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LeoModest Leseratte
Alter: 37 Beiträge: 142 Wohnort: Travemünde
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04.03.2014 21:57 Gespräche nachzeichnen von LeoModest
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Hallo ihr alle,
ich habe folgendes Problem: mir fällt es wahnsinnig schwer, Gespräche nachzuzeichnen. Vieles von dem, was ich schreibe, ist sehr reflexionslastig. Mir fällt es leichter, die Gedanken, Gefühle und Emotionen der Sprechenden zu beschreiben - und dies ist auch ein wichtiger Teil meines Schreibens. Aber ich habe noch nie einen anständigen Dialog geschrieben, weil es mir davor sehr graut.
Das Problem, das ich nämlich habe: jeder Mensch redet anders. Wenn wir an Thomas Mann denken: da hat jeder seine Ausdrucksweise, seine Sprachmerkmale, seine Art zu reden, sich auszudrücken usw. Aber mir fällt es furchtbar schwer, hier nachvollziehbare Sprachcharakterisierungen zu entwickeln. Bisher fallen mir nur plumpe Ideen ein: der Gebildete gebraucht Fremdwörter, der Dörfler spricht im Dialekt, der Jugendliche sagt ständig 'Krass, Alter', der Geschäftsmann verwendet Anglizismen usw. Aber das ist plump - das erfasst nicht die Varietät der menschlichen Ausdrucksweise. Versteht ihr, was ich meine? Und folglich läuft's eher darauf hinaus, dass alle Figuren tendenziell so sprechen, wie ICH rede, wie ICH Dinge formuliere usw., was natürlich überhaupt nicht authentisch ist und nur auf die wenigsten Menschen auch zutrifft.
Kennt hier irgendwer das Problem oder hat eine Ahnung, wie man das angehen könnte?
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MonkeyNut Gänsefüßchen
Beiträge: 43 Wohnort: Auf der Regenbogenbrücke
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04.03.2014 22:36
von MonkeyNut
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Hallo Leo,
vorab: Ich bin definitiv kein erfahrener Schreiberling. Jedenfalls nicht in dem Ausmaß in dem es viele Forumsmitglieder hier sind.
Dennoch versuche ich dir auf dein Problem eine konstruktive Antwort zu geben.
Zunächst kann ich dein Problem durchaus nachvollziehen. Vor allem, wenn man in der Ich-Perspektive schreibt - was ich selbst zu tun pflege - "hört man sich selbst reden".
Obwohl ich dieses Problem kenne, habe ich mich nie intensiv damit auseinandergesetzt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es mir - ähnlich wie dir selbst auch - leichter fällt, Gedanken und Gefühle der Protagonisten zu beschreiben.
Und vielleicht liegt darin auch der Schlüssel deines Problems.
Du teilst in deinem Text mit, dass du reflexionsartig schreibst.
Daraus schlussfolgere ich, dass du beim Schreiben sehr intuitiv vorgehst.
Ich weiß natürlich nicht, wie du deine Figuren kennenlernst.. also ob du lediglich kurze Steckbriefe über sie anfertigst, seitenlang ihre Lebensgeschichte niederschreibst oder ein Interview mit ihnen führst.
Doch ich denke, dass wenn du deine Figuren gut genug kennst und dich in sie hineinversetzen kannst, du durchaus dazu in der Lage bist zu schreiben was sie sagen würden.
Und ich denke dies ist viel wichtiger, als die Art und Weise, wie sie sich ausdrücken.
Ich hoffe du verstehst auf welchen Unterschied ich hinaus will!
Zu den Sprachmerkmalen... das geht ja sehr stark in die Rhetorik hinein.
Natürlich sollte jede Figur ihres Alters, ihres Berufes oder ihres sozialen Standes angemessen Sprechen... nur na ja, ich weiß nicht - Achtung Laienmeinung!!! - irgendwie würde ich den Fokus nicht allzu stark darauf legen, damit dich dies während des Schreibens nicht blockiert.
Denn wenn du spürst was sie sagen würden, dann entwickelst du ja auch ein Gefühl für "ihre Stimme" und dir wird es mit der Zeit eventuell leichter Fallen herauszufinden, wie sie sich ausdrücken oder welche Sprachmerkmale sie haben.
Wie z.b.: Figur xy sagt in Krisensituationen ständig "Oh Gott" oder Figur xx fängt an zu fluchen, wenn sie sich mal wieder wie der Elefant im Porzellanladen aufführt oder Figur yx hat eine Vorliebe dafür in Diskussionen mit Fachwörtern um sich zu werfen, um den Mangel an Inhalt zu vertuschen.
Meine Frage an dich wäre jetzt, ob du während des Schreibens nicht irgendwie intuitiv fühlst was die Figuren nun sagen würden oder halt auch nicht?
Hm, ich hoffe doch ich konnte dir ein wenig weiterhelfen!
Liebe Grüße,
MonkeyNut
_________________ Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.
-Albert Einstein |
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Nicki Bücherwurm
Alter: 68 Beiträge: 3611 Wohnort: Mönchengladbach
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04.03.2014 22:41
von Nicki
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Versuche doch einmal folgende Übung. Eine Situation, die du dir ausdenkst, wird von verschiedenen Personen erzählt. Es ist immer der gleiche Ablauf, die gleiche Handlung, die gleiche Umgebung, usw. Aber die Augen der Person, die das Geschehen betrachtet, werden es jeweils anders sehen und dementsprechend darstellen. Nimm ruhig als Übung einen totalen Gegensatz.
Beispiel:
Eine Gruppe Menschen wartet an einer Bushaltestelle, der Bus hat Verspätung. An der Haltestelle stehen: Ein Geschäftsmann, eine Nonne, eine junge Mutter mit Kinderwagen, eine Gruppe Jugendlicher um die sechzehn und ein älteres Ehepaar.
Ich könnte mir diese Übung sehr spannend vorstellen.
_________________ MfG
Nicki
"Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist." Henry Ford
"Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt." A.Einstein
*Sommerblues* September 2017 Eisermann Verlag
*Trommelfeuer* November 2017 Eisermann Verlag
*Silvesterliebe* 30. November 2018 Eisermann Verlag
*Gestohlene Jahre* Work in Progress |
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Nicnak Eselsohr
Alter: 39 Beiträge: 206 Wohnort: Pendler zwischen Berlin und Bayern
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04.03.2014 23:06
von Nicnak
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Hallo LeoModest,
bin wie MonkeyNut ebenfalls neu im Forum, und im Gegensatz zu ihm, auch Neuling was das Schreiben angeht, von daher trau ich mich kaum hier Tipps zu verteilen.
Aber, schau dir doch mal ne DVD an und schreibe einfach alles was du hörst (natürlich nur Worte, keine Geräusche ^^ ), auf und schau was dabei raus kommt. Vielleicht erkennst du ja eine Art Muster, der einzelnen Personen, das du Anwenden könntest.
Gruß Nicnak
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Gerling Exposéadler
G Alter: 59 Beiträge: 2372 Wohnort: Braunschweig
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G 05.03.2014 09:59
von Gerling
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Eine sehr interessante Frage, bzw. ein interessantes "Problem".
Den Personen ihrer Herkunft entsprechende, sprachliche Merkmale zu geben, ist sicher ein Stilmittel, kann auf Dauer aber nervtötend und somit kontraproduktiv sein. Zumal das Schreiben lebendiger, authentischer Dialoge eines der größten Schwierigkeiten vieler Autoren ist.
Einen Dialog zu niederzuschreiben, wie er tatsächlich abgelaufen ist, wäre für den Leser unerträglich und langweilig. In keinem Fall entstehen zündende Dialoge dadurch, dass wir Gesprochenes 1:1 in Geschriebenes übersetzen. Genauso wenig, wie eine lesenswerte Geschichte entsteht, wenn wir den Tagesablauf des Protagonisten vom Aufstehen bis zum Zubettgehen in Echtzeit nacherzählen.
Gelebtes Leben ist etwas anderes als geschriebenes Leben.
Und ein Autor sollte niemals die Fantasie der Leser unterschätzen.
Wenn wir ihnen die Persönlichkeiten der Protas nahebringen (was voraussetzt, das wir diese selber kennen) dann läuft im Idealfall beim Leser ein Kopfkino ab - und das beinhaltet auch Stimmen.
Meine Dialoge (und ich schreibe auch in der Ich-Form) sind meist knapp und meine Protas kommen schnell auf den Punkt. Ich vermeide weitläufige Erklärungen und Füllworte und nur ganz selten benutzen meine Protas Fremdwörter - egal, wie gebildet sie sind.
_________________ Die Ewigen (Juni 2018)
Architekt des Bösen - Edition M (Aug 2019)
Tag X - Bookspot Verlag (2020)
Caldera - Bookspot Verlag (März 2021)
Brandmale - Rowohlt Verlag (Okt 2021)
Argusaugen - Rowohlt Verlag (Okt 2021)
Kopfgeld - Rowohlt Verlag (April 2022)
Der Perfektionist - Rowohlt Verlag (Mrz 2023)
Die Schuldigen - Rowohlt Verlag (Mrz 2023)
Der Seelsorger - Rowohlt Verlag (Juli 2023) |
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Dorka Eselsohr
Alter: 69 Beiträge: 391 Wohnort: Allertal
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05.03.2014 11:00
von Dorka
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Hallo Leo,
ich vermute, dass Du dieses Problem hast, weil Deine Figuren Dir sehr äußerlich bleiben. Du beobachtest sie von Ferne. Und möglicherweise weißt Du über sie noch nicht genug.
Vielleicht könntest Du so vorgehen: Beschreibe Deine Figuren - nicht nur äußerlich: was treibt sie an, was haben sie gelernt, was sind ihre Ängste, Hoffnungen, was haben sie an schönen/schrecklichen Dingen erlebt? Was sind ihre Hobbys, was wünschen sie sich, was brauchen sie? Gehen sie gefühlsmäßig vor oder rational, an was glauben sie?
Die Antworten müssen nicht in Deiner Geschichte vorkommen, aber sie bringen Dir Deine Figuren näher. Wenn Du sie genau kennst, weißt Du auch wie sie reden. Idiome o.Ä. zu benutzen kann helfen, erhöht aber eher Deine Entfernung von den Figuren.
Ich schreibe zur Zeit einen Krimi mit ca. 10 wichtigen Figuren, schreibe parallel an zwei Drehbüchern mit je 6 wichtigen Figuren und habe einen Krimi bei einem Verlag zur Prüfung liegen, in dem es ca. 15 wichtige Figuren gibt. Die leben alle in meinem Kopf. Zu jeder dieser Figuren kann ich ohne Vorbereitung sagen, wie sie aufgewachsen sind, was ihr Selbstbild ist usw. Und alle haben eine eigene Sprache, weil ihre Geschichte ihnen diese Sprache gegeben hat, sie ist Teil der Figuren.
Also mein Rat: näher ran an die Figuren, setzt Dich intensiv mit ihnen auseinander, dann werden Dir auch die Dialoge besser gelingen.
Gruß
Dorka
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Rocys Gänsefüßchen
R
Beiträge: 22
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R 06.03.2014 11:08
von Rocys
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Ich glaube, ganz weg von der eigenen Sprache kann man gar nicht kommen - dann wird es künstlich. Viel wichtiger ist es mMn, das Charakteristische für jede Figur herauszuarbeiten und damit dann zu spielen. Das geht glaube ich auf zwei Arten:
Zum einen braucht man eine sehr detaillierte Vorstellung von der Figur. Am besten ein lebendiges, bewegtes Bild im Kopf und - noch wichtiger - einen lebendigen, bewegten Klang. Mir hilft es immer ungemein, meine Texte laut zu lesen und mir selbst zuzuhören. Oftmals höre ich dann schon, wie es richtig klingen "müsste".
Zum anderen kann/sollte man auch theoretisch an Dialoge und Sprachstil gehen. Welche Redewendungen mag/nutzt die Figur häufig? Benutzt sie Fremdworte? Welche sozialen Codes kennt und verwendet sie? Lange oder kurze Sätze? Vorsichtig oder forsch? Direkt oder verschwurbelt? Flirt oder Mauer? Vieles kann sich auch aus der Motivation und Biographie der Figur ergeben: Will sie immer im Mittelpunkt stehen und ist deshalb immer laut und direkt? Hat sie ein Geheimnis und sagt deshalb nie, was sie wirklich denkt? Usw. usf. Oftmals helfen mir ein paar kleine, aber deutliche Entscheidungen, aus denen sich dann intuitiv vieles ergibt. Das wichtigste ist aber: den eigenen Figuren zuhören!
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LeoModest Leseratte
Alter: 37 Beiträge: 142 Wohnort: Travemünde
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08.03.2014 21:01
von LeoModest
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Wow, liebe Leute, die Antworten haben mich wirklich beeindruckt. Ich weiß nicht, was ich mir erhofft hatte, aber ich war eher skeptisch und erwartete, dass da wenig bei rauskommen könnte. Da habt ihr mich aber eines Besseren belehrt. Herzlichen Dank also!
Zum Thema:
Mehrere haben gesagt, man müsse seine Personen besser kennen lernen. Darauf wäre ich nie gekommen - kein Sarkasmus! Dass darin eventuell die Krux begraben liegt, das mag wirklich der Fall sein. Darüber muss ich mal in Ruhe nachdenken.
Das mit dem Vorlesen, Rocys, mache ich auch immer, ständig, pausenlos, andauernd. Das hilft wirklich sehr, wobei ich eben selten Dialoge vor mir habe und nur anderes vorlese. Aber ich denke, du hast Recht, dass durch das Vorlesen ein Klang entsteht und gewisse Ausdrücke dann zum einen besser passen als zum anderen.
Sehr klug, Gerling, dein Hinweis, dass Gesprochenes einfach niedergeschrieben grässliche Literatur bringt. Darüber habe ich auch schon andeutungsweise nachgedacht, aber so konkret formuliert wie du hatte ich es nicht. Auf jeden Fall auch eine wichtige Erkenntnis: weil es so nahe liegt, die Person X einfach so sprechen zu lassen, wie man es kennt - und schon endet es im Desaster...
Danke auch, Nicki, für die Schreibübung. Das sollte ich wirklich mal machen und es ist ja sehr richtig: nur durch ständiges Üben können wir uns verbessern.
Also, ich lese gerne noch weitere Beiträge, aber allen, die sich bisher zu Wort gemeldet haben, bin ich bereits sehr dankbar!
Leo
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Jack Burns Reißwolf
Alter: 54 Beiträge: 1443
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08.03.2014 21:19
von Jack Burns
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Hallo
Die Sprache der Figuren steht ja mit dem Innenleben in Verbindung. Also muss man, als Autor, ein deutliches Bild von den unterschiedlichen Charakteren der Figuren haben.
Das fällt mir auch sehr schwer. Als Trick benutze ich reale Personen aus meinem Umfeld oder Prominente und übertrage deren Spracheigenschaften auf meine Figuren. In meiner aktuellen Geschichte lasse ich eine Person sprechen, wie einen meiner Bekannten, der verbotene chemische Substanzen zu sich nimmt. Kurze Sätze, die nicht auf Antwort warten. Schnell wechselnde Themen usw.
Ob die Figur wirklich Drogen nimmt, bleibt offen und ist für die Story nicht wichtig. Aber er hat eine individuelle Sprache.
Schönen gruß
Martin
_________________ Monster.
How should I feel?
Creatures lie here, looking through the windows. |
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