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Abgrund [Sci-Fi]


 
 
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Graograman
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 39
Beiträge: 132
Wohnort: Regensburg


Beitrag19.02.2009 00:17
Abgrund [Sci-Fi]
von Graograman
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Diese Geschichte spielt im Wing Commander-Universum und ist für die Rollenspiel-Onlinezeitschrift auf www.wingcommander.de bestimmt.

Grundsätzlich bin ich mir nicht sicher, ob die Situation der Protagonistin glaubhaft rüberkommt. Außerdem bin ich mit dem Dialog am Ende nicht ganz zufrieden.

Alle Anregungen, Vorschläge und vernichtenden Verrisse werden dankend entgegengenommen.






Einmal mehr ging ein unruhiges Rütteln durch die zerschossene Hellcat. Während der letzten halben Stunde waren die Erschütterungen, die das Versagen der einzelnen Subsysteme begleiteten, zahlreicher geworden. Das sterbende Schiff hustete seine letzten Atemzüge in die Leere des Alls. Mermaids Augen wanderten ruhig zur Statusanzeige ihrer Energieversorgungseinheit. Alle Bereiche, die nicht der Lebenserhaltung dienten, waren längst abgeschaltet, und so glomm ein einsamer roter Balken in der Dunkelheit des deformierten Cockpits. Acht Prozent Restenergie. Noch knapp 20 Minuten, schätzte sie und wandte ihren Blick wieder der nur schwach vom Glimmen vereinzelter, weit entfernter verbrennender Sterne unterbrochenen Schwärze des Weltraums zu. In 20 Minuten konnte viel geschehen. Ein Handelskonvoi konnte die Abkürzung durch den nahen Jumppunkt wählen und auf sie aufmerksam werden. Eine konföderierte Patrouille konnte ihr schwaches Rettungssignal aufgefangen und ein S&R losgeschickt haben. Zack konnte sich auf die Suche nach ihr gemacht haben und sie mit seiner klapprigen, verbeulten Longbow ins Schlepptau nehmen. Völlig richtig, Mädchen. Die wahrscheinlichere Alternative aber ist: du wirst, nachdem du bis zur letzten Minute auf ein Wunder gehofft hast, zusehen, wie sich der kleine rote Balken auf 0 Prozent senkt. Dann wirst du noch das Bisschen Sauerstoff in deinem Helm verbrauchen und wie ein trotziges Kind die Luft anhalten, bis du blau anläufst. Und ein paar Minuten später, nachdem die meisten Bereiche deines Gehirns bereits abgestorben sind und du die Halluzinationen hinter dir hast, wirst du dich nochmal ordentlich einnässen und zusehen, wie das letzte Fünkchen Licht in dir erlischt. Diese alles andere als ermutigende Stimme hatte sich in der vergangenen Stunde leider immer öfter eingemischt, wenn sie im Geiste ihre Überlebensmöglichkeiten durchgegangen war. Das schlimmste an der Sache aber war: dieses vorlaute Miststück hatte einfach Recht. Und was hätte sie auch mit einem S&R anfangen sollen?

Linda schnaubte kurz verächtlich durch die Nase, während sie die abgerissene, gelb-schwarz gestreifte Rettungsschlaufe ihres Schleudersitzes vor Ihrem Visier langsam hin- und herdrehte. Ihre Versuche, die kleinen Sprengladungen manuell zu zünden und die Rettungskapsel aus dem zerfetzten Wrack freizusprengen, waren erfolglos geblieben. So lang du sie auch angaffst, sie wächst nicht wieder an. Ja, vielen Dank auch, Miss Oberschlau. Mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln schleuderte sie das nunmehr funktionslose Stück Kunststoff über ihre Schulter und dachte an den Moment, in dem die Rakete sie erwischt hatte. Zuvor hatte sie sich in dem überraschend heftigen Gefecht recht ordentlich geschlagen und nur wenige Geschütztreffer einstecken müssen. Allerdings war der seit Monaten kränkelnde Schildgenerator ihres Jägers dem völlig unvorhergesehenen zweifachen Raketeneinschlag einfach nicht gewachsen gewesen. Es mussten ungelenkte Darts oder Dragonflies gewesen sein; kein Zielerfassungsalarm war losgetönt und hatte sie auf ihren Tanz vorbereitet. Mermaid tanzt, hatten ihre Kameraden es immer genannt, wenn sie sich wie ein graziles Märchenwesen in komplizierten, anmutigen Bewegungen durch Schwärme von simulierten oder echten Geschossen gewunden hatte. Ein durchaus treffendes Bild, das ihr jedes Mal die Geschichte vom Fechtmeister vor Augen rief, der von einem Tanzbären besiegt wurde. Nie hatte sie bei ihren Ausweichmanövern irgendwelche Berechnungen angestellt oder ein in ihrem Kopf vorhandenes Muster verfolgt. Sie ließ die Manöver geschehen, ließ sich von der Notwendigkeit der Bewegung treiben, fließend und natürlich, so wie eine unnahbare Nixe in den Wogen tanzt, wenn das Meer vom Sturm zerwühlt wird und die Welt um sie herum tobend zugrunde geht.
Scheiß drauf, gegen diesen Doppeltreffer hätte alles Rumgetanze nichts geholfen, und wäre es noch so poetisch gewesen. Frustriert ließ sie ihre kraftlose Faust auf die Konsole vor sich fallen.

Eine neue Woge der Verzweiflung entsprang Lindas Unterleib, bahnte sich machtvoll den Weg in ihren Brustkorb und tauchte ihr Herz in eine eiskalte Brandung aus Hoffnungslosigkeit und Furcht. Die endlose Leere, die ihr langsam dahingleitendes Wrack umschloss, tastete mit lautlosen Fingern nach ihr. Der Abgrund, in den sie seit über einer Stunde hineinstarrte, begann langsam, zurückzustarren. Ein Vorbote der schrecklichen Ewigkeit des Nichts, das wie ein geduldig lauernder Dämon darauf wartete, sie zu verschlingen. Mermaid fühlte, wie sich ihre Kehle nach und nach zuschnürte, als würde ein bedächtig lächelnder Henker eine unsichtbare, sorgsam geknüpfte Schlinge Stück für Stück zuziehen. Nicht weiterdenken, nicht so weiterdenken. Flach atmend kniff sie ihre meergrünen Augen zusammen und rief sich Zacks Bild vor ihr weit geöffnetes geistiges Auge, um die stetig dagegen anbrandenden Ströme kalten Entsetzens zu stoppen. Zuallererst fand sie in der eisigen Leere seine stahlblauen Augen. Nach und nach erschuf sie den Rest seines Gesichts um sie herum und füllte damit das Nichts. Seine etwas zu hohe Stirn, die sich so oft in sorgenvolle Falten gelegt hatte, wenn sich Linda während eines Einsatzes mal wieder vom Übermut leiten ließ. Sein eisgraues Haar, durch das sie ihre Hand so gerne streichen lassen hatte, um seine Sorgen zu zerstreuen. Sein vernarbter Mund, den sie mitsamt seiner mahnenden Worte gerne mit einem Lächeln stillgeküsst hatte. Mermaid fühlte, wie sich die lähmende Dunkelheit ein wenig aus ihr zurückzog. Zack. Scarecrow. Sein Rufname passte hervorragend zu seinem schrägen Erscheinung und seinem unscheinbaren Wesen. Zack, für den sie immer bereit gewesen war, ihr Leben zu riskieren. Für den sie so oft getötet hatte.

Die Energieanzeige hatte sich mittlerweile auf 2 Prozent gesenkt. Ein dunkleres Rot habe ich noch nie gesehen, sinnierte sie geistesabwesend. Mit einem Mal wunderte sie sich, für wen die Konstrukteure die 0-Prozent-Anzeige eingebaut hatten. Wer sie zu sehen bekam, dem war ohnehin nicht mehr zu helfen. Der Gedanke war derart grotesk, dass sie unweigerlich hysterisch kichern musste. Würde der Anzeigebalken sich um noch eine Spur dunkler färben oder einfach erlöschen? Oder würde noch ein letztes, völlig überflüssiges akustisches Warnsignal ertönen? Linda lehnte sich zurück und starrte weiter in die Ödnis des Weltraums hinaus. Über ihren bevorstehenden Tod hatte sie bereits die ganze letzte Stunde nachgedacht und war zu dem Entschluss gekommen, dass sie ein beschissen kurzes Leben gehabt hatte und verdammt nochmal nicht in diesem schrottreifen Metallsarg elendig verrecken wollte. Ein erneutes, reflexartiges Glucksen entwich ihrer Kehle, als sie an die wenigen Minuten dachte, die ihr noch blieben. Die Zeit für letzte große, bedeutende Gedanken war bald gekommen. Nur wollte ihr nichts Vernünftiges in den Sinn kommen. „Nein, ich will nicht, scheiße nein, ich will nicht, nein, nicht sterben, ich will nicht“ war das einzige, was ihr Verstand ihr entgegenschrie. Ein heiseres Flüstern entwich ihrer Kehle. „Nein…noch nicht.“ Mermaids Augen füllten sich mit stillen Tränen, als sie dem Energiebalken bei seinem Schritt über die Schwelle zu den 0 Prozent zusah. Die Anzeige flackerte wie eine einsame Kerze im Wind, bevor sie ohne ein weiteres Signal einfach erlosch. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis Linda es ihr gleichtun würde.

Sie unterdrückte ein leises Schluchzen, das sich aus ihrer verkrampften Kehle winden wollte, während zwei einzelne Tränen über ihre blassen Wangen liefen. Ihr Brustkorb bebte, als sie den Kopf zurücklegte und die Hände in den Schoß legte. Eine seltsame Müdigkeit ergriff langsam Besitz von ihr und legte sich mit bleierner Schwere auf ihre Lider. Die einsamen Tränen tropften lautlos von ihren Wangen und ließen zwei dünne, glitzernde Spuren auf Mermaids fahlem Gesicht zurück. Die Dämmerung war gekommen. Langsam verschwammen die wenigen fahl leuchtenden Sterne vor ihren Augen und flossen zu einem gleißenden Farbenspiel ineinander. Ein müdes Lächeln schlich sich auf ihre rissigen Lippen. Wer sonst bekam ein solches Schauspiel zu sehen? Auch wenn sich ihr Sichtfeld immer weiter verengte, weil  Wogen aus endlosem Nichts sich Stück für Stück weiter vor ihre Augen drängten, konnte sie nicht anders, als fasziniert in das sterbende Lichtermeer einzutauchen.
Es wird hier nicht zu Ende sein. Zack wird kommen. Die sonst vor Bosheit nur so sprühende Stimme in ihrem Kopf hatte sich in ein sanftes, beruhigendes Flüstern verwandelt. Zack wird kommen und du wirst leben. Halt durch, Mädchen. Zack wird kommen. Du bist nicht allein. Zack wird kommen. Mermaid konnte nur noch einen winzigen Spalt ihrer Augenlider geöffnet halten, lächelte aber weiter still dem weißlichen Licht entgegen. Und bis er da ist, tanzen die Sterne für dich.
   
***

Im Funkkanal knackte es leise.
„Major, ich habe hier etwas auf den Sensoren. Jäger- oder Bomberwrack, der Bioscan zeigt schwache Lebenszeichen.“ – „IFF-Signatur?“ – „Unbekannt. Gehört vermutlich zu den Piraten, die wir vorhin überrascht haben.“ – „In Ordnung, Lieutenant. Dann haben wir alle fünf erwischt. Saubere Arbeit.“ – „Sollen wir ein S&R schicken, Sir?“ – „Negativ, nur ein Pirat. Der Abschuss zählt für Mike. Machen wir uns auf den Heimweg, meine Damen. “ - „Roger, Sir. TCSe Gallipoli, hier Navpatrouille 1. Kehren zurück zur Basis. Keine besonderen Vorkommnisse.“



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- Heinrich von Kleist
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caesar_andy
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Beitrag19.02.2009 00:41

von caesar_andy
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Ich bin tod-müde und habe deshalb erstmal nur kurz überflogen.

Eine Sache  ist mir aufgefallen, morgen schau ich es mir aber nochmal an.

Zitat:
Alle Bereiche, die nicht der Lebenserhaltung dienten, waren längst abgeschaltet, und so glomm ein einsamer roter Balken in der Dunkelheit des deformierten Cockpits. Acht Prozent Restenergie. Noch knapp 20 Minuten, schätzte sie

Noch 8% Restenergie, und die halten nur 20 Minuten, obwohl alles, was nicht Lebenserhaltend ist, abgeschaltet wurde? Das scheint mir eine sehr kleine Bordbatterie zu sein, wenn man überlegt, wieviel Energie wohl so ein Hyperraumantrieb oder was auch immer bei Wing-Commander verwendet wird, frisst. Da ist dann nach 2 Minuten Vollschub Schicht im Schacht, oder wie? ^^

Also eine Restenergie von <0,1% hielte ich für realistischer
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Graograman
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Beitrag19.02.2009 00:51

von Graograman
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Hier hast du mich erwischt  Laughing

Über die Verhältnismäßigkeit der Zahlen hab ich mir tatsächlich keine großen Gedanken gemacht.
Werd da wohl noch ne Dezimalstelle verrutschen.

Danke schonmal.


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caesar_andy
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Beitrag19.02.2009 11:05

von caesar_andy
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ok, dann nochmal.

Zitat:
Die endlose Leere, die ihr langsam dahingleitendes Wrack umschloss, tastete

Kann "Leere", also quasi "Nichts" etwas umschließen? Das klingt etwas sonderbar. Ich würde "umgab" einsetzen.

Der Dialog am ende ist tatsächlich etwas seltsam...wie kann sie den Funk offenbar fremder millitärschiffe abhören? Noch dazu, wo das Funkgerät aufgrund von Energiemangel gar nicht mehr funktionieren dürfte?  Laughing

Ich würde die Geschichte nochmal überarbeiten, mit folgender Idee:
Wenn sie Energiemangel hat, warum zu Geier schaltet sie nicht die Klimaanlage aus? Lass sie sich ordentlich "den Hintern abfrieren" in der Hoffnung, das die Energie, die sie dadurch einspaart, die Lebenserhaltung noch etwas länger laufen lässt. Das Macht das ganze noch etwas dramatischer.
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Graograman
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Beitrag19.02.2009 14:48

von Graograman
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi,

schonmal danke fürs Feedback.

caesar_andy hat Folgendes geschrieben:
Kann "Leere", also quasi "Nichts" etwas umschließen? Das klingt etwas sonderbar. Ich würde "umgab" einsetzen.


Das war eigentlich schon so gedacht, um dem Nichts (/der Leere/dem Abgrund etc.) ein wenig Körperlichkeit zu verleihen und die physische Bedrohlichkeit zu steigern.
Ob das geklappt hat, ist ne andere Frage wink

Zitat:
wie kann sie den Funk offenbar fremder millitärschiffe abhören?


Das war eigentlich als Szenenwechsel gedacht. Mermaid stirbt zu diesem Zeitpunkt gerade.

Hast du nen Vorschlag, wie man diesen Wechsel klarer zum Ausdruck bringen könnte?


Zitat:
Lass sie sich ordentlich "den Hintern abfrieren" in der Hoffnung, das die Energie, die sie dadurch einspaart, die Lebenserhaltung noch etwas länger laufen lässt.


Solche Details sind es, die mir oft einfach nicht einfallen.
Wird eingearbeitet, danke.


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Gast







Beitrag19.02.2009 18:04
Re: Abgrund [Sci-Fi]
von Gast
Antworten mit Zitat

Graograman hat Folgendes geschrieben:
Diese Geschichte spielt im Wing Commander-Universum und ist für die Rollenspiel-Onlinezeitschrift auf www.wingcommander.de bestimmt.

Grundsätzlich bin ich mir nicht sicher, ob die Situation der Protagonistin glaubhaft rüberkommt. Außerdem bin ich mit dem Dialog am Ende nicht ganz zufrieden.

Alle Anregungen, Vorschläge und vernichtenden Verrisse werden dankend entgegengenommen.


Hallo Grauograman,

für mich hing da noch ein wenig mehr im argen. Bitte schau dich mal im Forum um wie Dialoge formatiert werden. Mir war auch nicht klar, wer da die "Sterbeszene" so detailiert beschreibt und warum das geschah. Jemand hängt im Weltraum fest, dem Tode geweiht und ist völlig ruhig? Wenn der Protagonist keine Angst hat, welches Gefühl soll der Leser aus der Szene ziehen? Warum sollte er jemanden in ein Abenteuer folgen, dass offenbar so langweilig ist, dass es dem Protagonisten nicht aus der Ruhe bringt?

Verstehst du was ich meine? Schreiben heißt mit den Gefühlen der Leser spielen. Das setzt voraus, dass du dich sehr genau in die Hoffnungslosigkeit der Szene hinein versetzt und auf diesem Wege die richtigen Worte findest.

Grüße

Bobbi



Einmal mehr ging ein unruhiges Rütteln durch die zerschossene Hellcat. Während der letzten halben Stunde waren die Erschütterungen, die das Versagen der einzelnen Subsysteme begleiteten, zahlreicher geworden. Das sterbende Schiff hustete seine letzten Atemzüge in die Leere des Alls. Mermaids Augen wanderten ruhig zur Statusanzeige ihrer Energieversorgungseinheit. Alle Bereiche, die nicht der Lebenserhaltung dienten, waren längst abgeschaltet, und so glomm ein einsamer roter Balken in der Dunkelheit des deformierten Cockpits. Acht Prozent Restenergie. Noch knapp 20 Minuten, schätzte sie und wandte ihren Blick wieder der nur schwach vom Glimmen vereinzelter, weit entfernter verbrennender Sterne unterbrochenen Schwärze des Weltraums zu. In 20 Minuten konnte viel geschehen. Ein Handelskonvoi konnte die Abkürzung durch den nahen Jumppunkt wählen und auf sie aufmerksam werden. Eine konföderierte Patrouille konnte ihr schwaches Rettungssignal aufgefangen und ein S&R losgeschickt haben. Zack konnte sich auf die Suche nach ihr gemacht haben und sie mit seiner klapprigen, verbeulten Longbow ins Schlepptau nehmen. Völlig richtig, Mädchen. Die wahrscheinlichere Alternative aber ist: du wirst, nachdem du bis zur letzten Minute auf ein Wunder gehofft hast, zusehen, wie sich der kleine rote Balken auf 0 Prozent senkt. Dann wirst du noch das Bisschen Sauerstoff in deinem Helm verbrauchen und wie ein trotziges Kind die Luft anhalten, bis du blau anläufst. Und ein paar Minuten später, nachdem die meisten Bereiche deines Gehirns bereits abgestorben sind und du die Halluzinationen hinter dir hast, wirst du dich nochmal ordentlich einnässen und zusehen, wie das letzte Fünkchen Licht in dir erlischt. Diese alles andere als ermutigende Stimme hatte sich in der vergangenen Stunde leider immer öfter eingemischt, wenn sie im Geiste ihre Überlebensmöglichkeiten durchgegangen war. Das schlimmste an der Sache aber war: dieses vorlaute Miststück hatte einfach Recht. Und was hätte sie auch mit einem S&R anfangen sollen?

Linda schnaubte kurz verächtlich durch die Nase, während sie die abgerissene, gelb-schwarz gestreifte Rettungsschlaufe ihres Schleudersitzes vor Ihrem Visier langsam hin- und herdrehte. Ihre Versuche, die kleinen Sprengladungen manuell zu zünden und die Rettungskapsel aus dem zerfetzten Wrack freizusprengen, waren erfolglos geblieben. So lang du sie auch angaffst, sie wächst nicht wieder an. Ja, vielen Dank auch, Miss Oberschlau. Mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln schleuderte sie das nunmehr funktionslose Stück Kunststoff über ihre Schulter und dachte an den Moment, in dem die Rakete sie erwischt hatte. Zuvor hatte sie sich in dem überraschend heftigen Gefecht recht ordentlich geschlagen und nur wenige Geschütztreffer einstecken müssen. Allerdings war der seit Monaten kränkelnde Schildgenerator ihres Jägers dem völlig unvorhergesehenen zweifachen Raketeneinschlag einfach nicht gewachsen gewesen. Es mussten ungelenkte Darts oder Dragonflies gewesen sein; kein Zielerfassungsalarm war losgetönt und hatte sie auf ihren Tanz vorbereitet. Mermaid tanzt, hatten ihre Kameraden es immer genannt, wenn sie sich wie ein graziles Märchenwesen in komplizierten, anmutigen Bewegungen durch Schwärme von simulierten oder echten Geschossen gewunden hatte. Ein durchaus treffendes Bild, das ihr jedes Mal die Geschichte vom Fechtmeister vor Augen rief, der von einem Tanzbären besiegt wurde. Nie hatte sie bei ihren Ausweichmanövern irgendwelche Berechnungen angestellt oder ein in ihrem Kopf vorhandenes Muster verfolgt. Sie ließ die Manöver geschehen, ließ sich von der Notwendigkeit der Bewegung treiben, fließend und natürlich, so wie eine unnahbare Nixe in den Wogen tanzt, wenn das Meer vom Sturm zerwühlt wird und die Welt um sie herum tobend zugrunde geht.
Scheiß drauf, gegen diesen Doppeltreffer hätte alles Rumgetanze nichts geholfen, und wäre es noch so poetisch gewesen. Frustriert ließ sie ihre kraftlose Faust auf die Konsole vor sich fallen.

Eine neue Woge der Verzweiflung entsprang Lindas Unterleib, bahnte sich machtvoll den Weg in ihren Brustkorb und tauchte ihr Herz in eine eiskalte Brandung aus Hoffnungslosigkeit und Furcht. Die endlose Leere, die ihr langsam dahingleitendes Wrack umschloss, tastete mit lautlosen Fingern nach ihr. Der Abgrund, in den sie seit über einer Stunde hineinstarrte, begann langsam, zurückzustarren. Ein Vorbote der schrecklichen Ewigkeit des Nichts, das wie ein geduldig lauernder Dämon darauf wartete, sie zu verschlingen. Mermaid fühlte, wie sich ihre Kehle nach und nach zuschnürte, als würde ein bedächtig lächelnder Henker eine unsichtbare, sorgsam geknüpfte Schlinge Stück für Stück zuziehen. Nicht weiterdenken, nicht so weiterdenken. Flach atmend kniff sie ihre meergrünen Augen zusammen und rief sich Zacks Bild vor ihr weit geöffnetes geistiges Auge, um die stetig dagegen anbrandenden Ströme kalten Entsetzens zu stoppen. Zuallererst fand sie in der eisigen Leere seine stahlblauen Augen. Nach und nach erschuf sie den Rest seines Gesichts um sie herum und füllte damit das Nichts. Seine etwas zu hohe Stirn, die sich so oft in sorgenvolle Falten gelegt hatte, wenn sich Linda während eines Einsatzes mal wieder vom Übermut leiten ließ. Sein eisgraues Haar, durch das sie ihre Hand so gerne streichen lassen hatte, um seine Sorgen zu zerstreuen. Sein vernarbter Mund, den sie mitsamt seiner mahnenden Worte gerne mit einem Lächeln stillgeküsst hatte. Mermaid fühlte, wie sich die lähmende Dunkelheit ein wenig aus ihr zurückzog. Zack. Scarecrow. Sein Rufname passte hervorragend zu seinem schrägen Erscheinung und seinem unscheinbaren Wesen. Zack, für den sie immer bereit gewesen war, ihr Leben zu riskieren. Für den sie so oft getötet hatte.

Die Energieanzeige hatte sich mittlerweile auf 2 Prozent gesenkt. Ein dunkleres Rot habe ich noch nie gesehen, sinnierte sie geistesabwesend. Mit einem Mal wunderte sie sich, für wen die Konstrukteure die 0-Prozent-Anzeige eingebaut hatten. Wer sie zu sehen bekam, dem war ohnehin nicht mehr zu helfen. Der Gedanke war derart grotesk, dass sie unweigerlich hysterisch kichern musste. Würde der Anzeigebalken sich um noch eine Spur dunkler färben oder einfach erlöschen? Oder würde noch ein letztes, völlig überflüssiges akustisches Warnsignal ertönen? Linda lehnte sich zurück und starrte weiter in die Ödnis des Weltraums hinaus. Über ihren bevorstehenden Tod hatte sie bereits die ganze letzte Stunde nachgedacht und war zu dem Entschluss gekommen, dass sie ein beschissen kurzes Leben gehabt hatte und verdammt nochmal nicht in diesem schrottreifen Metallsarg elendig verrecken wollte. Ein erneutes, reflexartiges Glucksen entwich ihrer Kehle, als sie an die wenigen Minuten dachte, die ihr noch blieben. Die Zeit für letzte große, bedeutende Gedanken war bald gekommen. Nur wollte ihr nichts Vernünftiges in den Sinn kommen. „Nein, ich will nicht, scheiße nein, ich will nicht, nein, nicht sterben, ich will nicht“ war das einzige, was ihr Verstand ihr entgegenschrie. Ein heiseres Flüstern entwich ihrer Kehle. „Nein…noch nicht.“ Mermaids Augen füllten sich mit stillen Tränen, als sie dem Energiebalken bei seinem Schritt über die Schwelle zu den 0 Prozent zusah. Die Anzeige flackerte wie eine einsame Kerze im Wind, bevor sie ohne ein weiteres Signal einfach erlosch. Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis Linda es ihr gleichtun würde.

Sie unterdrückte ein leises Schluchzen, das sich aus ihrer verkrampften Kehle winden wollte, während zwei einzelne Tränen über ihre blassen Wangen liefen. Ihr Brustkorb bebte, als sie den Kopf zurücklegte und die Hände in den Schoß legte. Eine seltsame Müdigkeit ergriff langsam Besitz von ihr und legte sich mit bleierner Schwere auf ihre Lider. Die einsamen Tränen tropften lautlos von ihren Wangen und ließen zwei dünne, glitzernde Spuren auf Mermaids fahlem Gesicht zurück. Die Dämmerung war gekommen. Langsam verschwammen die wenigen fahl leuchtenden Sterne vor ihren Augen und flossen zu einem gleißenden Farbenspiel ineinander. Ein müdes Lächeln schlich sich auf ihre rissigen Lippen. Wer sonst bekam ein solches Schauspiel zu sehen? Auch wenn sich ihr Sichtfeld immer weiter verengte, weil  Wogen aus endlosem Nichts sich Stück für Stück weiter vor ihre Augen drängten, konnte sie nicht anders, als fasziniert in das sterbende Lichtermeer einzutauchen.
Es wird hier nicht zu Ende sein. Zack wird kommen. Die sonst vor Bosheit nur so sprühende Stimme in ihrem Kopf hatte sich in ein sanftes, beruhigendes Flüstern verwandelt. Zack wird kommen und du wirst leben. Halt durch, Mädchen. Zack wird kommen. Du bist nicht allein. Zack wird kommen. Mermaid konnte nur noch einen winzigen Spalt ihrer Augenlider geöffnet halten, lächelte aber weiter still dem weißlichen Licht entgegen. Und bis er da ist, tanzen die Sterne für dich.
   
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Im Funkkanal knackte es leise.
„Major, ich habe hier etwas auf den Sensoren. Jäger- oder Bomberwrack, der Bioscan zeigt schwache Lebenszeichen.“ – „IFF-Signatur?“ – „Unbekannt. Gehört vermutlich zu den Piraten, die wir vorhin überrascht haben.“ – „In Ordnung, Lieutenant. Dann haben wir alle fünf erwischt. Saubere Arbeit.“ – „Sollen wir ein S&R schicken, Sir?“ – „Negativ, nur ein Pirat. Der Abschuss zählt für Mike. Machen wir uns auf den Heimweg, meine Damen. “ - „Roger, Sir. TCSe Gallipoli, hier Navpatrouille 1. Kehren zurück zur Basis. Keine besonderen Vorkommnisse.“
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caesar_andy
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Beitrag19.02.2009 18:19

von caesar_andy
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Da fällt mir grade noch was ein.

Es gab in der Serie StarTrek: Enterprise mal eine Episode, die genau dieses Thema verarbeitet hat. Allerdings nicht als Bierernstes "Endzeit Szenario" sondern eher in Richtung Parodie.

Der Name der Folge fällt mir grade nicht ein, aber zuhause schau ich mal nach. Die DVD müsstes es ja theoretisch in der Videothek geben. Vieleicht findest du da noch ein "paar" Details, die dich 'inspirieren'  Wink
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Graograman
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Beitrag19.02.2009 18:36

von Graograman
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Hi,

jetzt musste ich wirklich ein Bisschen suchen, um deinen Beitrag zu finden wink

Bobbi hat Folgendes geschrieben:
Mir war auch nicht klar, wer da die "Sterbeszene" so detailiert beschreibt und warum das geschah.


Hier kann ich dir nicht genau folgen.
Ein heterodiegetischer Erzähler berichtet das alles aus extradiegetischer Ebene.

Wem genau gilt deine Frage?

Zitat:
Jemand hängt im Weltraum fest, dem Tode geweiht und ist völlig ruhig?


Hattest du beim Lesen tatsächlich den Eindruck, dass Mermaid völlig ruhig und ungerührt ihrem Ende entgegensieht?

Zwar wollte ich sie schon vergleichsweise gefasst und abgeklärt wirken lassen (bzw. zum Ende hin apathisch), dieses Bild aber mit den Absätzen 3-5 brechen. Ist mir anscheinend nicht wie gewünscht gelungen.



Danke auch dir für die Rückmeldung smile
Zeigt mir recht gut mein Problem mit dem Vermitteln meiner Absichten an den Leser auf.


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caesar_andy
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C
Beitrag19.02.2009 20:03

von caesar_andy
Antworten mit Zitat

caesar_andy hat Folgendes geschrieben:
Da fällt mir grade noch was ein.

Es gab in der Serie StarTrek: Enterprise mal eine Episode, die genau dieses Thema verarbeitet hat. Allerdings nicht als Bierernstes "Endzeit Szenario" sondern eher in Richtung Parodie.

Der Name der Folge fällt mir grade nicht ein, aber zuhause schau ich mal nach. Die DVD müsstes es ja theoretisch in der Videothek geben. Vieleicht findest du da noch ein "paar" Details, die dich 'inspirieren'  Wink


Der Name der Episode lautet "Allein" und sie ist aus der ersten Staffel.
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Graograman
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Beitrag19.02.2009 20:20

von Graograman
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Die hier?

Werd ich mir mal zu Gemüte führen, danke  Wink


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caesar_andy
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Beitrag20.02.2009 10:12

von caesar_andy
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Oh gott, macht Sat1 dämliche Kurztrailer... Shocked
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