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Ein letzter Blick


 
 
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Charlotte
Leseratte
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Beiträge: 104



C
Beitrag24.05.2008 16:34
Ein letzter Blick
von Charlotte
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

ich hoffe jene, die sich eine Fortsetzung gewünscht haben, sind jetzt nicht enttäuscht, aber das hier war ich mir einfach schuldig


Wolken am schwarzen Himmel und tief am Horizont die Sichel des Mondes, bleich und kalt, wie der Tod.
Ein scharfer Wind peitschte den Regen und riss an den Bäumen, zornig und verzweifelt. Blitze zuckten über den Boden und zerrten die vagen Umrisse eines Lagers aus der Dunkelheit. Eine Lokomotive rollte durch das Tor, stampfend und fauchend. Hinter sich eine lange, dunkle Reihe von Waggons.
Plötzlich ertönten Befehle aus Lautsprechern, hart und laut. Scheinwerfer flammten knallend auf und enthüllten eine bizarre Szenerie mit ihrem kalten, grellen Licht. Dunkle Gestalten schwärmten aus, vorwärts gezerrt von Hunden, die an ihren Leinen rissen, unter wütendem Gebell. Offiziere, mit gespreizten Beinen im Nebel verankert, brüllten Befehle, versuchten den Wind zu übertönen.  
Doch im Zug, im letzten Wagen, unter all den anderen in furchtbarem Schrecken erstarrten Menschen, ein kleines Mädchen, die Hand fest auf das Herz gepreßt.
Es war kalt, und die schmutzige Decke, die ihr jemand über die Schultern gelegt hatte, brachte keine Linderung. Es stank nach Urin und den toten Kindern, die notdürftig in einer Ecke des Waggons untergebracht waren.
Doch sie saß gerade dort, ganz nahe bei ihrem kleinen Bruder. Aber sie wußte es nicht mehr, sie wußte überhaupt nichts mehr.
Ihre Augen schauten in die Ferne, und sie sah ihr Zuhause. Die Mutter rief, doch hinter dem Haus hörte sie den Vater. Er machte Holz klein, denn am Abend würde der Sabbath beginnen, und alle Arbeit mußte dann getan sein.
Schnell rannte sie um das Haus herum, denn sie wollte ihn noch einmal sehen, nur noch einmal. Sie rief ihn und er schaute auf, lachte und schlug die Axt in den Block, ließ für einen Moment die Arbeit ruhen. Das machte er immer so, wenn sie kam, und manchmal schimpfte die Mutter dann mit ihm. Aber nicht heute.
Und langsam, als fiele sie in den Schlaf, kippte ihr kleiner Körper auf den Boden, neben ihren Bruder, ganz dicht. Und es schien, als blickten ihre erloschenen Augen noch immer in die Ferne.
Dann, mit einem lauten Donnerschlag, wurde die Tür des Waggons aufgerissen.

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Pismo
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 212
Wohnort: Berlin


Beitrag24.05.2008 21:28
Re: Ein letzter Blick
von Pismo
Antworten mit Zitat

Da es in der "Talentschmiede" steht, schmiede ich einfach mal, ja?
Obwohl es sicherlich ein Unterschied ist, welcher Verlag lektoriert. Bastei-Lübbe oder Insel, Aufbau oder Fischer.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Wolken am schwarzen Himmel und tief am Horizont die Sichel des Mondes, bleich und kalt, wie der Tod.


Das in blau weglassen. Zu melodramatisch.
Der Mond kann per se nicht "kalt" sein. Aber das kann der Lektor unter dem Fähnchen der "künstlerischen Freiheit" stehen lassen.
Ich stolpere noch ein wenig über die Nachtzeit, wenn der Mond so tief am Horizont steht.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Ein scharfer Wind peitschte den Regen und riss an den Bäumen, zornig und verzweifelt.


Bastei Lübbe freut sich. Insel, Fischer und Aufbau würden streichen. Zu melodramatisch.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Blitze zuckten über den Boden und zerrten die vagen Umrisse eines Lagers aus der Dunkelheit.


Blitze zucken über den Himmel oder auf den Boden.
Zerren gefällt nicht in Zusammenhang mit den Blitzen. Zerren impliziert Mühe, Anstrengung. Blitze sind ja kurz nur zu sehen. Sie haben keine Zeit zu zerren.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Eine Lokomotive rollte durch das Tor, stampfend und fauchend.


Zu melodramatisch. Insgesamt hemmt die Wiederholung der jeweils hinten angestellten zwei Adjektive den Lesefluss.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

 Hinter sich eine lange, dunkle Reihe von Waggons.
Plötzlich ertönten Befehle aus Lautsprechern, hart und laut.


Und wieder die beiden hinten angestellten Adjektive. Das hat System. Gefälliger in den Satz einbauen, sonst stört es den Rhythmus.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Scheinwerfer flammten knallend auf und enthüllten eine bizarre Szenerie mit ihrem kalten, grellen Licht. Dunkle Gestalten schwärmten aus, vorwärts gezerrt von Hunden, die an ihren Leinen rissen, unter wütendem Gebell.


Wenn sie von ihren Hunden vorwärts gezerrt werden, können sie nicht ausschwärmen. Warum muss das Gebell wütend sein?
Lass sie einfach bellen. Zu viele Adjektive machen es dem Leser schwer seine Phantasie spielen zu lassen, sie auf Reisen zu schicken.
Ein Autor sollte nicht immer werten, das lässt den Leser glauben, er wäre unmündig.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Offiziere, mit gespreizten Beinen im Nebel verankert, brüllten Befehle, versuchten den Wind zu übertönen.  


In Nebel verankert- das funktioniert nicht. Auch als Bild nicht.
Man ankert auch nicht im Meer (weil zu tief, außer Untiefe etc.). Man ankert vor einer Insel... Ich würde das überdenken.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Doch im Zug, im letzten Wagen, unter all den anderen in furchtbarem Schrecken erstarrten Menschen, ein kleines Mädchen, die Hand fest auf das Herz gepreßt.


Anatomisch unmöglich, es sei denn ihr Brustkorb wäre offen. Sie kann sich die Hand auf die Brust drücken. Oder auf die Stelle des Oberkörpers in der das Herz sitzt.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Es war kalt, und die schmutzige Decke, die ihr jemand über die Schultern gelegt hatte, brachte keine Linderung. Es stank nach Urin und den toten Kindern, die notdürftig in einer Ecke des Waggons untergebracht waren.
Doch sie saß gerade dort, ganz nahe bei ihrem kleinen Bruder. Aber sie wußte es nicht mehr, sie wußte überhaupt nichts mehr.


Hier kannst du ausbauen. Gerüche zu beschreiben lässt den Leser mitfühlen. Jeder weiß, wie faule Eier stinken oder ein Flieder zart im Frühling duftet. Wie riechen die toten Kinder? Leichen, Verwesung. Krankheiten, Durchfälle etc...
Ein guter Ansatz.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Ihre Augen schauten in die Ferne, und sie sah ihr Zuhause. Die Mutter rief, doch hinter dem Haus hörte sie den Vater. Er machte Holz klein, denn am Abend würde der Sabbath beginnen, und alle Arbeit mußte dann getan sein.
Schnell rannte sie um das Haus herum, denn sie wollte ihn noch einmal sehen, nur noch einmal. Sie rief ihn und er schaute auf, lachte und schlug die Axt in den Block, ließ für einen Moment die Arbeit ruhen. Das machte er immer so, wenn sie kam, und manchmal schimpfte die Mutter dann mit ihm. Aber nicht heute.


Aber nicht heute.
Das bleibt mir unklar und doch ist die Rückblende der Schlüssel der Geschichte. Nicht heute, weil sie abgeholt wird? Warum nur sie und ihr Bruder? Warum nicht ihre Eltern? Zu viel angedeutet, zu wenig explizit.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Und langsam, als fiele sie in den Schlaf, kippte ihr kleiner Körper auf den Boden, neben ihren Bruder, ganz dicht.


Sie ist ein Kind, sicher ist ihr Körper klein. Hier könntest du weiter ausführen. Ist er schmächtig? Knochig? Ausgemergelt von Mangelernährung oder pummelig vom frischen Rahm auf dem Lande.

Charlotte hat Folgendes geschrieben:

Und es schien, als blickten ihre erloschenen Augen noch immer in die Ferne.
Dann, mit einem lauten Donnerschlag, wurde die Tür des Waggons aufgerissen.


Gutes Ende. Erleichternd. Sie ist schon tot, bevor das ganze Elend beginnt.
Die erloschenen Augen sind kitschig, vor allem weil sie in die Ferne zu blicken scheinen.

Alles in allem ist das Sujet sehr gut. Allerdings würde ich an deiner Stelle die Erzählperspektive noch einmal überdenken. Der allwissende Erzähler ist besonders gefragt, wenn man nicht urteilend und nicht wertend schreibt. Sonst wirkt er schnell belehrend.
Das kann sensiblen Lesern etwas unangenehm aufstoßen.

So, ich hoffe, jetzt wird ersichtlich, dass ich sehr an Textarbeit interessiert bin und nicht an persönlichen Animositäten.

LG,
Pismo


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Autoren sollten stehend an einem Pult schreiben. Dann würden ihnen ganz von selbst kurze Sätze einfallen.
Ernest Hemingway
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Charlotte
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Beiträge: 104



C
Beitrag26.05.2008 18:35

von Charlotte
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Liebe Pismo,

Ich habe lange nachgedacht, und ich muß sagen, es tut mir Leid.
Ich habe eindeutig überreagiert. Leider habe ich Dich verwechselt und wohl deshalb etwas falsch interpretiert. Auch hast Du mich wohl in einer Phase erdrückender Selbstzweifel erwischt. Ich brauche jetzt unbedingt eine Auszeit.

Tschüß
Charlotte
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Pismo
Geschlecht:weiblichEselsohr


Beiträge: 212
Wohnort: Berlin


Beitrag26.05.2008 18:45

von Pismo
Antworten mit Zitat

Liebe Charlotte,

Schnee von gestern.

Nimm dir die Auszeit, die du brauchst. Vergiss allerdings nicht, du hast viel Lob für deine Texte bekommen und solltest nicht ausgerechnet jetzt aufgeben, wo es spannend wird und du wirklich an deinen texten arbeiten kannst.

Es lohnt sich. Sonst hätte ich nicht so streng auseinander gepflückt.

LG,
Pismo


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Charlotte
Leseratte
C


Beiträge: 104



C
Beitrag26.05.2008 19:00

von Charlotte
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Liebe Pismo,

ich danke Dir! Du ahnst vielleicht gar nicht, von welcher Last Du mich da befreist!

Tschüß
Charlotte
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