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Schutzengel


 
 
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Weltenbruch
Geschlecht:männlichSchneckenpost
W


Beiträge: 8



W
Beitrag03.11.2020 21:03
Schutzengel
von Weltenbruch
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich habe keine Angst. Ich weiß, dass ich überleben werde. Bisher habe ich es immer geschafft. Zwölf Mal konnte ich dem Tod schon ein Schnippchen schlagen. Und auch dieses Mal werde ich dem Tod entkommen. Diese Wichser haben mich an die Gleise gekettet und in nicht einmal zwei Minuten wird der Zug kommen. Wegen läppischen sechstausend Euro, die ich ihnen schulde.
Ein Moment der Panik, aber ich beruhige mich wieder, denn ich weiß, dass sie kommt. Mein Schutzengel. Sie kommt immer. Es dauert nur noch einen Moment, nur ein paar Sekunden, dann wird sie da sein. Hoffe ich …
Ich sehe etwas im Augenwinkel und drehe den Kopf in die Richtung. Mein Herz macht einen Satz. Da kommt sie; so blass, als könnte ein Windhauch sie verwehen. Ich werde überleben. Heute werde ich nicht sterben, heute nicht.
Jedes Mal, wenn sie gekommen ist, um mich zu retten, bin ich sprachlos gewesen, aber dieses Mal will ich endlich verstehen, verstehen, warum ich so ein Glück habe. Sie kommt zu mir und löst meine Ketten ohne sie zu berühren. Ich stehe auf, reibe mir die Gelenke. Ihr Gesicht ist ausdruckslos. Für einige Momente schaut sie mich an, dann dreht sie sich wieder und geht davon.
»Warte!«, rufe ich ihr zu.
Sie wendet sich zu mir und sieht mich an. Eine unterschwellige Irritation liegt in ihrem Gesicht. Als hätte ich etwas getan, was ich nicht hätte tun sollen.
Ich steige über das Geländer, da der Zug herannaht und ich ihr so näher bin. Sie ist so blass, es ist fast, als wäre sie durchsichtig. Ich will sie berühren, aber sie ist noch zu weit weg.
»Kannst du sprechen?«, frage ich sie.
»Ja«, sagt sie mit einer fremdartigen Stimme. Ich höre sie zum ersten Mal.
»Warum hilfst du mir?«
»Dieser Tod ist nicht schlimm genug.«

Dann wendet sie sich wieder ab, geht weiter und ich wünsche mir, ich läge noch auf den Gleisen.

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Abari
Geschlecht:männlichAlla breve

Alter: 43
Beiträge: 1838
Wohnort: ich-jetzt-hier
Der bronzene Durchblick


Beitrag03.11.2020 21:12

von Abari
Antworten mit Zitat

Cooler Einstand. Kurz, aber macht Lust auf mehr. Den letzten Satz mag ich nicht so. Wirkt auf mich erklärbärig.

Willkommen im Forum.


_________________
Das zeigt Dir lediglich meine persönliche, höchst subjektive Meinung.
Ich mache (mir) bewusst, damit ich bewusst machen kann.

LG
Abari
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Weltenbruch
Geschlecht:männlichSchneckenpost
W


Beiträge: 8



W
Beitrag03.11.2020 21:15

von Weltenbruch
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke fürs Feedback! Ja, versteh ich mitm letzten Satz, könnte man auch eigentlich weglassen. Knallt dann mehr.
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Abari
Geschlecht:männlichAlla breve

Alter: 43
Beiträge: 1838
Wohnort: ich-jetzt-hier
Der bronzene Durchblick


Beitrag03.11.2020 21:16

von Abari
Antworten mit Zitat

Ich schriebe:

Dann wendet sie sich wieder ab und geht weiter.

Schluss.


_________________
Das zeigt Dir lediglich meine persönliche, höchst subjektive Meinung.
Ich mache (mir) bewusst, damit ich bewusst machen kann.

LG
Abari
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Raven1303
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 41
Beiträge: 549
Wohnort: NRW


Beitrag03.11.2020 23:14

von Raven1303
Antworten mit Zitat

Wow, coole Wendung am Schluss.
Sehr gerne gelesen smile


_________________
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den Nächsten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm und ich kreise Jahrtausende lang.
Und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm? Oder ein großer Gesang... (R.M. Rilke)
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NinaNo
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
N


Beiträge: 28



N
Beitrag03.11.2020 23:53

von NinaNo
Antworten mit Zitat

Kurz und knackig und macht Lust auf mehr. Ich will jetzt wissen, warum er noch Schlimmeres verdient hat...
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Weltenbruch
Geschlecht:männlichSchneckenpost
W


Beiträge: 8



W
Beitrag04.11.2020 22:23

von Weltenbruch
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke!
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silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 750

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag04.11.2020 23:22
Re: Schutzengel
von silke-k-weiler
Antworten mit Zitat

Hallo Weltenbruch,

ich finde auch, ein gelungener, knackiger Einstand.

Ich hätte zwei Dinge anzumeckern Embarassed , ist nur meine Meinung:

Weltenbruch hat Folgendes geschrieben:
Ich habe keine Angst. Ich weiß, dass ich überleben werde. Bisher habe ich es immer geschafft. Zwölf Mal konnte ich dem Tod schon ein Schnippchen schlagen. Und auch dieses Mal werde ich dem Tod entkommen.


Zweimal Tod stört mich. Ich glaube, man könnte einmal ohne Not streichen. Entweder Nummer 2 gegen ein "ihn" oder so in etwa:

Zwölf Mal konnte ich ihm entkommen. Und auch dieses Mal werde ich dem Tod ein Schnippchen schlagen.

Bis sie die Ketten löst, lese ich 6x das Verb "kommen". Ob man da das ein oder andere ersetzen oder streichen kann, ohne dass der Ton des Erzählers sich großartig verändert?

z.B. (auch hier nur ein Vorschlag):

Jedes Mal, wenn sie gekommen ist erschienen ist, um mich zu retten, bin ich sprachlos gewesen, aber dieses Mal will ich endlich verstehen, verstehen, warum ich so ein Glück habe.

oder

Sie kommt zu mir und löst meine Ketten ohne sie zu berühren.

Gerne gelesen! Daumen hoch

VG
Silke
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Cathbad
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
C

Alter: 53
Beiträge: 29
Wohnort: Tirol


C
Beitrag06.11.2020 10:17
Re: Schutzengel
von Cathbad
Antworten mit Zitat

Hallo Weltenbruch,

Sehr mystisch. Die Spannung wird mit dem nahenden Zug gut aufgeladen.
Weltenbruch hat Folgendes geschrieben:
Für einige Momente schaut sie mich an, dann dreht sie sich wieder und geht davon.

"Für einige Momente" finde ich ein bisschen viel eingeräumte Zeit, in Anbetracht, dass mich bald ein Zug zu Hackfleisch verarbeitet.

Für einige Momente einen Moment schaut sie mich an, dann dreht sie sich wieder und geht davon.

Aber das ist nur mE.

Alles Gute und viel Erfolg

Beste Grüße

Cathbad
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Phenolphthalein
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 838

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Beitrag06.11.2020 20:30

von Phenolphthalein
Antworten mit Zitat

Hallo Weltenbruch,

die Idee ist gelungen, aber für den gewählten Erzählstil ist das schon ein wenig distanzierter als nötig und dann doch wieder nicht, wobei sich das dann auf die Gedanken bezieht. Die sind vorhanden.
Distanz entsteht jedoch dadurch, dass du nicht die direkten Gedanken oder Handlungen verwendest [nicht immer], sondern sie vom Erzähler quasi nennst.
Ich weiß, dass ich gerettet werde.
Ich werde gerettet.

Ebenso durch die Verwendung von [unnötigen] Modalverben.

Zwölf Mal konnte ich dem Tod schon ein Schnippchen schlagen.
Zwölf Mal schlug ich dem Tod ein Schnippchen.

Ich persönlich finde Füllwörter nicht so schlimm (na ja, meistens), aber hier brauchst du auch die nicht.
Das erhöht dann zudem das Tempo der Geschichte.

Und trotzdem erreicht mich die Gefahr des bevorstehenden Todes nicht. Für mich reicht die Nennung des Zuges ohne sein Erscheinen oder Andeutung[en] seines Näherns (Vibrationen z.B.) nicht aus.

In Ordnung. Das mag auch Geschmackssache sein, denn hier gilt wohl eher: "In der Kürze, liegt die Würze."
Daher ist das insgesamt in Ordnung.

Liebe Grüße,
Pheno


_________________
Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss.

-Arthur Schopenhauer
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Weltenbruch
Geschlecht:männlichSchneckenpost
W


Beiträge: 8



W
Beitrag08.11.2020 12:24

von Weltenbruch
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für das ganze super Feedback! Ich werde gleich die Geschichte nach eurem Feedback editieren smile Ich find das mit den Modalverben hier allerdings etwas besser, aber grundsätzlich geb ich dir recht, ich muss da mehr drauf achten - bei dem Schnippchen-Satz find ich den Klang einfach besser ehrlich gesagt und bei dem anderen Beispiel wollte ich so eine Unsicherheit mitreinbringen.

Edit (Dachte man kann den ersten Post editieren, aber dann nun hier)

Ich habe keine Angst. Ich weiß, dass ich überleben werde. Bisher habe ich es immer geschafft. Zwölf Mal konnte ich dem Tod schon ein Schnippchen schlagen. Und auch dieses Mal werde ich ihm entkommen. Diese Wichser haben mich an die Gleise gekettet und in nicht einmal zwei Minuten wird der Zug kommen. Wegen läppischen sechstausend Euro, die ich ihnen schulde. Da hatte ich auch schon größere Probleme in meinem Leben gehabt.
Ein Moment der Panik, aber ich beruhige mich wieder, denn ich weiß, dass sie kommt. Mein Schutzengel. Sie kommt immer. Es dauert nur noch einen Augenblick, nur ein paar Sekunden, dann wird sie da sein. Hoffe ich … Die Gleise beginnen leicht zu vibrieren, der Zug.
Ich sehe etwas im Augenwinkel und drehe den Kopf in die Richtung. Mein Herz macht einen Satz. Da kommt sie; so blass, als könnte ein Windhauch sie verwehen. Ich werde überleben. Heute werde ich nicht sterben, heute nicht.
Jedes Mal, wenn sie erschienen ist, um mich zu retten, bin ich sprachlos gewesen, aber dieses Mal will ich endlich verstehen, verstehen, warum ich so ein Glück habe, warum sie mich immer wieder rettet. Sie löst meine Ketten, ohne sie zu berühren. Ich stehe auf, reibe mir die Gelenke. Ihr Gesicht ist ausdruckslos. Für einen Augenblick schaut sie mich an, dann geht sie langsam davon.
»Warte!«, rufe ich ihr zu.
Sie blickt zu mir und sieht mich an. Eine unterschwellige Irritation liegt in ihrem Gesicht. Als hätte ich etwas getan, was sich nicht gehört, was ich nicht hätte tun sollen.
Ich steige über das Geländer, da der Zug herannaht und ich ihr so näher bin. Sie ist so blass, es ist fast, als wäre sie durchsichtig. Ich will sie berühren, aber sie ist noch zu weit weg.
»Kannst du sprechen?«, frage ich sie.
»Ja«, sagt sie mit einer fremdartigen Stimme. Ich höre sie zum ersten Mal.
»Warum hilfst du mir?«
»Dieser Tod ist nicht schlimm genug.«
 
Dann wendet sie sich wieder ab und geht.
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Muzzlehatch
Geschlecht:männlichWortedrechsler


Beiträge: 98



Beitrag22.11.2020 13:26

von Muzzlehatch
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Die Punchline bzw. die Grundidee der Geschichte finde ich absolut gelungen. Horror ist immer dann am besten, wenn das drohende Schicksal schlimmer als der Tod (oder wie hier schlimmer als ein gewöhnlicher Tod) ist.

Den Schlusssatz der ersten Version, mit dem Verlangen, sich wieder auf die Gleise zu legen, weil die Furcht vor der unbekannten Alternative noch viel größer ist, finde ich daher auch besser als den Schlusssatz der zweiten Version.

Die Sprache ist sehr klar und der Erzählstil weitgehend nüchtern. Für mich als Horror-Fan etwas zu nüchtern, aber das ist vielleicht auch Geschmackssache.

Was die Geschichte meiner Ansicht nach jedoch noch verbessern könnte, wäre geschicktes Foreshadowing. Offenbar hat sich der Protagonist etwas Übles zu Schulden kommen lassen, weswegen der "Schutzengel" ihn bis zu seiner endgültigen Strafe am Leben lässt. Vielleicht könntest du in der Beschreibung des Settings bzw. in dem "Warum?" für das Anketten auf den Gleisen andeuten, in welch ausgesprochen ruchlosen Kreisen der Protagonist unterwegs ist. Also etwas, das über "normales" Kleinkriminellentum hinausgeht, den Protagonist aber auch nicht gleich eindeutig als moralisches Monster diskreditiert.
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