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Übung: Telefonnummer

 
 
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Telani
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 37
Beiträge: 174



Beitrag06.05.2009 14:26
Übung: Telefonnummer
von Telani
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hier meine Übung. Bitte sagt mir was ihr von diesem Text haltet (ich selbst bin mir da eher im Unklaren).

LG Telani!


Er war schon immer sehr schüchtern gewesen. Da gab es diese unentwegte Grundnervosität in seiner Haltung und all seinen Handlungen. Sie belastete ihn wie eine starke Eisenkette die ihn in ein Verließ aus Unselbstständigkeit und Einsamkeit zwang. In der Gesellschaft von Frauen beschwerte ihn diese Kette ins Unermessliche. Nur träge wie Schritte unter Wasser, kamen die Worte aus seinem Mund. Sein weibliches Gegenüber pflegte es dann immer gelangweilt das Gesicht zu verziehen.

Schon in der Schule hatte man ihn Looser oder Pickelgesicht genannt. Noch heute hört er das Kichern der Mädchen in seinem Rücken. Es schmerzt, sein Herz blutet, sein Haupt senkt sich und Wut über die weibliche Gesellschaft lässt sich nicht länger unterdrücken.

Jetzt war es bereits 01.00 Uhr Nacht geworden und er saß hier auf dieser ramponierten Stadttoilette. Den Namen der Gegend kannte er nicht, denn es war eine der Gegenden in denen man nicht erkannt werden wollte.
Gedanken über sein Leben übernahmen die Kontrolle über seinen Kopf. Hätte er etwas ändern können? Hätten die Frauen in seinem Leben etwas ändern können? War an der Stelle seines  Herzens nur noch ein kalter, toter Stein?
Er starrte auf die leere Decke, das grelle Neonlicht starrte zurück. Kalt, unangenehm, unnahbar, sowie die Frauen. Seine Augen glitten über die nackte Neonröhre, das schmutzige Weiß der Mauer hinab und hielten schließlich am abgenützten Türrahmen. Verbraucht und unansehnlich, wieso erkannte er ausgerechnet in einer alten schäbigen Toilette so viele Gemeinsamkeiten mit sich? Was war das für ein Leben!

Er glaubte schon an der Eintönigkeit der Nische, die seine Seele widerspiegelte zu versinken. Seine Lider würden schwer und er spürte wie sie herabsanken.
Doch da! Noch ehe die kalte Grelle der Lampe dem ruhigen Schwarz seiner Gedanken wich, da sah er etwas.
Klein unter dem Türrahmen standen dunkle Ziffern. Blitzschnell öffneten sich seine Augen wieder. Doch die Schrift war zu klein, er konnte sie nicht lesen. So mühte er sich aufzustehen und trat auf die Tür zu.

„Eine Telefonnummer!“ murmelte er erstaunt. Gerade so als wäre diese Kritzelei auf Toilettenwänden unüblich.
Für ihn jedoch wurde diese Nummer besonders. Schuld daran waren das kalte flimmernde Licht und seine Einsamkeit, der schwere Kloß in seinem Inneren.
<0650> die Zahlen kreisten in seinem Kopf. Er begann sie zu formen, mit ihnen zu malen. Ein Bild entstand in ihm.
0 – große blaue Augen
6 – ein schöner Hintern
5 – eine kleine Spitznase
0 – wohlgeformte Brüste.
Stück für Stück, Zahl für Zahl erstand in seinem Kopf eine Frau, geboren aus seinen Sehnsüchten.
Sie öffnete die schäbige Toilettentür und gab ihm sanft lächelnd die Hand. In ihrem Gesicht erkannte er Zärtlichkeit und Treue. Sie gab ihm all das wieder, was die Anderen ihm genommen hatten. Sie nannte ihn nicht Looser und störte sich nicht an seinem schmalen unattraktiven Gesicht. Sie war die Antwort auf all seine Fragen, sein Gegenstück, das Licht im langen dunklen Tunnel seines Lebens.

Gebeutelt von diesen Phantasien schüttelte er den Kopf und strich mit der Hand zärtlich über die Nummer, als würde er über ihren weißen Hals streicheln. Sie war es! Er musste sie finden!
Ermutigt von seinen Traumgebilden griff er in die Jackentasche und suchte nach seinem Handy.
Mit schlagendem Herzen wählte er jede einzelne Zahl. Ihr Gesicht erstand neu vor seinem inneren Auge.

„…Tüt.“ Hoffnung.
„…Tüt.“ Spannung.
„…Tüt.“ War sie es?
„…Tüt.“ Wie lange sollte er noch warten?
Da endlich, das dumpfe „Klong“ eines abnehmenden Hörers! Hatten seine Lebenszweifel endlich ein Ende? Würde diese einsame Nacht auf einer öffentlichen Toilette der Beginn eines neuen Lebens sein?

„…Dies ist der Anrufbeantworter des Bestattungsunternehmens Pace. Leider rufen sie uns außerhalb der Geschäftszeiten an. Bitte hinterlassen sie ihre Nachricht nach dem Signalton.“


_________________
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Jocelyn
Bernsteinzimmer

Alter: 59
Beiträge: 2251
Wohnort: Königstein im Taunus
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Beitrag06.05.2009 15:44

von Jocelyn
Antworten mit Zitat

Telani, du hast es drauf!

Klasse, klasse, klasse dieser Text!

 Daumen hoch  Daumen hoch  Daumen hoch

Besonders dieses super Ende!

Caecilia

(Muss mal selber wieder was schreiben und  Embarassed  raus hier)


_________________
If you dig it, do it. If you really dig it, do it twice.
(Jim Croce)

Die beständigen Dinge vergeuden sich nicht, sie brauchen nichts als eine einzige, ewig gleiche Beziehung zur Welt.
(Aus: Atemschaukel von Herta Müller, Carl Hanser Verlag, München 2009, Seite 198)

"Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer."
(Voltaire)
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Telani
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 37
Beiträge: 174



Beitrag06.05.2009 17:44

von Telani
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Hallo Caecilia!

Oh danke danke! Das freut mich!
Und ja du hast recht, du musst wirklich mal wieder was schreiben und online stellen. Ich würde so gerne mal was von dir lesen Smile!

LG Telani


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Eredor
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Traumtagebuch
Beitrag06.05.2009 20:25

von Eredor
Antworten mit Zitat

Daumen hoch  smile extra

Habe mich sehr amüsiert!

Auch wenn die Pointe ein wenig makaber ist lol2
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Telani
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 37
Beiträge: 174



Beitrag10.05.2009 12:13

von Telani
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ja makaber ist es schon! Aber das macht die ganze Sache etwas lustiger Very Happy!

Danke für deine Meinung!
LG telani


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