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Ronneburger Eselsohr
R Alter: 44 Beiträge: 316
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R 18.04.2008 11:24 Wie fühlen Sie sich? von Ronneburger
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Hier sitze ich nun und heule mir die Seele aus dem Leib. Vor mir eine ungerührt dreinblickende Frau, die ständig und alles was ich sage auf einem DIN A5 Block in ihrer kleinen, feinen Handschrift notiert. Die Blätter sind kariert.
Warum sind sie kariert?, frage ich mich. Warum nicht normal liniert? Will sie etwa eine Aufrechnung machen. Wie viele Worte purer Verzweiflung ergeben wohl Irrsinn – das Potential jemanden einweisen zu können?
Gestern noch war ich selbst in der Psychiatrie gewesen. Nicht um mein inzwischen äußerst starke Veränderung meiner Persönlichkeit behandeln zu lassen, definiert als Borderline Persönlichkeitsstörung.
Nein, ich war dort um Kopierer, Faxe und Drucker zu zählen. Irgendwie abstrus der Gedanke, in Anbetracht der Tatsache, dass ich heute wie ein Häufchen Elend vor einer Therapeutin sitze und mein Leid klage.
Sobald ich meine Probleme schildere kommen sie mir schon so irrsinnig vor, dass ich mir wünschte ich hätte erst gar nicht davon angefangen.
Wem will ich hier etwas beweisen?
Als ich gestern die geschlossene Anstalt durchschritt, mit den Menschen sprach, die alle auf mich zukamen, mich fragten, was ich hier mache und ich in gewöhnt geschäftsmäßiger Manier antworte, kam ich mir selbst schäbig vor.
Wie überheblich ich war.
„Wie geht ihr Freund mit ihren Problemen um?“, kommt die wie gewohnt emotionslos gestellte Frage.
Ich weiß nicht, was ich antworten soll.
Die Wahrheit?
Die Wahrheit wäre, das mein Freund mich anbrüllt, ich soll nicht so irrational sein.
Recht hat er – aber wie.
Vielleicht gibt es ja eine Tablette: Einmal Rationalität 400 mg von Ratiopharm, bitte!, höre ich mich schon in einer Apotheke sagen.
Fokussieren, nicht abschweifen.
Ich versuche mich auf die Frage zu konzentrieren.
„Er fühlt sich hilflos.“
Gute Antwort, das sehe ich ihrem Gesicht.
Weiter so!
„Was macht er, wenn sie wieder einmal einen Einbruch haben?“
Was soll er schon machen?, denke ich. Er geht, damit er es nicht mit bekommt, weil er nicht weiß, was er tun soll.
„Er versucht mich zu beruhigen“, kommt die Lüge ganz automatisch von meinen Lippen.
Sie notiert es auf ihrem Block. Das Kratzen des Stiftes macht mich nervös und ich versuche zu erkenne, was sie notiert hat. Leider kann ich die kleine Schrift nicht entziffern.
„Was meinen Sie, wie Sie ihr Verhalten ändern können?“
Bin ich nicht hier, damit sie mir das sagt?
Ich zucke mit den Schultern.
„Mit was könnten Sie sich ablenken, wenn sie wieder diese Blockade in ihrem Inneren fühlen?“
Ich hasse es, wenn man mir Fragen stellt auf die ich keine Antwort weiß.
„Sie könnten die Situation verlassen.“
Tolle Idee, antwortet mein Inneres sarkastisch und scheinbar meine Augen auch denn sie sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„Sie glauben, das dass nicht möglich ist?“
Ich nicke und wische mir die letzten Tränen ab.
Ein Wecker piepst.
Fast erleichtert drückt sie ihn: „So, die Stunde ist um, an diesem Punkt machen wir nächste Woche weiter.“
Weitere Werke von Ronneburger:
_________________ If you have big ideas, you have to use big words to express them. (Anne of Green Gables)
Das ist einer dieser Tage, an dem ich erst weiß was ich rede, wenn ich höre, was ich sage. (Anett Louisan) |
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Xasziia Leseratte
Beiträge: 178 Wohnort: mal hier, mal da
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18.04.2008 12:38
von Xasziia
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Hallo Ronneburger!
Ich finde deine Geschichte äußerst gelungen!
Du beschreibst die Situation richtig gut, wie sie nicht die wahren Antworten gibt und ihre Probleme plötzlich so irrsinnig findet.
Wirklich richtig gut.
Schau nur noch mal nach Kommafehlern, ich habe ein paar entdeckt.
Und eine einzige Frage habe ich.
Ich versteh das in der Psychatrie nicht ganz.
Arbeitet sie dort oder wieso kann sie dort die Faxe etc zählen und einfach so rumlaufen?
Das ist mir nicht ganz klar geworden, auch beim zweiten Mal durchlesen nicht.
Zitat: | „Was meinen Sie, wie Sie ihr Verhalten ändern können?“
Bin ich nicht hier, damit sie mir das sagt?
Ich zucke mit den Schultern. |
Zitat: |
Ein Wecker piepst.
Fast erleichtert drückt sie ihn: „So, die Stunde ist um, an diesem Punkt machen wir nächste Woche weiter.“ |
Das sind meine Lieblingsstellen im Text.
Die treffen es wirklich perfekt!
Liebe Grüße
Xasziia
_________________ „Homo homini lupus est“
T. Hobbes |
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Ronneburger Eselsohr
R Alter: 44 Beiträge: 316
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Xasziia Leseratte
Beiträge: 178 Wohnort: mal hier, mal da
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18.04.2008 12:58
von Xasziia
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Hallo,
gut, damit wäre dann auch meine frage geklärt
Mir war eben nicht ganz klar, ob sie beruflich da ist oder aus einem anderen Grund.
Aber wie gesagt, ein sehr guter Text ansonsten.
LG Xasziia
_________________ „Homo homini lupus est“
T. Hobbes |
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yt Klammeraffe
Alter: 49 Beiträge: 703 Wohnort: Sittensen
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18.04.2008 13:36
von yt
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Mahlzeit,
ab einem gewissen Punkt hätte ich die Situation wohl auch ohne Weckerpiepsen oder Aufforderung verlassen. *hihi*
So die Stunde ist rum, finde ich etwas zu einfach aus der Affäre gezogen,
doch ein sehr ehrlich verlogener Dialog der mir gefallen hat.
Mit rationalen (400mg) Grüßen,
yt
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Xasziia Leseratte
Beiträge: 178 Wohnort: mal hier, mal da
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18.04.2008 13:56
von Xasziia
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Hallo yt,
zu deinem Kritikpunkt, dass sich die Psychologin ein bisschen schnell aus der Affäre zieht:
Leider passiert das wirklich. Bei manchen ist es so: Stunde um, Arbeit für den Patienten erledigt.
Man wird manchmal sogar mitten in der Erzählung unterbrochen. Das ist realistisch. Ronneburger trifft es hier ziemlich genau.
Natürlich trifft das nicht auf alle zu, man darf das nicht verallgemeinern. Und in der Regel sollte man sich in diesem Fall auch schleunigst eine neue Therapeutin suchen
LG Xasziia
_________________ „Homo homini lupus est“
T. Hobbes |
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Gast
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18.04.2008 15:44
von Gast
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Eine Therapeutin ist dann professionell, wenn sie sich genau an die Zeiteinteilung hält. Alles andere wäre unprofessionell. Denn Patienten neigen dazu, die Therapeutin niemals aus ihren Fängen zu lassen, wenn sie sich daran nicht halten würde.
Ich habe eine Menge Rechtschreibfehler entdeckt, aber ich denke, wenn Du den Text noch einmal durchgehst, Ronneburger, wirst Du sie selbst entdecken. Du neigst auch dazu, Wörter wegzulassen, die solltest Du noch ergänzen.
Die Situation ist sicherlich korrekt beschrieben, wobei ich nicht weiß, ob eine Borderline-Patientin wirklich so logisch denken würde - die Borderline-Patienten, die ich kenne, tun das nicht -, aber im Rahmen der Geschichte ist das okay. Du willst ja zeigen, daß sie sich der Therapeutin verweigert, daß sie sich nicht öffnen kann, daß sie sie belügt und betrügt - was wiederum typisch für Borderline-Patienten ist - und dennoch, obwohl sie der Therapeutin keine Chance gibt, Hilfe erwartet. Die Therapie wird ins Leere laufen, das sieht man deutlich. Die Atmosphäre hast Du gut geschildert.
Ich habe mal einen ähnlichen Text aus der Perspektive einer Patientin bei einer Therapeutin geschrieben, und Dein Text hat mich sehr daran erinnert. Was ich bei allen Deinen Texten etwas schade finde, ist, daß sie so kurz sind. Hier in diesem Text speziell hätte ich mir die psychologischen und auch sonstigen Hintergründe ausführlicher gewünscht. Dann versteht man besser, um was es geht. Ich habe immer das Gefühl, es fehlt die Hälfte.
Aber einen Text so knapp zu halten, ist auch eine Kunst.
Liebe Grüße
Angela
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