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Regen


 
 
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Oliver
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Beitrag03.01.2014 15:03
Regen
von Oliver
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Ein kleiner Vorgeschmack zu mir und meiner Art des Schreibens... Und mein Einstand hier in diesem Forum smile sagt mir bitte eure Meinung!

....

Regen

Die kleinen Tropfen fielen unbesorgt. Leise plätscherte es, wenn sie auf den Boden trafen. Zusammengefunden hatten sie sich weit oben, in den Wolken. Freunde, wenn auch nur für den kurzen Weg bis zur Erde und doch sofort nach dem Aufprall wieder vereint. Gemeinsam zu einem Rinnsal verbunden schlängelten sie den Weg hinab, durch Steine und Geröll, über Kanten und feuchtwarme Steine. Früher war der Regen anders.
Am Fenster waren die Einschläge klar zu spüren. Das Zerschellen der kleinen Tropfen ging einher mit dem Grollen ihres dumpfen Aufschlages. Die Perfektion ihrer Form, bedingt durch die Anordnung der Moleküle und die Anziehungskraft der Erde, konnte dem Ende ihrer Talfahrt kaum etwas entgegensetzen. Wie kleine Splitter zerstoben die Einzelteile, aus einem Tropfen wurden abertausend Setzlinge, die die Fensterbank langsam aber sicher belagerten. Früher war der Regen anders.
Wenn man im Auto sitzt spürt man, wie mechanisch die Zerstörung von Statten geht. Tropfen auf harter Karosserie, Tropfen unter Hartgummireifen. Tropfen, zerteilt von den überfleißigen Armen der Scheibenwischanlange, ihr Schmerzensschrei kaum hörbar, weil der Gummi auf der Scheibe quietscht und so das Grauen verdeckt. Früher war der Regen anders.
Man wird immer nur so nass, wie man es erwartet, der Regen kennt seine Opfer. Umso schneller man rennt, umso mehr Tropfen donnern auf die vollgesaugte Jacke. Bei den anderen bleiben die Haare trocken, wenn sie aus der Dusche kommen. Man selbst steht unter dem Regenschirm und bekommt nasse Füße. Nichts ist schlimmer als nasse Füße, insbesondere dann, wenn die Socken dabei trocken bleiben wollen. Früher war der Regen anders.
Als letzte Woche der Nebel so dicht war, hätte vielleicht Regen geholfen. Die Tropfen hätten sich zusammengetan, und den miefigen Dunst nach Hause geschickt. Dann wären sie weiter herumgelungert und hätten sich ein neues Opfer gesucht. Wenn man unter den Bäumen hindurchgeht hört man ihren Kamikazeschrei, bevor sie sich, ohne Fallschirm und doppelten Boden aus der Höhe stürzen um ihr Schicksal mit uns zu teilen. Jeder Aufprall zersplittert in so viele Teile wie er gleichzeitig trifft. Da hilft es auch nicht, wenn man den Baum absägen lässt. Früher war der Regen anders.
Manchmal regnet es sogar, obwohl die Sonne scheint. Oder gerade deshalb. Weil sogar wenn der eigentliche Chef der Gestirne sich die Ehre gibt, immer klar ist, wer die Fäden und Strippen zieht. Hat man schon mal einen Regentag ohne Tropfen gesehen? Ich jedenfalls habe schon viel Sonne gesehen, ohne dass es warm gewesen wäre. Früher war der Regen anders.
Wasser macht sauber, heißt es immer. Korrekterweise müsste man aber sagen: Seife macht sauber. Wasser ist halt auch dabei. Ob die Tropfen das wissen? Dumm sind sie jedenfalls nicht, sonst würden sie nicht manche Veranstaltung kippen und den Bach mit enttäuschten Gesichtern aufschwemmen, während andere völlig unbeschadet jedes Sinnenwandels ihre Bratwurst mit Mayo essen, ohne dafür zum Teufel geschickt zu werden. Damit er ihnen Manieren beibrächte. Früher war der Regen anders.
Obwohl es immer von oben regnet, halte ich das nicht für ein Naturgesetz. Manchmal sollte es von der Seite regnen. Und viele spüren mehr als deutlich, dass an vielen Tagen, an denen einem das Wasser bis zum Halse steht, der Quell der Feuchtigkeit eher aus Gefilden unterhalb der Gürtellinie stammt. Wenn es bis dort hinunter regnet, wird’s jedenfalls schlüpfrig. Früher war der Regen anders.
Wenn man sich wünschen könnte, Wetterphänomene umzubenennen, würde ich den Wind Thomas nennen, weil ich einen Thomas kenne, den ich noch nie leiden konnte und dann bliebe mir immer wieder ein neuer Grund, mich über ihn aufzuregen. Die Sonne würde ich Tag nennen, denn dann ist am Tag auch Tag und in der Nacht der Tag auch wirklich weg. Der Regen hätte gar keinen Namen verdient. So undankbar wie er oftmals ist, soll er froh sein, dass man überhaupt noch mit ihm redet. Früher war der Regen anders.
Denn früher hat es einfach nur geregnet.



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Butenlänner
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B
Beitrag03.01.2014 16:07

von Butenlänner
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Hi,
ich wage mich mal, deinen Prosatext zu kommentieren, es ist etwas Neuland für mich; ich bin eher der Dichter, oder vielmehr Poetiker wie ich es immer gerne scherzhaft formuliere!
Ich dachte an die Wasserkristalle von Masaru Emoto, ein Buch das vor einigen Jahren für Begeisterung sorgte. Früher war der Regen anders.
Ich dachte an die symbolische Bedeutung für Wasser und dachte an Johannes den Täufer, man hatte ihn angeblich geköpft. Früher war der Regen anders.
Ich mag Bratwurst und würde diese auch genießen wenn der Regen von der Seite kommen würde. Früher war der Rehen anders.
Ich dachte: Vielleicht ist das Leben wie ein Tropfen aus dem Meer, der Tod wie ein Tropfen im Meer. Früher war der Regen anders.
Ich würde den Regen Dribbeldridrop nennen, klingt irgendwie niedlicher!

Lg

Butenlänner
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nebenfluss
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Beitrag03.01.2014 18:21

von nebenfluss
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Hallo Oliver,

willkommen im Forum.

Ich habe auch schon dein rhythmisch ratterndes Gedicht gelesen, aber dazu sage ich nichts weiter - vermutlich werden sich ein paar Lyrik-Experten damit befassen.

Schön, dass du, obwohl du noch jung bist, weder die Pfade der einschlägigen Genres weiter auslatschst noch Anekdoten aus deinem Leben als Prosa verpackst. Dafür hast du schon mal einen Stein bei mir im Brett.

Was deine Sichtweise des Regens angeht, finde ich sie am Anfang gut beobachtet und spannend formuliert. Später allerdings schwächeln Präzision und Metaphern - es wirkt ein wenig so, als hättest du unbedingt eine bestimmte Länge des Textes erreichen wollen. Sag Bescheid, wenn ich an Beispielen verdeutlichen soll, was ich meine.

Der letzte Absatz und der Schlusssatz haben mir wieder gefallen - die paradox anmutende Behauptung, früher sei der Regen anders gewesen, löst sich scheinbar profan, für mich aber völlig zufriedenstellend auf.

Ich verstehe nicht ganz, warum die Beschreibungen des Regens dann nicht im Präsens stehen.
Den Satz "Früher war der Regen anders" hast du sehr streng an das Ende jedes Absatz gehängt, aber dies ist ja keine Lyrik, da erscheint mir das als Stilmittel zu übertrieben. ich könnte mir vorstellen, dem Satz Bedeutung zu verleihen, in dem du ihn ganz an den Anfang setzt (das könnte auch Missverständnisse vermeiden) und ihn dann erst wieder am Schluss aufgreifst, wenn es an die 'Pointe' geht.

Als störend empfinde ich die Passagen, in denen plötzlich die Haltung des (Ich-)Erzählers auftaucht. Auf dem Roten Teppich hast du geschrieben, deine Texte seien zynisch und sollten es auch sein. Das bedarf persönlicher Stellungnahme. Trotzdem würde ich versuchen, in diesem Text ohne die 1. Person auszukommen.

LG


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Oliver
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Beitrag03.01.2014 19:54

von Oliver
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Ich möchte mit diesem Werk ein gewisses Gefühl vermitteln. Früher war der Regen anders, weil man früher noch anders, naiver, weniger pessimistisch über die Dinge nachgedacht hat.
Früher dachte man noch, Beziehungen halten ewig. Früher dachte man, Freunde bleiben für immer, die Guten würden immer gewinnen und die Bösen bekämen ihre Strafe.
Ich möchte das Gefühl beschreiben, das man hat, wenn man erkennt, dass man sich weiterentwickelt hat. Die Dinge sind anders geworden, nicht schlechter, aber anders. ich möchte viele Menschen damit abholen, den ich denke, dass jeder dieses gefühl zwischen Schwermut, Wehut, Melancholie und Trauer kennt.
Das "ich" ist so ein Spleen. Ich schreibe beruflich hauptsächlich Fachtexte in juristischen Zeitschriften, da darf man nie "Ich" verwenden. In der Prosa möchte ich damit den Leser provozieren, er soll klar erkennen, wo ich versuche ihm meine Ansicht aufzudrücken, damit er sich, wenn er will, auch wehren kann.

Ja, bitte nenne mir Beispiele, wo du es "gestreckt" findest. Das war nämlich nicht mein Problem, eigentlich hätte ich noch viel weiter schreiben können und habe mich gebremst...wink nenne mir die Stellen, diesen Eindruck möchte ich wenn möglich abändern!! smile


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Klemens_Fitte
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Beitrag03.01.2014 20:24

von Klemens_Fitte
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Hallo Oliver,

ich wollte mir meinen Kommentar zunächst noch aufsparen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich deinen Text richtig eingeordnet habe.

Ich habe ein Faible für Texte, die in ihrem Versuch, Stimmungen und Befindlichkeiten nicht nur zu schildern, sondern sie dem Leser aufzudrängen, sprachlich übers Ziel hinaus schießen; da hast du, finde ich, schon einen guten Weg eingeschlagen, was die Fülle und Eindringlichkeit der verwendeten Sprachbilder angeht.

Wo es mMn nach noch hapert ist gewissermaßen die thematische 'Bedingtheit' dieser Bilder - ich habe keine Problem mit den Kamikaze- oder Schmerzensschreien von Regentropfen. Nur fehlt im Text die Grundlage, die diese radikalen Bildern erzwingen würde. Mit anderen Worten: Wenn es dir darum geht, ein Gefühl von Schwermut oder Melancholie zu vermitteln, solltest du diese Absicht noch mehr im Text verankern, damit man das Ganze nicht für bloße sprachliche Spielerei hält.

Gruß,
Klemens

P.S.: Auch mich hat die ständige Wiederholung von "Früher war der Regen anders" gestört. Das nimmt dem Satz und der finalen Auflösung komplett die Wirkung.
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Oliver
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Beitrag03.01.2014 20:35

von Oliver
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Hallo Klemens,

die Anmerkung bezüglich der Sprachspielerei gibt mir zu denken...das ist wirklich ein guter Tip, die Stimmung stärker zu verankern. Ich dachte, der krasse Wechsel von banal zu tief würde auf diese Art besser betont...

ich merke, man stört sich an meiner permanenten Wiederholung von "Früher war der Regen anders".

Gleichwohl bin ich mal so ungestüm zu behaupten, dass gerade das den Text in den Kopf hämmert. Weil diese Aussage so trivial ist, sie nervt, man hat es verstanden und hört sie dennoch immer wieder. Ich weiß, es ist eher ein Stilmittel aus der Lyrik (man denke nur an "Todesfuge" von Celan...Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich heute...Der Tod ist ein Meister aus Deutschland)
Mir ging es zumindest so, dass ich diesen Satz nicht mehr aus dem Kopf bekam. Früher war der Regen anders. Du wirst heute Nacht noch davon träumen wink


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Klemens_Fitte
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Beitrag03.01.2014 21:13

von Klemens_Fitte
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Oliver hat Folgendes geschrieben:
ich merke, man stört sich an meiner permanenten Wiederholung von "Früher war der Regen anders".

Gleichwohl bin ich mal so ungestüm zu behaupten, dass gerade das den Text in den Kopf hämmert. Weil diese Aussage so trivial ist, sie nervt, man hat es verstanden und hört sie dennoch immer wieder.


Dem entgegne ich, dass dieses Hämmern eher eine plättende Wirkung hat; irgendwann erkennt der Leser gar nicht mehr, was hier eigentlich eingehämmert werden sollte, weil der Gegenstand durch die wiederholten Hammerschläge sämtliche Charakteristika verloren hat.

Zitat:
Ich weiß, es ist eher ein Stilmittel aus der Lyrik (man denke nur an "Todesfuge" von Celan...Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich heute...Der Tod ist ein Meister aus Deutschland)


Moment - in der Todesfuge werden diese Motive aber immer wieder variiert und (im Sinne der musikalischen Fuge) durchgespielt, oder?

Zitat:
Mir ging es zumindest so, dass ich diesen Satz nicht mehr aus dem Kopf bekam.


Ja, das kenne ich von meinen frühen Texten: Sätze, die plötzlich ein Eigenleben führen und den Autor dazu verleiten, in ihnen mehr zu sehen, als ihnen eigentlich zusteht. Etwas (zeitliche) Distanz hilft da. Und um mal Josef Winkler zu zitieren:

Nein, nein, ich blute nicht bei jedem Satz, im Gegenteil, die Blutzufuhr kommt erst in Gang, wenn ich den Satz zwanzigmal bearbeitet habe und erst danach das Gefühl bekomme, jetzt ist er es wert, umformuliert oder zerstört zu werden.
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Oliver
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Beitrag03.01.2014 22:07

von Oliver
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Bei der Todesfuge bleibt es gerade immer gleich, die Variation ist gering.  Celan wechselt die Satzbausteine, verwendet aber immer die gleichen Phrasen. Ob das eine Fuge ist, lasse ich dahinstehen, nach m. Definition nicht, darauf kommt es aber hier nicht an. Aber wie gesagt, es ist Lyrik, da hat das als Stilmittel anderen Wert.

Ich werde die Wiederholungen testweise herausnehmen und die Wirkung erspüren. Bin gespannt.


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nebenfluss
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Beitrag03.01.2014 23:20

von nebenfluss
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Hallo Oliver,
ich bleibe auch noch einen Moment bei der Stimmung ...
generell habe ich den Text so gelesen, dass der Erzähler erwachsen geworden ist, dass ihm die Erkenntnis der Komplexität (der Dinge, der Welt) einerseits vielleicht Angst macht, aber ihn auch zur Analyse befähigt, die hier ja (wie ich finde) durchaus lustvoll betrieben wird.
Diese Ambivalenz finde ich auch in deiner Antwort:
Oliver hat Folgendes geschrieben:
Ich möchte mit diesem Werk ein gewisses Gefühl vermitteln. Früher war der Regen anders, weil man früher noch anders, naiver, weniger pessimistisch über die Dinge nachgedacht hat.
Früher dachte man noch, Beziehungen halten ewig. Früher dachte man, Freunde bleiben für immer, die Guten würden immer gewinnen und die Bösen bekämen ihre Strafe.
Ich möchte das Gefühl beschreiben, das man hat, wenn man erkennt, dass man sich weiterentwickelt hat. Die Dinge sind anders geworden, nicht schlechter, aber anders. ich möchte viele Menschen damit abholen, den ich denke, dass jeder dieses gefühl zwischen Schwermut, Wehut, Melancholie und Trauer kennt.

Im Grunde führst du nur negative Beispiele an, von daher scheint dein Erzähler schon vom Pessimismus geprägt zu sein. Und genau diese Haltung wird eben auch in dem Moment deutlich, wo das unpersönliche "man" vom "ich" abgelöst wird. Der Erzähler wird zum Prota und wirkt als solcher nicht gerade sympathisch:
Zitat:
Wenn man sich wünschen könnte, Wetterphänomene umzubenennen, würde ich den Wind Thomas nennen, weil ich einen Thomas kenne, den ich noch nie leiden konnte und dann bliebe mir immer wieder ein neuer Grund, mich über ihn aufzuregen.

Sich Gründe wünschen, sich über jemanden aufzuregen? Wozu soll das denn gut sein ... Da ergreife ich instinktiv die Partei vom Thomas (was denn an ihm so furchtbar ist, erfahre ich ja nicht).
In diesem Sinne auch meine Abneigung gegenüber dem "Ich":
Zitat:
Das "ich" ist so ein Spleen. Ich schreibe beruflich hauptsächlich Fachtexte in juristischen Zeitschriften, da darf man nie "Ich" verwenden. In der Prosa möchte ich damit den Leser provozieren, er soll klar erkennen, wo ich versuche ihm meine Ansicht aufzudrücken, damit er sich, wenn er will, auch wehren kann.

OK, wie gesagt, wehren tue ich mich bereits. Ich schreibe selbst beruflich journalistisch bzw. faktenbasiert und kann das Bedürfnis, das "Ich" zu verwenden durchaus verstehen (auch im Sinne von: das, was ihr hier von mir lest, bin wirklich ICH). Nur kommt es in diesem Text eben sehr unvermittelt. Besser wäre m. E., dann die ganzen "man"s zuvor auch durch "Ich" zu ersetzen.
Wenn du dich schon traust, dann richtig - z. B. hier:
Zitat:
Bei den anderen bleiben die Haare trocken, wenn sie aus der Dusche kommen. Man selbst steht unter dem Regenschirm und bekommt nasse Füße.

'Man' meint doch eigentlich jeden, wer sind dann 'die anderen'? Würdest du stattdessen 'Ich' schreiben ... wäre logischer und vielleicht ehrlicher vom Erzähler, oder?

Oliver hat Folgendes geschrieben:
Ja, bitte nenne mir Beispiele, wo du es "gestreckt" findest. Das war nämlich nicht mein Problem, eigentlich hätte ich noch viel weiter schreiben können und habe mich gebremst...wink nenne mir die Stellen, diesen Eindruck möchte ich wenn möglich abändern!! smile

"Gestreckt" ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Ich habe eher das Gefühl, dass du dich hast "wegtragen" lassen und dabei nachlässig geworden bist. Beispiele:
Zitat:
Jeder Aufprall zersplittert in so viele Teile wie er gleichzeitig trifft.

Ein Aufprall zersplittert nicht, sondern das, was aufprallt. Jeder Splitter trifft irgendwas - das schreibst du hier so dramatisch, versteht sich aber von selbst und passiert nicht gleichzeitig, sondern geringfügig später.
Zitat:
Manchmal regnet es sogar, obwohl die Sonne scheint. Oder gerade deshalb. Weil sogar wenn der eigentliche Chef der Gestirne sich die Ehre gibt, immer klar ist, wer die Fäden und Strippen zieht. Hat man schon mal einen Regentag ohne Tropfen gesehen? Ich jedenfalls habe schon viel Sonne gesehen, ohne dass es warm gewesen wäre.

OK, jetzt, wo ich es nochmal lese, verstehe ich: Regen macht immer nass, Sonne aber nicht immer warm. Aber ich finde, diese meteorologische Hierarchie passt nicht recht, da die Sonne doch - wenn überhaupt - eher mit den Wolken vergleichbar ist, und die können durchaus vorbeiziehen, ohne sich zu entladen.
Zitat:
Wasser macht sauber, heißt es immer. Korrekterweise müsste man aber sagen: Seife macht sauber.

Finde ich als universale Aussage nicht korrekt. Wasser kann durchaus ohne Seife etwas sauber machen.

Ich denke, was DU mit diesem Text willst, ist klar geworden. Die nächste Frage wäre, was der Leser damit will. Ich glaube, mir würde der Sinn und vor allem dieses Ich plausibler, wenn sich etwas anschließen würde. Das könnte ein ganz wunderbarer Einstieg in eine längere Erzählung (oder ein Kapitel eines Romans?) werden. Der Prota steht mit diesen Gedanken am Straßenrand und versucht, per Anhalter aus seiner Heimat wegzukommen. Oder schaut dem Auto hinterher, in dem seine Freundin gerade mit ihrem neuen Macker verschwindet. Aber das musst du natürlich selbst entscheiden.

LG

EDIT: Der Kommentar ist ja schon sehr lang, aber ich möchte noch mal auf das Zeitenproblem hinweisen. Durch das Imperfekt ist zeitweise nicht ganz klar, ob der frühere oder der heutige Regen (in der Wahrnehmung des Erzählers) beschreiben wird.

LG


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Oliver
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Beitrag04.01.2014 14:59
Regen, neue Version
von Oliver
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Gut, ich habe eure Anregungen aufgegriffen, das Imperfekt herausgenommen, die Wiederholungen gestrichen und statt dem LI ein freches "DU" gesetzt. Allerdings befürchte ich, dass der Sache jetzt ein wenig der Witz abhanden gekommen ist. Denn es soll bei dieser Länge bleiben, es ist keine Einleitung, sondern in sich geschlossen. Dennoch, die Tipps waren wirklich sehr hilfreich und anregend!

...

Regen

Die kleinen Tropfen fallen unbesorgt. Leise plätschert es, wenn sie auf den Boden treffen. Zusammengefunden haben sie sich weit oben, in den Wolken. Freunde, wenn auch nur für den kurzen Weg bis zur Erde und doch sofort nach dem Aufprall wieder vereint. Gemeinsam zu einem Rinnsal verbunden schlängeln sie den Weg hinab, durch Steine und Geröll, über Kanten und feuchtwarme Steine. Früher war der Regen anders.
Am Fenster sind die Einschläge klar zu spüren. Das Zerschellen der kleinen Tropfen geht einher mit dem Grollen ihres dumpfen Aufschlages. Die Perfektion ihrer Form, bedingt durch die Anordnung der Moleküle und die Anziehungskraft der Erde, kann dem Ende ihrer Talfahrt kaum etwas entgegensetzen. Wie kleine Splitter zerstieben die Einzelteile, aus einem Tropfen werden abertausend Setzlinge, die die Fensterbank langsam aber sicher belagern.
Wenn du im Auto sitzt spürst du, wie mechanisch die Zerstörung von Statten geht. Tropfen auf harter Karosserie, Tropfen unter Hartgummireifen. Tropfen, zerteilt von den überfleißigen Armen der Scheibenwischanlange, ihr Schmerzensschrei kaum hörbar, weil der Gummi auf der Scheibe quietscht und so das Grauen verdeckt.
Du wirst immer nur so nass, wie du es erwartest, der Regen kennt seine Opfer. Umso schneller du rennst, umso mehr Tropfen donnern auf die vollgesaugte Jacke. Bei den anderen bleiben die Haare trocken, wenn sie aus der Dusche kommen. Du selbst stehst unter dem Regenschirm und bekommst nasse Füße. Nichts ist schlimmer als nasse Füße, insbesondere dann, wenn die Socken dabei trocken bleiben wollen.
Als letzte Woche der Nebel so dicht war, hätte vielleicht Regen geholfen. Die Tropfen hätten sich zusammengetan, und den miefigen Dunst nach Hause geschickt. Dann wären sie weiter herumgelungert und hätten sich ein neues Opfer gesucht. Wenn du unter den Bäumen hindurchgehst hörst du ihre Kamikazeschrei, bevor sie sich, ohne Fallschirm und doppelten Boden aus der Höhe stürzen um ihr Schicksal mit uns zu teilen. Jeder Aufprall lässt die kleinen, zierlichen Tropfen in tausende Teilchen zerfließen. Da hilft es auch nicht, wenn du den Baum absägen lässt.
Manchmal regnet es sogar, obwohl die Sonne scheint. Oder gerade deshalb. Weil sogar wenn der eigentliche Chef der Gestirne sich die Ehre gibt, immer klar ist, wer die Fäden und Strippen zieht. Hat man schon mal einen Regentag ohne Tropfen gesehen? Du jedenfalls hast schon viel Sonne gesehen, ohne dass es warm gewesen wäre.
Wasser macht sauber, heißt es immer. Korrekterweise müsste man aber sagen: Seife macht sauber. Wasser ist halt auch dabei. Ob die Tropfen das wissen? Dumm sind sie jedenfalls nicht, sonst würden sie nicht manche Veranstaltung kippen und den Bach mit enttäuschten Gesichtern aufschwemmen, während andere völlig unbeschadet jedes Sinnenwandels ihre Bratwurst mit Mayo essen, ohne dafür zum Teufel geschickt zu werden. Damit er ihnen Manieren beibrächte.
Obwohl es immer von oben regnet, ist das kein Naturgesetz. Manchmal sollte es von der Seite regnen. Und viele spüren mehr als deutlich, dass an vielen Tagen, an denen einem das Wasser bis zum Halse steht, der Quell der Feuchtigkeit eher aus Gefilden unterhalb der Gürtellinie stammt. Wenn es bis dort hinunter regnet, wird’s jedenfalls schlüpfrig.
Wenn du dir wünschen könntest, Wetterphänomene umzubenennen, würdest du den Wind vielleicht Thomas nennen, weil du mal einen Thomas kanntest, den du noch nie leiden konntest und dann bliebe dir immer wieder ein neuer Grund, dich über ihn aufzuregen. Die Sonne könntest du Tag nennen, denn dann ist am Tag auch Tag und in der Nacht der Tag auch wirklich weg. Der Regen hätte gar keinen Namen verdient. So undankbar wie er oftmals ist, soll er froh sein, dass man überhaupt noch mit ihm redet. Früher war der Regen anders.
Denn früher hat es einfach nur geregnet.


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Beitrag04.01.2014 16:20

von nebenfluss
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Hallo Oliver,

ich bin eigentlich kein Freund vom "du" in der Prosa, aber hier funktioniert es erstaunlich gut! Glückwunsch dazu.

LG


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Klemens_Fitte
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Beitrag04.01.2014 17:11

von Klemens_Fitte
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Auch mir gefällt der Perspektivwechsel ungemein. Hab mich beim Lesen sehr an den Roman "Du Idiot" von Joachim Helfer erinnert gefühlt. Während sich das Du auf Buchlänge aber irgendwann abnutzt, ermöglicht es in diesem Text mMn genau diesen zwischen Zynismus, Melancholie und Süffisanz changierenden Ton, den du, glaube ich, erreichen wolltest.

Insofern muss ich dir leider erneut widersprechen: Der Text verliert dadurch nicht den Witz, ganz im Gegenteil.

Gruß,
Klemens
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Oliver
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Beitrag04.01.2014 19:08

von Oliver
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Schön, das freut mich! Insbesondere, dass das gemeine Quäntchen Süffisanz erhalten blieb. Genau dieses Element war es nämlich, dass mir in der Entwicklung die Energie verlieh. Inzwischen gefällt mir diese Version sehr gut. Erneut ein herzliches Danke für die Anregungen!

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Beitrag04.01.2014 19:08

von Oliver
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Schön, das freut mich! Insbesondere, dass das gemeine Quäntchen Süffisanz erhalten blieb. Genau dieses Element war es nämlich, dass mir in der Entwicklung die Energie verlieh. Inzwischen gefällt mir diese Version sehr gut. Erneut ein herzliches Danke für die Anregungen!

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