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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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17.12.2020 00:12 ad coronam de morbo von Heribert
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Angst – ad coronam de morbo
Es ist unerheblich, an was ich sterbe. Es ist unerheblich, woran ich sterbe, weil ich unbedeutend bin.
Der Motor hat bereits Zweihunderttausend drauf, also wird er in Kürze, also vielleicht in zwei Jahren, vielleicht in zehn Jahren, kaputt gehen.
Es ist unerheblich, weshalb das Auto aufgibt, ob an einem zertrümmerten Kurbelgehäuse oder an zu wenig Öl in der Wanne, und ich werde mich nicht auf eine Diskussion mit dem Mechaniker einlassen, wie ich hätte die Karre länger erhalten hätte können.
Die Oma ist schon über Achtzig und irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Sie redet wirr und wird Familie Krause zur Last werden. An was die Oma stirbt ist unerheblich; klar ist, dass sie schon eimal ins Heim geschickt wird, um dort langsam den Geist aufgeben zu können. Wenn Pfleger und Ärzte dämnächst, also in fünf Monaten oder fünf Jahren, mit der schlechten Botschaft kommen, dann werden die Krauses hinnehmen müssen, ob es Herz- Hirn- oder Nierenversagen war. Oma wird eine von neunhunderttausend Toten jährlich in Deutschland gewesen sein.
Opa ist Achtundachtzig und hat gesagt, dass er immer mit dem Tod gesegelt ist. Der Tod, sagte Opa wörtlich, sitzt bei mir immer im Boot. Er sei, sagte Opa, vor achtundachtzig Jahren in Jena losgesegelt, sei achtundachtzig Jahre lang zusammen mit dem Tod um Jena herumgesegelt, durch Jena hindurch, darüber und darunter hinweg, an Jena vorbei, und in den achtundachtzig Jahren habe er, Opa, viele Fliegen erschlagen, Menschen begrüßt und auch Menschen verabschiedet; auch die Oma.
Es ist unerheblich, wann du stirbst, soll der Tod zu Opa gesagt haben. Und weil der Tod stets ehrlich und auf eine schon fast bedrückende Art aufrichtig und schonungslos ist, wurde meinem Opa vom Freunde Hein gleich vorweg gesagt, dass er, Großvater, im Grunde sehr unbedeutend ist und mit dem Tode seines letzten Urenkels, er leider komplett aus dem Gedächtnis des Universums getilgt sein werde. Denn, so der Gevatter weiter zu Opa, für das Universum ist es unerheblich, wie, wann oder an was du stirbst. Wichtig ist nur, dass du gehst, dass du verschwindest, mit all deinen kleinen, lächerlichen Sorgen und Ängsten, sagte er.
Weitere Werke von Heribert:
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Gast
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17.12.2020 17:51
von Gast
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Hallo Heribert,
Chapeau, das ist großes Kino. Dicht wie ein schwarzes Loch mit sehr sehr SEHR viel Tiefe und Bedeutung. Würde ich nichts dran ändern.
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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19.12.2020 00:30
von Heribert
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Nehemia Wortedrechsler
N
Beiträge: 62 Wohnort: Über den Wolken
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Nehemia Wortedrechsler
N
Beiträge: 62 Wohnort: Über den Wolken
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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21.12.2020 18:26
von Heribert
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Naja, ich bin nachts aufgewacht. So um 1, und tatsächlich erst wieder gegen 4 oder halb 5 eingeschlafen. In der Zwischenzeit, etwa bis 3, habe ich mich über die Angst der Menschen aufgeregt. Über die Angst vorm Tod. Ich arbeite in einem Museum und da hängen auch Bilder über die ars moriendi und die vanitas drin. Denen damals ist echt ständig des Lebensende vor Augen gehalten worden und die sind damit umgegangen. Jahrtausende lang sind die Männer jubelnd in den Krieg gezogen, mit der Gewissheit, vielleicht nicht wieder Heim zu kommen.
Vor einiger Zeit habe ich dazu noch gelesen, dass Historiker ausgerechnet haben, dass seit der Entstehung des Homo Sapiens, zwischen 85 und 105 Milliarden Menschen gestorben sind. Dann kam der alte friesische Spruch hinzu: Lever dod as a sklaav. Die heutige Fassung: Lieber ein Sklave als tot! Und man überlege sich einmal, dass bei der Pest Mitte des 14. Jh. etwa die Hälfte der europäischen Bevölkerung gestorben ist; in manchen Regionen sogar 2/3 oder mehr. Und die Landesherren damals haben von den Gilden und der Bevölkerung verlangt, unbedingt die Wirtschaft am Laufen zu halten.
Da habe ich angesichts einer Sterberate von 0,03% an der Gesamtbevölkerung heute, eine solche Wut über all diese Schisserinnen und Schisser bekommen, und natürlich über die Angstmacher selbst, dass ich gegen halb 4 ganz schnell den Text in mein Handy gedrückt habe. Dann konnte ich wieder ruhig schlafen.
Naja, Du weißt ja: Nachts kommen die Dämonen. Und die können einen auch produktiv machen
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Kiara Reißwolf
Alter: 44 Beiträge: 1403 Wohnort: bayerisch-Schwaben
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21.12.2020 19:31
von Kiara
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Heribert hat Folgendes geschrieben: | ... dass ich gegen halb 4 ganz schnell den Text in mein Handy gedrückt habe. Dann konnte ich wieder ruhig schlafen. |
Das kenne ich nur zu gut. Lass es raus.
_________________ Zum Schweigen fehlen mir die Worte.
- Düstere Lande: Das Mahnmal (2018)
- Düstere Lande: Schatten des Zorns (2020)
- Düstere Lande: Die dritte Klinge (2023) |
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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21.12.2020 20:19
von Heribert
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Oh, ja. Alles muss raus. Und zwar laut!
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Gast
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23.12.2020 20:27
von Gast
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Hallo Heribert,
ich schleiche schon eine ganze Zeit um diesen Text herum. Das ist zwar sicher gut geschrieben, du hast da deinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil entwickelt, der sich sehr gut liest.
Aber inhaltlich – ich weiß nicht. Was willst du mir sagen? Macht euch mal nicht ins Hemd wegen Corona? Hunde, wollt ihr ewig leben? Was soll denn die Erkenntnis, dass der Tod von Anfang an Teil des Lebens ist, deiner Meinung nach bewirken? Soll der Tod, indem du ihn in solch eine universelle Perspektive rückst, seinen Schrecken verlieren? Ist das irgendwie als philosophische Sterbehilfe gedacht?
Ratlose Grüße
DLurie
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Gast
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23.12.2020 22:44
von Gast
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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24.12.2020 00:19
von Heribert
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Zitat: | Soll der Tod, indem du ihn in solch eine universelle Perspektive rückst, seinen Schrecken verlieren? |
Naja, ich schätze schon. Man kann sich ja auch nicht täglich ins Hemd machen, weil es bald schon wieder Nacht wird. Dass der Tod zum Leben gehört, ist eine uralte Tatsache und dass dem Ende so viel Schrecken beigemessen wird, erschließt sich mir nicht.
Vor was hat man denn Angst? Dass man im falschen Grab landen könnte? Dass der Tod weh tun könnte? Das wird er vermutlich. Und jetzt? Soll ich nun mein ganzes Leben lang ängstlich und zitternd im Keller sitzen und heulen? Ich meine nur, man kann doch nichts ändern, oder?
Ich glaube, dass die Welt schon immer denen gehört hat, die den Tod oder die Angst verachtet haben. Die Ängstlichen verlieren zunächst die Kontrolle über ihr Leben (vor allem in Jogginghosen), dann ihre Selbstachtung, und schließlich (so oder so) das Leben selbst. Wie sagt mein Chef immer: Die einen sterben früher, die anderen noch früher ...
Andere Sprüche: Angst verblödet, Angst frisst Seele ...
Zitat: | Macht euch mal nicht ins Hemd wegen Corona |
Man kann sich ja auch ins Höschen machen wegen Corona, oder auf den Teppich. Es ändert aber nichts daran, dass im Jahr Millionen mehr an Hunger, Herz und Kreislauf sterben. Und am Alter. Ich hatte Corona; vermutlich lebe ich noch, weil ich mir nicht ins Hemd gemacht habe?
Zitat: | Ist das irgendwie als philosophische Sterbehilfe gedacht? |
Ich halte nix von Philosophie. Das ist was für Zwanzigjährige auf dem Selbstfindungstrip. Man sollte sie kennen, die Philosophen, vor allem Nietzsche, allein wegen seiner Schreibweise.
Ein guter Freund von mir, Phil, hatte einen Herzinfarkt. Er ist im Krankenwagen weggetreten und ist nach fünf Wochen wieder aufgewacht. Er sagte, der Tod hätte einen unförmigen Kopf gehabt, wie eine Kartoffel, und in den Augen des Todes sind ständig Jahreszahlen abgelaufen, so rote, digitale, wie auf den alten Quarzuhren aus den 80ern. Der Phil hat keine Angst mehr. Und der Kerl war, weiß Gott, nie ein Philosoph.
Bleib gesund, DLurie. Und pass auf im Straßenverkehr.
Bis dann.
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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24.12.2020 00:21
von Heribert
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Ach ja:
Zitat: | du hast da deinen ganz eigenen, unverkennbaren Stil entwickelt, der sich sehr gut liest. |
Danke dafür. Das ist Balsam.
LG
PS.
Eine Angst vorm Tode wäre da doch bei mir. Ich muss mein beschissenes Buch vorher fertig bekommen. Das macht mich fertig, dass ich schon Jahre daran herumhänge. Man sagt ja: Ein Mann soll im Leben einen Baum gepflanzt, einen Sohn gezeugt und ein Buch geschrieben haben. Der Baum ist gepflanzt, die Söhne sind gezeugt, aber das Buch schaff ich nicht ...
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Gast
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24.12.2020 15:49
von Gast
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Servus Heribert,
Heribert hat Folgendes geschrieben: |
Eine Angst vorm Tode wäre da doch bei mir. Ich muss mein beschissenes Buch vorher fertig bekommen. Das macht mich fertig, dass ich schon Jahre daran herumhänge. Man sagt ja: Ein Mann soll im Leben einen Baum gepflanzt, einen Sohn gezeugt und ein Buch geschrieben haben. Der Baum ist gepflanzt, die Söhne sind gezeugt, aber das Buch schaff ich nicht ... |
Klappt schon noch mit dem Buch. Und das wäre ja dann auch eine Möglichkeit, Unsterblichkeit zu erlangen.
Frohes Fest, guten Rutsch und auf ein erfreulicheres 2021.
LG
DLurie
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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24.12.2020 22:53
von Heribert
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Dir auch. Machs gut und danke!
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