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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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13.08.2023 18:32 Harlander, Kürbis und Karussell von Heribert
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Immer wieder gern erzählte mir Harlander, wenn wir gerade in der Achterbahn saßen oder durch die Geisterbahn fuhren, wir er damals, zwoundachtzig, zur Volksmusik gekommen ist. Ich meine, ich hatte ja die Geschichte schon tausendmal von ihm gehört, fand es aber immer wieder lustig, wenn er mit fuchtelnden Armen und rollenden Augen erklärte, was damals mit ihm passierte, was in seinem Innern vorging, als er das erste Mal, das war im Veldener Volksfest, das Lied hörte, das ihn zum bedingungslosen Anhänger der deutschen Volksmusik machte. Mit feuchten Äuglein sagte er dann immer: „Du, Boermel, das kannst du dir nicht vorstellen, ich habe dieses Lied sogar in meinem Sack gespürt!“
Er meinte damit das Lied „Meinen Kameraden hab' ich gern verraten" von der mittlerweile sehr bekannten Kapelle „Die Oberbabinger hinterhältigen Kürbisköpf'"
Ich verstand Harlander gut. Auch ich habe 1989 auf ähnliche Weise meine Liebe zum melodic hardcore punk entdeckt. Ich saß damals in Jugoslawien mit meinem Kassettenrekorder auf einem Zeltplatz und hörte die völlig überbewertete Band Queen, als plötzlich aus einem der Nachbarzelte ein von oben bis unten bekotzter, holländischer Punk gekrochen kam und mir ein Tape mit der Aufschrift „Bad Religion" in die Hand drückte. Beim zweiten Lied, for thousand fools, gab es in meinem Kopf eine Explosion. Das war, als hätte jemand hinter meiner Stirn eine gut geschüttelte Flasche voll mit Glücksgefühl entkorkt; und ab diesem Moment wusste ich, dass Queen Scheiße ist!
Aber zurück zu Harlander. Mit seiner Liebe zur Volksmusik, ging bei ihm auch eine gewisse Verkürbissung einher, wie das Seneca nannte. Er, Harlander, der eigentlich von Natur aus einen nur leicht gelblichen, eher beigefarbenen Teint hatte, vielleicht vergleichbar mit einem Käsekuchen oder mit frischem Sauerkraut oder so, nahm jetzt immer mehr orangefarbene Töne an. Und ganz abgesehen von seiner Farbe, begann er nun auch schwer zuzunehmen.
Harlander hatte im Grunde immer die Form eines Stehaufmännchens gehabt; und nun, nach seiner Verfettung, war der etwa 155 Zentimeter hohe Harlander, mit seinen kurzen Beinen, dem massiven Wanst und seiner orangen Haut, tatsächlich zu einem wandelnden cucurbita maxima geworden. Harlanders Kopf indessen bildete nun einen Kürbis auf dem Kürbis. Seine Fettbacken fielen angesichts ihrer Masse lefzenartig über sein Fünffach-Kinn und sein Fünffach-Kinn wiederum lag schwer auf seinen schmalen Schultern. Wenn also Harlander wieder einmal nach dem Singen im Bierzelt einnickte, konnte man sehen, wie sein beutelartiges Gesichtlein, hin bis zur Radieschen-Nase, im Fettgewebe seines Halses versank.
Harlander und ich, wir sind am liebsten Kinderkarussell gefahren. Ja, auf unseren sommerlichen Touren durch Bayern, von Volksfest zu Volksfest, von Dult zu Dult, hatten wir es besonders auf die Kinderkarussells abgesehen! Ich fuhr am liebsten in der Bimmelbahn oder saß auf dem Schaukelpferd, und Harlander fuhr immer mit dem Feuerwehrauto. Immer! Immer saß Harlander im Feuerwehrauto und sang auf gut Bayrisch und mit fliegenden Fäusten sein Lied: „Meyneeen Kamero'n, hob i gern verro'n!“ – aber leider, mit zunehmender Verkürbissung Harlanders, war es ihm unmöglich geworden, in einem Feuerwehrauto Platz zu finden. Herausgefunden hatte er das, als er merkte, dass er nicht mehr aus einem der Feuerwehrautos im Kinderkarussell entkam. Durch Verdrängung sämtlicher Luft aus der Fahrgastzelle des Autos, hatte es Harlander sozusagen im Fahrzeug festgesaugt; er musste im Anschluss von der Feuerwehr aus dem Kinderkarussell-Feuerwehrauto geschnitten werden und das war das letzte Mal, dass mein Freund Harlander mit einem jener Kinderkarussells fahren konnte – und schlimmer noch – Harlander und ich fuhren ab nun, wegen Harlanders Fettmasse, in getrennten Gondeln, und diese Tatsache, nicht mehr mit Harlander in einem Boot zu sitzen, rettete mir das Leben!
Wir fuhren gerade Riesenrad. Die Fahrgastkabinen bei dem Ding waren rund; man saß im Grunde in einer Art Schüssel oder so. Ich sah während der turbulenten Fahrt von meiner Gondel aus Harlander mit den Fäusten Luft-Pauke spielen, währen er ganz laut Meynen Kamero'n hob i gern verro'n! sang.
Plötzlich löste sich Harlanders Kabine aus der Verankerung, überschlug sich einmal im Gestänge des Riesenrads und schlug schließlich nach einigen Metern freiem Falls auf dem Festplatz auf.
Von oben, also aus meiner Sicht, sah es aus, als stehe da unten eine riesige Schüssel, angefüllt mit Kürbissuppe.
Weitere Werke von Heribert:
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Günter Wendt Exposéadler
Beiträge: 2865
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13.08.2023 18:57
von Günter Wendt
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Verkürbissung. Coole Neuschöpfung. Ich beobachte allerdings auch eine zunehmende Vergurkung bei manchen Kumpels. Das fällt besonders auf, wenn die sich auf den Fahrersitz ihres viel zu sportlichen, flachgelegt-tiefergelegten brettharten Oldtimer-Mantas oder Capris mit ächzendem Saugen hinein- oder hinausquälen.
Wenn die mal irgendwo gegenknallen muss es wie grüne Gurken-Gazpacho aussehen.
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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16.08.2023 11:14
von Heribert
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Zitat: | zunehmende Vergurkung bei manchen Kumpels |
Kenne ich. Werden wahrscheinlich Ehe-Krüppel in den männlichen Wechseljahren sein. Jene Fahrzeuge sind dann ihre Schwanzverlängerungen.
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Caloustine Gänsefüßchen
Beiträge: 17
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14.10.2023 02:01
von Caloustine
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Gefällt mir total gut! Ich mag den lakonischen Stil und hatte reichlich Bilder im Kopf. Distanz und Nähe im Wechsel und ein echtes Händchen für passende Namen.
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wohe Klammeraffe
W Alter: 71 Beiträge: 641 Wohnort: Berlin
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W 14.10.2023 08:36
von wohe
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Caloustine hat Folgendes geschrieben: | efällt mir total gut! Ich mag den lakonischen Stil und hatte reichlich Bilder im Kopf. Distanz und Nähe im Wechsel und ein echtes Händchen für passende Namen | Dem ist nichts hinzuzufügen. Steht in der Werkstatt, will also Kritik --> nix Negatives zu entdecken. Ist perfekt.
Sehr gut.
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Gast
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14.10.2023 11:44
von Gast
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Ich mag die
Wenn ich auch so gar keine Ahnung von Punk oder Volksmusik habe: Sehr gerne gelesen!
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IQ Dino Alter Ego
I Alter: 62 Beiträge: 516 Wohnort: MG
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Arminius Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1243 Wohnort: An der Elbe
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14.10.2023 12:44
von Arminius
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Günter Wendt hat Folgendes geschrieben: | Verkürbissung. Coole Neuschöpfung. |
Einspruch, Euer Ehren! Diese Wortschöpfung ist rund zweitausend Jahre alt (was im Text auch angedeutet wird). Die satirische Schrift "Apocolocyntosis – Die Verkürbissung des Kaisers Claudius" wurde von Lucius Annaeus Seneca verfasst, der zu Zeiten Claudius’ acht Jahre in der Verbannung auf der Insel Korsika lebte. Die Satire wurde anonym als Schmähschrift veröffentlicht. Seneca hätte sich sicher über Deine Beurteilung "cool" gefreut.
_________________ A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
Information is not knowledge. Knowledge is not wisdom. Wisdom is not truth. Truth is not beauty. Beauty is not love. Love is not music. Music is the best (Frank Zappa) |
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IQ Dino Alter Ego
I Alter: 62 Beiträge: 516 Wohnort: MG
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I 14.10.2023 12:51
von IQ Dino
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Seneca, der alte Stoiker ...
einer meiner Abendlektüren, wenn ich zum einschlafen ein Hörbuch höre. Nein, nicht weil es einschläfernd ist, sondern weil es mich mich fokussiert und so den Kopf freimacht, da mich diese Philosophie sehr anspricht, bis ich hinab ins Reich der Träume bin.
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Arminius Reißwolf
Alter: 65 Beiträge: 1243 Wohnort: An der Elbe
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14.10.2023 12:55
von Arminius
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@Heribert
Eine bissige Satire, wortgewaltig erzählt
Eine klitzekleine Erbse ist mir aufgefallen, weil die Wörter im Text zufällig genau übereinander stehen: "damals" im ersten und im zweiten Satz. Da könnte ein Synonym aushelfen.
Gern gelesen!
_________________ A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
Information is not knowledge. Knowledge is not wisdom. Wisdom is not truth. Truth is not beauty. Beauty is not love. Love is not music. Music is the best (Frank Zappa) |
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holg Exposéadler
Moderator
Beiträge: 2396 Wohnort: knapp rechts von links
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16.10.2023 12:25
von holg
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Ich mag den Stil, ich mag das Timing. Ich mag die Geschichte.
Was mich gestört hat, war das oder so in: man saß im Grunde in einer Art Schüssel oder so.
Vielleicht waren da noch so ein oder zwei unnötige Relativierer in einer an sich schon nur ungefähren Erinnerung.
Was ich leider nicht herstellen konnte, war ein Bezug des Liedes, das Harlander singt, zum Verhältnis der beiden Kumpel.
Das muss natürlich nicht sein, aber wenn Du den hinbekommen würdest, ohne die Story zu sehr zu dramatisieren (denn in ihrer Leichtigkeit und Fahrigkeit ist sie genial), aber offensichtlich genug, dass Menschen wie ich den Bogen spannen können (denn wer weiß, vielleicht hast Du das in der Geschichte angelegt und ich hab's nicht kapiert), wäre das eine, wie man heutztage wohl sagt, mindblowing experience.
_________________ Why so testerical? |
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Heribert Eselsohr
Alter: 51 Beiträge: 229 Wohnort: Landshut
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16.10.2023 18:49
von Heribert
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Hallo, meine Lieben, habe gerade erst gesehen, dass doch noch einige geantwortet haben. Danke dafür!
Nein, Verkürbissung war wirklich keine Neuschöpfung, das habe ich allerdings im Satz erwähnt. Nur für den Fall, dass ich mich mit fremden Federn schmücken wollte:
Zitat: | Aber zurück zu Harlander. Mit seiner Liebe zur Volksmusik, ging bei ihm auch eine gewisse Verkürbissung einher, wie das Seneca nannte. |
Ach, und noch was:
Zitat: | Seneca, der alte Stoiker ...
einer meiner Abendlektüren, wenn ich zum einschlafen Hörbuch höre. Nein, nicht weil es einschläfernd ist, sondern weil es mich mich fokussiert und so den Kopf freimacht, da mich diese Philosophie sehr anspricht, bis ich hinab ins Reich der Träume bin. |
Das mache ich auch immer so zum einschlafen. Zur Zeit läuft bei mir Howard Phillips Lovecrafts Cthulhu-Mythos ... Leider schlafe ich auch immer zu früh dabei ein.
Danke für die Kommentare, meine Gutst'n!
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