte kurve
gekriegt haben
meiden die gräber riechen selbst abgestanden
wollen nichts beschreien


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Haruki Okada
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 62
Beiträge: 66
Wohnort: Holstein


Beitrag06.01.2014 18:41

von Haruki Okada
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Oliver,

es lässt sich natürlich noch mehr komprimieren.
Die eine oder andere Fuge könnte noch besser "verschmiert" werden.
Danke für Deine Anregung.

Gruß

Haruki


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