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Settinggerechte Sprache ohne Latinismen?

 
 
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Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag31.12.2023 15:47
Settinggerechte Sprache ohne Latinismen?
von Hugin_Hrabnaz
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo zusammen.

An dieser Stelle würde ich euch erstmals um eine Einschätzung betreffend eine Stil-/Sprachfrage bitten. Dazu muss ich ein wenig ausholen:

Mein Buchprojekt hat als fiktives Setting eine Zivilisation auf etwa hochmittelalterlicher Entwicklungsstufe, deren Kultur im Wesentlichen auf einer hypothetischen Fortschreibung der heidnischen, protogermanisch-eisenzeitlichen Zivilisation basiert, ohne Kontakte und Bezüge zum römisch-lateinischen Kulturkreis und zum Christentum.

Da die Völker in dieser Zivilisation eben keinen Kontakt zum Christentum oder zum Römischen Reich hatten (die in dieser fiktiven Welt schlicht nicht existieren), fühlt es sich für mich richtig an, und geht mir an sich auch gut von der Hand, nicht nur in der direkten Rede der Dialoge, sondern auch in der Erzählsprache des Buches Latinismen und Lehnwörter aus dem altrömischen Latein oder dem mittelalterlichen Kirchenlatein ebenso zu vermeiden, wie sonstige Romanismen. Sprich, ein "Priester" wird konsequent ein "Gode" sein, der "Körper" ist konsequent der "Leib", man geht nicht "direkt", sondern "geraden Weges", eine Entscheidung ist nicht "konsequent", sondern "folgerichtig" usw...

Wo das reale Mittelalter relevante rituelle Begriffe aus dem Latein entlehnt hat, da entlehnt die fiktive Zivilisation des Buches ihre religiösen Termini aus dem Protogermanischen, wozu ich die Werke von Gerhard Köbler benutze. Ich meine, dass die bisherigen Texte durch die Ersetzung der Latinismen tatsächlich nicht nennenswert an Lesbarkeit einbüßen. Die Sprache wirkt zwar durchaus etwas altertümlicher, als man es selbst im Fantasy-Bereich gewohnt ist, aber das ist auch volle Absicht, und von der Sprachform des Nibelungenliedes sind wir noch ein sehr gutes Stück weg.

Das als Einleitung.

Jetzt aber zur Frage, die mich umtreibt:

Wie weit kann ich damit gehen, mich Latinismen zu verschließen, ohne dass es übertrieben wirkt?

Kernpunkt dieser Fragestellung ist tatsächlich das Wort "Fenster". Die Zivilisation des Buches hat bereits verglaste Fenster, und diese spielen auch hier und da eine Rolle für die Handlung. Bisher heißen sie auch "Fenster", doch ich empfinde das als inkonsequent, weil ich ansonsten keine Latinismen verwende, sondern ausschließlich etymologisch aus dem Protogermanischen herleitbare Begriffe, soweit solche verfügbar sind.

Nun haben wir mit dem Deutschen hier das Problem, dass die hiesigen süd- und westgermanischen Stämme früher im Kontakt mit den Römern waren als die nordgermanischen Stämme, also bereits zu der Zeit, als man erstmals ein verglastes Fenster in diesen Beiten hatte, weshalb man hier ca. im 5. Jahrhundert das lateinische "fenestra" entlehnt und zum Fenster gemacht hat. Originär germanischen Begriffe dafür wären entweder Augentor (germ. Augatore, Ougatore) oder Windauge (germ. Windaugôn), die aber im Deutschen nicht erhalten geblieben sind und daher nicht mehr gebräuchlich und auch ohne Glossar für die meisten nimmer verständlich sind, während die Skandinavier und die Angelsachsen Glück haben und sich noch ihrer "windows" und "vinduer" erfreuen können.

Also die Gretchenfrage ist:

Konsequenz im Setting vor Lesefluss und von "Windaug" oder "Augentor" sprechen, nebst obligatorischem Glossareintrag?

Oder das "Fenster" behalten und die Konsequenz im Worldbuilding dem Lesefluss des nicht altgermanistisch vorgebildeten Publikums opfern?

Was meint ihr?

Danke für etwaiges Feedback.

P.S.:
Es gibt noch einige wenige andere Begriffe, bei denen sich die Frage in ähnlicher Weise stellt, aber das ist für den Moment der wichtigste.
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Fistandantilus
Geschlecht:männlichWeltenwanderer

Alter: 44
Beiträge: 818
Wohnort: Augsburg
DSFo-Sponsor


Beitrag31.12.2023 15:56

von Fistandantilus
Antworten mit Zitat

Ich finde "Windauge" charmant. Das sollte dann nur nicht einfach als Wort stehenbleiben. Wenn Du es das erste Mal benutzt, dann solltest Du dem Leser klarmachen, dass es sich um nichts anderes als ein Fenster handeln kann. Der Begriff ist auch einprägsam, finde ich, wenn Du ihn später wieder aufgreifst.
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abentroth
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 257



Beitrag31.12.2023 16:14
Re: Settinggerechte Sprache ohne Latinismen?
von abentroth
Antworten mit Zitat

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Konsequenz im Setting vor Lesefluss und von "Windaug" oder "Augentor" sprechen, nebst obligatorischem Glossareintrag?

Oder das "Fenster" behalten und die Konsequenz im Worldbuilding dem Lesefluss des nicht altgermanistisch vorgebildeten Publikums opfern?
Ich schätze, nicht viele würden sich beim Lesen Gedanken über die Ethymologie des Wortes "Fenster" machen - es ist doch tief in unsere Alltagssprache eingedrungen und liefert ein klares Bild dessen, was gemeint ist.

Dennoch würde ich mich für das Windauge entscheiden. Es gibt dem Rahmen, den Du da baust, mehr Tiefe. Wie von Fistandantilus vorgeschlagen würde eine kleine Szene genügen, um dem Leser zu verdeutlichen, was so ein Windauge ist.

Gruß,
abentroth
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holg
Geschlecht:männlichExposéadler

Moderator

Beiträge: 2396
Wohnort: knapp rechts von links
Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag31.12.2023 16:55

von holg
Antworten mit Zitat

Bin sich für Windauge. Ich denke, spätestens aus dem Kontext wird klar, was das ist.
Und alle, die Englisch können, können sich das ohnehin herleiten.


_________________
Why so testerical?
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Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1239
Wohnort: An der Elbe


Beitrag31.12.2023 17:08

von Arminius
Antworten mit Zitat

Dein Anspruch ist hoch. Wenn Du ihn konsequent einhalten wolltest, dürftest Du auch diese (und andere) lateinischen Lehnwörter nicht verwenden:
kochen
Turm
Schindel
Schaufel
Kampf
Schlacht
Hüne
Fackel
schreiben
Pferd
Panzer
...
Quelle: 1. Vossen, Carl: Mutter Latein und ihre Toechter. GFW-Verlag, 1969


_________________
A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
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Taranisa
Geschlecht:weiblichBücherwurm

Alter: 54
Beiträge: 3227
Wohnort: Frankenberg/Eder


Beitrag31.12.2023 17:14

von Taranisa
Antworten mit Zitat

Als Windauge / Window kenne ich nur die Öffnung über der Feuerstelle in noch älterer Zeit. Ich nutze keine Wörter in meinem Setting, die modern klingen, verständlich muss es schon bleiben. "Dame" oder "Soldat" nehme ich nicht, da später entstanden, das Wort "Fenster" ist für mich in Ordnung, um den Lesefluss geschmeidig zu halten. Wichtiger ist mir in solchen Fällen die Geschichte.

_________________
Henkersweib, Burgenwelt Verlag, ET 12/18
Die Ehre des Henkersweibs, Burgenwelt Verlag, ET 12/20
Spielweib, Burgenwelt Verlag, ET 12/21
Das Gegengift des Henkersweibs, Burgenwelt Verlag, ET 11/22
Der Stab der Seherin, Burgenwelt Verlag, Herbst 2024
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Willebroer
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5448
Wohnort: OWL


Beitrag31.12.2023 17:26
Re: Settinggerechte Sprache ohne Latinismen?
von Willebroer
Antworten mit Zitat

Um gleich auf die Gretchen-Frage zu kommen:
Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:

Konsequenz im Setting vor Lesefluss und von "Windaug" oder "Augentor" sprechen, nebst obligatorischem Glossareintrag?

Gegen kreative Wortneuschöpfungen ist ja nichts einzuwenden, aber das ist auch nichts Besonderes, sie geben der Welt und den Leuten ihre eigene Färbung.
Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:

Oder das "Fenster" behalten und die Konsequenz im Worldbuilding dem Lesefluss des nicht altgermanistisch vorgebildeten Publikums opfern?

Wenn du das konsequent weitertreiben willst, dann mußt du die ganze Geschichte in einer Art fiktivem Mittelhochdeutsch abfassen (oder was es sonst damals noch gab). Wie viele Leser könnten da noch mithalten?

Du willst doch eigentlich in deiner heutigen Sprache als eine Art Übersetzer das fiktive Geschehen in einer fiktiven Welt für heutige Leser verständlich machen. Dazu kann man Akzente setzen und moderne Formulierungen vermeiden - aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten!

Davon abgesehen, ist es gar nicht möglich, bei wirklich allen Wörtern eindeutig zu entscheiden, woher sie stammen und ob sie auf den Index gehören. Außerdem wandern Lehnwörter nicht nur in eine Richtung. Auch die Römer haben Wörter von anderen übernommen. Es dürfte sogar Begriffe geben, die nur rein zufällig gleich klingen und dasselbe bedeuten. Oder die zwar übernommen wurden, aber ihre Bedeutung geändert haben.
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Soleatus
Reißwolf


Beiträge: 1001



Beitrag31.12.2023 18:15

von Soleatus
Antworten mit Zitat

Hallo Hugin!

Irgendwo muss eine Grenze sein – du hast ja auch eine gezogen, als du dich entschlossen hast, den Wortschatz zu "entlatinisieren", den Satzbau zum Beispiel aber nicht (jedenfalls hast du es nicht erwähnt); das heutige Nebensatz-System ist doch, wenn ich mich recht erinnere, nach lateinischem Beispiel gestaltet (bzw. im Bemühen um die Übersetzung lateinischer Texte entstanden)?! Auch unsere Zeiten sind den lateinischen nachgebaut, und immer so weiter ...

Frag halt deine Testleser anhand des tatsächlichen Textes, und wenn die nicht aufs Fenster verzichten wollen, dann solltest du es vermutlich drinlassen.

Gruß,

Soleatus
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RaiBruHerte
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 306
Wohnort: Rheinf


Beitrag31.12.2023 19:23

von RaiBruHerte
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Es ist wirklich eine reizvolle Idee, auf römische/christliche Einflüsse in "deiner" erzählten Zeitepoche zu verzichten. Bei Sprache und Religion ist es mit Weglassen des alten Begriffes (Fenster) und Verwendung des alten, damals aus der Mode gekommenen Begriffs (Windouge) nicht getan; das Weglassen/Ersetzen der Götter könnte klappen, denn darin ist der Mensch geübt. Bei der Baukunst werden in der Vorromantik (ca 750 n Chr) durch einen "Entwicklungsprozess von Aneignung und Umformung der antiken Formenwelt " neue Baustile hervorgebracht- aber basierend auf römisch/griechisch Erbe.
Beim Römischen Recht gilt ähnliches, wobei es im Frühmittelalter fast in Vergssenheit geriet.
Vergessen wir nicht die Römische Heilkunde, gerade die Heilkunde im Mittelalter berief sich oft auf Römer bzw Griechen. Pedanios Dioskurides
Selbst das germanische Stammesrecht wurde nach und nach vom römischen Einfluss durchdrungen. Wo setzt man den Rotstift an und "tilgt" also Römer,Griechen und Christliche Religion?
Aber ich will dich nicht entmutigen.
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Maunzilla
Exposéadler


Beiträge: 2840



Beitrag31.12.2023 19:26

von Maunzilla
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Ich denke, man sollte zwischen der Sprache des Erzählers und jener der Figuren unterscheiden. Bei letzteren magst du die germanischen Wörter verwenden, bei ersteren die gebräuchlichen Neudeutschen. Ansonsten wird es für den Leser schwer verständlich und wirkt auch sehr gekünstelt. Im Zweifel würde ich grundsätzlich stets der Lesbarkeit und Verständlichkeit des Textes den Vorzug geben.
Wenn in deiner Geschichte ein Ungar oder Chinese auftauchte, würdest du ihn wohl auch kaum sämtliche Dialoge in seiner Muttersprache halten lassen und die Leser müßten dann selber schauen, wie sie sich einen Reim darauf machten.


_________________
"Im Internet weiß keiner, daß du eine Katze bist." =^.^=
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Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag31.12.2023 19:32

von Hugin_Hrabnaz
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Arminius hat Folgendes geschrieben:
Dein Anspruch ist hoch. Wenn Du ihn konsequent einhalten wolltest, dürftest Du auch diese (und andere) lateinischen Lehnwörter nicht verwenden:

Danke dir für das Feedback.

Auf jeden Fall bedenkenswert, da der lateinische Einfluss natürlich sehr tief geht. Dahingehend auch erwägenswert, dass die letzte Konsequenz des Ansatzes sicherlich nicht leistbar ist, ohne Stringenz und Lesbarkeit einzubüßen, und man vielleicht so weit wie möglich geht, ohne dass es sich "komisch" anfühlt. Daher ist "Fenster" für mich auch ein Grenzfall, da halt auch für Triviallateiner noch halbwegs offensichtlich lateinisch entlehnt.

Bei einigen Worten aus deiner Liste teile ich deine Meinung daher auch zu 100%, bei einigen meine ich durchaus (recherchebasiert) sagen zu können, dass es eine protogermanische und ohnehin eine indogermanische Wurzel gibt, aus welcher die Worte stammen, die mithin schon passend wären.

Hier kurz zu den Beispielen:

kochen => hier benutze ich tatsächlich "sieden"
Turm => richtig, von lat. turris; schwierig.
Schindel => protogerm. *skidam => Scheit
Schaufel => ahd. skuvala, protogerm. *skuflo; daneben Schippe, Spaten
Kampf => richtig; Alternativen: Streit, Gefecht, Krieg,
Schlacht => ahd. slahta, mhd. slaht, protogerm. *slahtiz
Hüne => Jöte, Thurs, Riese, Thurisaz, Ettin
Fackel => richtig
schreiben => richtig
Pferd => richtig, wobei das germanische *ehwaz und das lateinische equus, ja ohnehin bereits eng verwandt sind
Panzer => Schild, Schirm, germ. *skelduz, *skermiz


Quelle:
Köbler, Gerhard, Germanisches Wörterbuch, (5. Auflage) 2014
https://www.koeblergerhard.de/germwbhinw.html
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Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1239
Wohnort: An der Elbe


Beitrag31.12.2023 20:45

von Arminius
Antworten mit Zitat

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
bei einigen meine ich durchaus (recherchebasiert) sagen zu können, dass es eine protogermanische und ohnehin eine indogermanische Wurzel gibt

Die findest Du bei den meisten Wörtern fast aller europäischer Sprachen Wink
Ich stehe vor einer ganz ähnlichen Herausforderung. Einerseits will ich Latinismen weitestgehend vermeiden, andererseits möchte ich nicht so weit gehen, dass das Lesen zur Qual wird.
Guten Rutsch und viel Erfolg!
Arminius


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Epiker
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 29
Beiträge: 289
Wohnort: Österreich


Beitrag31.12.2023 21:54

von Epiker
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Du schreibst einen Unterhaltungsroman, keine wissenschaftliche Abhandlung.

Bedenke das in deinem Tun. Deine Entscheidung auf Latinismen zu verzichten soll der erzählten Welt mehr Gehalt und Einzigartigkeit und dem Leser mehr Unterhaltungswert geben, weil sie sich so tatsächlich anders und mehr interessant anfühlt, als "bloß" echtes Mittelalter.

Demnach ist deine Richtschnur immer die Spaßgrenze des Lesers, bis wohin ist diese Praxis noch charmant und für die Geschichte mehrwertbietend und ab wann wächst es sich zu intellektueller Pseudowissenschaft aus, die die eigentlich erzählte Geschichte ein Stück verdrängt, ja sogar hemmt? Wäge klug ab.


_________________
Aber der Mensch entwirft, und Zeus vollendet es anders!

-Homer-

(Dieses Zitat dürfte so manchem Schriftsteller mehr als einmal passiert sein Wink )
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Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag01.01.2024 06:31

von Hugin_Hrabnaz
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Nochmals vielen Dank an alle für das vielseitige Feedback.

Zu einigen Anmerkungen möchte ich kurz replizieren:

Taranisa hat Folgendes geschrieben:
Als Windauge / Window kenne ich nur die Öffnung über der Feuerstelle in noch älterer Zeit. Ich nutze keine Wörter in meinem Setting, die modern klingen, verständlich muss es schon bleiben. "Dame" oder "Soldat" nehme ich nicht, da später entstanden, das Wort "Fenster" ist für mich in Ordnung, um den Lesefluss geschmeidig zu halten. Wichtiger ist mir in solchen Fällen die Geschichte.


Keine Frage, "Fenster" ist natürlich in Ordnung, es steht bisher auch so im Skript. "Dame" kommt nicht vor, da das ständische Konzept nicht in dem Maße entwickelt ist. "Soldat" nutze ich bisher, da ich die Strukturierung und Institutionalisierung der Truppen in einem stärkeren Maße gegeben sehe als im stärker tribalistischen Frühmittelalter. Man kann also teilweise schon von einer Armee sprechen, so dass es eben nicht bei allen Fraktionen "Stammeskrieger" sind. Der Begriff "Soldat" ist neben dem "Fenster" einer der für mich noch nicht entschiedenen. Aber klar, Prämisse ist, dass die Story und der Fluss nicht unter linguistischen Eitelkeiten leiden soll, und dass es völlige Konsequenz nicht geben kann.



Willebroer hat Folgendes geschrieben:

Wenn du das konsequent weitertreiben willst, dann mußt du die ganze Geschichte in einer Art fiktivem Mittelhochdeutsch abfassen (oder was es sonst damals noch gab). Wie viele Leser könnten da noch mithalten?

[...]

Du willst doch eigentlich in deiner heutigen Sprache als eine Art Übersetzer das fiktive Geschehen in einer fiktiven Welt für heutige Leser verständlich machen. Dazu kann man Akzente setzen und moderne Formulierungen vermeiden - aber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten!

Ja, genau darum geht es, da hast du völlig recht.

Konsequent wäre in dem Falle rekonstruiertes Protogermanisch, und vermutlich kann niemand einen Roman in dieser Sprache schreiben oder lesen, weil sie ja zu 95% aus Annahmen besteht. Die von dir angesprochenen Akzente versuche ich dadurch zu setzen, dass die liturgische Sprache eben jenes rekonstruierte Protogermanisch ist und damit die Funktion des (Kirchen-)Lateins im realen Mittelalter übernimmt, damit aber weder Erzählsprache ist, noch die reguläre Dialogsprache, sondern halt nur auftaucht, wenn etwa ein Priester ein Gebet spricht, oder eine Grußformel.

Willebroer hat Folgendes geschrieben:

Davon abgesehen, ist es gar nicht möglich, bei wirklich allen Wörtern eindeutig zu entscheiden, woher sie stammen und ob sie auf den Index gehören. Außerdem wandern Lehnwörter nicht nur in eine Richtung. Auch die Römer haben Wörter von anderen übernommen. Es dürfte sogar Begriffe geben, die nur rein zufällig gleich klingen und dasselbe bedeuten. Oder die zwar übernommen wurden, aber ihre Bedeutung geändert haben.

Auch hier stimme ich dir zu. "Fenster" und "Soldat" sind halt deswegen spannende Wortbeispiele, weil das eben Wörter sind, bei denen noch relativ viele Leser mit humanistischer Vorbildung recht genau wissen, dass es lateinische Lehnwörter sind, so dass ich an denen etwas grüble. Es sind halt auch die einzigen wesentlichen Wörter, bei denen ich mich bisher nicht entscheiden konnte, ob sie stehen oder fallen sollen. "Leib" statt "Körper" zu schreiben, ist eine einfache Entscheidung, da für jeden ohne Weiteres verständlich und gewollt etwas archaischer, ohne dabei gestelzt zu wirken. "Krieger" statt "Soldat" verändert die Bedeutung ein kleines bisschen, und "Windaug(e)" statt "Fenster" erfordert halt die Etablierung eines nicht gebräuchlichen Wortes und ist mithin der schärfste Einschnitt ins etablierte Sprachsystem. Das ist auch der Grund, warum ich mich hier nach euren Sichtweisen erkundige.


Soleatus hat Folgendes geschrieben:
Hallo Hugin!

Irgendwo muss eine Grenze sein – du hast ja auch eine gezogen, als du dich entschlossen hast, den Wortschatz zu "entlatinisieren", den Satzbau zum Beispiel aber nicht (jedenfalls hast du es nicht erwähnt); das heutige Nebensatz-System ist doch, wenn ich mich recht erinnere, nach lateinischem Beispiel gestaltet (bzw. im Bemühen um die Übersetzung lateinischer Texte entstanden)?! Auch unsere Zeiten sind den lateinischen nachgebaut, und immer so weiter ...

Frag halt deine Testleser anhand des tatsächlichen Textes, und wenn die nicht aufs Fenster verzichten wollen, dann solltest du es vermutlich drinlassen.

Gruß,

Soleatus


Die Testleser sind im Boot, und mit der bisherigen Form der gewählten Sprache kommen sie glücklicherweise sehr gut klar. Das Thema des "Windauges" haben wir diskutiert, und sind noch nicht schlüssig.

Was den Versuch der Ersetzung der Latinismen angeht, ist für mich tatsächlich nur der Wortschatz relevant, nicht die Grammatik und/oder der Satzbau. Der Grund ist recht einfach: Natürlich ist nicht zu leugnen, dass das Latein einen Einfluss auch auf die Grammatik der germanischen Sprachen hatte. Doch das ist natürlich in erster Linie auch Folge einer Diversifikation der Kultur, die mehr sprachliche Varianz erforderlich machte. Das Vorbild des Latein machte es leichter, sich hier fortzuentwickeln, doch auch wenn dieser kulturelle Austausch nicht stattgefunden hätte, wäre die Sprachentwicklung mit der kulturellen Entwicklung irgendwohin fortgeschritten. Irgendwann wäre man auch ohne die Römer auf die Idee gekommen, mit Fenstern zu bauen, hätte sie aber vermutlich anders genannt. Ebenso wäre man irgendwann auch ohne die Römer auf die Idee gekommen, dass man eine Vorvergangenheit braucht, um komplexere historische Abläufe niederzuschreiben. Sie hätte dann sicherlich nicht Plusquamperfekt geheißen, und wie man sie genau gebildet hätte, wissen wir nicht. Das kann ich ganz gut hinnehmen, weil es sicher nicht zielführend wäre, für den kompletten Fließtext und Dialog, eine eigene Sprache zu erschaffen. Das will ich auch gar nicht.

Am Ende versuche ich halt, Wörter nach Möglichkeit zu vermeiden, die historisch und linguistisch halbwegs interessierte Leser nahezu zwangsläufig mit dem römischen Kulturkreis assoziieren. "Mauer" wäre ein weiteres Beispiel. Steht bisher im Skript. Ob ich es so lassen will, ist eben die Frage, weil es halt schon sehr offensichtlich lateinisch ist ("murus"). Smile

Andererseits sagt Arminius hier etwas sehr Richtiges:

Arminius hat Folgendes geschrieben:

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
bei einigen meine ich durchaus (recherchebasiert) sagen zu können, dass es eine protogermanische und ohnehin eine indogermanische Wurzel gibt

Die findest Du bei den meisten Wörtern fast aller europäischer Sprachen Wink
Ich stehe vor einer ganz ähnlichen Herausforderung. Einerseits will ich Latinismen weitestgehend vermeiden, andererseits möchte ich nicht so weit gehen, dass das Lesen zur Qual wird.
Guten Rutsch und viel Erfolg!
Arminius


Logisch (daher das "ohnehin"), die indogermanische Wurzel ist nahezu allen europäischen Sprachen gemeinsam (außer denen der Basken, Finnen, Sami und Ungarn), also auch und insbesondere sowohl dem Latein als auch dem Urgermanischen, und so ist ein allzu scharfes Skalpell zur Abgrenzung wohl tatsächlich nicht nötig. Denn ob eine indogermanische Wurzel über den Umweg über Rom in die altgermanische Sprache findet, oder direkt, ist ja ganz am Ende nicht so unfassbar essentiell für eine fiktive Story.



Und zu guter Letzt:

Epiker hat Folgendes geschrieben:

Du schreibst einen Unterhaltungsroman, keine wissenschaftliche Abhandlung.

Bedenke das in deinem Tun. Deine Entscheidung auf Latinismen zu verzichten soll der erzählten Welt mehr Gehalt und Einzigartigkeit und dem Leser mehr Unterhaltungswert geben, weil sie sich so tatsächlich anders und mehr interessant anfühlt, als "bloß" echtes Mittelalter.

Demnach ist deine Richtschnur immer die Spaßgrenze des Lesers, bis wohin ist diese Praxis noch charmant und für die Geschichte mehrwertbietend und ab wann wächst es sich zu intellektueller Pseudowissenschaft aus, die die eigentlich erzählte Geschichte ein Stück verdrängt, ja sogar hemmt? Wäge klug ab.

Die Frage ist in der Tat genau jene, die mich umtreibt, und deswegen freue ich mich auch sehr über euren Input. Die Abwägung muss ich in der Tat bei jedem "strittigen" Wort für mich treffen, und die Richtschnur bezeichnest du an sich sehr gut, mit der "Spaßgrenze" des Lesers. Deshalb, wie gesagt, sind viele Ersetzungen und Synonyme für mich flüssig und unproblematisch; bei ein paar davon rattert es heftiger im Oberstübchen, und dafür scanne ich hier ein wenig eure Sichtweisen.

Noch habe ich es nicht entschieden. Wie auch einige Kommentare es sagen, kann ich mich dem anschließen, dass ein "Windauge" durchaus ein bisschen charmant ist, aber es ist auf jeden Fall auch ein kleiner Stolperstein. Ob es sich dadurch fördernd oder eher hemmend auf Setting und Story auswirkt, muss ich noch ermitteln. Werde mir die Szenen mal unter dem Gesichtspunkt nochmal anschauen, und ihre Wirkung mit dem einen oder dem anderen Wort vergleichen.



Nochmals vielen lieben Dank an alle für die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema und für eure Meinungen. Es ist viel Bedenkenswertes dabei, und das hilft auf jeden Fall.
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Hugin_Hrabnaz
Geschlecht:männlich(N)Ich-Erzähler

Alter: 48
Beiträge: 248
Wohnort: Ulm


Beitrag01.01.2024 07:52

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

RaiBruHerte hat Folgendes geschrieben:
Es ist wirklich eine reizvolle Idee, auf römische/christliche Einflüsse in "deiner" erzählten Zeitepoche zu verzichten. Bei Sprache und Religion ist es mit Weglassen des alten Begriffes (Fenster) und Verwendung des alten, damals aus der Mode gekommenen Begriffs (Windouge) nicht getan; das Weglassen/Ersetzen der Götter könnte klappen, denn darin ist der Mensch geübt. Bei der Baukunst werden in der Vorromantik (ca 750 n Chr) durch einen "Entwicklungsprozess von Aneignung und Umformung der antiken Formenwelt " neue Baustile hervorgebracht- aber basierend auf römisch/griechisch Erbe.
Beim Römischen Recht gilt ähnliches, wobei es im Frühmittelalter fast in Vergssenheit geriet.
Vergessen wir nicht die Römische Heilkunde, gerade die Heilkunde im Mittelalter berief sich oft auf Römer bzw Griechen. Pedanios Dioskurides
Selbst das germanische Stammesrecht wurde nach und nach vom römischen Einfluss durchdrungen. Wo setzt man den Rotstift an und "tilgt" also Römer,Griechen und Christliche Religion?
Aber ich will dich nicht entmutigen.

Keine Sorge, eine Entmutigung ist nicht zu befürchten. Deine geäußerten Argumente sind absolut valide, wobei ich nicht denke, dass ich mit den angesprochenen Punkten größere Probleme habe.

Es ist nämlich nicht wirklich ein Tilgen der Römer, Griechen oder Christen aus einer existierenden historischen Zeitepoche, das ich beabsichtigen würde, sondern letztlich ist und bleibt es eine durch und durch fiktive Welt, deren inspirativer kultureller Quell und mythologischer Hintergrund zwar zuvorderst die Völuspá, die Merseburger Zaubersprüche, Hávamál, der Codex Regius und die Snorra Edda sind, dazu Tacitus (ja, Römer) und auch modernere Werke (Sachbücher) mit neopaganem Hintergrund, die aber gleichwohl "irgendwo am Weltenbaum" ist und nicht in "Europa nördlich der Alpen", wo man sich vor den Römern sehr gut verstecken hätte müssen, um von ihnen unbeeinflusst zu bleiben. Es gibt einfach keine Römer. Stell dir vor, du bringst einen germanischen Stamm aus der Zeit vor der Völkerwanderung und vor jeglicher Christianisierung, sagen wir aus der Gegend der Elbmündung von ca. anno 100 v. Chr., auf einen unbewohnten Kontinent oder auf einen M-Klasse-Planeten im Delta-Quadranten, der klimatisch und in Sachen Ressourcen etc... seiner alten Heimat ähnelt und ihm ermöglicht, sich von den anderen Völkern der alten Heimat unbeeinflusst zu entwickeln. Letztlich bist du völlig frei darin, ob er irgendwann ein Rechtssystem entwickelt, das eher dem römischen, dem altgermanischen oder dem konfuzianischen Modell entspricht, man versucht halt, so gut es geht, es logisch aus dessen Traditionen herzuleiten, oder zumindest grobe Verstöße gegen die Logik erwartbarer Entwicklungen zu vermeiden. Desgleichen gilt für die Architektur: Irgendwann wird er vom altgermanischen Langhausstil zu anderen Dingen übergehen (Steinbauten, Burgen, vielleicht Säulen, vielleicht Pagoden usw...). Die Medizin hat ab initio eine schamanische Tradition. Irgendwann werden sie aber naturwissenschaftliche Erkenntnisse über Körper, über Verletzungen, über Krankheiten sammeln, wie es die Griechen, Römer, Perser irgendwann taten, und daraus ihre Schlüsse ziehen, die dann folgerichtig ählich sein werden, wie jene real existenter Kulturen, weil sie eine naturwissenschaftliche Basis haben.

Letztlich ist das Projekt eine Fantasy-Hypothese, wie eine protogermanische Zivilisation sich über die nächsten knapp 1200 Jahre entwickelt haben könnte. Diese Entwicklung darf sehr gerne Parallelen zu den Entwicklungen der Griechen, Römer, Türken, Chinesen aufweisen, wie es eben in der kulturellen Entwicklung vieler Völker Parallelen gibt, obwohl diese Völker keinen direkten Kontakt hatten. Das ist für mich kein Problem. Was ich halt vermeiden möchte, sind wesentliche und prägende Kulturmerkmale, die der Leser unweigerlich als eben TYPISCH römisch, griechisch, christlich etc... identifiziert, weil ich das ein Stück weit unpassend fände. So wird ein Gode eben keine Hostien verteilen, ein Soldat keine römische Rüstung tragen, ein Trupp nicht als Phalanx marschieren, ein Tempel keine dorischen Säulen haben. Dass man ein Windauge mit Glas verschließen kann, haben sie aber auch ohne die Römer irgendwann gelernt. Daher kommt die hier gestellte Frage, ob sie es dann Fenster nennen würden, oder weiterhin Windauge.

Mir ist dabei durchaus bewusst, dass der allergrößte Teil der überlieferten altgermanischen und altnordischen Mythen bereits unter römischem und/oder christlichem Einfluss niedergeschrieben wurde, gleichwohl lässt sich in vielen Bereichen schon sehr deutlich sagen, welche Teile der Überlieferungen vorchristliche bzw. nichtchristliche Wurzeln haben, und was nicht. Vieles hat ja auch noch ältere Wurzeln und Bezüge in die indogermanische Zeit, die sich bis in Sanskrit-Texte zurückverfolgen lassen, und eben Entsprechungen in keltischen, slawischen, indischen, persischen, römischen, griechischen Mythen haben. Die Abkoppelung des Glaubenssystems dieser Welt vom Einfluss der abrahamitischen Religionen ist auf dieser Basis recht gut machbar, finde ich. Aber das ist nun ein ganz anderes Thema, mir ging es hier schon primär um die Sprache.

Auch dir vielen Dank für das Feedback. Ich nehme deine Zeilen sehr ernst und reflektiere darüber auch, aber ich sehe wirklich nicht die Notwendigkeit, alles zu tilgen, was irgendwie später von den Römern oder Griechen oder Christen kam. Das Bestreben ist letztlich einfach, durch die Art der verwendeten Sprache eine Stimmung zu erzeugen, welche diese Gesellschaft sprachlich und religiös als eine aus jungsteinzeitlichen oder bronzezeitlichen protogermanischen Wurzeln entstandene und auf ein zivilisatorisches Niveau des Hochmittelalters weiterentwickelte ausweist, und daher strebe ich eine Sprachform an, welche diese hypothetische kulturelle Entwicklung unterstreicht. Die Protagonistin kann keinen Marathon laufen, weil niemand dort weiß, wo und was Marathon ist. Wenn sie läuft, dann läuft sie halt eine sehr lange Strecke, oder zweimal den Weg von der Küste zum Schwarzen Berg. Und sie geht nicht im März auf Reisen, sondern im Lenz, im Lenting, oder im Frühjahr, weil halt der Gott Mars dort nicht existiert, oder eben Tiwaz heißt.

Das alles soll und muss dem Leser gar nicht ausgebreitet werden, das läuft im Hintergrund, aber ich denke halt, dass es ein schlüssiges Rückgrat geben muss, für den Schreiber, auf das er die Erzählungen stützen kann. Am "Frontend" sollen diese Erwägungen nur dazu führen, dass ein kohärentes Feeling von dem Szenario ausgeht.

Addendum:
Diese Zivilisation ist im Übrigen nicht ohne Kontakte zu anderen Kulturen, doch diese haben eher eine Ähnlichkeit mit arktischen und subarktischen, teils nomadischen Völkern wie den Sami oder den Inuit.
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Arminius
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Beitrag01.01.2024 11:38

von Arminius
Antworten mit Zitat

In diesem Zusammenhang sollte nicht vergessen werden, dass etliche Verlage im Exposé die Frage nach der Zielgruppe beantwortet haben wollen. Erscheint diese wegen einer mutmaßlich zu akademischen Schreibe eingeschränkt, könnte die Kosten-Nutzen-Abwägung zu Ungunsten Deines Romans ausfallen. Ferner musst Du u.U. mit einem zähen Disput mit dem Lektorat rechnen (falls das Manuskript angenommen wird).
Sollte Dir eine andere Art der Veröffentlichung vorschweben, spielt das natürlich keine so große Rolle.
Viel Erfolg im Neuen Jahr!
Arminius


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Hugin_Hrabnaz
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Beitrag01.01.2024 14:43

von Hugin_Hrabnaz
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Arminius hat Folgendes geschrieben:

In diesem Zusammenhang sollte nicht vergessen werden, dass etliche Verlage im Exposé die Frage nach der Zielgruppe beantwortet haben wollen. Erscheint diese wegen einer mutmaßlich zu akademischen Schreibe eingeschränkt, könnte die Kosten-Nutzen-Abwägung zu Ungunsten Deines Romans ausfallen. Ferner musst Du u.U. mit einem zähen Disput mit dem Lektorat rechnen (falls das Manuskript angenommen wird).
Sollte Dir eine andere Art der Veröffentlichung vorschweben, spielt das natürlich keine so große Rolle.
Viel Erfolg im Neuen Jahr!
Arminius

Dankeschön!

In der Tat bin ich bisher von einer anderen Art der Veröffentlichung ausgegangen, namentlich von der Eigenproduktion vom Druck bis zum Vertrieb. Bin ein alter Underground-Romantiker und auch im Musikbereich großer Freund der Eigenpressungen ohne Label und Distro. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja doch noch anders.

Die Frage nach der Zielgruppe ist gleichwohl spannend, ebenso wie das Bewusstwerden über die Grenzen zu dem, was du eine "zu akademische Schreibe" nennst. Letzteres fürchte ich an sich nicht allzu sehr, denn ich glaube schon, dass sich das Ganze recht flüssig liest, jedenfalls ist das Feedback der doch recht divers ausgewählten Mitleser entsprechend, und ich lege schon sehr viel Wert darauf, dass auch die Spielereien mit Sprache, die ich tatsächlich gerne betreibe (auch bei meinem Output im journalistischen Bereich), nachvollziehbar bleiben, ohne dass man Sekundärliteratur dafür braucht. Es ist sicher nicht die Absicht, Leser zu überfordern, oder ihnen Dinge abzuverlangen, die das Lesevergnügen hemmen. Aber ja, man muss vorsichtig sein, und dafür dient nicht zuletzt dieser Thread.

Was ich allerdings schon zugeben muss, das ist, dass meine Herzenszielgruppe gerne auch einen gewissen Nerdismus mitbringen darf, speziell für Altgermanistik und Heidentum. Nicht, weil man es nicht lesen oder verstehen könnte, wenn man die nicht mitbringt, aber weil das Ding halt schon ein paar Details hat, an denen man vielleicht eine besondere Freude hat, wenn man ihre sprachliche Herleitung oder die Eddas kennt erahnt. Es geht aber nicht zu Lasten des Verständnisses der Story, wenn man die Voraussetzung nicht erfüllt, denn ich erkläre die Zusammenhänge schon innerhalb der Handlung auch für jene, die das nicht wissen. Das ist ein bisschen wie mit den Easter Eggs bei Star Trek. Wenn man weiß, dass der Manschettenknopf des neuen Captains der gleiche ist, wie der von Kirk in "Der Zorn des Khan", dann schmunzelt man als Nerd, wenn man es nicht mitkriegt, hat man aber auch nichts verloren. So ähnliche Dinge mache ich manchmal. Wenn man das Harbardslied der älteren Edda kennt, und die Lautverschiebungen zwischen Protogermanisch und Altnordisch, sowie zwischen Protogermanisch und (Alt-)Hochdeutsch, dann kann man sich vielleicht erschließen, warum eine bestimmte Figur so heißt, wie sie heißt. Kennt man diese Hintergründe nicht, hat man nicht viel verloren und findet halt einen Namen, der dem Sprachsystem entspricht. Die Story bleibt letztlich genau dieselbe. Einen Mikro-Hinweis weniger hat man vielleicht, betreffend gewisse innere Zusammenhänge, aber dafür einen ebenso kleinen Mikro-Hauch mehr Spannung und Überraschung, wenn die Auflösung kommt, wer die Person wirklich ist. Aber das sind Details, die meiner Meinung nach nicht zu einer sonderlich akademischen Schreibe führen. Solche kleinen versteckten Dinger möchte ich aber auch so haben, weil ich mich selber über solche Sachen auch immer sehr freue, wenn sie mir als Leser begegnen.


Arminius hat Folgendes geschrieben:

Ich stehe vor einer ganz ähnlichen Herausforderung. Einerseits will ich Latinismen weitestgehend vermeiden, andererseits möchte ich nicht so weit gehen, dass das Lesen zur Qual wird.

Dazu habe ich noch gar nichts geschrieben.

Finde ich sehr spannend, dass du hier ein ähnliches Ansinnen zu verfolgen scheinst und dich vor einer ähnlichen Herausforderung siehst. Sollte das Ergebnis dieser Herausforderung irgendwann, irgendwo zu lesen sein, würde ich mir das gerne anschauen. Wäre gespannt zu sehen, welchen Effekt du mit diesem Stilmittel zu erreichen versuchst und wie genau du es einsetzt.

Es ist natürlich völlig klar, dass niemals das Lesen zur Qual werden darf und eine natürliche, geschmeidig lesbare Sprachwahl auch dann  wichtig ist, wenn man seinen Nerdismus ein wenig ausleben will. Das ist mir auch selbst wichtig, und genau das war für mich ja auch letztlich der Grund, diesen Thread zu starten, weil ich hören wollte, wo ihr bei solchen Stilmitteln für euch die Grenzen ziehen würdet, und das Feedback ist rundum interessant. Vor allem freut mich als Forenneuling die sehr rege Beteiligung und euer ausführliches Feedback.

Unterm Strich nehme ich für den Moment mit, dass ich gewisse Latinismen tatsächlich belassen werde müssen, darunter auch ein paar offensichtlichere, um im Fließtext nicht "komisch" zu werden. Neben dem "Fenster" sind das vor allem der "Soldat" und - noch häufiger, da ein zentraler Ort der Handlung, der "Tempel".

Natürlich können wir für alle drei Begriffe einen etymologisch germanischen Terminus finden:

Fenster => wie gehabt: Windauge, Windaug, Augentor
Soldat => Krieger, Harja (Heerer), Recke, Landsknecht, Landser
Tempel => Hof, Godenhof, heilige Stätte, heiliger Hain

Gerade "Hof" benutze ich auch in einer feststehenden Wendung für einen ganz bestimmten Tempel, aber als Generikum für alle Tempel der Geschichte möchte ich an sich nicht auf das Wort "Tempel" verzichten, da ein Hof per se eben auch Dinge wie einen Innenhof, einen Fürstenhof usw... bezeichnen kann.

Die Synonyme für "Soldat" kann man hier und da alle mal verwenden, wenn es passend erscheint, aber auch hier: Es gibt eben zwei Fürstenhäuser, die tatsächlich etwas wie eine "Truppe" im modernen Sinn haben, mit Befehlshierarchie, Uniform etc..., und das darf und soll man dann eben auch Soldat nennen, denke ich. Andere Fraktionen haben eher Krieger, da eher ein Sippenverband gemeinsam eine entsprechende Unternehmung startet. Da gibt es dann eben einen Unterschied zwischen der Organisation, dem Vorgehen und dem Status der Waffenträger der Fraktion A und der Fraktion B, und das wird dann durch "Soldat" vs. "Krieger" deutlich.

Bleibt das threadursächliche "Fenster". Hab mal nachgeschaut: Bisher kommt der Begriff knapp 30x im Text vor. Ihn komplett durch "Windauge" zu ersetzen, scheint mir in der Tat too much. Mit "Priester" habe ich es so gemacht, und den Begriff komplett durch "Gode", oder davon hergeleitete Anreden ersetzt, da ich den Begriff sowieso brauche, denn der Gode ist ja ein existierender und fester Begriff für einen Priester im germanischen Heidentum, da schien es mir dann inkonsequent zwischen Gode und Priester hin und her zu wechseln, so dass ich mich für das erstere entschieden habe.


Danke nochmals, und auch euch allen ein gutes Neues Jahr 2024!
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Arminius
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Beitrag01.01.2024 15:45

von Arminius
Antworten mit Zitat

Hugin_Hrabnaz hat Folgendes geschrieben:
Sollte das Ergebnis dieser Herausforderung irgendwann, irgendwo zu lesen sein, würde ich mir das gerne anschauen. Wäre gespannt zu sehen, welchen Effekt du mit diesem Stilmittel zu erreichen versuchst und wie genau du es einsetzt.

Teile davon habe ich im Forum zur Diskussion gestellt.
Meine Geschichte beginnt in Germanien kurz vor der römischen Okkupation. Die Menschen dort sprechen zwar Deutsch (alles andere wäre Quatsch), aber ich achte sehr darauf, dass sie keine offensichtlichen Latinismen verwenden. Das Wort Fenster kommt nicht vor, da die Häuser der damaligen Zeit ohnehin keine besaßen.
Erst durch den Kontakt mit den Römern, oder wenn sich das Geschehen auf dem Boden des römischen Reichs abspielt, ist auch mal von Mauern, Kellern, Ziegeln oder vom Fenster die Rede.
Deine Herausforderung schätze ich als größer ein, da Du Deine Geschichte in einer fiktiven Gesellschaft ansiedelst. Aber Parallelen sehe ich schon.


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