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Ein schöner Tag im Leben eines Kindes


 
 
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Kino Vollbart
Eselsohr


Beiträge: 236



Beitrag19.08.2010 09:09
Ein schöner Tag im Leben eines Kindes
von Kino Vollbart
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi.




Ein schöner Tag im Leben eines Kindes


Etwas, das man leichthin sagt. Nur wenn es ans Tun geht – wer pfeift nicht auf die lauteren  Ziele?
Morgens, sieben Uhr, war Sann aufgestanden, nachdem er zum zweiten Mal den Schlummeralarm abgestellt hatte. Es regnete seit Tagen jenen feinen Sprühregen, den man glaubte, aushalten zu können und doch binnen Minuten klamm in den Kleidern steckte.
Heute feierte seine jüngst Tochter ihren sechsten Geburtstag.
Dringende Anrufe verschob Sann auf nach dem Duschen. Zunächst aber zwei, drei Tassen Kaffee.

Der Balkon, angebaut 1863, knarrte wenig vertrauenerweckend unter Sanns nackten Füßen, als er hinaustrat und die erste Zigarette des Tages rauchte.
Es war nicht eben kalt, aber zu kühl für Shorts und T-shirt.

Vor den dringenden Anrufen packte er noch die Geschenke ein, was auf der nachgiebigen Matratze des Bettes nicht recht gelingen wollte, aber auf dem Tischchen stand zuviel Zeug, Kaffeetassen und – kanne, Müll, Teller, der Laptop – Sann wich auf die Fensterbank aus.
Er rauchte noch eine Zigarette.
Unter der Dusche blickte Sann auf das im Ausguss verstrudelnde Wasser.
Als er zurück ins Zimmer kam, sah er, dass es kurz vor neun war. Eilig zog er sich an. Unten verzurrte er die Geschenke auf dem Gepäckträger des Fahrrads und klapperte übers Kopfsteinpflaster vom Hof.

Der Weg in die Stadt ging hauptsächlich abwärts. Trotzdem würde Sann wieder zu spät kommen.
Sechs Jahre alt. Was mochte das Leben für sie bereit halten? Sann dachte, während er mit schmerzenden Knien in die Pedale trat, an seine eigene grauenvolle Schulzeit.
Schon damals die Frage: Wie kommt man mit all dem klar? Dem Leben, das Erwachsene zu führen gezwungen sind?

Auf sein Klingeln ertönte der Summer und Sann drückte die Tür auf, parkte das Fahrrad vor den Briefkästen im Treppenhaus.
Als Sann in die Wohnung trat, roch es nach Kuchen. Die beiden Mädchen kamen gestürzt und erzählten synchron von ihrem Urlaub. Sann lächelte. Nebenbei grüßte er seine Frau.
Später, als die Kinder mit den Geschenken spielten, fragte er in die Küche, ob er etwas helfen könne.

Sie sangen am Frühstückstisch „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien...“ Das Geburtstagskind pustete die Kerzen aus.
Die unbeschadete Seele.

Einmal kam die Jüngste auf den Balkon, wo Sann eine Zigarette rauchte. Er sagte:
„Du weißt doch noch, dass ich ausziehe?“ – Sie füllte original südfranzösischen Mittelmeersand in eine alte Sektflasche – „Das hab ich jetzt gemacht, während ihr im Urlaub ward. Und bis ich eine neue gefunden hab, bin ich jetzt in einer Pension. Ist auch ein bisschen wie Urlaub. Hat einen wilden Garten und sogar ein Schwimmbad! Und einen Hund! Du kannst mich gerne mal besuchen.“

Gegen elf kaufte Sann eine Regenjacke und wartete bis zwölf. Besichtigungstermin.
Die Wohnung war in Anbetracht der Umstände untadelig. Vier oder fünf Interessenten zerdrückten sich im engen Flur – allesamt mit einem besseren Leumund als Sann.

Am frühen Nachmittag, stiegen alle aus dem Auto, nachdem entschieden worden war, dass der Playmobilddrache nicht mitkonnte. Es regnete nicht. Unter Solarpanelen gingen sie zum Eingang, eine vorfrohe Familie, über ihren Köpfen kreischten Menschen vorbei, gebeutelt von den Fliehkräften einer Achterbahn.
Der Entritt für das Geburtstagskind war frei, die Mutter zahlte für die ältere Tochter, Sann für sich selbst.
Die Regenjacke kann man wieder zurückgeben, man muss sie nur sauber halten.

Obwohl noch nicht ganz eins zwanzig durfte die Kleine die meisten Achterbahnen fahren, mit glänzenden Augen. Nur einmal Probleme, der Messlattenmensch drückte dann doch ein Auge zu.
Vesper auf einem authentischen Matterhornfelsen. Sann lachte und scherzte, als sei alles in Butter. In der Schlange vor einer Fahrgelegenheit: Als auf einen Scherz Sanns seine Frau einmal lachte, war er bestürzt.
Zur Geisterbahn kamen sie nicht mehr.

Auf der Rückfahrt saßen sie schweigend, müde und stumm, während die Randbegrünung am Seitenfenster vorbeirauschte; die Kinder spielten oder lasen auf der Rückbank.
Wenn dem Menschen Wohlwollen und Sympathie entzogen sind – muss er nicht zwangsläufig verstummen?

In der Tiefgarage stiegen sie ächzend aus, Sanns Frau klagte über Rückenschmerzen, was ihm alles weh tat, verschwieg er. Auf dem Weg in den zweiten Stock, stoppte Sann den Fahrstuhl im Erdgeschoss, in der offenen Tür blieb er stehen und nahm seine Töchter noch einmal in den Arm. Sie ließen es geschehen, müde und hungrig, wie sie waren.
„Es war ein schöner Tag,“ sagte er.
Mit einem Schwung öffnete Sann die Haustür und schob das Fahrrad aufs Trottoir.
Man kann lieben ohne Gegenliebe zu verlangen – wie bei meinen Kindern. Wieso gelingt es mir bei ihr nicht? Eines jener lauteren Ziele, das an der emotionalen Realität scheitert.

Sann stülpte sich die Kapuze über, es regnete wieder leicht. Es war viertel nach neun. Jetzt ins Krankenhaus zur Dialyse bei Dunkelheit mit kaputten Lichtern und knarrenden Pedalen.

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The Brain
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1966
Wohnort: Over the rainbow


Beitrag19.08.2010 10:46

von The Brain
Antworten mit Zitat

Hallo, Kino,

ein Thema, dass heute leider in fast allen Familien früher oder später Realität wird. Sehr einfühlsam beschrieben.


Zitat:
Dringende Anrufe verschob Sann auf nach dem Duschen. Zunächst aber zwei, drei Tassen Kaffee.


Das ist von der Satzkonstellation holpernd. Insbesondere beim 2. Satz fehlt ...


Zitat:
angebaut 1863


unnütze Information, die ablenkt ...


Zitat:
Vor den dringenden Anrufen ...


Wiederholung - außerdem tätigt er sie ja gar nicht ... da fehlt dann später eventuell noch die Rückkehr zu den vorgenommenen Dingen ...


Zitat:

Die beiden Mädchen kamen ...


Die zweite Tochter fällt vom Himmel ...


Zitat:
„Du weißt doch noch, dass ich ausziehe?“
  
Das ist unlogisch - er ist bereits ausgezogen ...



... dann wirds holprig - chronologisch und sprachlich ... schau noch mal drüber!


Zitat:
Wenn dem Menschen Wohlwollen und Sympathie entzogen sind – muss er nicht zwangsläufig verstummen?

Den Satz mag ich ...



Liebe Grüße

The Brain


_________________
Dinge wahrzunehmen,
der Keim der Intelligenz

(Laotse)

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Die Kindheit endet nicht mit dem Erwachsenwerden.
Sie begleitet dich durch all deine Lebenstage.

***********

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Bringen dir kein Glück,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurück.

(Hermann Hesse)
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Isa
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 153
Wohnort: München


Beitrag19.08.2010 11:23
Re: Ein schöner Tag im Leben eines Kindes
von Isa
Antworten mit Zitat

Hi
Ein schöner Text, der mich berührt.
Wie schafft man es, sich zu trennen, ohne dass die Kinder zu sehr leiden. Die Kernaussage ist wohl die verzweifelte Frage (in meinen Augen): Warum kann man nicht lieben ohne Gegenliebe zu verlangen? Du meinst die bedingungslose Liebe, die man zu seinen Kindern hat, ohne Ansprüche, Rechtfertigungen, die einfach da ist und niemals vergeht...

Der Text ist sehr vollgepackt mit Emotionen, die sehr genau einen Tag im Leben des Protagonisten beschreiben, wobei die Nebenfiguren am Rande gestreift werden. Ist  für mein Gefühl gelungen, ich kann es mir sehr gut vorstellen.  
Ich erwähne nur nur mal ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind. Ab und zu fehlen für meinen Geschmack Verben, ich würde ganze Sätze daraus machen, aber wie gesagt nur meine Meinung.


Kino Vollbart hat Folgendes geschrieben:


Etwas, das man leichthin sagt. Nur wenn es ans Tun geht – wer pfeift nicht auf die lauteren  Ziele? (die lauteren Ziele gefallen mir nicht so...)
 
Heute feierte seine jüngst(e) Tochter ihren sechsten Geburtstag.
Dringende Anrufe verschob Sann auf nach dem Duschen. Zunächst aber (vielleicht doch ein Verb reinschieben: trank, genehmigte er sich) zwei, drei Tassen Kaffee.

Sechs Jahre alt. Was mochte das Leben für sie bereit halten? Sann dachte, während er mit schmerzenden Knien in die Pedale trat, an seine eigene grauenvolle Schulzeit. (vielleicht besser: an seine eigene Schulzeit, die ihm nun rückblickend grauenvoll erschien)
Schon damals (stellte er sich immer wieder) die Frage: Wie kommt man mit all dem klar? Dem Leben, das Erwachsene zu führen gezwungen sind?

Sie sangen am Frühstückstisch „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien...“ Das Geburtstagskind pustete die Kerzen aus. (Vielleicht noch zusätzlich: Sie schien glücklich zu sein, mit einer unbeschadeten,...)
Die unbeschadete Seele.

Einmal kam die Jüngste auf den Balkon, wo Sann eine Zigarette rauchte. Er sagte:
„Du weißt doch noch, dass ich ausziehe?“ – (Sie gab keine Antwort und...) Sie füllte original südfranzösischen Mittelmeersand in eine alte Sektflasche – „Das hab ich jetzt gemacht, während ihr im Urlaub ward. Und bis ich eine neue gefunden hab, bin ich jetzt (wohne) in einer Pension. Ist auch ein bisschen wie Urlaub. Hat einen wilden Garten und sogar ein Schwimmbad! Und einen Hund! Du kannst mich gerne mal besuchen.“

Gegen elf kaufte Sann eine Regenjacke und wartete bis zwölf. Besichtigungstermin.
Die Wohnung war in Anbetracht der Umstände untadelig. Vier oder fünf Interessenten zerdrückten sich im engen Flur – allesamt mit einem besseren Leumund als Sann.
(Das versteh ich nichtt ganz: er geht kurz zum Besichtigungstermin, um sich später wieder mit seiner Familei  wieder zu treffen, vielleicht kurz erwähnen,... auch gefällt mir der Satz so nicht).

Unter Solarpanelen gingen sie zum Eingang, eine vorfrohe (vielleicht besser: mit einem erwartungsvollen Ausdruck in den Gesichtern)

Der Entritt für das Geburtstagskind war frei, die Mutter zahlte für die ältere Tochter, Sann für sich selbst.
Die Regenjacke kann man wieder zurückgeben, man muss sie nur sauber halten. (Den Satz würde ich weglassen)

Sann lachte und scherzte, als sei alles in Butter. In der Schlange vor einer Fahrgelegenheit: Als auf einen Scherz Sanns seine Frau einmal lachte, war er bestürzt. (vielleicht besser: als sie vor einem Fahrgeschäft in der Schlange warteten, reagierte Sanns Frau mit einem fröhlichen Lachen auf einen Scherz, den er gemacht hatte... er war bestürzt.

Auf der Rückfahrt saßen sie schweigend, müde und stumm (schweigend und müde im Auto?), während die Randbegrünung am Seitenfenster vorbeirauschte; die Kinder spielten oder lasen auf der Rückbank.
Wenn dem Menschen Wohlwollen und Sympathie entzogen sind – muss er nicht zwangsläufig verstummen? (Da gefällt mir der Satz nicht, auch wenn ich weiß was du meinst. Vielleicht besser: "Ist es nicht zwangsläufig so, dass Menschen verstummen, wenn sich der Zauber eines wundervollen Nachmittags auflöst und die Leere zurückkehrt,... so ähnlich)
 

Sann stülpte sich die Kapuze über, es regnete wieder leicht. Es war viertel nach neun. Jetzt ins Krankenhaus zur Dialyse bei Dunkelheit mit kaputten Lichtern und knarrenden Pedalen. (vielleicht besser: er machte sich auf den Weg ins Krankenhaus...)


Sehr gerne gelesen.

LG Isa
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Kino Vollbart
Eselsohr


Beiträge: 236



Beitrag19.08.2010 19:15

von Kino Vollbart
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi.

Danke für die umfangreichen Kritiken, Euch beiden.


("Wenn dem Menschen Wohlwollen und Sympathie entzogen sind – muss er nicht zwangsläufig verstummen?" bedeutet nicht, was Du verstanden hast, Isa.  Embarassed nur so am Rande...)
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*Gast*
Klammeraffe
*


Beiträge: 504
Wohnort: Rheinland-Pfalz


*
Beitrag20.08.2010 11:12

von *Gast*
Antworten mit Zitat

Hi Bärtiger,

der Kern der Geschichte, die Trennungssituation und die mit ihr verbundenen Verletzungen geht mir beim Lesen leider unter. Die moralisierenden Reflexionen zwischendrin stören eine an sich gute Geschichte. Auch das Ende mit der Dialyse wirkt unnötig dramatisch. Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, ob Dialysen auch am Abend durchgeführt werden und ein Patient es tatsächlich noch schafft, mit dem Fahrrad hin und zurück zu fahren, braucht die Geschichte das einfach nicht. Die Einsamkeit, das Ungeliebtsein, der Schmerz zu sehen, was er verloren hat, sind doch auch so schon genug.

Zitat:
Ein schöner Tag im Leben eines Kindes


Etwas, das man leichthin sagt. Nur wenn es ans Tun geht – wer pfeift nicht auf die lauteren Ziele? Worauf bezieht sich das? Auf den schönen Tag? Oder auf die nachfolgende Handlung? So oder so finde ich es überflüssig.
Morgens, sieben Uhr, war Sann aufgestanden, nachdem er zum zweiten Mal den Schlummeralarm abgestellt hatte. Es regnete seit Tagen jenen feinen Sprühregen, den man glaubte, aushalten zu können und doch binnen Minuten klamm in den Kleidern steckte.
Heute feierte seine jüngst (jüngste) Tochter ihren sechsten Geburtstag.
Dringende Anrufe verschob Sann auf nach dem Duschen. Zunächst aber zwei, drei Tassen Kaffee. (dieses zwei, drei Tassen wirkt zu flapsig. Wenn Du die Menge betonen willst, könntest Du zum Beispiel schreiben: Zunächst aber Kaffee, viel Kaffee.)

Der Balkon, angebaut 1863, knarrte wenig vertrauenerweckend unter Sanns nackten Füßen, als er hinaustrat und die erste Zigarette des Tages rauchte.
Es war nicht eben (an der Stelle unnötig) kalt, aber zu kühl für Shorts und T-shirt.

Vor den dringenden Anrufen packte er noch die Geschenke ein, was auf der nachgiebigen Matratze des Bettes nicht recht gelingen wollte, aber auf dem Tischchen stand zuviel Zeug, Kaffeetassen und – kanne, Müll, Teller, der Laptop – (Die Aufzählung könntest Du eleganter verpacken: ... aber Laptop, Kaffeegeschirr und diverse Abfälle besetzten den einzigen Tisch.  - Das Ausweichen auf die Fensterbank würde ich vielleicht weglassen, oder vor die "Chaosbeschreibung" stellen.) Sann wich auf die Fensterbank aus.
Er rauchte noch eine Zigarette.
Unter der Dusche blickte Sann auf das im Ausguss verstrudelnde Wasser.
Als er zurück ins Zimmer kam, sah er, dass es kurz vor neun war. Eilig zog er sich an. Unten verzurrte er (meinst Du nicht eher festzurren?) die Geschenke auf dem Gepäckträger des Fahrrads und klapperte übers Kopfsteinpflaster vom Hof.

Der Weg in die Stadt ging hauptsächlich abwärts. (Das kommt sehr umgangssprachlich daher.) Trotzdem würde Sann wieder zu spät kommen.
Sechs Jahre alt. Was mochte das Leben für sie bereit halten? Sann dachte, während er mit schmerzenden Knien in die Pedale trat, an seine eigene grauenvolle Schulzeit.
Schon damals die Frage: Wie kommt man mit all dem klar? Dem Leben, das Erwachsene zu führen gezwungen sind?
(Befremdete mich beim Lesen eher. Mit sechs Jahren hätte der Vater über das Erwachsensein gegrübelt, obwohl er seine Kindheit, die Schulzeit als grauenhaft empfand? Den Gedankengang könntest Du weglassen, ohne dass der Geschichte etwas fehlte.)

Auf sein Klingeln ertönte der Summer und Sann drückte die Tür auf, parkte das Fahrrad vor den Briefkästen im Treppenhaus. (Das Satzende hängt für mich in der Luft. Vielleicht einfach das "und" einen Nebensatz nach hinten verschieben oder ein weiteres und anhängen, nachdem er die Treppe hoch steigt.)
Als Sann in die Wohnung trat, roch es nach Kuchen. (Vielleicht eher: Als Sann die Wohnung betrat, stieg im der Geruch von frisch gebackenem Kuchen in die Nase.) Die beiden Mädchen kamen gestürzt und erzählten synchron von ihrem Urlaub. (Wenn sie gestürzt kamen, lagen sie auf der Nase. Nimm ein "herbei" dazu. Synchron würde ich versuchen zu ersetzen. Zum einen, weil Fremdworte in solchen Geschichten nicht unbedingt schön wirken, zum anderen, weil es eigentlich eine Abstimmung aufeinander ausdrückt, und ich mir eher ein wildes Durcheinander von Kinderstimmen vorstelle, die versuchen sich gegenseitig zu übertrumpfen.) Sann lächelte. Nebenbei grüßte er seine Frau.
Später, als die Kinder mit den Geschenken spielten, fragte er in die Küche, ob er etwas helfen könne.
(Der Part ist für mich etwas knapp geraten. Da fehlt jede Atmosphäre, auch die Distanz kommt nicht bei mir an. Den Familienmitgliedern fehlen Namen, die Frau sehe ich nicht, wüsste auch nicht zu sagen, ob sie sich bei der Begrüßung im selben Raum befindet. Nicht, dass das unbedingt in allen Einzelheiten erzählt werden müsste, aber hier ist eindeutig eine Lücke.)

Sie sangen am Frühstückstisch „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien...“ Das Geburtstagskind pustete die Kerzen aus.
Die unbeschadete Seele. (Ist vielleicht mein Problem, ich mag derartige Aussagen nicht.)


Sätze, die ich, nach meinem Lesegeschmack, ersatzlos streichen würde:

Zitat:
Wenn dem Menschen Wohlwollen und Sympathie entzogen sind – muss er nicht zwangsläufig verstummen?
Eine rethorische Frage, die auf mich aufgesetzt wirkt. Die ganze Familie ist stumm, nicht nur Sann. Das fehlende Wohlwollen war vorher nicht wirklich erkennbar, immerhin hat seine Frau sogar über einen seiner Witze gelacht. Oder ist es sie, der Wohlwollen und Sympathie entzogen wurden? Dass das Schweigen nicht ein Angenehmes ist, solltest Du lieber zeigen, statt es zu beurteilen.

Zitat:
Man kann lieben ohne Gegenliebe zu verlangen – wie bei meinen Kindern. Wieso gelingt es mir bei ihr nicht? Eines jener lauteren Ziele, das an der emotionalen Realität scheitert.
Schreibst Du eine Geschichte oder einen Essay?

Auch in den weiteren Absätzen bis zum Ende würde eine gründliche Auseinandersetzung von mir ähnlich aussehen. Die Idee zu der Geschichte fand ich gut, die Ausführung könnte in meinen Augen noch Schliff vertragen.
In der Textlogik stören die unerklärten Anrufe. Die Wohnungsbesichtigung wirkt wie ein Fremdkörper in der Geschichte, zumal direkt im Anschluss die Familie vor dem Vergnügungspark aus dem Auto steigt. Viele Szenen reißt Du an, baust sie aber nicht aus. Wirkungsvoller fände ich es, wenn Du Dich auf wenige Szenen beschränktest, diese dafür mit mehr Atmosphäre versähest.


Vielleicht kannst Du mit der einen oder anderen Anmerkung etwas anfangen, vielleicht auch nicht. Das bleibt auf jeden Fall Dir überlassen, und wenn die Kritik auch überwiegend negativ aussieht, so hätte ich mich mit der Geschichte nicht befasst, wenn sie mir nicht auch gefallen hätte.

Lieben Gruß
Sabine
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Kino Vollbart
Eselsohr


Beiträge: 236



Beitrag20.08.2010 14:50

von Kino Vollbart
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi, Sabine.

Schwierig für mich auf Kritik einzugehen, wenn der Text schon grundsätzlich nicht richtig verstanden wurde. (zB: Die Trennungssituation ist nicht Kern des Textes)

Es geht nicht um eine Geschichte; es geht nicht vorrangig darum, Atmosphäre zu schaffen. Der Text erzählt nicht, er berichtet eher.

Sätze wie:"Wenn dem Menschen Wohlwollen und Sympathie entzogen sind – muss er nicht zwangsläufig verstummen?" sind mithin von zentraler Bedeutung.

Ich danke Dir für Deine Mühe, es scheint mir nur leider, als wärst Du vollkommen anders an den Text herangegangen, als er es erfordert.

ps. Ja, man kann zur Dialyse radeln, sogar wieder zurück, wenn's sein muss. Und es gibt sie abends - sogar nachts.
Ich weiß das.
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*Gast*
Klammeraffe
*


Beiträge: 504
Wohnort: Rheinland-Pfalz


*
Beitrag20.08.2010 15:24

von *Gast*
Antworten mit Zitat

Hi Kino,

macht nichts. Ist nur meine Lesart, es gibt wohl keinen Text, der bei jedem genauso ankommt, wie es der Autor beabsichtigt hat.

Lieben Gruß
Sabine
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Tschatscha
Gast






Beitrag20.08.2010 20:42

von Tschatscha
Antworten mit Zitat

Guten Tag Kino Vollbart

Der Text kann nicht mitteilen, was der Autor gerne erzählen möchte.

Das Hauptproblem liegt an dem gewählten Stil, der an ein stichwortehaltiges Telegramm erinner lässt. In dieser Form ist es beinahe unmöglich, tiefe Einblicke zu gewähren, oder den Leser zu beeindrucken.

Störend sind ebenfalls die häufigen Wiederholungen, Feststellungen und Erklärungen in der Geschichte.

Der Protagonist "Sann" macht dies und dann macht er das und dann jenes ...
So erzählt man keine Geschichte, außer man möchte dem Leser Unmut beibringen.

Da dieser Text in "Belletristische Prosa" untergebracht ist, verzichte ich auf eine tiefere Analyse. Sehr verbesserungswürdig, in der Tat.

Tschatscha
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Kino Vollbart
Eselsohr


Beiträge: 236



Beitrag21.08.2010 09:49

von Kino Vollbart
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi, Tschatscha.

Danke für die gleichermaßen fundierte wie eloquente Wortmeldung.
Nach oben
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Tschatscha
Gast






Beitrag21.08.2010 10:40

von Tschatscha
Antworten mit Zitat

Überflüssiges und Wertloses in der Geschichte:

Zitat:
Etwas, das man leichthin sagt. Nur wenn es ans Tun geht – wer pfeift nicht auf die lauteren Ziele?
Morgens, sieben Uhr, war Sann aufgestanden, nachdem er zum zweiten Mal den Schlummeralarm abgestellt hatte. Es regnete seit Tagen jenen feinen Sprühregen, den man glaubte, aushalten zu können und doch binnen Minuten klamm in den Kleidern steckte.
Heute feierte seine jüngst Tochter ihren sechsten Geburtstag.
Dringende Anrufe verschob Sann auf nach dem Duschen. Zunächst aber zwei, drei Tassen Kaffee.

Der Balkon, angebaut 1863, knarrte wenig vertrauenerweckend unter Sanns nackten Füßen, als er hinaustrat und die erste Zigarette des Tages rauchte.
Es war nicht eben kalt, aber zu kühl für Shorts und T-shirt.

Vor den dringenden Anrufen
packte er noch die Geschenke ein, was auf der nachgiebigen Matratze des Bettes nicht recht gelingen wollte, aber auf dem Tischchen stand zuviel Zeug, Kaffeetassen und – kanne, Müll, Teller, der Laptop – Sann wich auf die Fensterbank aus.
Er rauchte noch eine Zigarette.
Unter der Dusche blickte Sann auf das im Ausguss verstrudelnde Wasser.
Als er zurück ins Zimmer kam, sah er, dass es kurz vor neun war. Eilig zog er sich an. Unten verzurrte er die Geschenke auf dem Gepäckträger des Fahrrads und klapperte übers Kopfsteinpflaster vom Hof.

Der Weg in die Stadt ging hauptsächlich abwärts. Trotzdem würde Sann wieder zu spät kommen.
Sechs Jahre alt. Was mochte das Leben für sie bereit halten? Sann dachte, während er mit schmerzenden Knien in die Pedale trat, an seine eigene grauenvolle Schulzeit.
Schon damals die Frage: Wie kommt man mit all dem klar? Dem Leben, das Erwachsene zu führen gezwungen sind?

Auf sein Klingeln ertönte der Summer und Sann drückte die Tür auf, parkte das Fahrrad vor den Briefkästen im Treppenhaus.
Als Sann in die Wohnung trat, roch es nach Kuchen. Die beiden Mädchen kamen gestürzt und erzählten synchron von ihrem Urlaub. Sann lächelte. Nebenbei grüßte er seine Frau.
Später, als die Kinder mit den Geschenken spielten, fragte er in die Küche, ob er etwas helfen könne.

Sie sangen am Frühstückstisch „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien...“ Das Geburtstagskind pustete die Kerzen aus.
Die unbeschadete Seele.

Einmal kam die Jüngste auf den Balkon, wo Sann eine Zigarette rauchte. Er sagte:
„Du weißt doch noch, dass ich ausziehe?“ – Sie füllte original südfranzösischen Mittelmeersand in eine alte Sektflasche – „Das hab ich jetzt gemacht, während ihr im Urlaub ward. Und bis ich eine neue gefunden hab, bin ich jetzt in einer Pension. Ist auch ein bisschen wie Urlaub. Hat einen wilden Garten und sogar ein Schwimmbad! Und einen Hund! Du kannst mich gerne mal besuchen.“

Gegen elf kaufte Sann eine Regenjacke und wartete bis zwölf. Besichtigungstermin.
Die Wohnung war in Anbetracht der Umstände untadelig. Vier oder fünf Interessenten zerdrückten sich im engen Flur – allesamt mit einem besseren Leumund als Sann.

Am frühen Nachmittag, stiegen alle aus dem Auto, nachdem entschieden worden war, dass der Playmobilddrache nicht mitkonnte. Es regnete nicht. Unter Solarpanelen gingen sie zum Eingang, eine vorfrohe Familie, über ihren Köpfen kreischten Menschen vorbei, gebeutelt von den Fliehkräften einer Achterbahn.
Der Entritt für das Geburtstagskind war frei, die Mutter zahlte für die ältere Tochter, Sann für sich selbst.
Die Regenjacke kann man wieder zurückgeben, man muss sie nur sauber halten.

Obwohl noch nicht ganz eins zwanzig durfte die Kleine die meisten Achterbahnen fahren, mit glänzenden Augen. Nur einmal Probleme, der Messlattenmensch drückte dann doch ein Auge zu.
Vesper auf einem authentischen Matterhornfelsen. Sann lachte und scherzte, als sei alles in Butter. In der Schlange vor einer Fahrgelegenheit: Als auf einen Scherz Sanns seine Frau einmal lachte, war er bestürzt.
Zur Geisterbahn kamen sie nicht mehr.

Auf der Rückfahrt saßen sie schweigend, müde und stumm, während die Randbegrünung am Seitenfenster vorbeirauschte; die Kinder spielten oder lasen auf der Rückbank.
Wenn dem Menschen Wohlwollen und Sympathie entzogen sind – muss er nicht zwangsläufig verstummen?

In der Tiefgarage stiegen sie ächzend aus, Sanns Frau klagte über Rückenschmerzen, was ihm alles weh tat, verschwieg er. Auf dem Weg in den zweiten Stock, stoppte Sann den Fahrstuhl im Erdgeschoss, in der offenen Tür blieb er stehen und nahm seine Töchter noch einmal in den Arm. Sie ließen es geschehen, müde und hungrig, wie sie waren.
„Es war ein schöner Tag,“ sagte er.
Mit einem Schwung öffnete Sann die Haustür und schob das Fahrrad aufs Trottoir.
Man kann lieben ohne Gegenliebe zu verlangen – wie bei meinen Kindern. Wieso gelingt es mir bei ihr nicht? Eines jener lauteren Ziele, das an der emotionalen Realität scheitert.

Sann stülpte sich die Kapuze über, es regnete wieder leicht. Es war viertel nach neun. Jetzt ins Krankenhaus zur Dialyse bei Dunkelheit mit kaputten Lichtern und knarrenden Pedalen.


Tschatscha
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