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Todesengel - Teil 1


 
 
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Ajanoli
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 16



Beitrag21.05.2016 20:00
Todesengel - Teil 1
von Ajanoli
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

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Hallo ihr lieben.
Nachdem ich mich nun auch endlich getraut habe, mich in einem schriftstellerischen Forum anzumelden, um mich mit Gleichgesinnten auszutauschen, wage ich es jetzt auch, mein derzeitiges Projekt vorzustellen. Es handelt sich um einen Roman mit fantastisch angehauchten Elementen, in dem auch ein bisschen Krimi steckt. Ehrlich gesagt, kann ich es nicht richtig einem Genre zuordnen Wink

Der Arbeitstitel lautet Todesengel, und wie in meinem Vorstellungs-Thread bereits geschrieben geht es um folgendes:
Elena, eine sechzehnjährige Jugendliche, findet heraus, dass sie die Möglichkeit hat, zu einem Todesengel zu werden, die den Menschen beim Sterben beistehen und dann ihre Seele einsammeln und ins Anderreich bringen. Bevor sie aber beitreten kann, dauert es noch ein bisschen, sie muss sich erstmal "beweisen" und dann tummelt sich auch noch ein Serienkiller in ihrem Dorf. Die Todesengel kennen natürlich seinen Namen, wollen ihn aber nicht verraten, da es ihnen verboten ist. Deswegen macht sich die Protagonistin auf, den Serienkiller selbst zu stellen - und sich nebenher weiterhin auf ihre neue Rolle vorzubereiten.

Ich bin gespannt, was ihr dazu sagt und erhoffe mir viel Kritik. Bitte fasst mich nicht mit Samthandschuhen an, nur mit ehrlicher, offener Kritik kann ich mich richtig verbessern. Danke.



Erstes Kapitel

Elena Winterberg
Mittwoch, 19.9.2012


Winfried Winterberg war an diesem Morgen schon vor Sonnenaufgang aufgestanden, was ihn viel Überwindung gekostet hatte. Umso ärgerlicher war es, als er vor die Tür trat und erschossen wurde. Er war kein besonders großer oder eindrucksvoller Mann gewesen, doch sein Grabstein machte dies wieder wett. Anfangs. Viele Jahre später duckte der Felsbrocken sich nun unter dem unerbittlichen Griff des Efeus, der seine Finger tief in seine Eingeweide gegraben hatte. Moose und Flechten verdeckten die gerissenen Wunden. Einem verklärt lächelndem Putten war die Nase abgebrochen, genauso wie sein rechtes Pummel-Beinchen. Mit ein paar Strichen malte ich den Schatten unter seinem ausladenden Hinterteil dunkler und verwischte ihn ein wenig mit meinem Finger. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass in fünf Minuten die Pause zu Ende war und damit die himmlische Ruhe im Klassenzimmer. Ich verstaute den Kohlestift in einer kleinen Blechbüchse und wischte mir die Hände an einem Taschentuch sauber. In der Ferne hörte ich das Summen hunderter von Stimmen. Fröhliche, ausgelassene Stimmen dutzender Schüler, die mir so fern schienen, obwohl sie nicht weit weg waren. Ich sah hinab auf mein Bild und musste daran denken, dass mein eigenes Leben genauso farblos und düster war wie diese Skizze.
In diesem Moment zerplatzte meine öde Welt in hunderte Konfettischnipsel. Der Knall folgte unmittelbar danach, als ich bereits den Kontakt zu dem Holzstuhl verloren hatte und sich das Klassenzimmer in eine Hölle aus herumfliegenden Steinen, Staub und berstenden Tischen und Stühlen verwandelte. Ich wurde herumgeschleudert wie eine Marionette, deren Fäden in einen Ventilator geraten waren. Am Höhepunkt meines unfreiwilligen Fluges angekommen, schien die Zeit für einen Bruchteil still zu stehen und ich konnte ein Trümmerfeld aus der Vogelperspektive bewundern. Viel war vom ersten Stock des Gymnasiums, dem ganzen Stolz des winzigen Kaffs Lohsach, nicht übrig geblieben. Ein Schlachtfeld wie aus dem Geschichtsbuch. Wie ein grotesker Fingerzeig schwebte mein Bild an mir vorbei. Ein Grabmal. Meine unmittelbare Zukunft?
Ich fiel. Jetzt schien die Zeit in doppelter Geschwindigkeit zu laufen. Viel zu schnell näherte ich mich dem Boden. Oder zumindest dem, was davon übrig geblieben war. Ein riesiges Loch klaffte darin und ich bewegte mich unaufhaltsam darauf zu. Hart kam mein Oberkörper auf, während meine Beine ihren Fall fortsetzten und mit unnachgiebiger Kraft an mir zerrten. Ich drohte, von dem gespenstischen Loch verschluckt zu werden.
Reflexartig griff ich nach allem, was mir unter die Finger kam. Ich schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf, aber der brennende Schmerz hielt mich nicht davon ab, mein Leben einem scharfkantigen Steinbrocken anzuvertrauen, der vermutlich aus der Wand stammte, die auch nicht mehr vorhanden war. Stattdessen schien jetzt durch ein autogroßes Loch die warme September-Sonne unbekümmert herein als wäre nichts geschehen. Aufgewirbelter Staub flirrte in den Sonnenstrahlen, der gleich darauf von der anspringenden Sprinkleranlage zu Boden gedrückt wurde. In schmutzigen Rinnsalen lief mir das Wasser übers Gesicht und vermischte sich mit meinem Blut aus diversen Schnittwunden. Ich hatte mir eine Platzwunde am Kopf zugezogen und die ein oder andere Prellung. Meine Rippen protestierten schmerzhaft dagegen, an die raue Abbruchkante im Boden gepresst zu werden und meine aufgeschürften Finger würden mein Gewicht nicht mehr lange halten können. Meine Ohren dröhnten noch von dem Knall.
Langsam begann mein betäubtes Gehirn, die neue Situation zu begreifen. Es hatte eine Explosion gegeben. Fast die Hälfte des Fußbodens fehlte, sowie ein gutes Stück der Außenwand. Unter mir brannte es. Ich spürte die Hitze meine Beine hinaufkriechen. Offenbar funktionierte die Sprinkleranlage ein Stock tiefer nicht. Kein Wunder, die Hälfte der Decke fehlte ja. Langsam ließ das Dröhnen in meinen Ohren nach, dafür hörte ich nun wie mein Blut hektisch durch die Adern gepumpt wurde.
Der Boden unter meiner Brust begann leicht zu beben und bröckelte. Lange würde er mein Gewicht wohl nicht mehr tragen.
Ich öffnete den Mund. Meine Zähne fühlten sich locker an und ich schmeckte Blut. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass ich mir unter dem Druck der Explosion nicht die Zunge abgebissen hatte.
„Hilfe!“, krächzte ich, kaum imstande mehr als ein Flüstern hervorzubringen, das mit Sicherheit in den Schreien der entsetzten Schüler draußen auf den Gängen und dem Fauchen der Flammen unter mir unterging. Niemand kam.
Völlig unvorbereitet traf mich eine Welle der Angst. Ich war zu schwach und zu angeschlagen, um mich selbst hochziehen zu können und wenn ich fiel, landete ich direkt in dem flammenden Inferno unter mir. Ich kämpfte gegen die Panik an und versuchte ruhiger zu werden. Vergeblich. Ich hatte Todesangst und das war wirklich kein schönes Gefühl.
Es krachte, als ein weiteres Stück Boden unter mir wegbrach und mit einem Schrei rutschte ich ab. Hastig krallte ich mich fest, hing jetzt jedoch nur noch an meinen Fingerspitzen. Die Flammen leckten an meinen Schuhen und kokelten sie an. Ich zog die Beine an, doch lange würde ich diese verkrümmte Haltung nicht halten können.
Mein Bild schaukelte seelenruhig an mir vorbei nach unten und ich sah starr zu, wie es in den Flammen zu Asche verbrannte. Ich schluchzte auf.
„Hilfe“, rief ich noch einmal und versuchte verzweifelt, mich hochzuziehen. Doch dadurch brach der Boden nur noch schneller ein. Meine Finger schmerzten unerträglich und meine Muskeln protestierten gegen die ungewohnte Belastung. Innerlich schloss ich mit dem Leben ab.
Auf einmal schob sich ein Schatten zwischen dem Loch in der Außenwand und dem am Boden und beugte sich über mich. Ein schmutzigfeuchtes Gesicht tauchte über mir auf. Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, wer da zu mir hinabschaute. Zuerst war es nur ein dunkler Umriss gegen das helle Sonnenlicht. Schwarze Haare. Ein Schüler? Nein, er sah zwar jung aus, aber er war kein Schüler mehr. Dann erkannte ich ihn und mir wurde flau. Der neue Lehrer. Warum ausgerechnet er?
Der Erdkunde- und Französisch-Lehrer sah mich scharf an, als versuche er etwas in meinen Augen zu lesen. Sein zusätzliches Gewicht gefiel dem Boden jedoch gar nicht. Er stöhnte wehleidig und gab dann nach. Und ich fiel erneut. Ich wollte Schreien, doch eine Ladung Staub verstopfte meine Kehle und ich konnte nur noch husten und würgen. Wie starb man eigentlich schneller: durch ersticken oder durch verbrennen?
Mit einem Ruck kam ich zum Stillstand und baumelte in der Luft. Ich schwebte. Nein, ich wurde gehalten. Zwei Hände hatten sich um meine Oberarme gelegt. Der Lehrer hing gefährlich weit in das Loch hinab, doch er hatte mich abgefangen. Seine Finger in den einstmals weißen, jetzt schmutziggrauen Handschuhen, gruben sich wie Stahlmanschetten in meine Oberarme. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, bis er gemeinsam mit mir abstürzen würde.
Ich spürte das Feuer an meinen Beinen lecken, doch ehe ich in Flammen aufgehen konnte, begann Sébastien Bellmort mich vor und zurück zu schaukeln.
„Was tun Sie da?“, würgte ich hervor, während die Welt vor meinen Augen schwankte.
„Vertraust du mir?“, fragte der Lehrer und ließ mich immer stärker schwingen. Ich kam mir vor wie ein Trapezkünstler. Nur war das hier eindeutig keine mit einem Netz gesicherte Manege sondern der Vorhof zur Hölle.
Ich starrte zu ihm hinauf. Vertrauen? Ihm? Sicher nicht! „Nein!“, krächzte ich.
„Schade“, meinte Monsieur Bellmort nur und ließ mich los.
Mir rutschte das Herz in die Hose, als ich von dem Schwung getragen zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit zu fliegen schien. Die Hitze der Flammen leckte über mein Gesicht, doch dann war ich schon darüber hinweg und schlug auf dem Boden auf. Bei dem Aufprall wurde mir die Luft aus den Lungen gepresst und für einen Moment war ich nahe daran, ohnmächtig zu werden. Doch der schwarze Schleier hob sich wieder und ich konnte jetzt das ganze Ausmaß der Zerstörung im Chemielabor überblicken. Auch hier war im Boden ein großes Loch und ringsherum brannte es. Unter dem Chemielabor befand sich unglücklicherweise die Mini-Bibliothek, in der sich das Feuer so richtig austobte.
Ein Rumpeln ließ mich aufblicken und ich musste mit ansehen, wie sich ein weiteres Stück der Decke löste und mitsamt Sébastien Bellmort abstürzte. Noch im Fallen stieß sich der Lehrer ab und segelte wie ein Artist durch die Luft. Geschickt rollte er sich ab und kam nur unweit von mir entfernt zum Stehen. Wahnsinn. Der Mann war ja richtig athletisch. Jetzt fehlte nur noch, dass er irgend so einen bescheuerten, hautengen Sportanzug und Glitzer im Gesicht trug und er konnte im Zirkus auftreten. Manege frei!
„Bist du in Ordnung?“, fragte der Lehrer und kam zu mir gelaufen. Wie konnte er nur so ruhig bleiben, während es um uns herum brannte?
Ich nickte stumm, unfähig, klar zu denken. War das hier nur ein Albtraum oder bittere Realität?
„Wir müssen hier raus“, sagte Monsieur Bellmort und half mir auf die Beine.
„Wie?“, gab ich gequält zurück. Jeder Atemzug tat mir weh, ich fürchtete, mir mindestens eine Rippe gebrochen zu haben. „Die Tür ist da drüben.“ Ich deutete mit einem zitternden Finger in die Richtung, in der die Tür ungefähr liegen musste. Durch das Feuer und den Qualm war sie nicht zu erkennen. Wir waren gefangen. Und das Feuer kam unaufhaltsam näher.
Das Löschwasser, das von oben kam, fiel größtenteils nutzlos durch die Krater in die Bibliothek unter uns. Außerdem drohte die Decke jederzeit vollständig herunter zu brechen. Ich wollte gar nicht wissen, wie es mit dem Boden unter meinen Füßen beschaffen war.
Der Lehrer schaute sich um und machte dann zwei Schritte auf das zu, was einmal das Lehrerpult gewesen war. Er wühlte eine Weile in den Trümmern, dann zog er zwei Gegenstände heraus. Einen lädierten Erste-Hilfe-Kasten und eine Löschdecke.
„Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie mit dem Ding den Brand hier löschen können?“, fragte ich fassungslos. „Die wurde nie für einen Großbrand konzipiert!“
„Ich habe ja nicht gesagt, dass ich damit einen Großbrand löschen will, oder?“, erwiderte der Lehrer und kämpfte mit dem Erste-Hilfe-Kasten, um ihn aufzubekommen. Er war so verbogen, dass er klemmte.
„Putain de merde!“, knurrte er und zerrte wie wild an dem Deckel, bis er endlich aufsprang. Kurzerhand drehte er den Kasten um und lehrte ihn auf dem Boden aus. Jede Menge Pflaster, eine Schere und ein paar Einmalhandschuhe fielen heraus und schließlich das, wonach er gesucht hatte: die Rettungsdecke. Er legte sie neben die Löschdecke und zog dann Jackett und Hemd aus.
„Was soll das werden?“, fragte ich, nahe daran hysterisch zu werden.
„Keine Sorge, ich will dir nicht an die Wäsche“, meinte Monsieur Bellmort trocken und begann, die Ärmel seines Hemds abzureißen.
„Und was wird das dann?“ Albtraum, eindeutig. Wach auf, Elena, wach endlich auf!
„Ich versuche, uns das Leben zu retten“, erwiderte der Lehrer ruhig und trat zu den Überresten eines Waschbeckens an der Wand. Ein kleiner, aber stetiger Rinnsal tropfte aus dem Stumpf, der einmal ein Wasserhahn gewesen war. Rasch befeuchtete er die beiden Stoffstreifen und reichte mir einen. „Binde dir das über Nase und Mund.“
Ich gehorchte und knotete den Ärmel um meinen Kopf fest.
Monsieur Bellmort bückte sich, schlüpfte in sein Jackett und hob dann die beiden Decken auf. Die Löschdecke reichte er mir, die andere behielt er und faltete sie auf. „Leg dir die um die Schultern! Und zieh sie über den Kopf. Haare brennen ziemlich schnell.“ Er wickelte sich in die Rettungsdecke, während ich mich daran machte, die Löschdecke zu entfalten. Dann machte ich es Monsieur Bellmort gleich und wickelte mich darin ein. Wirklich sicher fühlte ich mich trotzdem nicht. Wenn nicht bald die Feuerwehr anrückte, war es aus mit uns. Wenn sie überhaupt rechtzeitig zu uns durchkam…
„Lauf so schnell du kannst, okay?“, sagte der Lehrer eindringlich. „Halte dich so weit unten wie möglich. Der Rauch ist dein tödlichster Feind und der steigt nach oben. Und was auch immer du tust, bleib auf keinen Fall stehen! Hast du verstanden? Nicht stehen bleiben!
„Was? Sie wollen doch nicht wirklich ernsthaft, dass ich in diese Hölle renne?!“
„Hier stehen zu bleiben wäre dein sicherer Tod, also, ja, genau das will ich.“
„Sie sind wahnsinnig. Vollkommen wahnsinnig!“
„Ein wenig. Also, bist du bereit?“
„Nein!“
Monsieur Bellmort lachte leise. „Dann los!“ Er duckte sich und lief los. Fassungslos sah ich zu, wie er in den Flammen verschwand. Das Feuer näherte sich mir unaufhaltsam. Schon jetzt hatte ich kaum noch Möglichkeit, zurückzuweichen. Was sollte ich tun?
Ich versuchte in dem Flammenmeer die Figur meines Lehrers auszumachen, doch es schien ihn vollkommen verschluckt zu haben. Verdammte Scheiße. Ich schluckte, dann stürzte ich ihm hinterher. Ich musste verrückt sein.
Die Hitze, die schon zwei Meter von den Flammen entfernt unerträglich war, wurde augenblicklich zur Höllenqual. Atmen war nahezu unmöglich. Ich hatte das Gefühl, flüssiges Feuer und ätzenden Rauch einzuatmen, trotz des Mundschutzes. Ich hustete und würgte. Die Hitze tilgte binnen Sekunden jegliche Flüssigkeit aus dem Stoffstreifen und meinem Körper. Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass meine Augäpfel zu Rosinen schrumpelten.
Nicht stehen bleiben!
Ich verlor in dem grellen Inferno die Orientierung und stolperte blindlings irgendwo hin, immer darauf bedacht, nicht in das Loch zu fallen. Sébastien Bellmort konnte ich nirgendwo ausmachen. Um mich herum war nur noch flackerndes, orangegelbes Licht, dicker Qualm von schmelzenden Plastikteilen und ein grauenerregendes, gieriges Brüllen. Hässliche, verkohlte und eingeschmolzene Klumpen, die einst Tische und Stühle gewesen waren, versperrten mir den Weg. Ich wirbelte herum und suchte nach einem Anhaltspunkt. Doch alles was ich sah, waren Flammen. Flammen. Flammen! Ich war in der Hölle angekommen.
Nicht stehen bleiben!
Ich torkelte weiter, in der Hoffnung, auf die Tür und nicht direkt auf das Loch im Boden zuzugehen. Der Rauch verätzte meine Lungen. Ich bekam kaum noch Luft und musste ständig husten. Der Mundschutz war längst staubtrocken und bot mir kaum noch Schutz vor dem Rauch. Meine Hose fing am Saum Feuer. Ich spürte, wie die feinen Härchen auf meinen Beinen verkohlten und meine Haut anfing, Blasen zu werfen.
Nicht stehen bleiben!
Hitze. Lärm. Schmerzen. Angst.
Ich war nicht mehr fähig, klar zu denken. Nur noch Gedankensplitter trieben durch mein Bewusstsein. In diesem Moment war ich mir sicher, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Ich würde sterben. Hier, jetzt und heute. Allein. Und hätte sich auch nur ein Tropfen Flüssigkeit noch in meinem Körper befunden, ich hätte geweint wie ein kleines Kind. Das erste Mal seit vielen Jahren.
Nicht stehen bleiben!
Von Hustenkrämpfen geschüttelt sank ich apathisch zu Boden. Er war heiß, aber was spielte das noch für eine Rolle? Es war vorbei. Doch keine tröstlichen Bilder meines Lebens zogen an meinem inneren Auge vorbei, wie in Büchern und Filmen immer behauptet wird. Ich sah nur den gelben Tod vor mir, der langsam in eine dunkle Ohnmacht überging. Sterben war ganz schön einsam.
Nicht stehen bleiben!

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MoL
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Das bronzene Stundenglas


Beitrag21.05.2016 21:21

von MoL
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Liebe/r Ajanoli!

*BUFF* - Das ist ungefähr das Geräusch, dass Dein Kapitel bei mir hinterläßt. Nur, dass ich es nichtmal ganz geschafft habe zu lesen.
Denn: Ich werde einfach überollt! Die Ereignisse türmen sich schneller auf, als eine Tsunamiwelle und brechen dann über mich herein, so dass ich keine Chance zum Luftholen habe.
Das Ganze erinnert mich an meine Magisterarbeit; als ich die dem ersten Testleser damals gab, bekam ich die erste Seite fast komplett rot angestrichen zurück mit dem Vermerk, es sei ihm unmöglich gefallen weiterzulesen. Ich war - gelinde gesagt - entsetzt und fragte, was das Problem sei?
Darauf kam die Antwort: "Du, alles, was Du da geschrieben hast, ist für Dich klar verständlich. Weil Du alles, was dazu gehört, im Kopf hast. Aber es muss auch einer begreifen können, der nicht Dein Wissen in sich trägt!"
Daran habe ich eine ganze Weile geknabbert.
Dann habe ich tief Luft geholt und habe angefangen, all die Dinge, die doch eigentlich ganz klar und logisch für jedermann verständlich sein müssten Rolling Eyes zu erklären. Habe 1000 Sätze dazugeschrieben und erklärt, erklärt, erklärt.
Und am Ende konnten auch Menschen, die nicht in meinem Kopf wohnen verstehen, was ich meine.

Was ich damit sagen möchte: Die ganze Szene (soweit ich gekommen bin) liest sich für mich total zerhackt und stückelig. Ich bin mir sicher, in Deinem Kopf und mit den Bildern, die Du vor Augen hast, ergibt sich ein stimmiges Bild. Hier draußen aber nicht. Wink

Allein schon dieser Übergang zwischen dem Mordopfer und der Zeichnung läßt mich erst einmal dezent: "Hääää?" fragen.
Und: Wo sind während dieser ganzen Explosionsgeschichte die anderen Schüler? Wo sind die Geräusche wie gellende, angsterfüllte Schreie? Oder das Gegenteil davon, weil die Protagonistin einen halben Hörsturz hat? Wo sind die umherfliegenden Schulbücher? Wieso macht sie fast nichts, auch nicht aus Reflex? Wieso wird sie hochgeschleudert und bewundert dann alles aus der Vogelperspektive?

Dann Sätze wie "Ich fiel. Jetzt schien die Zeit in doppelter Geschwindigkeit zu laufen. Viel zu schnell näherte ich mich dem Boden. Oder zumindest dem, was davon übrig geblieben war. Ein riesiges Loch klaffte darin und ich bewegte mich unaufhaltsam darauf zu. Hart kam mein Oberkörper auf, während meine Beine ihren Fall fortsetzten"
- Das ergibt für mich keinen Sinn. Außer, ihre Beine wären ihr abgerissen worden ...
Verstehst Du, was ich meine?

Also: Mehr erklären bitte! Du scheinst in dieser Szene sehr "drin" zu sein. Versuch Dich jetzt mal davon zu lösen und sie einem Unbeteiligten - dem Leser - nahzubringen.
Deine Sprache ist lebhaft und abwechslungsreich - das kann sicher ganz toll werden! Smile

LG, MoL
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Megan E. Moll
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 34
Beiträge: 69



Beitrag21.05.2016 22:18

von Megan E. Moll
Antworten mit Zitat

Hey Ajanoli,

das ist jetzt mein erster Beitrag in diesem Unterforum, aber ich hatte ja angekündigt, dass ich dein erstes Kapitel lesen werde und dann wollte ich auch ordnungsgemäß ein Feedback hinterlassen.

Ich schließe mich auch direkt den Worten des Vorredners an, denn es passiert innerhalb kurzer Zeit wirklich ganz schön viel. Mit einigen ausschmückenden Beschreibungen der Umgebung, vielleicht auch der Gerüche würde sich das Ganze bestimmt ruhiger lesen.

Ich hatte beim Lesen übrigens alles genau vor Augen und irgendwie kamen mir die Figuren direkt alle im Animestil in den Sinn - Ich weiß auch nicht genau woran das lag, aber ich finde den Effekt irgendwie gar nicht übel. smile extra

Die Idee gefällt mir und dein Stil auch - Bleib dran. smile
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Ajanoli
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 16



Beitrag21.05.2016 22:18

von Ajanoli
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Hallo MoL,

danke für die offene Kritik. Ich werde an mir arbeiten, damit alles ein wenig verständlicher wird Smile
Darf ich frage, bis wohin du gelesen hast? Einige Sachen, die du ansprichst, kommen nämlich darin vor:

Langsam ließ das Dröhnen in meinen Ohren nach, dafür hörte ich nun wie mein Blut hektisch durch die Adern gepumpt wurde.

„Hilfe!“, krächzte ich, kaum imstande mehr als ein Flüstern hervorzubringen, das mit Sicherheit in den Schreien der entsetzten Schüler draußen auf den Gängen und dem Fauchen der Flammen unter mir unterging.

Hart kam mein Oberkörper auf, während meine Beine ihren Fall fortsetzten

--> Was ich damit sagen wollte: im Boden ist ein Loch, mit dem Oberkörper landet sie auf dem Stück, der noch da ist, die Beine fallen durch das Loch (der Körper dann also im 90° Winkel). Daran muss ich wohl noch arbeiten, wenn es nicht verständlich ist Wink

Warum sie hochgeschleudert wird? Nunja, ich denke bei einer Explosion gibt es eine deutliche Druckwelle, die das bewirkt, vielleicht habe ich’s im Eifer des Gefechts etwas übertrieben Wink

lg
Ajanoli aka Steffi
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Ajanoli
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Beiträge: 16



Beitrag21.05.2016 22:20

von Ajanoli
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Danke, Megan, ich verspreche, ich versuche es etwas ruhiger anzugehen und deutlicher zu werden Smile
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Stefanie
Reißwolf


Beiträge: 1735



Beitrag21.05.2016 22:32

von Stefanie
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MoL hat Folgendes geschrieben:

Darauf kam die Antwort: "Du, alles, was Du da geschrieben hast, ist für Dich klar verständlich. Weil Du alles, was dazu gehört, im Kopf hast. Aber es muss auch einer begreifen können, der nicht Dein Wissen in sich trägt!"


Das bringt das Problem auf den Punkt.
So gut es ist, schnell in die Action einzusteigen, um den Leser zu packen, so muss ich ihm doch eine Chance geben mitzukommen.

Du hast eine lebhafte Phantasie und beschreibst die Szenen, die in deinem Kopfkino ablaufen. Leider weiß der Leser nicht, wann du in die nächste Szene springst. Da geht ein Mann vor die Tür und wird erschossen. In nächsten Moment ist er schon lange begraben und der Grabstein überwuchert und einen Augenaufschlag später bin in einem Klassenzimmer, wo jemand den Stein zeichnet.

Für dich bringt das Tempo in die Handlung, aber für den Leser hat es den umgekehrten Effekt, weil er bei jedem Szenenwechsel erstmal stoppen und sich neu orientieren muss.

Schaff Übergänge zwischen den Szenen. Wieso malt die Protagonistin den Grabstein? Nach einem Foto, aus dem Gedächtnis?
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MoL
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Beiträge: 1838
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Das bronzene Stundenglas


Beitrag21.05.2016 22:45

von MoL
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Hey Steffi!

Ich habe tatsächlich bis "Ich drohte, von dem gespenstischen Loch verschluckt zu werden." gelesen, also bis kurz vor Deinen Beispielen, Very Happy

Zum Thema Explosion: Wenn es sich um eine "irdische" Explosion handelt, denke ich mal, dass wenn sie so stark ist, dass man dermaßen hochgescheudert wird, das Aufprallen danach sehr viel schmerzhafter abläuft, wenn nicht gar tödlich. Ich würde also sagen, da bist Du tatsächlich etwas zuhoch geflogen, Very Happy

Vielleicht magst Du ja erstmal anhand des ersten Absatzes versuchen, das Ganze etwas "ruhiger anzusgehen" - ich wäre sehr gespannt! Smile
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Ajanoli
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Beiträge: 16



Beitrag21.05.2016 22:49

von Ajanoli
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Hach ja, manchmal bin ich einfach zu enthusiastisch Laughing

Ich hab mir eure Kommentare zu Herzen genommen, und mal versucht, den Anfang neu zu skizzieren. Ich hoffe, es ist etwas besser geworden Smile


Der Kohlestift fühlte sich weich an und vertraut. Er gab mir ein Gefühl von Geborgenheit. Wie von selbst tanzte er über das Blatt und skizzierte Umrisse. Ein Grabstein, der sich unter dem unerbittlichen Griff des Efeus duckte. Moose und Flechten, die es sich klammheimlich auf seinem Rücken gemütlich gemacht hatten. Ein verklärt lächelnder Putten, dem die Nase abgebrochen war, genauso wie sein rechtes Pummel-Beinchen. Mit ein paar Strichen malte ich den Schatten unter seinem ausladenden Hinterteil dunkler und verwischte ihn ein wenig mit meinem Finger.
Ich hatte schon so viele Stunden auf dem Friedhof verbracht, dass sich das Grab unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Ich liebte es. Seine opulente Ausstattung. Wie sie von der Natur gebrochen worden war. Seine Einsamkeit. Und ich liebte das Zeichnen. Das Abbilden von einem Stück der Wirklichkeit, wie ich sie mir vorstellte. Ich konnte alles selbst bestimmen. Ich verlor nicht gern die Kontrolle.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass in fünf Minuten die Pause zu Ende war und damit die himmlische Ruhe im Klassenzimmer. Die meisten Schüler nutzten die Pause, um die letzten warmen Tage draußen im Schulhof zu verbringen, die Köpfe über ihre Handys gebeugt. Ich zeichnete und genoss es, allein zu sein. Ich war oft allein, aber das machte mir nichts aus. Das war gut so. Gut für mich.
Ich verstaute den Kohlestift in einer kleinen Blechbüchse und wischte mir die Hände an einem Taschentuch sauber. In der Ferne hörte ich das Summen hunderter von Stimmen. Fröhliche, ausgelassene Stimmen dutzender Schüler, die mir so fern schienen, obwohl sie nicht weit weg waren. Ich sah hinab auf mein Bild und musste daran denken, dass mein eigenes Leben genauso farblos und düster war wie diese Skizze. Wann war das passiert? Wann hatte ich aufgehört, zu leben? Oder hatte ich nie wirklich damit angefangen?
In diesem Moment zerplatzte meine öde Welt in hunderte Konfettischnipsel. Der Knall folgte unmittelbar danach, als ich von meinem Stuhl geschleudert wurde und auf den Boden krachte. Ein betäubender Schmerz raste durch meinen Körper, ich stöhnte auf. Meine Ohren klingelten und für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Dann spürte ich, wie der Boden unter mir vibrierte. Ein Erdbeben? Hier in Lohsach, dem langweiligsten Kaff der Welt?
Ich versuchte aufzustehen, aber meine Arme und Beine wollten mir noch nicht recht gehorchen. Ich schmeckte Blut und Staub. Was war hier eigentlich los?Ich war von dem Aufprall noch so betäubt, das ich nicht klar denken konnte. Mir war schwindlig. Ich schloss für einen Moment die Augen, um wieder klar im Kopf zu werden.
Der Boden vibrierte erneut und auf einmal verschwand ein Teil rechts von mir einfach, als wäre er von einem schwarzen Loch eingesogen worden. Ich blinzelte ungläubig. Hatte ich mir den Kopf so stark gestoßen, dass ich jetzt halluzinierte?
Doch noch immer war der Boden in Bewegung und weitere Teile des so massiv wirkenden Steinbodens bröckelten weg. Auf einmal spürte ich, wie meine Beine den Halt verloren und noch ehe ich registrieren konnte, was passiert war, rutschte ich ab. Ich drohte von einem weiteren Loch im Boden verschluckt zu werden.
Erschrocken griff ich wild um mich und schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf. In meiner Angst spürte ich es nicht einmal wirklich. Endlich bekam ich etwas zu fassen und klammerte mich daran wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring.
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Stefanie
Reißwolf


Beiträge: 1735



Beitrag21.05.2016 23:58

von Stefanie
Antworten mit Zitat

Das ist deutlich besser!
Ich bin schwer beeindruckt, dass du Anregungen so schnell umsetzen kannst.
An ein paar Details würde ich noch feilen.

Ajanoli hat Folgendes geschrieben:


Der Kohlestift fühlte sich weich an und vertraut. Er gab mir ein Gefühl von Geborgenheit. Wie von selbst tanzte er über das Blatt und skizzierte Umrisse. Ein Grabstein, der sich unter dem unerbittlichen Griff des Efeus duckte. Moose und Flechten, die es sich klammheimlich auf seinem Rücken gemütlich gemacht hatten. Ein verklärt lächelnder Putten, dem die Nase abgebrochen war, genauso wie sein rechtes Pummel-Beinchen. Mit ein paar Strichen malte ich den Schatten unter seinem ausladenden Hinterteil dunkler und verwischte ihn ein wenig mit meinem Finger.
Ich hatte schon so viele Stunden auf dem Friedhof verbracht, dass sich das Grab unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Ich liebte es. Seine opulente Ausstattung. Wie sie von der Natur gebrochen worden war. Seine Einsamkeit. Und ich liebte das Zeichnen. Das Abbilden von einem Stück der Wirklichkeit, wie ich sie mir vorstellte. Ich konnte alles selbst bestimmen. Ich verlor nicht gern die Kontrolle. Kontrollfreaks wirken meist unsympathisch, weil sie auch Menschen kontrollieren wollen.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass in fünf Minuten die Pause zu Ende war und damit die himmlische Ruhe im Klassenzimmer. Die meisten Schüler nutzten die Pause, um die letzten warmen Tage draußen im Schulhof zu verbringen, die Köpfe über ihre Handys gebeugt. Ich zeichnete und genoss es, allein zu sein. Ich war oft allein, aber das machte mir nichts aus. Das war gut so. Gut für mich.
Ich verstaute den Kohlestift in einer kleinen Blechbüchse und wischte mir die Hände an einem Taschentuch sauber. In der Ferne hörte ich das Summen hunderter von Stimmen. Fröhliche, ausgelassene Stimmen dutzender Schüler, die mir so fern schienen, obwohl sie nicht weit weg waren. Ich sah hinab auf mein Bild und musste daran denken, dass mein eigenes Leben genauso farblos und düster war wie diese Skizze. Wann war das passiert? Wann hatte ich aufgehört, zu leben? Oder hatte ich nie wirklich damit angefangen? Anfangs sprichst du sehr positiv von den Gefühlen der Protagonistin, wie sich sich geborgen fühlt und was sie liebt. Jetzt auf einmal ist alles düster und negativ? Der Umschwung ist für mich nicht nachvollziehbar.
In diesem Moment zerplatzte meine öde Welt in hunderte Konfettischnipsel. Der Knall folgte unmittelbar danach, als ich von meinem Stuhl geschleudert wurde und auf den Boden krachte. Ein betäubender Schmerz Was denn nun? Betäubt oder schmerzhaft? raste durch meinen Körper, ich stöhnte auf. Meine Ohren klingelten und für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Dann spürte ich, wie der Boden unter mir vibrierte. Ein Erdbeben? Hier in Lohsach, dem langweiligsten Kaff der Welt? Denkt sie in dem Moment wirklich darüber nach, wie langweilig es sonst dort ist oder ist das nur eingeflochten, um den Ort zu beschreiben?
Ich versuchte aufzustehen, aber meine Arme und Beine wollten mir noch nicht recht gehorchen. Ich schmeckte Blut und Staub. Was war hier eigentlich los?Ich war von dem Aufprall noch so betäubt, das ich nicht klar denken konnte. Mir war schwindlig. Ich schloss für einen Moment die Augen, um wieder klar im Kopf zu werden.
Der Boden vibrierte erneut und auf einmal verschwand ein Teil rechts von mir einfach, als wäre er von einem schwarzen Loch eingesogen worden. Ich blinzelte ungläubig. Hatte ich mir den Kopf so stark gestoßen, dass ich jetzt halluzinierte?
Doch noch immer war der Boden in Bewegung und weitere Teile des so massiv wirkenden Steinbodens bröckelten weg. Auf einmal spürte ich, wie meine Beine den Halt verloren und noch ehe ich registrieren konnte, was passiert war, rutschte ich ab. Ich drohte von einem weiteren Loch im Boden verschluckt zu werden.
Erschrocken griff ich wild um mich und schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf. In meiner Angst spürte ich es nicht einmal wirklich. Du schreibst aus der Ich-Perspektive. Entweder sie bemerkt es oder du erwähnst es nicht (bzw erst wenn sie es bemerkt) Endlich bekam ich etwas zu fassen und klammerte mich daran wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring.


Ich bin gespannt darauf, den restlichen überarbeiteten Text zu lesen. Buch
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MoL
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Das bronzene Stundenglas


Beitrag22.05.2016 09:53

von MoL
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Wow, Ajanoli, ich schließe mich an:
Binnen kürzester Zeit hast Du wirklch ganz großartig umgesetzt, was angekrittelt worden war! Dein Text ist um Längen besser geworden, Wahnsinn, Daumen hoch! Smile

Mit Hilfe von Stefanies Anmerkungen wird der Text nochmal Gewinnen.

Hast Du jetzt den armen Vorfahren ganz abgesägt? Ich finde ja, es hat was, dass es sich bei dem Grab um das eines (Ur-)Ahnen handelt ...

Also: Weitermachen! Smile
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Ajanoli
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Beitrag22.05.2016 11:14

von Ajanoli
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Danke für die lieben Kommentare, ich werfe mich nochmal an den Text Smile

Zugegeben fiel es mir auch nicht immer leicht, mit Kritik so schnell und offen umzugehen, aber ich habe gelernt, dass es nichts besseres gibt, als sich intensiv damit zu befassen, denn meistens ist sie ja berechtigt und man kann sich nur verbessern Smile
Ich habe früher mehr mit Photoshop gearbeitet und Collagen etc. erstellt - da dachte ich erst auch, dass meine Bilder schon fertig und gut sind, bis ich mich einer Community angeschlossen habe und viel Kritik einstecken musste. Zuerst ist es verletzend, verständlich, aber als ich mich dann auf den Hintern gesetzt und die Punkte abgearbeitet habe, habe ich gemerkt, wie viel besser das Bild danach wurde. Seither bin ich quasi süchtig nach Kritiken und bitte auch immer darum, nur nicht zu vorsichtig zu sein Smile

Den Vorfahren habe ich nicht ganz abgesägt, er wird später noch eine wichtige Rolle spielen, aber das entwickelt sich sowieso erst noch im Laufe der Geschichte Smile

lg
Steffi
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Stefanie
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Beitrag22.05.2016 11:16

von Stefanie
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MoL hat Folgendes geschrieben:
Hast Du jetzt den armen Vorfahren ganz abgesägt? Ich finde ja, es hat was, dass es sich bei dem Grab um das eines (Ur-)Ahnen handelt ...


Stimmt, aber das muss man ja nicht gleich im ersten Absatz verraten. Solche Hintergrundinfos kann man auch schön nach und nach einfließen lassen.
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Ajanoli
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Beitrag22.05.2016 13:33

von Ajanoli
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So, ich hab mich nochmal an das gesamte erste Kapitel gemacht und versucht, eure Vorschläge umzusetzen

Der Kohlestift fühlte sich weich an und vertraut. Wie von selbst tanzte er über das Blatt und skizzierte Umrisse. Ein Grabstein, der sich unter dem unerbittlichen Griff des Efeus duckte. Moose und Flechten, die es sich klammheimlich auf seinem Rücken gemütlich gemacht hatten und die verwitterten Buchstaben fast unleserlich machten. Winfried Winterberg. Ein verklärt lächelnder Putten, dem die Nase abgebrochen war, genauso wie sein rechtes Pummel-Beinchen. Mit ein paar Strichen malte ich den Schatten unter seinem ausladenden Hinterteil dunkler und verwischte ihn ein wenig mit meinem Finger.
Ich hatte schon so viele Stunden auf dem Friedhof verbracht, dass sich das Grab unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Ich liebte es. Seine opulente Ausstattung. Wie sie von der Natur gebrochen worden war. Seine Einsamkeit. Und ich liebte das Zeichnen. Das Abbilden von einem Stück der Wirklichkeit, wie ich sie mir vorstellte.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass in fünf Minuten die Pause zu Ende war und damit die himmlische Ruhe im Klassenzimmer. Die meisten Schüler nutzten die freien Minuten, um die letzten warmen Tage draußen im Schulhof zu verbringen, die Köpfe über ihre Handys gebeugt. Ich zeichnete und genoss es, allein zu sein. Ich war oft allein, aber das machte mir nichts aus. Das war gut so. Gut für mich.
Ich verstaute den Kohlestift in einer kleinen Blechbüchse und wischte mir die Hände an einem Taschentuch sauber. In der Ferne hörte ich das Summen hunderter von Stimmen. Fröhliche, ausgelassene Stimmen dutzender Schüler, die mir so fern schienen, obwohl sie nicht weit weg waren. Ich sah hinab auf mein Bild und musste daran denken, dass mein eigenes Leben genauso farblos und still war wie diese Skizze.
In diesem Moment zerplatzte meine graue Welt in hunderte Konfettischnipsel. Der Knall folgte unmittelbar danach, als ich von meinem Stuhl geschleudert wurde und auf den Boden krachte. Ein lähmender Schmerz raste durch meinen Körper, ich stöhnte auf. Meine Ohren klingelten und für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Dann spürte ich, wie der Boden unter mir vibrierte. Ein Erdbeben? Hier in Lohsach, einem winzigen Kaff mitten im Nirgendwo?
Ich versuchte aufzustehen, aber meine Arme und Beine wollten mir noch nicht recht gehorchen. Ich schmeckte Blut und Staub. Was war hier eigentlich los? Ich war von dem Aufprall noch so betäubt, das ich nicht klar denken konnte. Mir war schwindlig. Ich schloss für einen Moment die Augen, um wieder klar im Kopf zu werden.
Der Boden vibrierte erneut und auf einmal verschwand ein Teil rechts von mir einfach, als wäre er von einem schwarzen Loch eingesogen worden. Ich blinzelte ungläubig. Hatte ich mir den Kopf so stark gestoßen, dass ich jetzt halluzinierte?
Doch noch immer war der Boden in Bewegung und weitere Teile des so massiv wirkenden Steinbodens bröckelten weg. Auf einmal spürte ich, wie meine Beine den Halt verloren und noch ehe ich registrieren konnte, was passiert war, rutschte ich ab. Ich drohte von einem weiteren Loch im Boden verschluckt zu werden.
Erschrocken griff ich wild um mich und schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf. Endlich bekam ich etwas zu fassen und klammerte mich daran wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring.
Aufgewirbelter Staub flirrte in den Sonnenstrahlen, der gleich darauf von der anspringenden Sprinkleranlage zu Boden gedrückt wurde. In schmutzigen Rinnsalen lief mir das Wasser übers Gesicht und vermischte sich mit meinem Blut aus Kratzern von meinem Sturz. Ich hatte mir eine Platzwunde am Kopf zugezogen und die ein oder andere Prellung. Meine Rippen protestierten schmerzhaft dagegen, an die raue Abbruchkante im Boden gepresst zu werden und meine aufgeschürften Finger würden mein Gewicht nicht mehr lange halten können. In der Luft lag der Geruch von verbranntem Gas und verschmorendem Plastik.
Langsam begann mein betäubtes Gehirn, die neue Situation zu begreifen. Es hatte ein Erdbeben oder eine Explosion oder irgend so etwas gegeben. Inzwischen fehlte fast die Hälfte des Fußbodens. Unter mir brannte es. Ich spürte die Hitze meine Beine hinaufkriechen. Langsam ließ das Dröhnen in meinen Ohren nach, dafür hörte ich nun wie mein Blut hektisch durch die Adern gepumpt wurde, darunter mischte sich der grelle Ton des Feueralarms
Der Boden unter meiner Brust begann leicht zu beben und bröckelte. Lange würde er mein Gewicht wohl nicht mehr tragen.
Ich öffnete den Mund. Meine Zähne fühlten sich locker an und ich schmeckte Blut. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass ich mir nicht die Zunge abgebissen hatte.
„Hilfe!“, krächzte ich, kaum imstande mehr als ein Flüstern hervorzubringen, das mit Sicherheit in den Schreien der entsetzten Schüler draußen auf den Gängen und dem Feueralarm unterging. Niemand kam.
Völlig unvorbereitet traf mich eine Welle der Angst. Ich war zu schwach und zu angeschlagen, um mich selbst hochziehen zu können und wenn ich fiel, landete ich direkt in dem flammenden Inferno unter mir. Ich kämpfte gegen die Panik an und versuchte ruhiger zu werden. Vergeblich. Ich hatte Todesangst und das war wirklich kein schönes Gefühl.
Es krachte, als ein weiteres Stück Boden unter mir wegbrach und mit einem Schrei rutschte ich ab. Hastig krallte ich mich fest, hing jetzt jedoch nur noch an meinen Fingerspitzen. Die Flammen leckten an meinen Schuhen und kokelten sie an. Ich zog die Beine an, doch lange würde ich mich so nicht halten können.
Mein Bild schaukelte seelenruhig an mir vorbei wie ein grotesker Fingerzeig des Schicksals. Ein Grabmal. Meine unmittelbare Zukunft? Starr sah ich zu, wie es in den Flammen zu Asche verbrannte. Ich schluchzte auf.
„Hilfe“, rief ich noch einmal und versuchte verzweifelt, mich hochzuziehen. Doch dadurch brach der Boden nur noch schneller ein. Meine Finger schmerzten unerträglich und meine Muskeln protestierten gegen die ungewohnte Belastung. Innerlich schloss ich mit dem Leben ab.
Auf einmal schob sich ein Schatten zwischen dem Loch in der Außenwand und dem am Boden und beugte sich über mich. Ein schmutzigfeuchtes Gesicht tauchte über mir auf. Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, wer da zu mir hinabschaute. Zuerst war es nur ein dunkler Umriss gegen das helle Sonnenlicht. Schwarze Haare. Ein Schüler? Nein, er sah zwar jung aus, aber er war kein Schüler mehr. Dann erkannte ich ihn und mir wurde flau. Der neue Lehrer. Warum ausgerechnet er?
Der Erdkunde- und Französisch-Lehrer sah mich scharf an, als versuche er etwas in meinen Augen zu lesen. Sein zusätzliches Gewicht gefiel dem Boden jedoch gar nicht. Er stöhnte wehleidig und gab dann nach. Und ich fiel. Ich wollte Schreien, doch eine Ladung Staub verstopfte meine Kehle und ich konnte nur noch husten und würgen. Wie starb man eigentlich schneller: durch ersticken oder durch verbrennen?
Mit einem Ruck kam ich zum Stillstand und baumelte in der Luft. Ich schwebte. Nein, ich wurde gehalten. Zwei Hände hatten sich um meine Oberarme gelegt. Der Lehrer hing gefährlich weit in das Loch hinab, doch er hatte mich abgefangen. Seine Finger in den einstmals weißen, jetzt schmutziggrauen Handschuhen, gruben sich wie Stahlmanschetten in meine Oberarme. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, bis er gemeinsam mit mir abstürzen würde.
Ich spürte das Feuer an meinen Beinen lecken, doch ehe ich in Flammen aufgehen konnte, begann Sébastien Bellmort mich vor und zurück zu schaukeln.
„Was tun Sie da?“, würgte ich hervor, während die Welt vor meinen Augen schwankte.
„Vertraust du mir?“, fragte der Lehrer und ließ mich immer stärker schwingen. Ich kam mir vor wie ein Trapezkünstler. Nur war das hier eindeutig keine mit einem Netz gesicherte Manege sondern der Vorhof zur Hölle.
Ich starrte zu ihm hinauf. Vertrauen? Ihm? Sicher nicht! „Nein!“, krächzte ich.
„Schade“, meinte Monsieur Bellmort nur und ließ mich los.
Mir rutschte das Herz in die Hose, als ich von dem Schwung getragen durch das Klassenzimmer zu fliegen schien. Die Hitze der Flammen leckte über mein Gesicht, doch dann war ich schon darüber hinweg und schlug auf dem Boden auf. Bei dem Aufprall wurde mir die Luft aus den Lungen gepresst und für einen Moment war ich nahe daran, ohnmächtig zu werden. Doch der schwarze Schleier hob sich wieder und ich konnte jetzt das ganze Ausmaß der Zerstörung im Chemielabor überblicken. Es sah aus wie nach dem Einschlag einer Bombe. Auch hier war im Boden ein großes Loch und ringsherum brannte es. Zertrümmerte Stühle und Tische lagen verstreut über den Raum, dazwischen die Überreste von zerfledderten Büchern, die nach und nach den Flammen zum Opfer fielen. Bei den Schränken kam es zu einer Reihe kleinerer Explosionen, als die darin aufbewahrten chemischen Substanzen mit der Hitze und den Flammen reagierten. Unter dem Chemielabor befand sich unglücklicherweise die Mini-Bibliothek, in der sich das Feuer so richtig austobte.
Ein Rumpeln ließ mich aufblicken und ich musste mit ansehen, wie sich ein weiteres Stück der Decke löste und mitsamt Sébastien Bellmort abstürzte. Noch im Fallen stieß sich der Lehrer ab und segelte wie ein Artist durch die Luft. Geschickt rollte er sich ab und kam nur unweit von mir entfernt zum Stehen. Wahnsinn. Der Mann war ja richtig athletisch. Jetzt fehlte nur noch, dass er irgend so einen bescheuerten, hautengen Sportanzug und Glitzer im Gesicht trug und er konnte im Zirkus auftreten. Manege frei!
„Bist du in Ordnung?“, fragte der Lehrer und kam zu mir gelaufen. Wie konnte er nur so ruhig bleiben, während es um uns herum brannte?
Ich nickte stumm, unfähig, klar zu denken. War das hier nur ein Albtraum oder bittere Realität?
„Wir müssen hier raus“, sagte Monsieur Bellmort und half mir auf die Beine.
„Wie?“, gab ich gequält zurück. Jeder Atemzug tat mir weh, ich fürchtete, mir mindestens eine Rippe gebrochen zu haben. Der Gestank brennender Substanzen und die Hitze machten es nicht besser. „Die Tür ist da drüben.“ Ich deutete mit einem zitternden Finger in die Richtung, in der die Tür ungefähr liegen musste. Durch das Feuer und den Qualm war sie nicht zu erkennen. Wir waren gefangen. Und das Feuer kam unaufhaltsam näher.
Das Löschwasser, das von oben kam, fiel größtenteils nutzlos durch die Krater in die Bibliothek unter uns. Außerdem drohte die Decke jederzeit vollständig herunter zu brechen. Ich wollte gar nicht wissen, wie es mit dem Boden unter meinen Füßen beschaffen war.
Der Lehrer schaute sich um und machte dann zwei Schritte auf das zu, was einmal das Lehrerpult gewesen war. Er wühlte eine Weile in den Trümmern, dann zog er zwei Gegenstände heraus. Einen lädierten Erste-Hilfe-Kasten und eine Löschdecke.
„Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie mit dem Ding den Brand hier löschen können?“, fragte ich fassungslos. „Die wurde nie für einen Großbrand konzipiert!“
„Ich habe ja nicht gesagt, dass ich damit einen Großbrand löschen will, oder?“, erwiderte der Lehrer und kämpfte mit dem Erste-Hilfe-Kasten, um ihn aufzubekommen. Er war so verbogen, dass er klemmte.
„Putain de merde!“, knurrte er und zerrte wie wild an dem Deckel, bis er endlich aufsprang. Kurzerhand drehte er den Kasten um und lehrte ihn auf dem Boden aus. Jede Menge Pflaster, eine Schere und ein paar Einmalhandschuhe fielen heraus und schließlich das, wonach er gesucht hatte: die Rettungsdecke. Er legte sie neben die Löschdecke und zog dann Jackett und Hemd aus.
„Was soll das werden?“, fragte ich, nahe daran hysterisch zu werden.
„Keine Sorge, ich will dir nicht an die Wäsche“, meinte Monsieur Bellmort trocken und begann, die Ärmel seines Hemds abzureißen.
„Und was wird das dann?“ Albtraum, eindeutig. Wach auf, Elena, wach endlich auf!
„Ich versuche, uns das Leben zu retten“, erwiderte der Lehrer ruhig und trat zu den Überresten eines Waschbeckens an der Wand. Ein kleiner, aber stetiger Rinnsal tropfte aus dem Stumpf, der einmal ein Wasserhahn gewesen war. Rasch befeuchtete er die beiden Stoffstreifen und reichte mir einen. „Binde dir das über Nase und Mund.“
Ich gehorchte und knotete den Ärmel um meinen Kopf fest.
Monsieur Bellmort bückte sich, schlüpfte in sein Jackett und hob dann die beiden Decken auf. Die Löschdecke reichte er mir, die andere behielt er und faltete sie auf. „Leg dir die um die Schultern! Und zieh sie über den Kopf. Haare brennen ziemlich schnell.“ Er wickelte sich in die Rettungsdecke, während ich mich daran machte, die Löschdecke zu entfalten. Dann machte ich es Monsieur Bellmort gleich und wickelte mich darin ein. Wirklich sicher fühlte ich mich trotzdem nicht. Wenn nicht bald die Feuerwehr anrückte, war es aus mit uns. Wenn sie überhaupt rechtzeitig zu uns durchkam…
„Lauf so schnell du kannst, okay?“, sagte der Lehrer eindringlich. „Halte dich so weit unten wie möglich. Der Rauch ist dein tödlichster Feind und der steigt nach oben. Und was auch immer du tust, bleib auf keinen Fall stehen! Hast du verstanden? Nicht stehen bleiben!
„Was? Sie wollen doch nicht wirklich ernsthaft, dass ich in diese Hölle renne?!“
„Hier stehen zu bleiben wäre dein sicherer Tod, also, ja, genau das will ich.“
„Sie sind wahnsinnig. Vollkommen wahnsinnig!“
„Ein wenig. Also, bist du bereit?“
„Nein!“
Monsieur Bellmort lachte leise. „Dann los!“ Er duckte sich und lief los. Fassungslos sah ich zu, wie er zwischen den Flammen verschwand. Das Feuer näherte sich mir unaufhaltsam. Schon jetzt hatte ich kaum noch Möglichkeit, zurückzuweichen. Was sollte ich tun?
Ich versuchte in dem Flammenmeer die Figur meines Lehrers auszumachen, doch es schien ihn vollkommen verschluckt zu haben. Verdammte Scheiße. Ich schluckte, dann stürzte ich ihm hinterher. Ich musste verrückt sein.
Die Hitze, die schon zwei Meter von den Flammen entfernt unerträglich war, wurde augenblicklich zur Höllenqual. Atmen war nahezu unmöglich. Ich hatte das Gefühl, flüssiges Feuer und ätzenden Rauch einzuatmen, trotz des Mundschutzes. Ich hustete und würgte. Die Hitze tilgte binnen Sekunden jegliche Flüssigkeit aus dem Stoffstreifen und meinem Körper. Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass meine Augäpfel zu Rosinen schrumpelten.
Nicht stehen bleiben!
Ich verlor in dem grellen Inferno die Orientierung und stolperte blindlings irgendwo hin, immer darauf bedacht, nicht in das Loch zu fallen. Sébastien Bellmort konnte ich nirgendwo ausmachen. Um mich herum war nur noch flackerndes, orangegelbes Licht, dicker Qualm von schmelzenden Plastikteilen und ein grauenerregendes, gieriges Brüllen. Hässliche, verkohlte und eingeschmolzene Klumpen, die einst Tische und Stühle gewesen waren, versperrten mir den Weg. Ich wirbelte herum und suchte nach einem Anhaltspunkt. Doch alles was ich sah, waren Flammen. Flammen. Flammen! Ich war in der Hölle angekommen.
Nicht stehen bleiben!
Ich torkelte weiter, in der Hoffnung, auf die Tür und nicht direkt auf das Loch im Boden zuzugehen. Der Rauch verätzte meine Lungen. Ich bekam kaum noch Luft und musste ständig husten. Der Mundschutz war längst staubtrocken und bot mir kaum noch Schutz vor dem Rauch. Meine Hose fing am Saum Feuer. Ich spürte, wie die feinen Härchen auf meinen Beinen verkohlten und meine Haut anfing, Blasen zu werfen.
Nicht stehen bleiben!
Hitze. Lärm. Schmerzen. Angst.
Ich war nicht mehr fähig, klar zu denken. Nur noch Gedankensplitter trieben durch mein Bewusstsein. In diesem Moment war ich mir sicher, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Ich würde sterben. Hier, jetzt und heute. Allein. Und hätte sich auch nur ein Tropfen Flüssigkeit noch in meinem Körper befunden, ich hätte geweint wie ein kleines Kind. Das erste Mal seit vielen Jahren.
Nicht stehen bleiben!
Von Hustenkrämpfen geschüttelt sank ich apathisch zu Boden. Er war heiß, aber was spielte das noch für eine Rolle? Es war vorbei. Doch keine tröstlichen Bilder meines Lebens zogen an meinem inneren Auge vorbei, wie in Büchern und Filmen immer behauptet wird. Ich sah nur den gelben Tod vor mir, der langsam in eine dunkle Ohnmacht überging. Sterben war ganz schön einsam.
Nicht stehen bleiben!
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TZH85
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Beitrag22.05.2016 14:46

von TZH85
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Hallo Ajanoli!
Ich wage mich mal an die erste Hälfte deines Textes, für den Rest hab ich im Moment leider keine Zeit. Vorweg: Ich finde, dass du sehr anschaulich beschreibst und bis auf ein paar überflüssige Adjektive hab ich nichts zu meckern.

Dafür denke ich, dass du am Verhältnis von inneren und äußeren Beschreibungen arbeiten könntest. Ich erläutere das mal:

Ajanoli hat Folgendes geschrieben:

Der Kohlestift fühlte sich weich an und vertraut. Wie von selbst tanzte er über das Blatt und skizzierte Umrisse. Ein Grabstein, der sich unter dem unerbittlichen Griff des Efeus duckte. Moose und Flechten, die es sich klammheimlich auf seinem Rücken gemütlich gemacht hatten und die verwitterten Buchstaben fast unleserlich machten. Winfried Winterberg. Ein verklärt lächelnder Putten, dem die Nase abgebrochen war, genauso wie sein rechtes Pummel-Beinchen. Mit ein paar Strichen malte ich den Schatten unter seinem ausladenden Hinterteil dunkler und verwischte ihn ein wenig mit meinem Finger.
Ich hatte schon so viele Stunden auf dem Friedhof verbracht, dass sich das Grab unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Ich liebte es. Seine opulente Ausstattung. Wie sie von der Natur gebrochen worden war. Seine Einsamkeit. Und ich liebte das Zeichnen. Das Abbilden von einem Stück der Wirklichkeit, wie ich sie mir vorstellte.

Der Einstieg gefällt mir vom Stil her. Ich hab die Vorgänger-Version nicht gelesen, deshalb gehe ich mal als Leserin ohne jegliche Vorkenntnisse an die Sache ran. Ich hab zuerst geglaubt, dass sie auf dem Friedhof sitzt und das Grab abzeichnet. Als das Klassenzimmer dann erwähnt wurde, hatte ich schon längst ein anderes Bild vor Augen. Ich nehme mal an, du willst einen Effekt erzielen, als würde eine Kamera zuerst auf die Zeichnung schwenken und dann in die Totale des Zimmers. Für mich kam die echte Ortsangabe aber etwas zu spät. Vielleicht könnte deine Protagonistin von einem Foto abzeichnen? Oder du zeigst, dass da schon etliche ähnliche Skizzen in ihrem Skizzenblock sind und dass sie das reale Grab gar nicht mehr sehen muss, um es zu zeichnen?


Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass in fünf Minuten die Pause zu Ende war und damit die himmlische Ruhe im Klassenzimmer. Die meisten Schüler nutzten die freien Minuten, um die letzten warmen Tage draußen im Schulhof zu verbringen, die Köpfe über ihre Handys gebeugt. Ich zeichnete und genoss es, allein zu sein. Ich war oft allein, aber das machte mir nichts aus. Das war gut so. Gut für mich.
Ich verstaute den Kohlestift in einer kleinen Blechbüchse und wischte mir die Hände an einem Taschentuch sauber. In der Ferne hörte ich das Summen hunderter von Stimmen. Fröhliche, ausgelassene Stimmen dutzender Schüler, die mir so fern schienen, obwohl sie nicht weit weg waren. Ich sah hinab auf mein Bild und musste daran denken, dass mein eigenes Leben genauso farblos und still war wie diese Skizze.

In diesem Abschnitt hab ich nichts zu beanstanden. Gefällt mir gut.


In diesem Moment zerplatzte meine graue Welt in hunderte Konfettischnipsel. Der Knall folgte unmittelbar danach, als ich von meinem Stuhl geschleudert wurde und auf den Boden krachte. Ein lähmender Schmerz raste durch meinen Körper, ich stöhnte auf. Meine Ohren klingelten und für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Dann spürte ich, wie der Boden unter mir vibrierte. Ein Erdbeben? Hier in Lohsach, einem winzigen Kaff mitten im Nirgendwo?

Hier verlierst du mich ein wenig. Ich würde den ersten Satz streichen. Das ist zwar ein schönes Bild, kündigt aber das Unerwartete an und nimmt ihm dadurch den Überraschungseffekt. Außerdem würde ich nicht mit der Explosion einsteigen, das sollte der Höhepunkt des Geschehens werden. Im nächsten Teil beschreibst du, dass der Boden vibriert. Kann das nicht an den Anfang?
- Prota zeichnet, die Glocke läutet
- Sie packt die Stifte weg und als das Mäppchen vom Tisch fällt, bemerkt sie, dass der Boden vibriert
- Sie glaubt an ein leichtes Erdbeben, reflektiert kurz über die Lage des Settings und dass hier ja nie etwas spannendes passiert
- Im nächsten Augenblick erfolgt die Explosion und sie wird aus dem Stuhl geworfen

Mit der Reihenfolge würdest du die Spannung konsequent aufbauen und würdest die Action zum Höhepunkt der Szene hin steigern.
Nur ein Vorschlag, natürlich.


Ich versuchte aufzustehen, aber meine Arme und Beine wollten mir noch nicht recht gehorchen. Ich schmeckte Blut und Staub. Was war hier eigentlich los? Ich war von dem Aufprall noch so betäubt, das ich nicht klar denken konnte. Mir war schwindlig. Ich schloss für einen Moment die Augen, um wieder klar im Kopf zu werden.
Der Boden vibrierte erneut und auf einmal verschwand ein Teil rechts von mir einfach, als wäre er von einem schwarzen Loch eingesogen worden. Ich blinzelte ungläubig. Hatte ich mir den Kopf so stark gestoßen, dass ich jetzt halluzinierte?
Doch noch immer war der Boden in Bewegung und weitere Teile des so massiv wirkenden Steinbodens bröckelten weg. Auf einmal spürte ich, wie meine Beine den Halt verloren und noch ehe ich registrieren konnte, was passiert war, rutschte ich ab. Ich drohte von einem weiteren Loch im Boden verschluckt zu werden.

Das ist einer der Abschnitte, der illustiert, was ich mit inneren und äußeren Beschreibungen meine.
Du beginnst damit, dass deine Protagonistin sich - verständlicherweise - aus der gefährlichen Situation retten will. Aber das klappt nicht.
So weit, so gut - aber dann driftest du in ihren Kopf ab und schilderst ihre innerlichen Befindlichkeiten. Wenn schwarze Löcher um sie herum erscheinen, würde sie wirklich nach einem Versuch aufzustehen erst mal innehalten und nachdenken? Ich glaube nicht. Außerdem hast du dich so auf die inneren Gedanken deiner Figur konzentriert, dass du nicht ausreichend beschrieben hast, wo sie sich befindet und was sie tut. Sie wurde aus dem Stuhl geschleudert. Also liegt sie auf dem Boden? Sie kann sich nicht bewegen - sie müsste also noch liegen. Aber dann sagst du plötzlich, dass ihre Beine den Halt verlieren?

Da müsste etwas mehr Klarheit rein, etwas mehr Reaktion und Aktion deiner Figur. Kämpft sie sich zur Tür durch? Krabbelt sie auf allen Vieren an einem der Löcher vorbei? Nutzt sie irgendein Möbelstück, um sich aufzurichten? Ich würde dir raten, ihre Umgebung mehr einzubeziehen und zu schildern, welche Gegenmaßnahmen deine Figur ergreift, um zu entkommen.


Erschrocken griff ich wild um mich und schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf. Endlich bekam ich etwas zu fassen und klammerte mich daran wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring.
Aufgewirbelter Staub flirrte in den Sonnenstrahlen, der gleich darauf von der anspringenden Sprinkleranlage zu Boden gedrückt wurde. In schmutzigen Rinnsalen lief mir das Wasser übers Gesicht und vermischte sich mit meinem Blut aus Kratzern von meinem Sturz. Ich hatte mir eine Platzwunde am Kopf zugezogen und die ein oder andere Prellung. Meine Rippen protestierten schmerzhaft dagegen, an die raue Abbruchkante im Boden gepresst zu werden und meine aufgeschürften Finger würden mein Gewicht nicht mehr lange halten können. In der Luft lag der Geruch von verbranntem Gas und verschmorendem Plastik.

Jetzt verlierst du dich ein wenig in Details. Sie bemerkt sogar Staubflocken im Sonnenlicht - das kommt mir nicht sehr nachvollziehbar vor. Schließlich geht es noch immer um ihr Überleben.
Das ist übrigens auch eine Lektion, die ich gerade für mein aktuelles Projekt lernen musste. Wie man jemanden darstellt, der panisch darum kämpft, nicht zu sterben. Keine leichte Aufgabe, schließlich können (zum Glück) die wenigsten auf eigene Erfahrungen zurückgreifen.
Versuch mal, ihre Gedanken und die Eindrücke, die sie schildert, bruchstückhafter zu beschreiben.
Sie zieht sich an irgendwas hoch und bemerkt, dass ihre Hand voller Blut ist. Ihre Rippen tun weh, aber sie weiß nicht, warum. Irgendeine Erinnerung, ein kurzer Gedanke, schießt ihr scheinbar unzusammenhängend durch den Kopf. Dazu weniger Reflexion, mehr äußere Eindrücke: Geruch, Tastsinn, irgendeine visuelle Beobachtung, die sie auf den ersten Blick nicht einordnen kann. Versatzstückartige Schreibweise könnte auch helfen.


Langsam begann mein betäubtes Gehirn, die neue Situation zu begreifen. Es hatte ein Erdbeben oder eine Explosion oder irgend so etwas gegeben. Inzwischen fehlte fast die Hälfte des Fußbodens. Unter mir brannte es. Ich spürte die Hitze meine Beine hinaufkriechen. Langsam ließ das Dröhnen in meinen Ohren nach, dafür hörte ich nun wie mein Blut hektisch durch die Adern gepumpt wurde, darunter mischte sich der grelle Ton des Feueralarms
Der Boden unter meiner Brust begann leicht zu beben und bröckelte. Lange würde er mein Gewicht wohl nicht mehr tragen.
Ich öffnete den Mund. Meine Zähne fühlten sich locker an und ich schmeckte Blut. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, dass ich mir nicht die Zunge abgebissen hatte.
„Hilfe!“, krächzte ich, kaum imstande mehr als ein Flüstern hervorzubringen, das mit Sicherheit in den Schreien der entsetzten Schüler draußen auf den Gängen und dem Feueralarm unterging. Niemand kam.

Auch hier sind wieder zu viele Reflexionen und Gedanken, in denen sie ihre Situation analysiert. Ich markiere mal alles rot, was ich streichen würde.
Und noch ein Tipp: Vermeide Worte wie "inzwischen", "langsam" oder "leicht" in Action-Szenen. Das nimmt deinem Text Brisanz und relativiert viel zu sehr. Du stellst sonst Behauptungen auf und nimmst sie dann gleich wieder - "ein wenig" - zurück. Das wirkt unsicher und unpräzise. Wenn der Boden unter ihr bebt, dann bebt er und nicht nur "ein bisschen" Wink

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Ajanoli
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Beiträge: 16



Beitrag22.05.2016 16:16

von Ajanoli
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Vielen Dank für's analysieren Smile

Wie wäre es mit diesem Anfang, wird es so verständlich?

Der Kohlestift fühlte sich weich an und vertraut. Ich schloss die Augen und überlegte, was ich zeichnen könnte. Das Klassenzimmer bot nichts von Interesse. Ich ging ein paar Bilder in meinem Kopf durch. Wie von selbst tanzte der Stift über das Blatt und skizzierte Umrisse.


Bezüglich der Explosion: ich mag mich irren, aber ich fände es etwas Merkwürdig, wenn erst die Erde bebt, sie darüber nachdenkt und dann erst der Knall der Explosion kommt. Schall ist zwar langsam, aber so langsam auch wieder nicht. Hier mal ein Lösungsversuch:

Ich sah hinab auf mein Bild und musste daran denken, dass mein eigenes Leben genauso farblos und still war wie diese Skizze.
Auf einmal schien sich die Stille von dem Blatt auszudehnen und mich einzuhüllen wie eine Blase. Ich fühlte einen Druck auf den Ohren und nahm einen feinen Geruch nach Gas wahr. Gas? Unter meinem Klassenzimmer befand sich das Chemielabor, merkwürdige Gerüche missglückter Experimente waren da nicht ungewöhnlich. Aber reines Gas?
Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus und ich beschloss, nach dem Rechten zu sehen. In diesem Moment fing der Boden an zu beben und ein Knall zerriss die Stille. Ich verlor den Halt, stürzte und ein lähmender Schmerz raste durch meine Handgelenke und den Kopf, den ich mir irgendwo angestoßen hatte. Meine Ohren klingelten und für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Noch immer war der Boden in Bewegung. Ein Erdbeben? Hier in Lohsach, einem winzigen Kaff mitten im Nirgendwo?
Mir war schwindlig. Ich versuchte aufzustehen, aber meine Arme und Beine wollten mir noch nicht recht gehorchen. Ich schmeckte Blut und Staub. Desorientiert suchte ich die Tür und versuchte, auf allen Vieren darauf zuzukriechen. Ich war von dem Aufprall noch so betäubt, das ich nicht klar denken konnte. Nur ein Gedanke hatte noch Platz in meinem Kopf: ich will hier raus.
Ein Loch tat sich vor meinen Augen auf. Ich blinzelte ungläubig. Hatte ich mir den Kopf so stark gestoßen, dass ich jetzt halluzinierte?
Doch noch immer war der Boden in Bewegung und weitere Teile des so massiv wirkenden Steinbodens bröckelten weg. Entsetzt rappelte ich mich auf und wollte zur Tür sprinten. Doch als ich mich zwischen zwei umgestürzten Tischen durchquetschen wollte, riss der Boden auf und ich fiel. Verzweifelt warf ich mich nach vorn und schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf. Endlich bekam ich etwas zu fassen und klammerte mich daran  fest. Ein Stuhl verschwand neben mir im Nichts. Ich strampelte mit den Beinen und versuchte mich hochzuziehen, aber ich fand keinen rechten Halt.
Der beißende Geruch nach Gas und verschmorten Plastik ließ mich husten. Das tat weh. In der Brust und im Kopf. Auch meine Augen brannten. Irgendetwas lief mir über das Gesicht. Blut? Es war mir egal. Ich wollte hier weg. Warum half mir niemand?
Mein Blick geisterte über den Boden, der fast zur Hälfte verschwunden war, hin zur Tür. Doch niemand kam herein, um mich zu retten. Über das Klingeln in meinen Ohren hörte ich nur dumpf die Schreie entsetzter Schüler und den Ton des Feueralarms.
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Michel
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Das bronzene Bühnenlicht Das goldene Niemandsland
Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag22.05.2016 17:38

von Michel
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Vorab ein Hinweis: Ich habe eher schlechte Erfahrungen damit gemacht, einen Text nach Rückmeldungen unmittelbar zu bearbeiten und sehr schnell erneut einzustellen. Dabei schleichen sich oft neue Fehler ein, die man in Ruhe vermieden hätte. Vielleicht sammelst Du erst einmal Eindrücke und machst Dir ein eigenes Bild.

Ich finde das Setting interessant. Ausgangssituation entwickelt ein erstes Bild der Figur und ihrer Umgebung, dann erfolgt das Unglück, ganz nach der Hollywood-Anweisung: "Mit einer Explosion anfangen und dann langsam steigern".

Mir geht's ähnlich wie TZH, Innen- und Außensicht kommen durcheinander. Ich halte das für eine typische Falle der Ich-Perspektive. Die Figur ist ja im Grunde zweimal da: Einmal als Handelnde in der Geschichte, einmal als Reflektierende, die das Ganze hinterher dem Leser erzählt. Das kommt in dem Text noch durcheinander. Einmal reflektiert die Figur, es ist aber nicht ganz klar, ob sie das hinterher im Erzählen tut (sozusagen um eine gute Story abzuliefern) oder mitten im Chaos der Explosion. Also, ich könnte da nicht reflektieren. Ich würde die Beine in die Hand nehmen.

Ich versuche mal, anhand eines Textabschnitts die Perspektiven zu verdeutlichen. (Nagel mich nicht auf Fachbegriffe fest, da bin ich nicht sattelfest.)
Zitat:
In diesem Moment zerplatzte meine graue Welt in hunderte Konfettischnipsel.
Das ist für mich ein Bild, das man sich hinterher überlegen würde, kein unmittelbarer Eindruck.
Zitat:
Der Knall folgte unmittelbar danach, als ich von meinem Stuhl geschleudert wurde und auf den Boden krachte.
Auch hier: Du erzählst/beschreibst, was passiert, aber die Figur erlebt es nicht unmittelbar. Das findet sich eher im nächsten Satz:
Zitat:
Ein lähmender Schmerz raste durch meinen Körper, ich stöhnte auf. Meine Ohren klingelten und für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Dann spürte ich, wie der Boden unter mir vibrierte. Ein Erdbeben?
Hier bin ich ganz bei der Figur. Der nächste Satz scheint mir in dem Chaos schon zu reflektiert:  
Zitat:
Hier in Lohsach, einem winzigen Kaff mitten im Nirgendwo?

Jetzt wieder direkte Sinneseindrücke:
Zitat:
Ich versuchte aufzustehen, aber meine Arme und Beine wollten mir noch nicht recht gehorchen. Ich schmeckte Blut und Staub. Was war hier eigentlich los?
Das ist Close-Up, der Leser ist mittendrin.
Zitat:
Ich war von dem Aufprall noch so betäubt, das ich nicht klar denken konnte.
Hier ist Dir wieder der Erklärbär dazwischengeraten.
Zitat:
Mir war schwindlig. Ich schloss für einen Moment die Augen, um wieder klar im Kopf zu werden.
... und wieder zurück ins Erleben.

Ich glaube, dem Text täte es gut, sich zu entscheiden, welche der beiden Perspektiven Du anwenden möchtest. Bei einer Action-Szene wie dieser finde ich das unmittelbare Erleben passender. Auch wenn dabei ein paar Sprachwitze auf der Strecke bleiben. Die lassen sich ganz gut in den knappen Dialogen unterbringen, das reicht dann auch.

Ich hoffe, es ist etwas Hilfreiches dabei!
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Ajanoli
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 16



Beitrag22.05.2016 18:17

von Ajanoli
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Du hast ja recht, ich bin gerne impulsiv dabei und will sofort alles umbauen; ich sollte mir wirklich mehr Zeit zum denken lassen Wink

Das mit der Perspektive ist wirklich ein harter Brocken, da will ich wohl einfach "zu viel" auf einmal. Hmm... ich versuche, es besser hinzubekommen
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Stefanie
Reißwolf


Beiträge: 1735



Beitrag23.05.2016 14:14

von Stefanie
Antworten mit Zitat

Ajanoli hat Folgendes geschrieben:

Der Boden vibrierte erneut und auf einmal verschwand ein Teil rechts von mir einfach, als wäre er von einem schwarzen Loch eingesogen worden. Ich blinzelte ungläubig. Hatte ich mir den Kopf so stark gestoßen, dass ich jetzt halluzinierte?
Doch noch immer war der Boden in Bewegung und weitere Teile des so massiv wirkenden Steinbodens bröckelten weg. Auf einmal spürte ich, wie meine Beine den Halt verloren und noch ehe ich registrieren konnte, was passiert war, rutschte ich ab. Ich drohte von einem weiteren Loch im Boden verschluckt zu werden.
Erschrocken griff ich wild um mich und schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf. Endlich bekam ich etwas zu fassen und klammerte mich daran wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring.


Der Boden vibrierte erneut und auf einmal verschwand ein Teil rechts von mir einfach, als wäre er von einem schwarzen Loch eingesogen worden. Ich blinzelte ungläubig.
Weitere Teile des so massiv wirkenden Steinbodens bröckelten weg. Meine Beine verloren den Halt und ich rutschte ab.
Erschrocken griff ich wild um mich und schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf. Endlich bekam ich etwas zu fassen und klammerte mich daran wie eine Ertrinkende an einen Rettungsring.


So, ich habe mal ein Stück mittendrin herausgegriffen und gekürzt.
Für Überlegungen a la" halluziniere ich?" hat sie gerade keine Zeit, also weg damit.
Noch immer ... klingt nach einem längeren Zeitraum, aber es passiert alles Schlag auf Schlag.
Auf einmal spürte ich ... ist unnötig, weil du aus der Ich-Perspektive schreibst. Wenn sie es nicht merken würde, würde es da nicht stehen.
Dass sie drauf und dran ist, in ein Loch zu fallen, ist klar, du musst es nicht nochmal extra erwähnen.

So liest sich flüssiger und schneller, was einer so actionreichen Szene angemessen ist, ohne dass Informationen verlorengehen.
Reflexionen und tiefere Gedanken spar dir besser für ruhigere Szenen auf.
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Ajanoli
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen


Beiträge: 16



Beitrag25.05.2016 20:21

von Ajanoli
pdf-Datei Antworten mit Zitat

So, ich hab zwar unter der Woche leider nicht viel Zeit zum schreiben, aber ich hab trotzdem versucht, die äußere Perspektive etwas zu eliminieren und ein bisschen mehr Innenschau zu machen.


Der Kohlestift fühlte sich weich an und vertraut. Ich schloss die Augen und überlegte, was ich zeichnen könnte. Das Klassenzimmer bot nichts von Interesse. Ich ging ein paar Bilder in meinem Kopf durch und lächelte. Wie von selbst tanzte der Stift über das Blatt und skizzierte Umrisse. Ein Grabstein, der sich unter dem unerbittlichen Griff des Efeus duckte. Moose und Flechten, die es sich klammheimlich auf seinem Rücken gemütlich gemacht hatten und die verwitterten Buchstaben fast unleserlich machten. Winfried Winterberg. Ein verklärt lächelnder Putten, dem die Nase abgebrochen war, genauso wie sein rechtes Pummel-Beinchen.
Mit ein paar Strichen malte ich den Schatten unter seinem ausladenden Hinterteil dunkler und verwischte ihn ein wenig mit meinem Finger. Ich hatte schon so viele Stunden auf dem Friedhof verbracht, dass sich das Grab unauslöschlich in mein Gedächtnis gebrannt hatte. Ich liebte es. Seine opulente Ausstattung. Wie sie von der Natur gebrochen worden war. Seine Einsamkeit. Und ich liebte das Zeichnen. Das Abbilden von einem Stück der Wirklichkeit, wie ich sie mir vorstellte.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass in fünf Minuten die Pause zu Ende war und damit die himmlische Ruhe im Klassenzimmer. Die meisten Schüler nutzten die freien Minuten, um die letzten warmen Tage draußen im Schulhof zu verbringen, die Köpfe über ihre Handys gebeugt. Ich zeichnete und genoss es, allein zu sein. Ich war oft allein, aber das machte mir nichts aus. Das war gut so. Gut für mich.
Ich verstaute den Kohlestift in einer kleinen Blechbüchse und wischte mir die Hände an einem Taschentuch sauber. In der Ferne hörte ich das Summen hunderter von Stimmen. Fröhliche, ausgelassene Stimmen dutzender Schüler, die mir so fern schienen, obwohl sie nicht weit weg waren. Ich sah hinab auf mein Bild und musste daran denken, dass mein eigenes Leben genauso farblos und leise war wie diese Skizze.
Mein Nacken prickelte, als würde mich jemand beobachten. Ich schaute auf, doch ich war allein und die Tür des Klassenzimmers geschlossen. Nur die milde Septembersonne schien durch die offenen Fenster. Das Klassenzimmer befand sich im ersten Stock, niemand konnte hereinschauen. Dann registrierte ich den Gas-Geruch. Gas? Unter meinem Klassenzimmer befand sich das Chemielabor, merkwürdige Gerüche missglückter Experimente waren da nicht ungewöhnlich. Aber reines Gas?
Ich wollte nachschauen. Also stand ich auf, doch der Boden geriet auf einmal in Bewegung. Ein Knall zerriss die Stille. Ich stürzte und Schmerz raste durch meine Handgelenke und den Kopf. Meine Ohren klingelten und für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Noch immer war der Boden in Bewegung. Ein Erdbeben?
Mir war schwindlig. Ich versuchte aufzustehen, aber meine Arme und Beine wollten mir noch nicht recht gehorchen. Ich schmeckte Blut und Staub. Was war hier eigentlich los? Desorientiert suchte ich die Tür und versuchte, auf allen Vieren darauf zuzukriechen.
Ich will hier weg.
Ein Loch tat sich vor meinen Augen im Boden auf. Ein eisiger Schreck durchfuhr mich. Raus, ich musste sofort raus. Ich rappelte mich auf und wollte zur Tür sprinten. Doch als ich mich zwischen zwei umgestürzten Tischen durchschob, riss der Boden auf und ich fiel. Verzweifelt warf ich mich nach vorn und schürfte mir die Haut an rauen Trümmern auf. Endlich bekam ich etwas zu fassen und klammerte mich daran fest. Ein Stuhl verschwand neben mir im Nichts. Ich strampelte mit den Beinen und versuchte mich hochzuziehen, aber ich fand nicht genügend Halt. Dafür spürte ich Hitze an meinen Beinen. Brannte es unter mir?
Beißender Geruch ließ mich husten. Das tat weh. In der Brust und im Kopf. Auch meine Augen brannten. Irgendetwas lief mir über das Gesicht. Blut? Es war mir egal.
Warum hilft mir niemand?
Mein Blick geisterte über den lückenübersäten Boden hin zur Tür. Doch niemand kam herein, um mich zu retten. Über das Klingeln in meinen Ohren hörte ich nur dumpf die Schreie entsetzter Schüler und ein penetrantes Schrillen. Der Boden unter meiner Brust bebte. Ich öffnete den Mund und schmeckte Blut.
„Hilfe!“, krächzte ich. Niemand kam.
Helft mir doch endlich!
Ich versuchte ruhiger zu werden, es musste doch irgendetwas geben, das ich tun konnte. Stattdessen begann ich zu schreien.
Es krachte, als ein weiteres Stück Boden unter mir wegbrach und mit einem Schrei rutschte ich ab. Hastig krallte ich mich an der Kante fest, hing jetzt nur noch an meinen Fingerspitzen. Die Hitze an den Füßen wurde stärker, unerträglich. Ich zog die Beine an. Meine Muskeln brannten.
Etwas flog mir ins Gesicht, stach mir in die Augen und nahm mir die Sicht. Hysterisch schüttelte ich den Kopf und das Ding schwebte davon. Meine Skizze. Ein Grabmal. Ich schluchzte auf.
„Hilfe“, rief ich noch einmal und versuchte verzweifelt, mich hochzuziehen. Ich schaffte es nicht einmal, meinen Kopf über die Kante zu bringen.
Ich will nicht sterben!
Ein Schatten schob sich über mich und jemand schaute zu mir hinab. Hilfe. Endlich Hilfe! Zuerst war es nur ein dunkler Umriss gegen das helle Sonnenlicht. Schwarze Haare. Ein Schüler. Nein, er sah zwar jung aus, aber er war kein Schüler mehr. Dann erkannte ich ihn und ich war hin und hergerissen zwischen Erleichterung und Verunsicherung. Der neue Lehrer. Er schon wieder.
Anstatt mir zu helfen, sah der Lehrer mich nur an.
„Helfen Sie mir! Bitte! Ich kann mich nicht mehr halten.“
Warum starrte er mich nur an?
Der Boden brach und ich fiel. Ich wollte Schreien, doch ich schluckte Staub und konnte nur noch husten und würgen.
Mit einem Ruck kam ich zum Stillstand und baumelte in der Luft. Ich schwebte. Nein, ich wurde gehalten. Zwei Hände hatten sich um meine Oberarme gelegt. Der Lehrer hing gefährlich weit in das Loch hinab, doch er hatte mich abgefangen. Seine Finger gruben sich wie Stahlmanschetten in meine Oberarme. Ich schluchzte vor Angst und Erleichterung.
Ich spürte das Feuer an meinen Beinen lecken, doch ehe ich in Flammen aufgehen konnte, begann Sébastien Bellmort mich vor und zurück zu schaukeln.
„Was tun Sie da?“, würgte ich hervor.
„Vertraust du mir?“, fragte der Lehrer und ließ mich immer stärker schwingen. Alles drehte sich.
Ich starrte zu ihm hinauf. Vertrauen? Ihm? Dazu hatte er mir bisher keinen Grund gegeben.
„Helfen Sie mir!“, krächzte ich.
„Achtung“, meinte Monsieur Bellmort nur und ließ mich los.
Mir rutschte das Herz in die Hose, als ich von dem Schwung getragen durch das Klassenzimmer zu fliegen schien. Die Hitze der Flammen leckte über mein Gesicht, doch dann war ich schon darüber hinweg und schlug auf dem Boden auf. Bei dem Aufprall wurde mir die Luft aus den Lungen gepresst und für einen Moment war ich nahe daran, ohnmächtig zu werden. Doch der schwarze Schleier hob sich wieder und ich konnte jetzt das ganze Ausmaß der Zerstörung im Chemielabor überblicken. Es sah aus wie nach dem Einschlag einer Bombe. Auch hier war im Boden ein großes Loch und ringsherum brannte es. Zertrümmerte Stühle und Tische lagen verstreut über den Raum, dazwischen die Überreste von zerfledderten Büchern, die nach und nach den Flammen zum Opfer fielen. Bei den Schränken kam es zu einer Reihe kleinerer Explosionen, als die darin aufbewahrten chemischen Substanzen mit der Hitze und den Flammen reagierten. Unter dem Chemielabor befand sich unglücklicherweise die Mini-Bibliothek, in der sich das Feuer so richtig austobte.
Ein Rumpeln ließ mich aufblicken und ich musste mit ansehen, wie sich ein weiteres Stück der Decke löste und mitsamt Sébastien Bellmort abstürzte. Noch im Fallen stieß sich der Lehrer ab und segelte wie ein Artist durch die Luft. Geschickt rollte er sich ab und kam nur unweit von mir entfernt zum Stehen. Wahnsinn. Der Mann war ja richtig athletisch.
„Bist du in Ordnung?“, fragte er und kam zu mir gelaufen. Wie konnte er nur so ruhig bleiben, während es um uns herum brannte?
Ich nickte stumm. War das hier nur ein Albtraum oder bittere Realität? Bitte lass es einen Albtraum sein.
„Wir müssen hier raus“, sagte Monsieur Bellmort und half mir auf die Beine.
„Wie?“, gab ich gequält zurück. Jeder Atemzug tat mir weh, hatte ich mir etwa ein paar Rippen gebrochen? Der Gestank von verschmortem Plastik und die Hitze machten es nicht besser. „Die Tür ist da drüben.“ Ich deutete mit einem zitternden Finger in die Richtung, in der die Tür ungefähr liegen musste. Durch das Feuer und den Qualm war sie nicht zu erkennen. Wir waren gefangen. Und das Feuer kam unaufhaltsam näher.
Irgendwo von oben kam etwas Wasser, vielleicht von der Sprinkleranlage. Zu wenig, um die Flammen zu löschen. Der schrille Ton des Feueralarms schmerzte in den Ohren. Staub und Schutt rieselte herab. Ich wollte gar nicht wissen, wie es mit dem Boden unter meinen Füßen beschaffen war.
Der Lehrer schaute sich um. Die Fenster boten keine Fluchtmöglichkeit, im Erdgeschoss waren sie überall vergittert. Er machte zwei Schritte auf das zu, was einmal das Lehrerpult gewesen war. Er wühlte eine Weile in den Trümmern, dann zog er zwei Gegenstände heraus. Einen lädierten Erste-Hilfe-Kasten und eine Löschdecke.
„Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie mit dem Ding den Brand hier löschen können?“, fragte ich fassungslos. „Die hilft doch nichts bei einem Großbrand!“
„Ich habe ja nicht gesagt, dass ich damit einen Großbrand löschen will, oder?“, erwiderte der Lehrer und kämpfte mit dem Erste-Hilfe-Kasten, um ihn aufzubekommen. Er war so verbogen, dass er klemmte.
„Putain de merde!“, knurrte er und zerrte wie wild an dem Deckel, bis er endlich aufsprang. Kurzerhand drehte er den Kasten um und lehrte ihn auf dem Boden aus. Jede Menge Pflaster, eine Schere und ein paar Einmalhandschuhe fielen heraus und schließlich das, wonach er gesucht hatte: die Rettungsdecke. Er legte sie neben die Löschdecke und zog dann Jackett und Hemd aus.
„Was soll das werden?“, fragte ich, nahe daran hysterisch zu werden. Albtraum, eindeutig.
Wach auf, Elena, wach endlich auf!
„Der Versuch, uns zu retten“, meinte Monsieur Bellmort trocken und begann, die Ärmel seines Hemds abzureißen. Er trat zu den Überresten eines Waschbeckens an der Wand. Ein kleiner, aber stetiger Rinnsal tropfte aus dem Stumpf, der einmal ein Wasserhahn gewesen war. Rasch befeuchtete er die beiden Stoffstreifen und reichte mir einen. „Binde dir das über Nase und Mund.“
Ich gehorchte und knotete den Ärmel um meinen Kopf fest.
Monsieur Bellmort bückte sich, schlüpfte in sein Jackett und hob dann die beiden Decken auf. Die Löschdecke reichte er mir, die andere behielt er und faltete sie auf. „Leg dir die um die Schultern! Und zieh sie über den Kopf. Haare brennen ziemlich schnell.“ Er wickelte sich in die Rettungsdecke, während ich mich daran machte, die Löschdecke zu entfalten. Dann machte ich es Monsieur Bellmort gleich und wickelte mich darin ein. Wirklich sicher fühlte ich mich trotzdem nicht. Wenn nicht bald die Feuerwehr anrückte, war es aus mit uns. Wenn sie überhaupt rechtzeitig zu uns durchkam…
„Lauf so schnell du kannst, okay?“, sagte der Lehrer eindringlich. „Halte dich so weit unten wie möglich. Der Rauch ist dein tödlichster Feind und der steigt nach oben. Und was auch immer du tust, bleib auf keinen Fall stehen! Hast du verstanden? Nicht stehen bleiben!
„Was? Sie wollen doch nicht wirklich ernsthaft, dass ich in diese Hölle renne?!“
„Hier stehen zu bleiben wäre dein sicherer Tod, also, ja, genau das will ich.“
„Sie sind wahnsinnig. Vollkommen wahnsinnig!“
„Vielleicht. Hauptsache, du bleibst unten und niemals stehen, verstanden?
„Ja, nicht stehen bleiben, ich hab’s kapiert.“
„Gut, bist du bereit?“
„Nein!“
Monsieur Bellmort lachte leise. „Dann los!“ Er duckte sich und lief los. Fassungslos sah ich zu, wie er zwischen den Flammen verschwand. Das Feuer näherte sich mir unaufhaltsam. Schon jetzt hatte ich kaum noch Möglichkeit, zurückzuweichen. Was sollte ich tun?
Ich versuchte in dem Flammenmeer die Figur meines Lehrers auszumachen, doch es schien ihn vollkommen verschluckt zu haben. Verdammte Scheiße. Ich schluckte, dann stürzte ich ihm hinterher. Ich musste verrückt sein.
Die Hitze, die schon zwei Meter von den Flammen entfernt unerträglich war, wurde augenblicklich zur Höllenqual. Ich hatte das Gefühl, flüssiges Feuer und ätzenden Rauch einzuatmen, trotz des Mundschutzes. Ich hustete und würgte. Die Hitze tilgte binnen Sekunden jegliche Flüssigkeit aus dem Stoffstreifen und meinem Körper. Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass meine Augäpfel zu Rosinen schrumpelten.
Nicht stehen bleiben!
Ich verlor in dem grellen Inferno die Orientierung und stolperte blindlings irgendwo hin, nur noch darauf bedacht, nicht in das Loch zu fallen. Sébastien Bellmort konnte ich nirgendwo ausmachen. Um mich herum war nur noch flackerndes, orangegelbes Licht, dicker Qualm von schmelzenden Plastikteilen und ein grauenerregendes, gieriges Brüllen. Hässliche, verkohlte und eingeschmolzene Klumpen, die vielleicht mal Tische und Stühle gewesen waren, versperrten mir den Weg. Ich wirbelte herum und suchte nach einem Anhaltspunkt. Doch alles was ich sah, waren Flammen. Flammen. Flammen! Ich war in der Hölle.
Nicht stehen bleiben!
Ich torkelte weiter, in der Hoffnung, auf die Tür und nicht direkt auf das Loch im Boden zuzugehen. Der Rauch verätzte meine Lungen. Ich bekam kaum noch Luft und musste ständig husten. Der Mundschutz war längst staubtrocken und bot mir kaum noch Schutz vor dem Rauch. Meine Hose fing am Saum Feuer. Ich spürte, wie die feinen Härchen auf meinen Beinen verkohlten und meine Haut anfing, Blasen zu werfen.
Nicht stehen bleiben!
Diese Hitze… Es tat so weh… Hilfe… Muss raus hier…
Mit erschreckender Nüchternheit wurde mir klar, dass ich jetzt verbrennen würde. Einfach so. Ganz allein. Ich wollte weinen, aber keine Tränen kamen.
Nicht stehen bleiben!
Von Hustenkrämpfen geschüttelt sank ich apathisch zu Boden. Er war heiß, aber was spielte das noch für eine Rolle? Es war vorbei. Doch keine tröstlichen Bilder meines Lebens zogen an meinem inneren Auge vorbei, wie in Büchern und Filmen immer behauptet wird. Ich sah nur den gelben Tod vor mir, der langsam in eine dunkle Ohnmacht überging. Sterben war ganz schön einsam.
Nicht stehen bleiben!
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