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ICat1133
Geschlecht:weiblichErklärbär


Beiträge: 3



Beitrag22.10.2014 12:37
Wechselwirkung
von ICat1133
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Hallöle zusammen, hier ist meine Kurzgeschichte im Rahmen des euch wahrscheinlich bereits bekannten Schulprojekts. Hoffe es gefällt euch lol2



Wir taten es schon wieder. Schon wieder beleidigten wir sie. Schmissen ihre Sachen in den Müll. Schlugen sie. Traten sie. Drohten ihr. Sagten ihr, sie solle uns in Ruhe lassen. Uns nicht auf die Nerven gehen, mit ihrem Aussehen. Schon wieder rissen wir ihr büschelweise die Haare aus. Und schon wieder schämte ich mich, schämte mich in Grund und Boden.

Ich lief weg.

Schon wieder wünschte ich mir, es wäre alles anders gelaufen. Ich wünschte, ich hätte mich damals mit anderen Leuten angefreundet. Zu dem gestanden, wer und was ich bin. Wäre nicht sofort zusammen gebrochen, unter dem Druck.
Doch ich wusste es damals nicht besser. Der Druck, beliebt zu sein, heutzutage wahrscheinlich vielerorts für die meisten Leute viel größer und schlimmer als früher.
Auch für mich.

Stieg in den Bus ein.

Ich versuchte verzweifelt, mich mit ihnen anzufreunden. Ich trug das Gleiche, tat das Gleiche, aß das Gleiche, besaß das Gleiche. Und all das immer noch, obwohl sie meiner Bettelei schon längst nachgegeben hatten. Doch die Angst, sie würden meine Realität ablehnen, ist zu groß.
Dann hatten sie irgendwann damit angefangen. Damit, andere Schüler auszugrenzen, sie  zu terrorisieren. Und ich hatte einfach mitgemacht, aus Angst, sie würden auch mich beschimpfen, die so hart erkämpfte Freundschaft einfach wieder auflösen. Doch täglich quälen mich Schuldgefühle. Ich sollte da nicht mitmachen, ich sollte diesen Menschen nicht weh tun. Doch ich kann ihnen einfach nicht widerstehen. Sie drängen mich dazu, sagen, ich wäre ein Schisser, würde ich mich nicht trauen, die anderen zu schlagen. Sie verstehen einfach nicht, wie die Terrorisierten sich fühlen, denn sie finden es lustig. Jedes Mal wenn sie lachen, lache ich mit, doch frage mich innerlich, Was ist so lustig daran, ein armes, gepeinigtes Mädchen, weinend in der Ecke liegen zu sehen?

Kam zu Hause an.

Und trotzdem schaffe ich es nicht, mich von ihnen abzugrenzen. Zu sagen: „Nein, es reicht!“ Ich bin nicht mutig genug, mich der Zukunft zu stellen. Ich verweile lieber in der Gegenwart, in der sie mich akzeptieren und mich nicht genauso tyrannisieren wie alle anderen. Man muss den Schein wahren, das habe ich gelernt in all den Jahren.
Ich erzähle ihnen nicht von meinen Interessen, sie würden mich auslachen und mich für albern halten. Also sitze ich lieber alleine zu Hause und übe meine Hobbys dort aus, anstatt mich mit anderen auszutauschen. Nur das Internet bietet mir ab und an Zuflucht. In Foren schreibe ich mit Gleichgesinnten. Denen wiederum erzähle ich nicht, was ich tagtäglich tue. Sie würden mich als einen der Fieslinge abstempeln, der ich auch bin, aber nicht sein möchte.

Legte mich in mein Bett.

So lebe ich Tag und Nacht in einer Wechselwirkung meines vorgespielten und meines realen Ichs. Jeden Tag in der Hoffnung, das endlich eins überwiegt, um herauszufinden, wer ich bin. Und dass ich dann endlich zu dieser Seite stehen kann. Hoffentlich wird es die Seite sein, die mir besser gefällt. Dann müsste ich mich nicht immer dafür schämen was ich tue.
Doch das ist nur eine Wunschvorstellung. Als ob es einfacher wird, wenn ich mich gefunden habe, aber dann nicht mehr ihren Vorstellungen entspreche. Das würde ehrlich gesagt alles nur schlimmer machen. Also halte ich lieber den Zustand des Wechsels aus, in dem ich mich befinde. Sicherlich die bessere Variante, zu dem was mich sonst erwarten würde.
Ich sehe ja, was sie diesen Leuten tagtäglich antun. Was ICH ihnen antue. Ich kann spüren wie sich fühlen, wenn wir so gemein zu ihnen sind. Nicht mehr lange und der erste bringt sich um, weil er es nicht mehr aushält. Auch das spüre ich. Ich würde es ja selber nicht anders tun. Immerhin bin ich jetzt schon am Rande des Wahnsinns.
Nur noch ein kleiner Schubser und ich würde mich in einem Loch befinden. Einem Loch aus dem ich nie wider herauskommen würde. Ich komme schon jetzt nicht aus meinem Gefängnis, dennoch sehe ich noch das Licht durch das Schlüsselloch, das mich am Leben erhält. Wenn dieses Licht ausgeht, bin ich verloren.
Ich ließ mich aus meinem Bett auf den Boden fallen, robbte zum Fernseher, schaltete meine Konsole an und fing an zu spielen. Wenigstens in der virtuellen Welt, kann ich den Helden spielen.

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Bananenfischin
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Beitrag22.10.2014 13:00

von Bananenfischin
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Hallo ICat1133,

du hast einen Text geschrieben, der die Reflexionen einer Person widerspiegelt, die man den typischen Mitläufer nennen kann. Das ist dir gut gelungen, finde ich. Der innere Zwiespalt, der Zwang, sich verstellen zu müssen, die Entscheidung, lieber Mittäter zu sein als Opfer, sich dennoch bewusst zu sein, dass falsch ist, was man tut - das passt.

Stilistisch interessant sind die vom Rest abgesetzten Einzelsätze, die sozusagen in Kurzform den Kreislauf zeigen, der sich tagtäglich wiederholt.

Mittendrin hast du die Zeitform von Präteritum zu Präsens gewechselt, am Ende steht wieder Präteritum. Rechtschreibfehler gibt es nur wenige.

Insgesamt ein Text, der zum weiteren Nachdenken anregen kann, was unter anderem eines der Kriterien für einen guten Text ist.

Liebe Grüße
Bananenfischin


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Stefanie
Reißwolf


Beiträge: 1735



Beitrag22.10.2014 13:09

von Stefanie
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Deine Geschichte gefällt mir. Den inneren Konflikt, in dem die Person sich befindet, stellst du glaubhaft da.

Ein paar Kleinigkeiten hat Bananenfischerin schon angesprochen.

Versuch mal, die Geschichte weiterzuerzählen. Zwing deine Figur zB in eine Situation, in der sie sich entscheiden muss, ob sie den Mut aufbringt, sich gegen ihre Freunde zu stellen oder sie etwas Schreckliches geschehen lässt.
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Rheinsberg
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Bronzenes Messer


Beitrag22.10.2014 13:27

von Rheinsberg
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Diese Geschichte gefällt mir. Ja, man könnte daran arbeiten und Verbesserungen anbringen - aber sie hat auch so schon Stil. Das fängt bei der Wortwahl an, bei der Aufteilung in Absätze, bei der Wahl zwischen kurzen und langen Sätzen.

Man merkt, dass du gerne schreibst und das nicht nur so hingeschmiert hast.

Das Thema ist schwierig, ich finde es gut, dass du die Perspektive einer Täterin gewählt hast, nicht eines Opfers. Jemand, der mit sich selbst nicht im Reinen ist, der tut, was er selbst hasst - gut rübergebracht.

Das kann sicher für sich alleine stehen, oder geht der Text noch weiter? Ich würde ihn lesen wollen.


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ICat1133
Geschlecht:weiblichErklärbär


Beiträge: 3



Beitrag22.10.2014 21:42

von ICat1133
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Erstmal danke für die positive Rückmeldung allerseits, das freut mich wirklich sehr smile

Der Zeitwechsel zwischen Präsens und Präteritum ist gewollt, er soll eigentlich darstellen, dass sie sich zum Zeitpunkt des Erzählens immer noch in diesem Zustand befindet, auch wenn das Geschehen in der Vergangenheit liegt.

Mich würde interessieren welche Rechtschreibfehler du gefunden hast (dass ich einmal ein "sie" vergessen habe weiß ich schon)? Bin immer offen für Verbesserung lol2 @Bananenfischin

Eine Fortsetzung ist eigentlich nicht vorgesehen, aber wenn ihr so interessiert daran seid, würde ich mich freuen weiterzuschreiben. Allerdings könnte das ein bisschen dauern, ich habe momentan ziemlich viel zu tun.

LG ICat1133
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Bananenfischin
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Beitrag22.10.2014 22:40
Re: Wechselwirkung
von Bananenfischin
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Hallo ICat1133!

ICat1133 hat Folgendes geschrieben:
Mich würde interessieren welche Rechtschreibfehler du gefunden hast (dass ich einmal ein "sie" vergessen habe weiß ich schon)? Bin immer offen für Verbesserung


Ähm, kann das nicht deine Lehrerin machen? lol
Im Ernst, normalerweise halte ich mich mit dem Aufzeigen der Rechtschreibfehler nicht auf, weil es sehr zeitaufwendig ist, alles farbig zu markieren. Hut ab vor denen, die das regelmäßig trotzdem tun. smile
Hier also ausnahmsweise, weil du Interesse daran bekundet hast. Ich musste mich etwas beeilen, also keine Garantie, dass ich nichts übersehen habe. smile

Vorher noch kurz hierzu:
Zitat:
Der Zeitwechsel zwischen Präsens und Präteritum ist gewollt, er soll eigentlich darstellen, dass sie sich zum Zeitpunkt des Erzählens immer noch in diesem Zustand befindet, auch wenn das Geschehen in der Vergangenheit liegt.

Du hast als Erzählzeit aber das Präteritum benutzt, auch am Anfang schon, als du ja das erzählst, was in der Geschichte "jetzt" passiert. Dementsprechend ist es auch legitim und korrekt, anhaltende Zustände in der Vergangenheit zu erzählen (z. B.: "Trotzdem schaffte ich es nicht, mich von ihnen abzugrenzen"). Man nennt das "episches Präteritum".

So, jetzt der korrigierte Text:

ICat1133 hat Folgendes geschrieben:


Wir taten es schon wieder. Schon wieder beleidigten wir sie. Schmissen ihre Sachen in den Müll. Schlugen sie. Traten sie. Drohten ihr. Sagten ihr, sie solle uns in Ruhe lassen. Uns nicht auf die Nerven gehen(,)[Dieses Komma ist eigentlich nicht nötig, es ist der unübliche Satzbau, der einen dort eines setzen lässt.]  mit ihrem Aussehen. Schon wieder rissen wir ihr büschelweise die Haare aus. Und schon wieder schämte ich mich, schämte mich in Grund und Boden.

Ich lief weg.

Schon wieder wünschte ich mir, es wäre alles anders gelaufen. Ich wünschte, ich hätte mich damals mit anderen Leuten angefreundet. Zu dem gestanden, wer und was ich bin. Wäre nicht sofort zusammengebrochen,[schreibt man zusammen, Komma s. o] unter dem Druck.
Doch ich wusste es damals nicht besser. Der Druck, beliebt zu sein, heutzutage wahrscheinlich vielerorts für die meisten Leute viel größer und schlimmer als früher.
Auch für mich.

Stieg in den Bus ein.

Ich versuchte verzweifelt, mich mit ihnen anzufreunden. Ich trug das Gleiche, tat das Gleiche, aß das Gleiche, besaß das Gleiche. Und all das immer noch, obwohl sie meiner Bettelei schon längst nachgegeben hatten. Doch die Angst, sie würden meine Realität ablehnen, ist zu groß.
Dann hatten sie irgendwann damit angefangen. Damit, andere Schüler auszugrenzen, sie  zu terrorisieren. Und ich hatte einfach mitgemacht, aus Angst, sie würden auch mich beschimpfen, die so hart erkämpfte Freundschaft einfach wieder auflösen. Doch täglich quälen mich Schuldgefühle. Ich sollte da nicht mitmachen, ich sollte diesen Menschen nicht wehtun [zusammen]. Doch ich kann ihnen einfach nicht widerstehen. Sie drängen mich dazu, sagen, ich wäre ein Schisser, würde ich mich nicht trauen, die anderen zu schlagen. Sie verstehen einfach nicht, wie die Terrorisierten sich fühlen, denn sie finden es lustig. Jedes Mal wenn sie lachen, lache ich mit, doch frage mich innerlich, Was ist so lustig daran, ein armes, gepeinigtes Mädchen, weinend in der Ecke liegen zu sehen? [Schwierige Stelle. Entweder "was" klein und als indirekte Frage formulieren oder mit Doppelpunkt. Ich wäre für die indirekte Frage.

Kam zu Hause an.

Und trotzdem schaffe ich es nicht, mich von ihnen abzugrenzen. Zu sagen: „Nein, es reicht!“ Ich bin nicht mutig genug, mich der Zukunft zu stellen. Ich verweile lieber in der Gegenwart, in der sie mich akzeptieren und mich nicht genauso tyrannisieren wie alle anderen. Man muss den Schein wahren, das habe ich gelernt in all den Jahren.
Ich erzähle ihnen nicht von meinen Interessen, sie würden mich auslachen und mich für albern halten. Also sitze ich lieber alleine zu Hause und übe meine Hobbys dort aus, anstatt mich mit anderen auszutauschen. Nur das Internet bietet mir ab und an Zuflucht. In Foren schreibe ich mit Gleichgesinnten. Denen wiederum erzähle ich nicht, was ich tagtäglich tue. Sie würden mich als einen der Fieslinge abstempeln, der ich auch bin, aber nicht sein möchte.

Legte mich in mein Bett.

So lebe ich Tag und Nacht in einer Wechselwirkung meines vorgespielten und meines realen Ichs [Ausdruck und Grammatik: Es müsste heißen "mit/in einer Wechselwirkung zwischen meinem vorgespielten und meinem realen Ich"]. Jeden Tag in der Hoffnung, dass [Doppel-s] endlich eins überwiegt, um herauszufinden, wer ich bin. Und dass ich dann endlich zu dieser Seite stehen kann. Hoffentlich wird es die Seite sein, die mir besser gefällt. Dann müsste ich mich nicht immer dafür schämen,[Komma] was ich tue.
Doch das ist nur eine Wunschvorstellung. Als ob es einfacher würde/werden würde [streng genommen Konjunktiv II, auch wenn es sich blöd liest, wenn ich mich gefunden habe, aber dann nicht mehr ihren Vorstellungen entspreche. Das würde ehrlich gesagt alles nur schlimmer machen. Also halte ich lieber den Zustand des Wechsels aus, in dem ich mich befinde. Sicherlich die bessere Variante(,)[Komma muss weg] zu dem,[Komma] was mich sonst erwarten würde.
Ich sehe ja, was sie diesen Leuten tagtäglich antun. Was ICH ihnen antue. Ich kann spüren,[Komma] wie sich fühlen, wenn wir so gemein zu ihnen sind. Nicht mehr lange und der E[groß]rste bringt sich um, weil er es nicht mehr aushält. Auch das spüre ich. Ich würde es ja selber nicht anders tun. Immerhin bin ich jetzt schon am Rande des Wahnsinns.
Nur noch ein kleiner Schubser und ich würde mich in einem Loch befinden. Einem Loch,[Komma] aus dem ich nie wieder [mit ie] herauskommen würde. Ich komme schon jetzt nicht aus meinem Gefängnis, dennoch sehe ich noch das Licht durch das Schlüsselloch, das mich am Leben erhält. Wenn dieses Licht ausgeht, bin ich verloren.
Ich ließ mich aus meinem Bett auf den Boden fallen, robbte zum Fernseher, schaltete meine Konsole an und fing an zu spielen. Wenigstens in der virtuellen Welt(,)[kein Komma] kann ich den Helden spielen.


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Merlinor
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Beitrag22.10.2014 23:01

von Merlinor
Antworten mit Zitat

Hallo ICat1133

Dein Text liest sich sauber und flüssig. Man merkt, dass Du Dich auszudrücken verstehst und auch, dass Du gerne schreibst.
Das Thema Deiner Geschichte hat Gehalt und Gewicht.
Auch Dein Ansatz, den Text durch die abgesetzte Satzfolge „Ich lief weg. → Stieg in den Bus ein. → Kam zu Hause an. → Legte mich in mein Bett.“ zu untergliedern und dadurch dringlicher zu machen, stellt ihm ein interessantes stilistisches Element zur Seite.
Allerdings erreicht es nicht die Wirkung, die eigentlich möglich wäre, weil es nicht in einen Spannungsbogen integriert ist, keine Steigerung unterstützt und deshalb am Ende leider an Saft verliert. Es fehlt die Pointe.
So wird aus einem möglichen Burner leider nur ein lascher Hingucker.

Wie meine Vorredner bereits schrieben: Der Text regt zum Nachdenken an, und damit ist Dir bereits etwas Wesentliches gelungen.
Das Thema hat Brisanz!
Gruppierungen, die auf die angesprochene Weise ein menschenverachtendes, antisoziales Verhalten an den Tag legen und ihre Mitglieder brutal in derartige Verhaltensnormen hineinzwingen, gibt es leider immer häufiger.
Die Art und Weise, wie in solchen Gruppen die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung immer weiter schwindet, ist bedenklich.

Es ist gut, dass Du dies thematisierst.
Dabei den Blickwinkel einer Täterin einzunehmen, die zugleich selbst Opfer ist und deren Seelenlage zu zeichnen, ist klug gewählt.
Allerdings belässt Du es bei einer reinen Nabelschau Deiner Protagonistin als Handlungsstrang und führst den nicht ausreichend aus.
Du zeichnest zwar sehr ausführlich den sozialen Druck, dem sie sich beugt, und das daraus entsprungene moralische Dilemma, unter dem sie leidet.
Doch bei der Darstellung ihrer wirklichen Interessen bleibst Du leider undeutlich, sprichst vage von „Hobbys“, denen sie im stillen Kämmerlein nachgeht und deutest das Internet als ein Element kleiner Fluchten an.
Nichts davon präzisierst Du.
So bleibt ihre Person für den Leser am Ende doch eher undeutlich.

Kurz: Wer sie tatsächlich ist und was sie umtreibt, bleibt letztlich in weiten Teilen offen, die Nabelschau ist nicht wirklich tiefgründig ausgeführt und selbst die Ansage einer dicken Depression („Legte mich in mein Bett.“) wird nicht erfüllt.
Das finde ich ein bisschen schade.

Der Punkt, an dem ich die eigentliche Schwäche der Geschichte festmache, ist allerdings ein anderer: Sie hat keine wirkliche Handlung.
Es fehlt eine durchdachte Dramaturgie und die Geschichte ist daher nicht spannend zu lesen.
Das finde ich richtig schade.
Das könnte sie nämlich sein: Das Thema gibt alle Elemente her, um einen richtigen Knaller aus der brisanten Thematik zu machen.

Da ist eine Gruppierung von Mädchen, die andere Mädchen mobbt, quält und zu Opfern degradiert und da ist eine Protagonistin, die selbst Täterin ist, dabei aber unter Skrupeln leidet und zugleich der Angst verfallen ist, selbst Opfer zu werden, wenn sie sich offenbart, oder anderweitig gegen den Zwang der Gruppe wendet.
Eine Protagonistin also, die sich unter diesem Konflikt windet und verzweifelt nach einem gangbaren Ausweg sucht.
Da musst Du als Autorin einfach zuschlagen, musst diese Ausgangslage dazu nutzen, Pepp in die Geschichte zu bringen ... smile

Du schreibst ja davon, wie schnell es passieren könnte, dass das Mädchen in ein tiefes Loch fällt, wenn etwas Außergewöhnliches passiert, das ihre angespannte Psyche aus dem Gleichgewicht wirft.
Das ist der zentrale Konflikt und mit dem solltest Du als Autorin aktiv spielen.
Was Du brauchst, um Deine Geschichte lebendiger und fesselnder zu machen, ist Handlung und Spannung.
Das geht nur, wenn der Konflikt eskaliert, wenn zum Beispiel etwas geschieht, das es dem Mädchen nicht mehr erlaubt, sich vor den Mitgliedern ihrer Gang zu verstecken.
Stelle das Mädchen dadurch vor die unausweichliche Wahl, entweder in diesem schwarzen Loch zu versinken, oder aber einen Ausweg gegen die Gruppe zu erzwingen.
Sei brutal, lass ihr einfach keine andere Möglichkeit, zwinge sie zum Handeln.

Und schon hast Du eine richtige Geschichte, eine, bei der Deinen Lesern der Atem gefriert.
Die kann gut ausgehen, oder aber schlecht. Das ist egal, liegt ganz an Dir.
Aber sie wird in jedem Fall spannend sein und es wird etwas Richtiges in ihr passieren.

Das sind jetzt nur ein paar ganz unverbindliche Gedanken zu Deinem Text.
Ich hoffe, dass sie Dir trotz aller Kritik ein bisschen Mut machen, denn die Basis, um schöne Geschichten zu schreiben, hast Du auf jeden Fall: Du kannst Dich ausdrücken und scheust Dich nicht, auch ernsthafte Themen auf ungewöhnliche Art und Weise anzugehen.
Jetzt geht es also "nur" noch darum, in diese Ideen ein wenig mehr Würze zu bringen. Das Zeug dazu hast Du.
Lass Dich von meinen Worten also nicht entmutigen, sondern nimm sie im Gegenteil als Bestärkung, Dich weiter mit dem Erzählen von Geschichten zu befassen.

Viel Spaß!

LG Merlinor


_________________
„Ich bin fromm geworden, weil ich zu Ende gedacht habe und nicht mehr weiter denken konnte.
Als Physiker sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms:
Es gibt keine Materie an sich, Geist ist der Urgrund der Materie.“

MAX PLANCK (1858-1947), Mailand, 1942
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Constantine
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Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag23.10.2014 11:59

von Constantine
Antworten mit Zitat

Hallo ICat1133,

deine Geschichte zum Thema "Selbstfindung/Identitätssuche" gefällt mir vom Thema her sehr gut. Mobbing in der Schule in einem Schulprojekt zu behandeln, dürfte während eurer Analysen im Unterricht zu interessanten Gesprächen unter den Schülern und mit eurer Lehrerin führen. Fragen, ob es solche Strömungen in eurer Schule auch gibt oder ob man Anzeichen von Mobbing in der Schule beobachtet hat und was man dagegen tun kann. Insgesamt ein prima brisantes Thema.

Ich möchte mich meinem Vorredner Merlinor anschießen und greife einen Teil seiner Anmerkung auf, die mir auch aufgefallen ist:
Merlinor hat Folgendes geschrieben:
Dabei den Blickwinkel einer Täterin einzunehmen, die zugleich selbst Opfer ist und deren Seelenlage zu zeichnen, ist klug gewählt.
Allerdings belässt Du es bei einer reinen Nabelschau Deiner Protagonistin als Handlungsstrang und führst den nicht ausreichend aus.
Du zeichnest zwar sehr ausführlich den sozialen Druck, dem sie sich beugt, und das daraus entsprungene moralische Dilemma, unter dem sie leidet.
Doch bei der Darstellung ihrer wirklichen Interessen bleibst Du leider undeutlich, sprichst vage von „Hobbys“, denen sie im stillen Kämmerlein nachgeht und deutest das Internet als ein Element kleiner Fluchten an.
Nichts davon präzisierst Du.
So bleibt ihre Person für den Leser am Ende doch eher undeutlich.

Kurz: Wer sie tatsächlich ist und was sie umtreibt, bleibt letztlich in weiten Teilen offen, die Nabelschau ist nicht wirklich tiefgründig ausgeführt und selbst die Ansage einer dicken Depression („Legte mich in mein Bett.“) wird nicht erfüllt.
Das finde ich ein bisschen schade.


Du beschreibst hauptsächlich die eine Seite deines Protagonisten, aber die Private, die, welche die Gang nicht erfahren darf, die verschweigst du unter Andeutungen: Hobby, Internet. Damit verschenkst du mMn einiges an Tiefe und Dilemma bzw. Tragik deines Mitläufers, was du aufgebaut hast. Die andere Seite, in der dein Protagonist sein kann, wie er/sie ist.
Chatten im Internet, in der Anonymität, wo kein Druck und keine Repressalien lauern, wo das Wort zählt, und nicht Äußerlichkeiten und Trends. Wenn du das noch verdeutlichen würdest, würde deine Geschichte runder werden und dein Protagonist bekäme mehr an Schärfe und Tiefe.

Ob du dein Thema eher szenischer ausarbeitest, nicht als eine Nacherzählung als Rückblende, sondern direkt am Geschehen und das Dilemma deines Protagonisten während des Mobbings einer Mitschülerin offenlegst, wäre ein Versuch, dein Thema intensiver, packender rüberzubringen. Deine jetzige Form ist gut, vorallem die abgesetzten Sätze gefallen mir vom Aufbau und Stil her richtig gut, aber aufgrund des eher nacherzählten Charakters schaffst du mMn Distanz zum Protagonisten und zum Thema.
In einer Szene könntest du aufzeigen, wie dein Protagonist zum Selbstschutz mitmacht, mittritt, mitpöbelt, hier und da dann doch zögert und vom Anführer oder allen der Gruppe gedrängt wird, weiterzumachen.

LG,
Constantine
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ICat1133
Geschlecht:weiblichErklärbär


Beiträge: 3



Beitrag23.10.2014 15:34

von ICat1133
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank für eure Kritik! Sie hilft mir wirklich weiter.

@Bananenfischin Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, ich habe den Text meiner Lehrerin gezeigt, aber sie hat diese Fehler nicht gesehen, da es nur während der Schulstunde war und sie sich eher auf das Inhaltliche konzentriert hat.

@Merlinor Vielen Dank für die ausführliche Kritik, die hilft mir wirklich weiter und hat mich eher dazu angeregt, weiterzuschreiben als aufzuhören. Vor allem da ich auch dank Constantine neue Ideen bekommen habe, für eine Weiterführung.

LG ICat1133 Razz
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firstoffertio
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Beitrag23.10.2014 22:50

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Zwei Stellen sitzen etwas komisch in deinem Text:

Zitat:
heutzutage wahrscheinlich vielerorts für die meisten Leute viel größer und schlimmer als früher.


Das ist ein unvermittelter Meta-Kommentar. Klingt, als käme er von einer anderen Person als dem Ich-Erzähler.

Das andere ist:

Zitat:
Also sitze ich lieber alleine zu Hause und übe meine Hobbys dort aus, anstatt mich mit anderen auszutauschen. Nur das Internet bietet mir ab und an Zuflucht. In Foren schreibe ich mit Gleichgesinnten. Denen wiederum erzähle ich nicht, was ich tagtäglich tue.



Ich frage mich da, wann Erzähler denn tagtäglich andere so striezt. Nur vor, in und nach der Schule? Irgendwie verwirrt mich das.
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