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Wolf Wegners Wahn vom langen Leben


 
 
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Federfuchser
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Beitrag03.11.2022 17:42
Wolf Wegners Wahn vom langen Leben
von Federfuchser
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Der steinige Weg

1
Die Tür geht auf, Dr. Engelmacher weht herein, wie immer gut gelaunt, wie immer auf leisen Sohlen, wie immer mit weißem Kittel, weißen Socken und Sandalen.
„Wolf, alter Freund, was machst du bloß für Sachen!“, dröhnt er jovial und gibt seinem alten Freund Wolf Wegner die Hand. Die Hand ist trocken, etwas kühl, und groß.
Als er Wegners zerknirschte Miene sieht, wird Engelmacher euphorisch. „Aber, aber! Zur Panik besteht überhaupt kein Anlass, mein Lieber! Das wird schon wieder! Du bekommst gleich Sauerstoff, und dann fühlst du dich wie neugeboren! Setz dich doch!“
Des Doktors lärmende Fröhlichkeit ist nicht jedermanns Sache, aber er bringt es auf diese Weise immerhin fertig, dass mancher seiner Patientinnen und Patienten wenn nicht geheilt, so doch immerhin – wenn auch nur für kurze Zeit – zumindest getröstet sein Sprechzimmer verlässt.
„War das ein Hörsturz?“, fragt Wegner vorsichtig.
Engelmachers aufgesetzte Heiterkeit ist mit einem Mal wie weggewischt. Er kann es ums Verrecken nicht ausstehen, wenn der Patient die Diagnose stellt. Er sieht seinen Freund missmutig an.
„Diesen Ausdruck kenne ich nicht.“
„Was war es dann?“
„Wahrscheinlich eine Thrombose infolge eines Blutgerinnsels im Bereich des linken Hörnervs.“ Der Doktor starrt interessiert auf seinen PC. „Hörst du noch Ohrgeräusche?“
„Kaum noch. Bis auf ein leichtes Schnirgeln im linken Ohr sind sie weg.“
Engelmacher reibt sich vergnügt die Hände. „Sehr gut! Sagtest du nicht, du hättest an dem Abend mehrere Aspirin eingenommen? Zwei? Drei sogar! Siehst du? Das hat wahrscheinlich Schlimmeres verhindert.“
„Weiß ich ... Also eine Art Infarkt –“
„Habe ich Infarkt gesagt?“ Engelmacher zieht empört die Augenbrauen hoch. „Die Diagnose überlass gefälligst mir! Ich sagte Blutgerinnsel! Das ist ja wohl ein kleiner Unterschied!“
„Entschuldige! Ich wollte –“
Der Doktor winkt ab. „Schon gut!“
Wegner schnappt nach Luft. „Winnifried, was ist mit mir los?“
Engelmacher hat sich wieder in der Gewalt. „Nichts, was Anlass zu ernsthafter Besorgnis geben könnte. Nun ja, da sind einige ... na, sagen wir körperliche Unzulänglichkeiten. Aber wer ist schon ganz gesund. Der eine hat´s hier, der andere da. Schau´n wir doch mal.“ Er dreht den Monitor so, dass Wegner mitlesen kann. „Blutzucker, PKU-Wert normal, kein Hinweis auf einen Entzündungsherd, alles im grünen Bereich. Hm ... Dein Cholesterinspiegel ist allerdings leicht erhöht –“
„Oha!“
„Lass mich ausreden. Aber nur der HDL-Wert, das gute Cholesterin sozusagen, der LDL-Wert ist durchaus tolerabel. Um es volkstümlich auszudrücken: In deinem Falle siegt das Gute über das Böse, hahaha!" Engelmacher lacht, als habe er den Witz des Jahrhunderts gerissen. „Aber dein Blutdruck gefällt mir nicht. Machst du mal bitte den rechten Oberarm frei?“
Engelmacher redet schnell und viel. Er bildet sich ein, eine goldene Zunge zu haben. Seine Kollegen sprechen hinter vorgehaltener Hand da eher von Verbalinkontinenz.
„Fantastisch!“ ruft er und richtet sich wieder auf, „80 zu 140! Leicht erhöht, aber noch kein Grund zu ewiger Besorgnis.“
Er setzt sich und blickt den Patienten mit strahlenden Augen an. „Mit dieser Konstitution kannst du so alt und bemoost wie eine Riesenschildkröte werden! Allerdings, da ist eine Kleinigkeit, die mir Sorgen bereitet.“
Eine Weile blickt er aufmerksam auf den Monitor, dann dreht er ihn noch weiter zu seinem Patienten.
„Komm, schau´n wir uns das doch einmal genauer an. Siehst du diesen Strang? Das ist deine rechte Halsschlagader. Soweit ich sehe, alles frei. Gut, sehr gut! Nun schau´n wir uns jetzt diesen Bereich an, wo sich die Schlagader verzweigt, bevor sie ins Gehirn abtaucht. Erkennst du diesen kleinen weißen Fleck?“ Mit dem stumpfen Ende eines Bleistifts tippt er auf die entsprechende Stelle. „Es handelt sich um eine unbedeutende Verengung des Lumens.“
„Das bedeutet?“
„Zunächst einmal gar nichts. Es ist aber denkbar – nun ja, was heißt das schon, der Mensch denkt sich vieles aus, und dann stimmt´s doch nicht – sagen wir mal so: Es besteht die entfernte Möglichkeit – ich sage ausdrücklich: Entfernte Möglichkeit und nicht: Gewissheit – dass sich eine oder mehrere solcher Verengungen auch in feineren Verästelungen weiter oben befinden.“
„Du meinst im Gehirn?“
„Ja.“
Wegner starrt wie abwesend auf den Monitor. Er kennt Engelmachers gewundene Ausdrucksweise. 'Entfernte Möglichkeit' bedeutet bei ihm: Höchstwahrscheinlich. Er ist nahe daran, die Contenance zu verlieren und stützt sich auf der Schreibtischkante ab.
Engelmacher kommt hinten hoch, ruft: „Wolf, geht´s dir nicht gut?“
„Wieso? ... Doch, doch, es geht schon wieder.“
Der Doktor: „Wie ich schon sagte, zu ewiger Besorgnis besteht kein Grund.“ Er pflegt seine Sprüche mit ausgefallenen Wörtern zu dekorieren. „Aber deine kostbare Gesundheit sollten wir im Auge behalten.“
Wegner sinkt in seinen Stuhl zurück. Auf seinem Gesicht liegt ein seltsamer Schimmer.
F.f



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Willebroer
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Beitrag04.11.2022 23:49
Re: Wolf Wegners Wahn vom langen Leben
von Willebroer
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Federfuchser hat Folgendes geschrieben:

„Fantastisch!“ ruft er und richtet sich wieder auf, „80 zu 140!


Das würde ich umdrehen: 140 zu 80 - so habe ich das in Erinnerung.

Ansonsten läßt mich der Text etwas ratlos zurück. Satire? Wohl nicht.
Ausschnitt aus einem längeren Stück?

Die Szene mit dem Monitor hätte ich etwas konkretisiert: Was für Werte sind da zu lesen? Oder ist es ein Bild?

Wenn Wegner mitliest, dann liest er bestimmt nicht "Blutzucker, PKU-Wert normal, kein Hinweis auf einen Entzündungsherd, alles im grünen Bereich".

Dann gefällt dem Doc der Blutdruck nicht, aber er liest ihn erst hinterher ab und ist dann offenbar überrascht.

Die eigentliche Symptomatik ist mir auch nicht so ganz klar. Absicht? Oder ein früheres Kapitel? Das macht es schwer, Interesse oder gar Spannung aufkommen zu lassen.
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Federfuchser
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Beiträge: 147



F
Beitrag07.11.2022 18:34
Wolf Wegners Wahn vom langen Leben
von Federfuchser
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Der steinige Weg

1
Die Tür geht auf, Dr. Engelmacher weht herein, wie immer gut gelaunt, wie immer auf leisen Sohlen, wie immer mit weißem Kittel, weißen Socken und Sandalen.
„Wolf, alter Freund, was machst du bloß für Sachen!“, dröhnt er jovial und gibt seinem alten Freund Wolf Wegner die Hand. Die Hand ist trocken, etwas kühl, und groß.
Als er Wegners zerknirschte Miene sieht, wird Engelmacher euphorisch. „Aber, aber! Zur Panik besteht überhaupt kein Anlass, mein Lieber! Das wird schon wieder! Du bekommst gleich Sauerstoff, und dann fühlst du dich wie neugeboren! Setz dich doch!“
Des Doktors lärmende Fröhlichkeit ist nicht jedermanns Sache, aber er bringt es auf diese Weise immerhin fertig, dass mancher seiner Patientinnen und Patienten wenn nicht geheilt, so doch immerhin – wenn auch nur für kurze Zeit – zumindest getröstet sein Sprechzimmer verlässt.
„War das ein Hörsturz?“, fragt Wegner vorsichtig.
Engelmachers aufgesetzte Heiterkeit ist mit einem Mal wie weggewischt. Er kann es ums Verrecken nicht ausstehen, wenn der Patient die Diagnose stellt. Er sieht seinen Freund missmutig an.
„Diesen Ausdruck kenne ich nicht.“
„Was war es dann?“
„Wahrscheinlich eine Thrombose infolge eines Blutgerinnsels im Bereich des linken Hörnervs.“ Der Doktor starrt interessiert auf seinen PC. „Hörst du noch Ohrgeräusche?“
„Kaum noch. Bis auf ein leichtes Schnirgeln im linken Ohr sind sie weg.“
Engelmacher reibt sich vergnügt die Hände. „Sehr gut! Sagtest du nicht, du hättest an dem Abend mehrere Aspirin eingenommen? Zwei? Drei sogar! Siehst du? Das hat wahrscheinlich Schlimmeres verhindert.“
„Weiß ich ... Also eine Art Infarkt –“
„Habe ich Infarkt gesagt?“ Engelmacher zieht empört die Augenbrauen hoch. „Die Diagnose überlass gefälligst mir! Ich sagte Blutgerinnsel! Das ist ja wohl ein kleiner Unterschied!“
„Entschuldige! Ich wollte –“
Der Doktor winkt ab. „Schon gut!“
Wegner schnappt nach Luft. „Winnifried, was ist mit mir los?“
Engelmacher hat sich wieder in der Gewalt. „Nichts, was Anlass zu ernsthafter Besorgnis geben könnte. Nun ja, da sind einige ... na, sagen wir körperliche Unzulänglichkeiten. Aber wer ist schon ganz gesund. Der eine hat´s hier, der andere da. Schau´n wir doch mal.“ Er starrt eine Weile auf den Monitor, als sähe er ihn zum ersten Mal. „Blutzucker, PKU-Wert normal, kein Hinweis auf einen Entzündungsherd, alles im grünen Bereich. Hm ... Dein Cholesterinspiegel ist allerdings leicht erhöht –“
„Oha!“
„Lass mich ausreden. Aber nur der HDL-Wert, das gute Cholesterin sozusagen, der LDL-Wert ist durchaus tolerabel. Um es volkstümlich auszudrücken: In deinem Falle siegt das Gute über das Böse, hahaha!" Engelmacher lacht, als habe er den Witz des Jahrhunderts gerissen. „Machst du mal bitte den rechten Oberarm frei?“
„Fantastisch!“ ruft er und richtet sich wieder auf, „140 zu 80! Leicht erhöht, aber noch kein Grund zu ewiger Besorgnis.“
Er setzt sich und blickt den Patienten mit strahlenden Augen an. „Mit dieser Konstitution kannst du so alt und bemoost wie eine Riesenschildkröte werden! Allerdings, da ist eine Kleinigkeit, die mir Sorgen bereitet.“
Eine Weile blickt er aufmerksam auf den Monitor, dann dreht er ihn noch weiter zu seinem Patienten.
„Komm, schau´n wir uns das doch einmal genauer an. Siehst du diesen Strang? Das ist deine rechte Halsschlagader. Soweit ich sehe, alles frei. Gut, sehr gut! Nun schau´n wir uns jetzt diesen Bereich an, wo sich die Schlagader verzweigt, bevor sie ins Gehirn abtaucht. Erkennst du diesen kleinen weißen Fleck?“ Mit dem stumpfen Ende eines Bleistifts tippt er auf die entsprechende Stelle. „Es handelt sich um eine unbedeutende Verengung des Lumens.“
„Das bedeutet?“
„Zunächst einmal gar nichts. Es ist aber denkbar – nun ja, was heißt das schon, der Mensch denkt sich vieles aus, und dann stimmt´s doch nicht – sagen wir mal so: Es besteht die entfernte Möglichkeit – ich sage ausdrücklich: Entfernte Möglichkeit und nicht: Gewissheit – dass sich eine oder mehrere solcher Verengungen auch in feineren Verästelungen weiter oben befinden.“
„Du meinst im Gehirn?“
„Ja.“
Wegner starrt wie abwesend auf den Monitor. Er kennt Engelmachers gewundene Ausdrucksweise. 'Entfernte Möglichkeit' bedeutet bei ihm: Höchstwahrscheinlich. Er ist nahe daran, die Contenance zu verlieren und stützt sich auf der Schreibtischkante ab.
Engelmacher kommt hinten hoch, ruft: „Wolf, geht´s dir nicht gut?“
„Wieso? ... Doch, doch, es geht schon wieder.“
Der Doktor: „Wie ich schon sagte, zu ewiger Besorgnis besteht kein Grund.“ Er pflegt seine Sprüche mit ausgefallenen Wörtern zu dekorieren. „Aber deine kostbare Gesundheit sollten wir im Auge behalten.“
Wegner sinkt in seinen Stuhl zurück. Auf seinem Gesicht liegt ein seltsamer Schimmer.

Zwei Tage später.
Engelmacher sah den Patienten aufmerksam an.
„Wolf, mir kannst du nichts vormachen. Gegenwärtig läuft in deinem Leben einiges schief. Also, wo drückt der Schuh?“
„Wenn´s nur der Schuh wäre“. scherzte Wegner schwach.
„Ist was mit Martha?“
„Ja. Sie hat vor, wieder bei ihren Eltern einzuziehen.“
„Ach! Und wieso?“ In Engelmachers Blick lag echte Anteilnahme.
„Wieso, wieso! Es hat sich so ergeben.“
„Scheidung?“
„Hör bloß auf!“
„Gut, gut, beruhige dich! Und du fühlst dich schuldig.“
„Ja.“
„Kennen wir. Hör ich hier jede Woche mindestens dreimal. Und wie sieht´s beruflich aus?“
Wegner betrachtete Engelmachers große nackte Hände, die wie entschuppte Plattfische auf dem Tisch lagen. Die Finger feingliedrig, doch muskulös. Er dachte: Chirurgenfinger oder die eines Pianisten.
„Auch nicht besser, zumindest was den Stress betrifft. Ich spiele mit dem Gedanken, mich selbstständig zu machen.“
„Ach! Und als was?“
„Als Börsenmakler im Bitcoinhandel. Seit auf Madagaskar der Real ins Bodenlose fällt, greifen dort immer mehr Leute zum Bitcoin als Ersatzwährung, und nicht nur da. In einigen Ländern Südosteuropas auch. Der Bitcoinmarkt boomt. Wenn du es richtig anstellst, kannst du in kurzer Zeit Millionen machen. Und ein bisschen von dem Gewerbe verstehe ich schon.“ Wegners Wangen glühten.
„Ich hingegen verstehe nur wenig bis nichts von den heiteren Dingen der Finanzwelt“, wandte Engelmacher launig ein, „aber glaubst du wirklich, dass dein Leben dann stressfreier wird?“
„Natürlich nicht. Genauso schnell wie man reich wird kann man auch wieder arm werden." Plötzlich sah der Patient wieder grau aus. „Winnifried, was rätst du mir?“
Engelmacher zog seine buschigen Augenbrauen zusammen, sodass sie einen stumpfen Winkel bildeten.
„Tja, mein Lieber... Da ist guter Rat nicht billig! Am liebsten würde ich natürlich sagen: Mein lieber Freund und Kupferstecher, trenn dich von Wein, Weib, Gesang und dem ganzen gutbürgerlichen Drum und Dran, miete dir einen Schrebergarten, züchte Kürbisse oder bring deinem Kanarienvogel das Sprechen bei, schaff dir einen quirligen Hund an und geh´ täglich mit ihm zwei, drei Stunden spazieren ... Willst du so etwas hören? Könntest du das überhaupt? Eben! Natürlich kann man diesen Hokuspokus eitler Gewohnheiten nicht so einfach mir nichts dir nichts über Bord werfen. Und wer lässt schon seine Familie gern im Stich! Schließlich hat man ja Verantwortung! Und zum Aussteiger muss man verdammt geboren sein!“
Der Patient seufzte herzerweichend.
„Nun Kopf hoch, alter Knabe! Es ist noch nicht aller Werktage Abend! Ich hätte da etwas für dich.“
Dr. Engelmacher lehnte sich zurück und griff in eine Schublade. Zum Vorschein kam ein weißes Schächtelchen, das er aufklappte und Wegner hin hielt. Es eine kleine schwarze Scheibe von der Größe eines Ein-Cent-Stücks.
„Was du da siehst ist ein Minichip, der einen Sensor und einen Sender enthält.“
Der Doktor erklärte mit der eindringlichen Ernsthaftigkeit eines Zeugen Jehovas: „Dieser winzige Sensor misst deine Gesundheitsparameter, also Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Sauerstoffversorgung und so weiter, und so fort. Der Sender übermittelt die Messdaten auf dein Smartphone, und du kannst sie mithilfe einer speziellen App abrufen. Ein elektronischer Gesundheitswächter, wenn du so willst. Du bist also jederzeit bestens über deinen Gesundheitszustand informiert. Aber das ist noch nicht alles! Das Beste kommt noch!“
Engelmacher holte tief Luft.
„Wenn du mir den Zugriff auf deine Smartphonedaten erlaubst, könnte ich jederzeit eine Ferndiagnose stellen und nötigenfalls entsprechende Maßnahmen vorschlagen. Wenn´s dich also sagen wir auf einer Geschäftsreise irgendwo kneift oder sonstwie drückt: Ich könnte sofort bei dir sein. Virtuell natürlich.“ Er lehnte sich zufrieden zurück. Sein Gesicht sah aus, als erwarte er einen Orden.
„Die App ist leider nicht ganz billig“, fuhr er fort, „aber sie ist es wert.“
Da Wegner nachdenklich schwieg, redete Engelmacher fröhlich weiter. „Übrigens eine Neuentwicklung aus den USA, genauer gesagt aus Silikon Valley unter dem ewig blauen Himmel Kaliforniens. Das Neueste vom Neuen. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass von dort noch manche Überraschung auf dem Gebiet der Körperelektronik kommt.“
Plötzlich sah er sein Gegenüber überrascht an. „Sag mal, Wolf, habe ich das richtig in Erinnerung? In deine Bankfiliale wurde doch zweimal kurz hintereinander eingebrochen? Ist die Bank denn nicht gesichert?“
„Natürlich ist sie gesichert! Wo denkst du hin! Aber die Räuber waren schlauer.“
„Erzähl´, das interessiert mich jetzt! Nicht, dass du denkst, ich will eine Bank ausrauben! Dafür hab´ ich die PKV!“ Engelmacher lachte grob. „Du wirst gleich sehen, warum.“
„Beim zweiten Mal“, sagte Wegner kopfschüttelnd, „sägten die Diebe unbemerkt ein Loch in das Flachdach und übernachteten im Zwischenboden. Als der Mitarbeiter am nächsten Morgen den Schalterraum betrat, stießen sie ein Element der Deckenverkleidung auf und fielen dem armen Mann buchstäblich auf den Kopf.“
„Lohnt sich das denn heute noch? Ich meine so ein Bankraub? Halten die Banken denn noch so viel Bargeld vor?“
„Na ja, ein paar tausend Euro für den Tagesverkehr sind es schon. Aber das war´s nicht. Sie hatten es auf den Tresorraum abgesehen.“ Wegner blickte den Doktor ausforschend an. „Winnifried, worauf willst du hinaus?“
„Gleich. Der Mann konnte natürlich keinen Alarm auslösen.“
„Nein. Wie denn auch? Sie banden ihm doch gleich die Hände hinterm Rücken zusammen.“
„Mit der App hätte er´s gekonnt!“
„So? Und wie?“
Engelmacher lehnte sich zurück. „Zunächst musst du wissen, wie die Sache funktioniert. Der Chip wird dir subkutan in den Oberarm eingepflanzt. Keine große Operation, machen wir hier ambulant – kleiner Schnitt, Chip rein, Pflaster drauf, fertig. In zehn Minuten bist du wieder draußen. Der Sensor misst deine Parameter – frag mich nicht, wie – sendet sie an dein Handy, und die App analysiert sie. Nehmen wir einmal an, dein überfallener Tresorwächter hat den Chip nicht im Oberarm, sondern im Ballen der rechten Hand, und weiterhin, über diesen speziellen Chip kann mittels einer speziellen App eine Alarmkette ausgelöst werden. Der Räuber schreit: Hände hoch! Keine Bewegung! Dein Mann reißt die Hände hoch und wackelt dabei unbemerkt dreimal mit dem rechten Daumen. Fünf Minuten später steht die Polizei vor der Tür. Fantastisch, oder?“
Engelmacher sah Wegners Zögern und sagte: „Du brauchst dich heute noch nicht entscheiden. Überleg´ es dir gut! Solltest du interessiert sein, ruf Frau Meier an, und wir vereinbaren kurzfristig einen Termin. Ich habe einige Patienten, die mit der App sehr zufrieden sind. Natürlich kann ich keine Unsterblichkeit versprechen“ – er lächelte süffisant – „aber immerhin ein gewisses Sicherheitsgefühl. Und das ist doch schon die halbe Miete!“ Er gab Wegner die Hand. „Ach übrigens“, fragte er im Hinausgehen, „du leidest doch nicht unter Depressionen?“
„Noch nicht. Wieso fragst du?“
„Warum nicht? Ich bin schließlich dein Arzt.“


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Lila X
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Beitrag08.11.2022 10:16

von Lila X
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Hallo Federfuchser,
ich fand den Text flüssig zu lesen und habe einen guten Eindruck vom Charakter von Engelmacher bekommen. (Ich habe nur die neue Version gelesen.) Ein leutseliger Typ mit Hidden Agenda, so kam es mir vor.
Als stand-alone-Text fehlt die Quintessenz. Aber ich gehe davon aus, dass es das nicht ist. Ich vermute eher, dass es der Beginn einer Big Brother is watching you-Story ist. Er lässt sich die App einpflanzen und plötzlich passieren Dinge, die so nicht geplant waren.
Interessant ist ja, dass er mit dem Sensor um die Ecke kommt, als Wegner erzählt, dass er in den Bitcoinhandel einsteigen will und allein dasteht. Unter diesen Umständen vielversprechend. Ich würde definitiv weiterlesen.
Auch der Stil und Schreibfluss hat bei mir kein Hakeln ausgelöst und ich krittel sonst immer rum.


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Federfuchser
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Beitrag11.11.2022 15:18

von Federfuchser
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Hallo Lila X,
da hast du völlig recht, es ist eine längere Geschichte (an die 20 Man.Seiten). Da ich gelernt habe, dass manchen Lesenden längere Texte Unbehagen bereiten, wollte ich nicht gleich mit einem Doppelwums die Tür eintreten. Die "Fünfte Pressung" wird also noch kommen.
LG, Federfuchser

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Federfuchser
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Beitrag13.11.2022 14:11

von Federfuchser
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2
„Mein lieber Wolf!“ rief Dr. Engelmacher aufgeräumt, „was kann ich heute für dich tun?“ Er ergriff Wegners Hände und hielt sie eine Weile fest. Der Griff war zupackend, aber nicht unangenehm. Er lächelte sein bestes Oberarztlächeln: Etwas herablassend, jedoch nicht ohne menschliche Wärme. In diesem Lächeln lag weder Ironie noch Vorsicht, es war einfach nur entwaffnend.
„Setz dich doch“, sagte er mit einer einladenden Handbewegung, „zunächst einmal: Was macht dein linkes Ohr? Hörst du noch Geräusche?“
„Kaum noch. Bis auf ein gelegentliches leises Flüstern sind sie verschwunden.“
Ein zufriedenes Lächeln glitt über Engelmachers rosiges Gesicht. „Sehr gut! Nicht umsonst sage ich immer: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!“ Er beugte sich interessiert vor. „Und wie steht´s mit der App? Kommst du mit ihr klar?“
Statt zu antworten legte Wegner sein Smartphone auf den Tisch.
„Siehst du die beiden Kürzel oben rechts? Du weißt natürlich, was sie bedeuten.“
„Welche Kürzel?“
„Die da!“
Engelmacher beugte sich vor. „Dm … Cd … Nein. Die seh´ ich jetzt zum ersten Mal.“
„Dm steht für Dies mortis, und Cd für Carpe diem“, erklärte Wegner. „Die Zahl hinter Dm gibt meinen voraussichtlichen Todestag an, und Cd die Anzahl meiner noch verbleibenden Tage.“
„Wer sagt das?“
„Am Wochenende war ich auf einem Hearing im Bundesfinanzministerium.“  Wegner versuchte, seiner Stimme 'Biss' zu verleihen. „Auf dem Rückflug saß neben mir ein Mann, der mir bezüglich der App die Augen öffnete.“
„Ich verstehe nicht“, brummte Engelmacher verdutzt.
„Das wirst du gleich. Dieser Mann erzählte mir, sein Bruder habe wegen dieser App vor vierzehn Tagen Selbstmord begangen.“
Engelmachers rosiges Gesicht entfärbte sich. „Das ist doch Unsinn!“, polterte er schließlich. Er stand auf und lief einige Schritte ziellos im Raum umher. Dann riss er die Vorzimmertür auf und rief: „Frau Meier, sagen Sie alle Termine für heute Vormittag ab und schicken Sie die Patienten zu Frau Dr. Irani!“
Er ließ sich in seinen Sessel fallen und blickte Wegner verstört an. „Was hat der Mann erzählt?“
„Der Mann erzählte mir, sein Bruder habe dieselbe App, kurz nachdem sie ihm implantiert worden war, wieder abgestellt. Ihn habe die Gewissheit, dass er am Soundsovielten sterben werde, fast wahnsinnig gemacht. Vor vierzehn nun Tagen erhielt der Mann von der Kriminalpolizei die Aufforderung, sich um den Nachlass seines Bruders zu kümmern und die Beerdigung in Auftrag zu geben. Der Bruder hatte sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben genommen. Als die Kriminalpolizei die App reaktivierte, zeigte sein Dm den 15. 8. 20.. an, also genau den Tag seines Selbstmordes. Die App hatte seinen Dies mortis richtig berechnet und sich als Todes-App erwiesen.“
Während Wegner berichtete, entfärbte sich Engelmacher immer weiter. Noch nie hatte Wegner ihn so bleich gesehen; auch nicht, als er, Engelmacher, erfuhr, dass seine junge hübsche Frau bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt worden war.
Nachdem Wegner seinen Bericht beendet hatte, herrschte zunächst Stille, nur unterbrochen durch fernes Donnergrollen. Schließlich sagte der Doktor mit finsterer Miene: „Das wusste ich nicht. Von einem Todesfall war mir bisher nichts bekannt.“
Wieder schwieg er bedrückt. Plötzlich ergriff er den Telefonhörer, wählte und sagte: „Frau Meier, verbinden Sie mich bitte mit Prof. Hausen in der Kurklinik Baden-Baden. Die Nummer steht irgendwo in der Telefonliste. Und Kaffee, bitte!“
Er wandte sich wieder seinem Freund zu und stammelte. „Das … äh ... mit diesem Dm und Cd ist mir völlig neu.“ Er öffnete eines dieser Kästchen, holte den Beipackzettel heraus und las. „Nein“, murmelte er, „hier steht nichts von Dm und Cd.“ Er blickte Wegner zweifelnd an. „Kann es sein, dass dein Mann ein Spinner war, der dich hochnehmen wollte? Solche Leute sind nur gefährlich, wenn man sie ernst nimmt!“
„Ein Spinner?“ Wegner lachte. „Dann bin ich auch einer! Nein, wie ein Spinner wirkte er weiß Gott nicht.“
Das Telefon schnurrte, Engelmacher nahm ab. „Engelmacher hier! Frau Gnadenlos“, röhrte er ungeduldig, „könnte ich bitte kurz mit Prof. Dr. Hausen sprechen? Wirklich, nur ganz kurz. Ach, er operiert gerade! Bis wann? Gut, dann versuch ich´s so gegen zwei noch mal.“ Kaum hatte er den Hörer abgelegt, da nahm er ihn schon wieder auf. „Frau Meier, wissen Sie zufällig noch, wie diese Firma heißt, die uns diese Gesundheitschips liefert? Wie? Chip an´ Deal in Heidelberg ... Hervorragend! Sie sind ein Schatz! Dann machen Sie mir doch gleich eine Verbindung, aber dalli! Was? Natürlich habe ich Sie nicht gemeint, Verehrteste, da käme ich doch sofort in Teufels Küche! Ich meine diese Leute dort! Sagen Sie, es ist dringend!“
Der Doktor legte den Hörer wieder zurück und rieb sich die Hände. „Das haben wir gleich! Dann wird sich zeigen, wer hier spinnt! Dein ulkiger Gewährsmann oder ich.“ Sehr überzeugt klang er allerdings nicht.
Kurz darauf schnurrte das Telefon. Engelmacher nahm hastig ab. „Doktor Engelmacher vom städtischen Klinikum Drenhausen ... Sie haben mir vor einiger Zeit etliche dieser Chips geliefert, die zu der neuen Gesundheits-App aus Amerika gehören. Kann es sein, dass ... So? Ein Versehen? Ich höre!“
Je länger Engelmacher hörte, desto blasser wurde er wieder. Als er den Hörer wieder auflegte, war er aschfahl.
Frau Meier kam herein und stellte ein Tablett mit Kaffee, Zucker und Sahne auf den Tisch. Fast hilfesuchend blickte Engelmacher sie an und sagte: „Bestellen Sie Frau Gnadenlos einen schönen Gruß von mir. Die Angelegenheit hat sich erledigt.“
Frau Meier blinzelte besorgt. „Herr Doktor“, seuselte sie sanft, „geht es Ihnen nicht gut?“
„Nein ... doch ... nein! Mir geht´s nicht gut, mir geht es geradezu besch ... Aber es wird schon wieder besser. Danke für die Nachfrage.“
Draußen tobte sich das Gewitter aus. Dicke Regentropfen klatschen gegen die Fensterscheiben. Blitz folgt auf Blitz, Donner auf Donner.
„Winnifried, nun red´ schon!“, drängte Wegner.  „Was hat der Mann gesagt?“
„Später. Jetzt brauch´ ich erst mal einen Kaffee. Möchtest du auch einen?“
Er tat Zucker in seine Tasse und rührte geistesabwesend um. Dabei murmelte er: „Ich frage mich, wie es mir immer wieder gelingt, jährlich eine so große Anzahl von Patienten wenn nicht geheilt, so doch erheblich gebessert zu entlassen. Ich muss dir gestehen: In diesem Moment weiß ich es nicht! Möglicherweise wären sie ohne mein Eingreifen sogar gesund geworden.“
„Wenn du weiterrührst“, brummte Wegner genervt, „reibst du noch den Tassenboden raus!“
Engelmacher hörte nicht. „Gut, es hat Rückschläge gegeben. Aber wo gibt´s die nicht? Wichtig ist doch: Es hat immer ein gutes Ende genommen.“ Ein heller Blitz, ein krachender Donner – der Schlussakkord des Gewitters.
Erbittert hieb Engelmacher mit der Faust auf den Tisch. „Und jetzt das!“ Er trank in großen Schlucken.
„Winnifried, was hat der Mann gesagt?“
„Wer?“
„Herrgottnochmal! Der am Telefon!“
„Wie? Ach so, ja, natürlich ...“ Der Doktor räusperte sich. „Dein Gewährsmann hat Recht, mein Freund. Die Todestagsapp existiert wirklich. Und ich habe dir einen brandgefährlichen Chip eingesetzt, ohne es zu ahnen. Diese Nachlässigkeit verzeihe ich mir nie, denn solche Fehler zerstören auf die Dauer die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient.“
„Na, na! Soweit sind wir noch nicht! Mein Vertrauen hast du nach wie vor. Aber … Wie konnte das denn überhaupt passieren?“
„Die Vertriebsfirma in Heidelberg hat aus Versehen zu diesem Chip den Beipackzettel des Vorgängermodells eingepackt, das die Funktionen Dm und Cd noch nicht enthielt.“
„Oha! Das ist natürlich ein dicker Hammer! Aber dann trifft dich doch gar keine Schuld! Woher konntest du wissen –“
„O doch, mein Lieber, o doch! Auch wenn´s nur eine Teilschuld ist, so ist es doch eine Schuld! Ich hätte es wissen m ü s s e n! Ich hätte die App zumindest einmal testen müssen, bevor ich sie dir ans Herz legte, und zwar an mir persönlich! Wenn du willst, nehme ich dir das Teil wieder heraus. Kostenlos natürlich.“
„Es sei denn, ich bin jetzt dein Versuchskaninchen.“
„Wenn du die App weiter gebrauchen willst, könnte man es so sagen, ja.“
„Hm ...“ Wegner legte die Stirn kraus. „Die Sache mit dem Todesdatum ist natürlich nicht ganz ungefährlich. Obwohl – soviel habe ich schon gesehen, meiner liegt noch in weiter Ferne.“
„Dein prospektiver, dein voraussichtlicher Todestag!“ rief Engelmacher nun wieder munter. „Nicht den wirklicher!“ Er stutzte. „Mir kommt da gerade eine Idee ...“
Mit dem Doktor geschah eine eigenartige Veränderung. Seine Wangen röteten sich, seine Augen blitzten, seine Miene entspannte sich.
„Was meinst du?“, fragte Wegner verblüfft.
„Da hast doch in deinem Auto bestimmt diese Reichweiten-App. Hast du dich noch nie gewundert, dass die Reichweite zugenommen hat, obwohl du schon eine ganze Weile gefahren bist? Und bist du da vielleicht schon mal auf die Idee gekommen – im Scherz natürlich –: Wenn es so weiter geht, komme ich mit vollem Tank zuhause an? Na?“
„Nein, denn die Erklärung ist einfach. Die Berechnung bezieht den vorherigen Benzinverbrauch mit ein. Wenn ich also jetzt langsamer fahre und weniger Sprit verbrauche –“ Wegner blickte den Doktor scharf an – „du meinst?“
„Genau das meine ich! Die App berechnet deinen Todestag auf Basis deiner bisherigen Lebensweise. Anders geht´s auch gar nicht. Zwar steht geschrieben, dass jedem sein letztes Stündlein schlägt, aber wann, das steht nirgendwo, und auch nicht, dass man nicht daran drehen kann. Wenn du dich also, sagen wir,  aufraffst und dein Lebensstil änderst, könnte sich dein Todestag weiter in die Zukunft verschieben.“
„Ein verlockender Gedanke!“
„Eine Vision“, rief Engelmacher und klatschte in die Hände, „mein Lieber, eine gewaltige Vision! Stell dir vor! Du könntest möglicherweise für eine gewisse Zeit sogar unsterblich werden!“
Engelmacher sprang wie elektrisiert auf und lief gestikulierend im Zimmer herum. „Ein alter Menschheitstraum geht in Erfüllung! Das ewige Leben rückt in greifbare Nähe! Ewige Jugend! Unsterblichkeit! Viele Religionen versprechen sie, keine kann sie garantieren! Es wäre ein gewaltiges Experiment, ein noch nie da gewesener Versuch, und wenn er gelingt, hättest du zumindest etwas erreicht, was bisher für unmöglich galt: Du würdest nicht älter! Wir wären ... äh ... du wärst schlagartig berühmt!“
„Darauf pfeife ich“, knirschte Wegner. „Und außerdem, ich wäre doch nicht wirklich unsterblich! Höchstens für ein paar Wochen oder Monate! Denn irgendwann ist der Tank doch leer! Also, wo ist da der sittliche Nährwert?“
„O ihr Kleingeister und Erbsenzähler!“, rief der Doktor pathetisch und raufte sich die Mähne, „da bietet sich eine Jahrhundertmöglichkeit, und schon: Ihr kneift den Schwanz ein. `tschudige, war nicht so gemeint.“ Er blieb vor Wegner stehen und blickte ihn beschwörend an. „Nicht wirklich … Was macht das schon! Wichtig ist doch, dass man daran glaubt!“ Er senkte vertraulich die Stimme. „Wolf, es geht doch hier nicht nur um dich. Hier geht es um höhere Ziele. Sieh´s doch mal so: Wenn es dir gelänge, auch nur vierzehn Tage nicht älter zu werden, könntest du der Menschheit einen großen Dienst erweisen. Du könntest sagen: Leute, wovor habt ihr Angst? Altern ist kein Naturgesetz!“
„Und wie soll das gehen?“
„Du musst nur erreichen, dass sich dein Dm für jeden vergangenen Tag um einen Tag weiter vorschiebt.“
„Nur ist gut!“
„Du musst alles, was dich belastet, über Bord werfen und dich neu aufstellen. Vor allen Dingen in puncto Ernährung.“ Der Doktor blickte seinen Freund abschätzend an. „Es ist doch ein alter Hut“, sagte er, und in seinen Augen lag ein eigenartiger Glanz, „sogar Eva im Paradies zum Beispiel wusste schon, wie lebensverlängernd fleischlose Ernährung sein kann. Oder warum, glaubst du, reichte sie Adam den Apfel?“ Er lachte dröhnend. „Und nervige Verwandtschaft war auch nicht da!“ Engelmacher schwieg erwartungsvoll.
Wegner dachte eine Weile nach. „Das wird aber nicht so leicht sein!“, sagte er nach einer Weile.
„Papperlapapp! Natürlich wird es nicht leicht sein!“ Engelmachers Blick traf Wegner, als wollte er ihn hypnotisieren. Seine hohe Stirn wetterleuchtete im Licht des späten Vormittags. „Neuland ist nie leicht! Natürlich ist dieses Experiment nichts für Weicheier! Aber du bist ein fester Mann mit Grundsätzen! Wenn´s einer schafft, dann du!“
„Winnifried! Du vergisst den Todesfall! Das sieht mir nicht gerade nach ewigem Leben aus.“
„Ach was! Hör auf mit diesen kleinlichen Bedenken!“
Der Doktor machte eine Armbewegung, als wollte er eine Fliege in der Luft erschlagen. „Ja wenn einer ständig auf sein Todesdatum starrt und von Natur aus labil ist und sich nicht in der Gewalt hat! Vielleicht war der Mann ja depressiv oder in einer schweren Lebenskrise oder weiß ich was ... Gut, ich will nicht abstreiten, dass das Experiment gewisse Gefahren in sich birgt. Die seelische Belastung könnte zuweilen zum Problem werden. Aber, mein Lieber, ich bin doch bei dir! Mithilfe der App könnte ich dich Tag und Nacht begleiten, rund um die Uhr, an Wochentagen, Sonntagen, Feiertagen! Sogar aus dem Urlaub heraus!“ Wieder traf sein Blick, diesmal beschwörend. „Also, was zögerst du noch! Greif zu, eh´s ein anderer tut!“
„Das geht mir alles zu schnell! Winnifried, gib mir etwas Bedenkzeit.“
Engelmacher seufzte resigniert.
„Aber natürlich gebe ich dir Bedenkzeit, mein lieber Wolf, wir wollen bei einer so bedeutenden Unternehmung doch nichts übers Knie brechen!“
Er erhob sich.
„Also überleg´ es dir gut. Und wenn du mit dir im Reinen bist, meldest du dich. Aber warte nicht zu lange.“

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Lila X
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Beitrag14.11.2022 08:36

von Lila X
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Federfuchser hat Folgendes geschrieben:
2
„Mein lieber Wolf!“ rief Dr. Engelmacher aufgeräumt, „was kann ich heute für dich tun?“ Er ergriff Wegners Hände und hielt sie eine Weile fest. Der Griff war zupackend, aber nicht unangenehm. Er lächelte sein bestes Oberarztlächeln: Etwas herablassend, jedoch nicht ohne menschliche Wärme. In diesem Lächeln lag weder Ironie noch Vorsicht, es war einfach nur entwaffnend.
„Setz dich doch“, sagte er mit einer einladenden Handbewegung, „zunächst einmal: Was macht dein linkes Ohr? Hörst du noch Geräusche?“
„Kaum noch. Bis auf ein gelegentliches leises Flüstern sind sie verschwunden.“
Ein zufriedenes Lächeln glitt über Engelmachers rosiges Gesicht. „Sehr gut! Nicht umsonst sage ich immer: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!“ Er beugte sich interessiert vor. „Und wie steht´s mit der App? Kommst du mit ihr klar?“
Statt zu antworten legte Wegner sein Smartphone auf den Tisch.
„Siehst du die beiden Kürzel oben rechts? Du weißt natürlich, was sie bedeuten.“
„Welche Kürzel?“
„Die da!“
Engelmacher beugte sich vor. „Dm … Cd … Nein. Die seh´ ich jetzt zum ersten Mal.“
„Dm steht für Dies mortis, und Cd für Carpe diem“, erklärte Wegner. „Die Zahl hinter Dm gibt meinen voraussichtlichen Todestag an, und Cd die Anzahl meiner noch verbleibenden Tage.“
„Wer sagt das?“
„Am Wochenende war ich auf einem Hearing im Bundesfinanzministerium.“  Wegner versuchte, seiner Stimme 'Biss' zu verleihen. „Auf dem Rückflug saß neben mir ein Mann, der mir bezüglich der App die Augen öffnete.“
„Ich verstehe nicht“, brummte Engelmacher verdutzt.
„Das wirst du gleich. Dieser Mann erzählte mir, sein Bruder habe wegen dieser App vor vierzehn Tagen Selbstmord begangen.“
Engelmachers rosiges Gesicht entfärbte sich. „Das ist doch Unsinn!“, polterte er schließlich. Er stand auf und lief einige Schritte ziellos im Raum umher. Dann riss er die Vorzimmertür auf und rief: „Frau Meier, sagen Sie alle Termine für heute Vormittag ab und schicken Sie die Patienten zu Frau Dr. Irani!“
Er ließ sich in seinen Sessel fallen und blickte Wegner verstört an. „Was hat der Mann erzählt?“
„Der Mann erzählte mir, sein Bruder habe dieselbe App, kurz nachdem sie ihm implantiert worden war, wieder abgestellt. Ihn habe die Gewissheit, dass er am Soundsovielten sterben werde, fast wahnsinnig gemacht. Vor vierzehn nun Tagen erhielt der Mann von der Kriminalpolizei die Aufforderung, sich um den Nachlass seines Bruders zu kümmern und die Beerdigung in Auftrag zu geben. Der Bruder hatte sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben genommen. Als die Kriminalpolizei die App reaktivierte, zeigte sein Dm den 15. 8. 20.. an, also genau den Tag seines Selbstmordes. Die App hatte seinen Dies mortis richtig berechnet und sich als Todes-App erwiesen.“
Während Wegner berichtete, entfärbte sich Engelmachers Gesicht immer weiter. Noch nie hatte Wegner ihn so bleich gesehen; auch nicht, als er, Engelmacher, erfuhr, dass seine junge Komma hübsche Frau bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt worden war.
Nachdem Wegner seinen Bericht beendet hatte, herrschte zunächst Stille, nur unterbrochen durch fernes Donnergrollen. Schließlich sagte der Doktor mit finsterer Miene: „Das wusste ich nicht. Von einem Todesfall war mir bisher nichts bekannt.“
Wieder schwieg er bedrückt. Plötzlich ergriff er den Telefonhörer, wählte und sagte: „Frau Meier, verbinden Sie mich bitte mit Prof. Hausen in der Kurklinik Baden-Baden. Die Nummer steht irgendwo in der Telefonliste. Und Kaffee, bitte!“
Er wandte sich wieder seinem Freund zu und stammelte. „Das … äh ... mit diesem Dm und Cd ist mir völlig neu.“ Er öffnete eines dieser Kästchen, holte den Beipackzettel heraus und las. „Nein“, murmelte er, „hier steht nichts von Dm und Cd.“ Er blickte Wegner zweifelnd an. „Kann es sein, dass dein Mann ein Spinner war, der dich hochnehmen wollte? Solche Leute sind nur gefährlich, wenn man sie ernst nimmt!“
„Ein Spinner?“ Wegner lachte. „Dann bin ich auch einer! Nein, wie ein Spinner wirkte er weiß Gott nicht.“
Das Telefon schnurrte, Engelmacher nahm ab. „Engelmacher hier! Frau Gnadenlos“, röhrte er ungeduldig, „könnte ich bitte kurz mit Prof. Dr. Hausen sprechen? Wirklich, nur ganz kurz. Ach, er operiert gerade! Bis wann? Gut, dann versuch ich´s so gegen zwei noch mal.“ Kaum hatte er den Hörer abgelegt, da nahm er ihn schon wieder auf. „Frau Meier, wissen Sie zufällig noch, wie diese Firma heißt, die uns diese Gesundheitschips liefert? Wie? Chip an´ Deal in Heidelberg ... Hervorragend! Sie sind ein Schatz! Dann machen Sie mir doch gleich eine Verbindung, aber dalli! Was? Natürlich habe ich Sie nicht gemeint, Verehrteste, da käme ich doch sofort in Teufels Küche! Ich meine diese Leute dort! Sagen Sie, es ist dringend!“
Der Doktor legte den Hörer wieder zurück und rieb sich die Hände. „Das haben wir gleich! Dann wird sich zeigen, wer hier spinnt! Dein ulkiger Gewährsmann oder ich.“ Sehr überzeugt klang er allerdings nicht.
Kurz darauf schnurrte das Telefon. Engelmacher nahm hastig ab. „Doktor Engelmacher vom städtischen Klinikum Drenhausen ... Sie haben mir vor einiger Zeit etliche dieser Chips geliefert, die zu der neuen Gesundheits-App aus Amerika gehören. Kann es sein, dass ... So? Ein Versehen? Ich höre!“
Als Leser hat es mich nicht gestört, aber ist schon komisch, dass sie wissen, was er von ihnen will.
Je länger Engelmacher hörte, desto blasser wurde er wieder. Als er den Hörer wieder auflegte, war er aschfahl.
Frau Meier kam herein und stellte ein Tablett mit Kaffee, Zucker und Sahne auf den Tisch. Fast hilfesuchend blickte Engelmacher sie an und sagte: „Bestellen Sie Frau Gnadenlos einen schönen Gruß von mir. Die Angelegenheit hat sich erledigt.“
Frau Meier blinzelte besorgt. „Herr Doktor“, seuselte sie sanft, „geht es Ihnen nicht gut?“
„Nein ... doch ... nein! Mir geht´s nicht gut, mir geht es geradezu besch ... Aber es wird schon wieder besser. Danke für die Nachfrage.“
Draußen tobte sich das Gewitter aus. Dicke Regentropfen klatschen gegen die Fensterscheiben. Blitz folgt auf Blitz, Donner auf Donner.
„Winnifried, nun red´ schon!“, drängte Wegner.  „Was hat der Mann gesagt?“
„Später. Jetzt brauch´ ich erst mal einen Kaffee. Möchtest du auch einen?“ Das später hätte ich unbedingt weggelassen. Er braucht erst einen Kaffee, das muss als Grund für die Verzögerung reichen. Mit dem ‚später‘ wird es bisschen abstrus, wo der andere doch so dringend auf eine Antwort wartet.
Er tat Zucker in seine Tasse und rührte geistesabwesend um. Dabei murmelte er: „Ich frage mich, wie es mir immer wieder gelingt, jährlich eine so große Anzahl von Patienten wenn nicht geheilt, so doch erheblich gebessert zu entlassen. Ich muss dir gestehen: In diesem Moment weiß ich es nicht! Möglicherweise wären sie ohne mein Eingreifen sogar gesund geworden.“
„Wenn du weiterrührst“, brummte Wegner genervt, „reibst du noch den Tassenboden raus!“
Engelmacher hörte nicht. „Gut, es hat Rückschläge gegeben. Aber wo gibt´s die nicht? Wichtig ist doch: Es hat immer ein gutes Ende genommen.“ Ein heller Blitz, ein krachender Donner – der Schlussakkord des Gewitters.
Erbittert hieb Engelmacher mit der Faust auf den Tisch. „Und jetzt das!“ Er trank in großen Schlucken.
„Winnifried, was hat der Mann gesagt?“
„Wer?“
„Herrgottnochmal! Der am Telefon!“
„Wie? Ach so, ja, natürlich ...“ Der Doktor räusperte sich. „Dein Gewährsmann hat Recht, mein Freund. Die Todestagsapp existiert wirklich. Und ich habe dir einen brandgefährlichen Chip eingesetzt, ohne es zu ahnen. Diese Nachlässigkeit verzeihe ich mir nie, denn solche Fehler zerstören auf die Dauer die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient.“
„Na, na! Soweit sind wir noch nicht! Mein Vertrauen hast du nach wie vor. Aber … Wie konnte das denn überhaupt passieren?“
„Die Vertriebsfirma in Heidelberg hat aus Versehen zu diesem Chip den Beipackzettel des Vorgängermodells eingepackt, das die Funktionen Dm und Cd noch nicht enthielt.“
„Oha! Das ist natürlich ein dicker Hammer! Aber dann trifft dich doch gar keine Schuld! Woher konntest du wissen –“
„O doch, mein Lieber, o doch! Auch wenn´s nur eine Teilschuld ist, so ist es doch eine Schuld! Ich hätte es wissen m ü s s e n! Ich hätte die App zumindest einmal testen müssen, bevor ich sie dir ans Herz legte, und zwar an mir persönlich! Wenn du willst, nehme ich dir das Teil wieder heraus. Kostenlos natürlich.“
„Es sei denn, ich bin jetzt dein Versuchskaninchen.“
„Wenn du die App weiter gebrauchen willst, könnte man es so sagen, ja.“
„Hm ...“ Wegner legte die Stirn kraus. „Die Sache mit dem Todesdatum ist natürlich nicht ganz ungefährlich. Obwohl – soviel habe ich schon gesehen, meiner liegt noch in weiter Ferne.“
„Dein prospektiver, dein voraussichtlicher Todestag!“ rief Engelmacher nun wieder munter. „Nicht dein wirklicher!“
Diese Erkenntnis hatte er vorher, bei dem Selbstmörder nicht. Es ist eine ganz entscheidende Veränderung des Blickwinkels. Die sollte eher als Geistesblitz rüberkommen und das Folgende als dessen Erläuterung, finde ich. Sowas wie: Moment mal. Es ist dein prospektiver, dein voraussichtlicher Todestag, nicht dein wirklicher!
Er stutzte. „Mir kommt da gerade eine Idee ...“
Mit dem Doktor geschah eine eigenartige Veränderung. Seine Wangen röteten sich, seine Augen blitzten, seine Miene entspannte sich.
„Was meinst du?“, fragte Wegner verblüfft.
„Dau hast doch in deinem Auto bestimmt diese Reichweiten-App. Hast du dich noch nie gewundert, dass die Reichweite zugenommen hat, obwohl du schon eine ganze Weile gefahren bist? Und bist du da vielleicht schon mal auf die Idee gekommen – im Scherz natürlich –: Wenn es so weiter geht, komme ich mit vollem Tank zuhause an? Na?“
„Nein, denn die Erklärung ist einfach. Die Berechnung bezieht den vorherigen Benzinverbrauch mit ein. Wenn ich also jetzt langsamer fahre und weniger Sprit verbrauche –“ Wegner blickte den Doktor scharf an – „du meinst?“
„Genau das meine ich! Die App berechnet deinen Todestag auf Basis deiner bisherigen Lebensweise. Anders geht´s auch gar nicht. Zwar steht geschrieben, dass jedem sein letztes Stündlein schlägt, aber wann, das steht nirgendwo, und auch nicht, dass man nicht daran drehen kann. Wenn du dich also, sagen wir,  aufraffst und deinen Lebensstil änderst, könnte sich dein Todestag weiter in die Zukunft verschieben.“
„Ein verlockender Gedanke!“
„Eine Vision“, rief Engelmacher und klatschte in die Hände, „mein Lieber, eine gewaltige Vision! Stell dir vor! Du könntest möglicherweise für eine gewisse Zeit sogar unsterblich werden!“
Engelmacher sprang wie elektrisiert auf und lief gestikulierend im Zimmer herum. „Ein alter Menschheitstraum geht in Erfüllung! Das ewige Leben rückt in greifbare Nähe! Ewige Jugend! Unsterblichkeit! doppelt Viele Religionen versprechen sie, keine kann sie garantieren! Es wäre ein gewaltiges Experiment, ein noch nie da gewesener Versuch, und wenn er gelingt, hättest du zumindest etwas erreicht, was bisher für unmöglich galt: Du würdest nicht älter! Wir wären ... äh ... du wärst schlagartig berühmt!“
„Darauf pfeife ich“, knirschte Wegner. „Und außerdem, ich wäre doch nicht wirklich unsterblich! Höchstens für ein paar Wochen oder Monate! Denn irgendwann ist der Tank doch leer! Also, wo ist da der sittliche Nährwert?“
„O ihr Kleingeister und Erbsenzähler!“, rief der Doktor pathetisch und raufte sich die Mähne, „da bietet sich eine Jahrhundertmöglichkeit, und schon: Ihr kneift den Schwanz ein. `tschudige, war nicht so gemeint.“ Er blieb vor Wegner stehen und blickte ihn beschwörend an. „Nicht wirklich … Was macht das schon! Wichtig ist doch, dass man daran glaubt!“ Er senkte vertraulich die Stimme. „Wolf, es geht doch hier nicht nur um dich. Hier geht es um höhere Ziele. Sieh´s doch mal so: Wenn es dir gelänge, auch nur vierzehn Tage nicht älter zu werden, könntest du der Menschheit einen großen Dienst erweisen. Du könntest sagen: Leute, wovor habt ihr Angst? Altern ist kein Naturgesetz!“
„Und wie soll das gehen?“
„Du musst nur erreichen, dass sich dein Dm für jeden vergangenen Tag um einen Tag weiter vorschiebt.“
„Nur ist gut!“
„Du musst alles, was dich belastet, über Bord werfen und dich neu aufstellen. Vor allen Dingen in puncto Ernährung.“ Der Doktor blickte seinen Freund abschätzend an. „Es ist doch ein alter Hut“, sagte er, und in seinen Augen lag ein eigenartiger Glanz, „sogar Eva im Paradies zum Beispiel wusste schon, wie lebensverlängernd fleischlose Ernährung sein kann. Oder warum, glaubst du, reichte sie Adam den Apfel?“ Er lachte dröhnend. „Und nervige Verwandtschaft war auch nicht da!“ Engelmacher schwieg erwartungsvoll.
Wegner dachte eine Weile nach. „Das wird aber nicht so leicht sein!“, sagte er nach einer Weile.
„Papperlapapp! Natürlich wird es nicht leicht sein!“ Engelmachers Blick traf Wegner, als wollte er ihn hypnotisieren. Seine hohe Stirn wetterleuchtete im Licht des späten Vormittags. „Neuland ist nie leicht! Natürlich ist dieses Experiment nichts für Weicheier! Aber du bist ein fester das Adjektiv passt irgendwie nicht Mann mit Grundsätzen! Wenn´s einer schafft, dann du!“
„Winnifried! Du vergisst den Todesfall! Das sieht mir nicht gerade nach ewigem Leben aus.“
„Ach was! Hör auf mit diesen kleinlichen Bedenken!“
Der Doktor machte eine Armbewegung, als wollte er eine Fliege in der Luft erschlagen. „Ja wenn einer ständig auf sein Todesdatum starrt und von Natur aus labil ist und sich nicht in der Gewalt hat! Vielleicht war der Mann ja depressiv oder in einer schweren Lebenskrise oder weiß ich was ... Gut, ich will nicht abstreiten, dass das Experiment gewisse Gefahren in sich birgt. Die seelische Belastung könnte zuweilen zum Problem werden. Aber, mein Lieber, ich bin doch bei dir! Mithilfe der App könnte ich dich Tag und Nacht begleiten, rund um die Uhr, an Wochentagen, Sonntagen, Feiertagen! Sogar aus dem Urlaub heraus!“ Wieder traf sein Blick wohin?, diesmal beschwörend. „Also, was zögerst du noch! Greif zu, eh´s ein anderer tut!“
„Das geht mir alles zu schnell! Winnifried, gib mir etwas Bedenkzeit.“
Engelmacher seufzte resigniert.
„Aber natürlich gebe ich dir Bedenkzeit, mein lieber Wolf, wir wollen bei einer so bedeutenden Unternehmung doch nichts übers Knie brechen!“
Er erhob sich.
„Also überleg´ es dir gut. Und wenn du mit dir im Reinen bist, meldest du dich. Aber warte nicht zu lange.“

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Ich fand es fesselnd zu lesen, aber es hat ein paar Löcher. Wenn die Polizisten den dm gesehen haben, warum ging das nicht durch die Presse?  Warum hat die Firma das entwickelt, wenn sich doch jeder denken kann, dass die Marktfähigkeit fragwürdig ist und labile Menschen bzw. Menschen, deren Todestag kurz bevor steht, das nicht lustig finden werden?
Zumindest die erste Frage könnte man lösen, indem der Bruder die Uhr mit dem korrekten dm findet.
Allerdings stellt sich die berechtigte Frage, ob sich das dm beim Tod des Mannes angepasst hat…
Trotz des logischen Aspekts fand ich es spannend zu lesen und fühlte mich unterhalten. Natürlich läge auch nahe, dass der Arzt vorschlägt, zu beobachten, ob Vitamine/Hormone oder andere Gaben den dm nach hinten verschieben. Ein Arzt würde da sicher gleich drauf kommen. Damit hätte es auch eher einen ‚experimentellen‘ Charakter. Allerdings könnte Wolf sich dann schneller als Versuchskaninchen der Pharmaindustrie fühlen.
Wie auch immer, nettes Gedankenspiel.


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Beitrag14.11.2022 18:55

von Federfuchser
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Hallo Lila X, vielen Dank für deine scharfsinnige Analyse.
Zitat:
"Wenn die Polizisten den dm gesehen haben, warum ging das nicht durch die Presse? Warum hat die Firma das entwickelt, wenn sich doch jeder denken kann, dass die Marktfähigkeit fragwürdig ist und labile Menschen bzw. Menschen, deren Todestag kurz bevor steht, das nicht lustig finden werden?"
Antwort: Gut beobachtet! Die Polizei darf den dm auf keinen Fall sehen. Also findet der Mann den toten Bruder, nimmt das Handy an sich und informiert erst dann die Kripo, weil er Angestellter dieser Fa. ist und einen Kandal unbedingt vermeiden will usw usf. Bleibt die Frage: Welche Rolle spielt eigentlich der Doktor hier? Ist er ein Scharlatan, der zugunsten seine Privatschatulle unter der Hand ein nicht marktreifes Präparat verkauft? Ist seine Betroffenheit nur Komödie? (Übrigens: Als Engelmacher bezeichnete man früher Ärzte, die illegale Abtreibungen vornahmen und dabei den Tod von Kind und Mutter riskierten.) Dafür spricht, dass, als W. sich als Versuchskaninchen anbietet, seine Zerknirschung wie weggeblasen ist.
Zitat:
 "Natürlich läge auch nahe, dass der Arzt vorschlägt, zu beobachten, ob Vitamine/Hormone oder andere Gaben den dm nach hinten verschieben. Ein Arzt würde da sicher gleich drauf kommen."
Antwort: Sicherlich. Doch ich wollte die Geschichte nicht mit zu vielen Nebenaspekten belasten. Mir ging es darum, diese App (die es ja tatsächlich gibt, nur ohne dm und cd), ad absurdum zu führen.

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Beitrag16.11.2022 16:08

von Lila X
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Zitat:
Bleibt die Frage: Welche Rolle spielt eigentlich der Doktor hier? Ist er ein Scharlatan, der zugunsten seine Privatschatulle unter der Hand ein nicht marktreifes Präparat verkauft? Ist seine Betroffenheit nur Komödie? (Übrigens: Als Engelmacher bezeichnete man früher Ärzte, die illegale Abtreibungen vornahmen und dabei den Tod von Kind und Mutter riskierten.)

Isch weiß. Wobei er hier ja eher der Geburtshelfer als der Abtreiber ist.

Zitat:
Dafür spricht, dass, als W. sich als Versuchskaninchen anbietet, seine Zerknirschung wie weggeblasen ist.
Zitat:
 "Natürlich läge auch nahe, dass der Arzt vorschlägt, zu beobachten, ob Vitamine/Hormone oder andere Gaben den dm nach hinten verschieben. Ein Arzt würde da sicher gleich drauf kommen."
Antwort: Sicherlich. Doch ich wollte die Geschichte nicht mit zu vielen Nebenaspekten belasten. Mir ging es darum, diese App (die es ja tatsächlich gibt, nur ohne dm und cd), ad absurdum zu führen.

Wenn du dat Ding noch weiter ausarbeitest, könntest du damit an der Ausschreibung Mensch und Technik teilnehmen, von der Bananenfischin geschrieben hat. Ich weiß allerdings nicht, ob es ein Problem ist, wenn man hier schon einen Teil veröffentlicht hat. Ich arbeite auch grad schon an was, mit dem ich es versuchen will…


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Beitrag18.11.2022 14:40

von Federfuchser
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Wer, bitte, ist Bananenfischin? Und wo finde ich diese Ausschreibung? Wenn erforderlich kann man dieses Posting auch löschen lassen.

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Beitrag18.11.2022 15:26

von Lila X
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Per PN beantwortet. Very Happy

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Beitrag20.11.2022 21:14

von Federfuchser
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Sagt mir nix. Geht´s vllt.weniger karg? Danke.

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Beitrag20.11.2022 23:06

von Lila X
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Entschuldige, ich habe dir eine persönliche Nachricht geschickt. Aber gerne auch nochmal hier.

Du findest die Ausschreibung im Forum Literaturausschreibungen unter dem Titel ‚Mensch gemacht‘
Bananenfischin ist Administratorin.
Du kannst aber auch den folgenden Link kopieren, dann kommst du auf die Seite der Münchner Schreiberlinge. Die haben die Ausschreibung erstellt.

https://muenchnerschreiberlinge.com/ausschreibungen/


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Beitrag25.11.2022 21:12

von Federfuchser
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Hallo Lila X, vielen Dank für das Link. Soweit ich sehe, übertrifft die Zahl meiner Zeichen bei Weitem das gestzte Limit, und ich sehe auf Anhieb keine Seite, dich ich kürzen könnte. Deshalb weiter im Text:



   Auch ohne Arzt war Wegner klar, woher die Verschlechterung seines Cd in den nächsten Tagen und Wochen kam. Die Auseinandersetzungen mit Martha, seiner Frau, nahmen an Schärfe zu und stürzten ihn in tiefe Niedergeschlagenheit. Er sehnte sich nach Ruhe und klaren Verhältnissen.
Wenn ich wenigstens diese Baustelle abschließen könnte, dachte er verzweifelt, die Bank belastet mich schon genug.
Es war nämlich so: Da hingen ihm einige Verfahren wegen fehlerhafter Anlageberatungen am Hals. Die Anleger wollten ihr Geld zurück, und er bekam mächtig Druck von oben. Dazu kam der Ansehensverlust: Mittlerweile war das Ansehen von Anlageberatern noch unter das von katholischen Priestern gerutscht, und er war einer von denen, die es dahin gebracht hatten.
In der Küche würgte er lustlos sein Frühstück herunter.
Mein Dm heute morgen war ein Warnschuss, grübelte er. Verdammt! Schon wieder zwei Tage weniger! Dass die Zeit von beiden Seiten an meiner Lebenserwartung nagt, ist schon eine harte Nummer! Ich darf nicht an nächsten Sonntag denken!
Um sich nicht unnötig aufzuregen, las er seine Daten nur noch einmal in der Woche ab.
Durch das halb geöffnete Fenster drang Gelächter. Er blickte hinaus. Die jungen Leute von nebenan. Die Frau, noch sehr jung und mit einem Mund flammend wie Klatschmohn, das Gesicht umrahmt von zerzausten schwarzen Haarsträhnen, blickt lachend in die Augen ihres Freundes, eines langen Menschen mit himmelblauen Augen, der sie untergehakt und in die Wohnung führt.
Wegner beging jetzt einen schweren Fehler, der seine bürgerliche Existenz weiter aufs Spiel setzte. Um die traurigen Erinnerungen an verflossenes Eheglück zu verscheuchen, braute er sich einen besonders starken Bohnenkaffee und stürzte, kaum dass die Kaffeemaschine den letzten Röchler ausgehaucht hatte, zwei Tassen hinunter. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Neben einer gewissen nebelhaften Sorglosigkeit waren nach kurzer Zeit auch die Ohrgeräusche wieder da, nur stärker als je zuvor. In seinem linken Ohr schnirgelte und kreischte es wie in einer Schreinerwerkstatt, und sogar im rechten war keine Ruhe mehr.
Doch seltsam: Die befürchtete Angstattacke blieb aus. Das Coffein tat seine euphorisierende Wirkung. Zuversicht keimte auf. Ich werde mit Martha reden, dachte er nach der dritten Tasse, es gibt immer einen Ausweg! Kurzentschlossen ging er in sein Arbeitszimmer und rief bei Tätgens, den Eltern seiner Frau, an. Heinrich Tätgens kam an den Apparat. Er klang überrascht, geradezu freudig. „Wolf! Du? Schön, dass du mal anrufst!“
Wegner fand, wie viele Menschen, wenn sie mit sich ringen, zunächst nicht die richtigen Worte. Außerdem störte ihn das geschwätzige Ohr. „Ist Martha zu sprechen? Ich würde gerne ... sag mal, ließe es sich einrichten … äh, ich meine ...“ Ärgerlich über sein hirnloses Gestammel sagte er: „Ist Martha da? Ich würde gerne mit ihr sprechen. Am besten noch heute!“
Stille. Dann sagte Heinrich: „Warte!“
Das leise Pochen von Heinrichs Stock – ein Reitunfall hatte ihm ein gebrochenes Bein beschert – entfernte sich und hörte plötzlich ganz auf: Heinrich hatte den Teppich im 'Salon' erreicht. Wegner hörte, wie sein Schwiegervater „Martha!“ rief. Nach einiger Zeit kam das Pochen wieder, und Heinrich sagte: „Martha ist einverstanden. Sie schlägt halb acht vor.“

                                                                                     3
Heinrich empfing ihn an der Tür, schwer auf seinen Stock gestützt, gefolgt von den Hunden, die erfreut Wegners Hosenbeine beschnüffelten.
„Martha ist im Salon“, sagte er laut. Er war sichtlich gealtert. Dann leiser, flüsternd: „Schimmelpfeng ist auch da!“ Wegner verstand das Geraune kaum. Dr. Ralf Schimmelpfeng war Marthas Rechtsbeistand. Einen Mediator hatte sie entschieden abgelehnt. Begründung: Hier gibt es nichts mehr zu vermitteln.
Martha stand, als er den 'Salon' betrat, in einer Fensternische und blickte gelangweilt nach draußen. Ihre Figur war immer noch atemberaubend.
„Guten Abend, Martha. Danke, dass du für mich Zeit hast!“, sagte Wegner.
Martha drehte sich um und kam ein paar Schritte auf ihn zu. „Guten Abend, Wolf“ sagte sie und streckte die Hand aus. Nicht, um sie ihm zu reichen, sondern um anzudeuten: Nimm bitte Platz!
Vom Kamin löste sich eine Gestalt, die jetzt auf Wegner zukam, ihm die Hand gab und sich dabei lakaienhaft verbeugte: „Ralf Schimmelpfeng, Rechtsanwalt“. Auf einen Wink Marthas hin verzog er sich wieder auf seine Warteposition.
Heinrich sagte: „Ich lass´ euch dann mal allein!“, und humpelte davon.
Martha setzte sich und blickte ihren Mann erwartungsvoll an. Um ihre großen Augen mit den getönten Wimpern lag ein Kranz feiner Fältchen. Auch sie wird älter, dachte Wegner schadenfreudig, da hilft die ganze Pinselei nichts. Er sagte: „Martha, ich bin gekommen, um diese unschöne Angelegenheit zu einem Abschluss zu bringen.“ Er wollte noch sagen: Diese Ungewissheit halte ich nicht mehr lange aus, merkte aber noch rechtzeitig, dass dies ein taktischer Fehler gewesen wäre.
Sie hob erstaunt die Augenbrauen. „Mit so viel Entschlusskraft habe gar nicht nicht gerechnet.“
Da war wieder dieser ironische Unterton, den er so hasste.
Martha schwieg, und Wegner fuhr fort: „Da ich von dir noch kein Signal der Verständigung erhalten habe, dachte ich mir: Einer muss ja mal den Anfang machen. Wir sind doch vernünftige Leute. Diese Missverständnisse beruhen doch im Grunde nur auf Lappalien.“
„Lappalien?“ rief Martha mit scharfer Stimme und legte die Beine übereinander. „Da machst du es dir aber sehr einfach, mein Lieber!“
Wegner betrachtete bestürzt ihre Waden, die sich verführerisch wölbten. Früher, in der guten alten Zeit, da hatten ihn diese Waden manchmal rasend vor Verlangen gemacht. Doch jetzt empfand er nichts mehr, wie ihm auch dieser überladene 'Salon' mit all dem Kitsch und Krempel, der ihm einst als Inbegriff großbürgerlicher Wohnkultur vorgekommen war, anekelte.
„In den letzten Tagen habe ich mir alles gut überlegt.“
Er bemühte sich, einen möglichst sachlichen Ton zu treffen. „Schon seit einiger Zeit weiß ich, dass mir meine jetzige Lebensweise nicht bekommt. Meine Gesundheit ist angeschlagen, und ich bin fest entschlossen, mein Leben neu zu strukturieren. Vielleicht lässt sich ja auf dieser Basis für uns beide ein Neuanfang finden.“
Er verstummte. Im Spiegelbild der Fensterscheibe sah er Schimmelpfeng heftig mit dem Kopf nicken.
Da Martha schwieg, begann Wegner von neuem. „Ich habe mir folgendes überlegt. Was hältst du von folgendem Vorschlag: Du ziehst wieder in unser Haus ein, zu Monika und dem Kind, und ich miete mir in gehöriger Entfernung für ein halbes Jahr oder länger eine Wohnung – das wäre sozusagen die Standartlösung. Denn mit meiner Wohnung in Baden-Baden wird es so schnell nichts. Der Mieter stellt sich quer und will nicht ausziehen. Alles weitere wird sich dann ergeben. Was hältst du davon?“
In Marthas Gesicht war nicht die geringste Bewegung zu erkennen. Sie beugte sich vor und nahm eine Zigarette.
„Stört es dich, wenn ich rauche?“, fragte sie. Ohne auf eine Antwort zu warten, zog sie eine Zigarette aus der Schachtel. Ihre Finger zitterten leicht. Sie ist unsicher, dachte Wegner. Vielleicht ist sie ja innerlich doch nicht der Eisklotz, den sie nach außen hin spielt.
Dr. Schimmelpfeng löste sich vom Kaminsims und sprang diensteifrig herbei, um Feuer zu geben. Martha nahm eine Lunge voll, lehnte sich affektiert zurück und stieß den Rauch mit schiefem Mund schräg nach der Seite aus. In dieser Pose wirkte sie so arrogant wie ein kauendes Dromedar.
„Das kommt etwas überraschend“, sagte sie und nahm die Beine voneinander, um aufzustehen, „du erlaubst, dass ich mich mit Dr. Schimmelpfeng berate.“
„Warum so geheimnisvoll!“ rief Wegner, „bitte den Herrn doch an den Tisch! Oder gibt es da etwas, das ich nicht wissen darf?“
„Sicherlich nicht“, sagte der Rechtsbeistand und kam näher.
„Sie haben da“, sagte er, „einen Vorschlag gemacht, der in dieser Situation nicht der schlechteste ist.“ Er setzte sich und lächelte nachsichtig. „Wie Sie richtig sagten: Die Standartlösung. Doch nicht immer führt ein solches Arrangement zum gewünschten Erfolg.“ Seine Stimme war weich, für Wegner Ohren etwas zu weich. Er empfand sofort Abneigung gegen den Mann. „Denn da sind noch einige Dinge zu klären, die nicht ganz einfach sind.“
Wegner blickte ihn an und entdeckte in seinen Augen eine Tendenz zum Schielen. „Als da wären?“
„Hm ... Nun ja ...“
„Lass mich mal“, unterbrach Martha Schimmelpfengs Gestammel und belegte ihn mit einem vernichtenden Blick. „Mein Herr Rechtsbeistand will dich darauf aufmerksam machen, dass du noch nicht gefragt hast, was ich von diesem Vorschlag halte.“
„Und was hältst du davon?“
„Nichts! Absolut nichts!“
Warum ist es so schwierig, dachte Wegner betrübt, dass man sich in schwierigen Situationen noch nicht einmal mit seiner Frau verständigen kann?
„Und warum nicht, wenn ich fragen darf? Ist es die Anspielung auf den Reitlehrer? Mein Gott, Martha, das sollte doch nur ein Witz sein!“
Martha sah ihn belustigt an und stieß einen Rauchkringel aus. „Ein Witz! Und ich hatte mir schon eingebildet, dass du einer so finanzmarktfernen Regung wie Witzemachen gar nicht fähig bist!“
„Martha, bitte, werd´ nicht zynisch! Wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, damals warst du etwas zu häufig auf dem Tattersall! Manchmal dachte ich, noch ein bisschen, und sie bringt ihren Hengst zum Tee mit!“
Martha parierte diesen Hieb mit großer Selbstbeherrschung. „Nun werd´ mal nicht albern! Dann hätte ich doch wohl eher den Reitlehrer mitgebracht!“
Der Rechtsanwalt hatte sich anscheinend von der verbalen Backpfeife erholt. Er sagte: „Ihre Gattin wünscht die Scheidung.“
„Ach daher weht der Wind! Deshalb warst du so schnell zu einem Gespräch bereit! Ich hab´ mich schon gewundert.“
„Red´ kein Dummdeutsch!“, giftete Martha. „Du hast gehört, was er gesagt hat. Bist du einverstanden?“
„Auch recht“, sagte Wegner prompt. Er wusste selbst nicht, warum er das sagte. Vielleicht war der Grund ja Marthas arrogantes Gehabe. Doch jetzt musste der einmal eingeschlagene Weg beibehalten werden.
Schimmelpfeng sah Martha an, Martha sah Schimmelpfeng an. Das ging wohl etwas zu glatt.
„Herr Wegner, Sie wissen, was Sie da sagen?“, weichelte der Rechtsbeistand.
„Herr!“, brauste Wegner auf, „halten Sie mich für einen Idioten?“
Eine Seitentür ging auf. Das Hausmädchen. „Wünschen Herrschaften Getränke?“
Unwirsch winkte Martha das Mädchen hinaus.
„Verstehe ich dich richtig –“, sagte Martha zischen zwei Zügen –
„Wie du und deine Rechtsmatratze mich verstehen, ist mir völlig schnuppe“, blaffte Wegner kochend vor Wut. Es wurmte ihn, dass er sich hatte überrumpeln lassen. In seinem linken Ohr tobte es wie in einem Kettenkasten. An eine Rückkehr zu Tisch und Bett war also nicht mehr zu denken. Er beschloss, Martha aus der Liste der Menschen, die ihm noch etwas bedeuteten, zu streichen. „Deine ganze bürgerliche Wohlanständigkeit hier geht mir am Arsch vorbei!“ rief er außer sich. „Du und deine Muschpoke, ihr spielt doch von früh bis spät nur Komödie. Heinrich, mein teurer Schwiegervater, ein Bordellbesitzer, spielt den biederen Geschäftsmann, hahaha, Mathilde zieht der Mamsell nach Feierabend die Lederhosen stramm, und du treibst es mit dem Reitlehrer! Lass mich ausreden!“ brüllte er, als Martha dazwischenfahren wollte, „ich bin noch nicht fertig! Nach außen hin ganz groß, aber in Wirklichkeit scheißt ihr doch allesamt ganz kleine Haufen!“
Martha und ihrer 'Rechtsmatratze' verschlug es vor Verblüffung über diese Ungeheuerlichkeiten die Sprache, sodass Wegner ungestört weiterpöbeln konnte. „Aber ihr werdet euch noch wundern, ihr ... ihr!“ Er schnappte nach Luft. „Ja, jetzt habt ihr noch Oberwasser! Aber nicht mehr lange! Dann bin ich der Mauscheloberst! Dann seid ihr alt und krumm, und ich werde dann immer noch ein fester Mann sein! Ja, grins du nur! Du wirst dich noch wundern, meine Teuerste! Ich stehe nämlich am Anfang eines völlig neuartigen Experiments, und dabei würdest du mich sowieso nur stören!“
Ihm fielen die Worte Engelmachers wieder ein: Wenn du dein Leben änderst, kannst du deinen Todestag weiter in die Zukunft verlegen. Diese Aussicht spornte ihn zu immer kühneren Behauptungen an.
„Wenn das Experiment gelingt, werde ich nicht nur weltberühmt, sondern für einige Zeit sogar unsterblich sein! Ich werde beweisen, dass Unsterblichkeit kein leerer Wahn ist! Ich werde alle Philosophen, Heilsverkünder, Seelenmasseure auf die hinteren Plätze verweisen! Ja, Martha, da staunst du, was? Dein kleiner Held ist immer für eine Überraschung gut!“ Er schwieg erschöpft.
Martha hatte ihren Mann in den letzten Minuten aufmerksam angesehen, in ihren Mundwinkeln zuckte es.
„Du bist ja wahnsinnig!“, stieß sie jetzt hervor.
Dann brach sie los. Die Hunde sprangen von ihrem Lager beim Kamin auf und verkrochen sich winselnd unter einem der vielen Sofas. Martha lachte, lachte, lachte, spitz wie eine Furie, unaufhörlich wie der Strahl einer pissenden Kuh. Dem Dr. Schimmelpfeng schien es, als sei nicht nur der Mann, sondern jetzt auch noch die Frau wahnsinnig geworden. Es half auch nichts, dass er begütigend die Hand hob und Martha etwas zurief. Der Erfolg war lediglich, dass sie sich jetzt auch ihm zudrehte und ihn auslachte, mit der ganzen Verachtung der Frau einem Mann gegenüber, der sich hinterhältig in ihre erotischen Bezirke eingeschlichen hatte, obwohl seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet mehr als dürftig waren, und der darüber hinaus noch nicht einmal besonders gut aussah.
Wegner sprang auf, raffte Mantel und Mütze zusammen und stürzte aus dem Haus. Der Kobold in seinem Ohr war außer Rand und Band.

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Beitrag07.12.2022 18:07

von Federfuchser
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4
Zu Hause kippte er, noch in Mantel und Mütze, erst einmal einen ordentlichen Kognak. Dann legte er ab und rief Dr. Engelmacher in seiner Privatwohnung an. Das Gespräch mit seiner Frau hatte ihn tief verstört. Besonders ihr höhnisches Gelächter brannte wie eine offene Wunde, in die Salz geraten war. Er brauchte jetzt einen Menschen, mit dem er reden konnte.
Frau Engelmacher war am Telefon. Als sie seinen Namen hörte, sagte sie sofort: „Einen Augenblick bitte“, und kurz darauf meldete sich der Doktor.
Durch die gefäßerweiternde Wirkung des Alkohols ließen die Geräusche etwas nach, und Wegner konnte freier reden. Er entschuldigte sich für den späten Anruf und kam gleich zur Sache. Er schilderte kurz das Gespräch mit Martha, und dass er befürchte, auch das bisschen Porzellan, das noch heil geblieben war, zerschlagen zu haben. „Außerdem“, sagte er, „jetzt hält sie mich für wahnsinnig.“ Er habe ihr nämlich in einer unbedachten Minute von dem Experiment erzählt.
„Das war natürlich dumm“, sagte der Doktor. „Man redet nicht über ungelegte Eier! Aber deshalb hast du doch bei mir nicht angerufen.“
„Natürlich nicht.“
„Also, worum geht´s?“
„Winnifried, ich schaff´s nicht.“
„Was schaffst du nicht?“
„Das Unsterblichkeitsexperiment.“
„Gut! In einer halben Stunde bin ich mit meinem kleinen Sektionsbesteck bei dir und nehme dir den Chip wieder heraus!“
„Nein, nein, so mein ich´s nicht.“
„Wie meinst du´s denn?“
„Ich ...äh … ich weiß immer weniger, wie ich´s anstellen soll. In der letzten Woche ist mein Dm um zwei Tage vorgerückt. Wenn das so weitergeht, hat mich mein letztes Stündlein bald ereilt ... Trotz Gesundheitswächter! Und mein Ohrensausen hat wieder zugenommen. Ich liege die halbe Nacht wach und zähle Schafe. Ha! Mit achtundvierzig fühle ich mich schon reif für die Insel! Glaubst du denn, ich könnte mich unter diesen Umständen mit dem Unsterblichkeitsprojekt befassen? Jetzt, wo meine Lebenszeit anscheinend rasant abnimmt? Und bei dem ganzen Ärger, den ich gegenwärtig habe? Kannst du mir nicht ´ne Kur verschreiben? Irgendwohin, wo mich niemand findet?“
„Den Teufel werd´ ich tun. Du und Kur! Und nach der Kur ist dann wieder vor der Kur, wie? Nein, nein, mein Lieber, diesen Gedanken schmink´ dir mal ab! Willst du nun unsterblich werden, oder nicht? Wenn du damit schon angibst, dann musst du´s auch durchstehen. Du willst es deiner Frau doch beweisen! Na also! Dann zeig mal, dass du Mumm in den Knochen hast! “
„Ja schon ... Aber ...“
„Nichts aber! Überleg´ doch mal nüchtern. Wie sieht dein Leben denn jetzt aus. Du verrichtest als gut bezahlter Finanzsklave Kärrnerdienste bei der Bank, schlägst dich mit deiner Frau herum, ärgerst dich, dass deine Tochter den Namen ihres Kindsvaters nicht weiß, und von dem, was Heinrich mit dir anstellt, ganz zu schweigen. Interessiert mich auch nicht. Und was hast du davon? Du musst dir von deiner reichen Frau noch sagen lasse: 'Für dein Gehalt würde mein Vater beim Pfurzen noch nicht einmal den Hintern heben?' Oder hab´ ich mich da verhört?“
Engelmacher erwartete nicht wirklich eine Antwort, deshalb redete er unverdrossen weiter.
„Nehmen wir doch einmal an, dir würde es gelingen, für eine bestimmte Zeit so zu leben, dass die Anzahl deiner Tage für einen längeren Zeitraum nicht abnimmt. Muss ja nicht für ewig sein, hahaha! Aber du hättest etwas erreicht, was noch keinem Sterblichen gelungen ist! Wie oft muss ich das denn noch sagen! Ja Herrgottnochmal, siehst du denn nicht, welches finanzielle Potential dahinter steckt? Du könntest dich als Guru verkaufen, eine neue Sekte, ach was sag´ ich, du könntest eine Kirche gründen! Die 'Neue Unsterblichkeitskirche' oder so. Milliarden von Menschen auf dieser Erde haben Angst vorm Sterben! Und du könntest ihnen die Angst – zumindest zeitweise – nehmen.“
„Aber erlaube mal! Ich wäre dann doch noch nicht wirklich unsterblich! Und an Betrug –“
„Wer spricht denn hier von Betrug. Nun bleib´ mal auf dem Teppich. Die Menschen wollen Visionen, Versprechungen, Verheißungen, keine Fakten. Und Verheißungen sind kein Betrug, denn du garantierst ja nichts. Oder glaubst du wirklich, dass es im Himmel noch garantiert zweiundsiebzig Jungfrauen gibt, nach der Anzahl der Selbstmordattentäter, die bereits oben sind? Und trotzdem glauben viele immer noch daran. Also, wo ist das Problem? Du deutest an, du stellst in Aussicht, du erwägst die Möglichkeit, du erweckst Hoffnungen – mit dieser Methode kannst du viel Geld verdienen! Das müsstest du als ehemaliger Anlageberater besser wissen als ich.“
„Hör bloß auf! Wenn ich dich so anhöre, dann könnte ich fast selbst daran glauben. Aber andererseits ... Als Guru oder sogar als Kirchengründer kann ich mich nur schlecht vorstellen. Von Menschen hab ich mittlerweile die Nase gestrichen voll!“
„Na gut, dann schreibst du eben ein Buch. Als Titel könnte ich mir vorstellen: 'Wie ich unsterblich wurde' oder 'Anleitungen zur Unsterblichkeit'. Den Text stellst du als E-Book ins Internet und verlangst einen Euro Schutzgebühr. Du wirst sehen, in kurzer Zeit bist du Millionär!“
„Hmm … Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit! Aber ich weiß immer noch nicht, wie ich´s anstellen soll.“
„Wolf, das habe ich dir doch schon gesagt! Ändere dein Leben von Grund auf! Wirf Ballast ab, vermeide alles, was dir den Schlaf raubt, schaff dir einen Hund an, lerne Klavierspielen oder von mir aus Blockflöte, zeichne in der freien Natur windgeformte Bäume. Und vor allem: Lass dich von deiner reichen Verwandtschaft nicht ins Boxhorn jagen! Versuche einfach, noch reicher zu werden als die! Du wirst sehen, dann gibt auch dein Ohr Ruhe, und es wird dir wieder besser gehen. Wir sollten die Gelegenheit, die uns die App bietet, nicht ungenutzt lassen. Und ich sage noch einmal: Wenn es einer schafft, dann bist du es!“

                                                                                               5
Wegner saß an seinem Schreibtisch. Vor ihm der Entwurf der Steuererkärung, die ihm sein Steuerberater zugeschickt hatte. Doch das Denken fiel ihm zunehmend schwerer; er merkte: Heute ist nicht mein Tag. Wahrscheinlich lag´s wieder mal am Wetter, denn draußen prasselten schwere Regenschauer auf das Garagendach.
Um seinen Augen etwas Entspannung zu gönnen, blickte er aus dem Fenster. Das Wasser lief in schmalen Bächen die Scheiben herunter, im Fallrohr an der Hausecke gluckerte es geschäftig.
An einer Fensterscheibe entdeckte er vor dem matten Tageslicht einen schwarzen Punkt, der eben noch nicht da war.
Er wendet sich wieder seinen Unterlagen zu, doch irgendetwas zwingt ihn, wieder auf den Fleck zu starren. Doch jetzt sind es bereits zwei – nein drei, und der dritte Fleck bewegt sich.
Verwundert steht er auf und geht ans Fenster. Mit Erstaunen stellt er fest: Es sind Fliegen, dicke, schwarze, eklige Fliegen, und auf eine unerklärliche Weise werden es immer mehr. Jetzt sind es schon fünf, sechs, sieben – er gewinnt den Eindruck, dass sich ihre Anzahl bei jedem Lidschlag vermehrte. Jetzt kriechen schon mehr als ein Dutzend an der Scheibe herum.
Es darf nicht wahr sein, denkt er belustigt, aber ich erlebe gerade eine Invasion von Winterfliegen!
Mit den Augen sucht er sorgfältig die Fensternische nach einem Spalt oder einer Ritze ab. Doch er kann nichts dergleichen finden. Aber irgendwoher müssen sie doch kommen! Er tritt einen Schritt zurück und blickt reglos auf die Stelle, wo sich die Tapete leicht vom Fensterrahmen gelöst hat. Nichts. Gerade diese Stelle ist fliegenfrei. Nur eines ist sicher: Es sind schon wieder mehr geworden. Wo sie herkommen bleibt ihr Geheimnis.
Anscheinend haben einige dieser seltsamen Tiere ihn jetzt bemerkt, denn sie fliegen auf und umschwirren seinen Kopf. Ihr Flug wirkt eigenartig unsicher und ist bis auf ein leises kraftloses Brummen fast geräuschlos. Nichts ist mehr übrig von dem kühnen Schwung ihrer Rasse, die sich sommertags todesmutig in jeden schwarzen Schatten stürzt. Es hört sich an, als seien sie zu Tode erschöpft. Und schon liegen einige sterbend auf dem Fensterbrett. Ihre Hinterleiber sind durchsichtig wie Pergament, die Flügel zerbrechlich wie Glas. Wegner zerdrückt eine der bewegungslos Daliegenden mit dem Zeigefinger. Übrig bleibt eine platte Hülle ohne Inhalt und Feuchtigkeit, es sieht aus, als sei sie vollständig leer.
Verblüfft setzt er sich wieder an seinen Schreibtisch. Eine eigenartige Erregung ergreift ihn. Er hat das Gefühl, gerade etwas Entscheidendes entdeckt zu haben, etwas, das ihn seinem Ziel näher bringen könnte. Er legt den Kopf in die Hände und denkt nach.
Winterfliegen.
Wie schaffen es diese jämmerlichen Kreaturen, den Winter zu überstehen?
So viel weiß er noch: Eine normale Stubenfliege lebt etwa vierzehn Tage. Dann hat sie bereits reichlich für Nachkommenschaft gesorgt und tritt ab. Diese hier leben nun schon seit acht Wochen und länger. Was befähigt sie dazu, murmelt er laut, ihre Lebenserwartung so weit auszudehnen und dem Frost zu trotzen?
Nachdenklich klickt er durch´s Fenster auf einen hellen Streifen über der Föhrenreihe hinter seinem Haus. Das Regenband zieht ab. Eine der Kassettenscheiben ist jetzt schwarz von Fliegen.
Eine Idee nistet sich in seinem Hirn ein, aber er traut ihr noch nicht. Aufgeregt tippte er einige Suchwörter in seinen PC ein und surfte eine Weile herum. Schließlich findet er, was er sucht, zieht einen Schreibblock heran und notiert:

Durchschnittliche Lebensdauer einiger Vogelarten (Jahre):
Kaiserpinguin 20
Kanadagans 20 – 24
Zwergpinguin 6

Durchschnittliche Lebenserwartung (Jahre):
Island 79,5
Deutschland 77,7
Nigeria 48,8
Sierra Leone 43,8

Na bitte! ruft Wegner vergnügt, dacht´ ich mir´s doch! Die Kälte ist´s, die das Leben verlängert! Kaiserpinguin und Kanadagans leben in der Arktis, der Zwergpinguin hingegen lebt in den Tropen!
Natürlich weiß er auch, dass die Lebenserwartung beim Menschen nur wenig mit dem Klima zu tun hat. Wichtiger sind Kindersterblichkeit, ärztliche Versorgung, Ernährung und pipapo. Aber die Zahlen passen prima in sein Denkschema, und die Tendenz stimmt. Also denkt er nicht weiter darüber nach. Und wissenschaftliche Redlichkeit ist das Letzte, was ihn jetzt interessiert.
Er gibt das Suchwort: 'Langlebige Menschen' ein und erfährt, dass die ältesten Männer Europas unter den Mönchen eines griechischen Felsenklosters zu finden seien. Angeblich ernährten sie sich ausschließlich von Oliven, Rotwein und etwas Weißbrot.
Wie´s der Zufall will, liest er zwei Tage später in der Zeitung:
Die Lebenserwartung in Deutschland steigt langsamer als in anderen
EU-Staaten und ist deutlich kürzer als etwas in Spanien oder Italien ...
Eine Rolle spielen demzufolge beeinflussbare Risiken wie Alkohol,
Rauchen und Fettleibigkeit. Gleichzeitig gibt Deutschland besonders
viel Geld für Gesundheit aus.
Er hat genug erfahren und ruft eine Klimakarte von Deutschland auf. Natürlich wäre die Zugspitze der beste Ort, ein Leben in Kälte zu verbringen, wenn man nicht ins Ausland gehen will und sparsam heizt. Doch kann man da überhaupt dauerhaft wohnen? Und spazieren gehen? Wohl weniger. Er hat nämlich gelernt, dass ihm die Unternehmungen mit Karl dem Großen, seinem Hund, sehr gut tun. Vor ein paar Tagen ist er mit ihm um die Wette gerannt, bis er Seitenstiche bekam, aber hinterher fühlte er sich wie neu geboren.
Der Oberharz. Klimatisch gut geeignet, aber er will einen Kompromiss zwischen Lebenserwartung und positivem Lebensgefühl finden. Diese düsteren und halbtoten Fichtenwälder mag er nicht, die schlagen ihm aufs Gemüt, und dann dieses Waldsterben, überall kahle Stämme und totes Holz – überall Tod und Verderben, und gerade dem Tod will er ja entkommen! Nein, das ist´s auch nicht wirklich.
Wie wär´s denn mit Nordfriesland?, überlegt er. Gilt doch landläufig als nicht besonders warme Gegend! Sogar im Hochsommer laufen sie dort mit blau gefrorenen Nasen im Friesennerz herum. Und sollte es mal warm werden, ist die Freude nach höchstens drei Tagen wieder vorbei, und das Wetter wieder nebelfeucht. So wurde ihm jedenfalls berichtet. Aber wenn die Sonne scheint, so wurde ihm von anderer Seite auch berichtet, soll es dort fantastisch sein. Ein weites Land unter einem grandiosen Himmel, strahlend hell, und so grün, dass selbst die Luft grün schimmert. Und freundliche Einwohner soll es dort geben, und Kinder, die ältere Leute und sogar Fremde grüßen!
Er schaut sich die Klimadaten von Husum an uns ist begeistert. Da ist kein wirklich eisiger, aber auch kein wirklich warmer Monat zu finden. Genau das richtige für eine kalte Existenz! Und das Ernährungsproblem, nun ja, das ist seine geringste Sorge!
Gleich Morgen, beschließt er, wird er einen Immobilienmakler in Husum beauftragen, nach einem geeigneten Mietobjekt für ihn zu suchen. Möglichst mit kalten Bodenfliesen und undichten Fenstern.
Leider übersieht er, dass Klima und Wetter zwei unterschiedliche Hüte sind.
F.f

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Beitrag14.12.2022 17:25

von Federfuchser
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Endlich unsterblich!

1
Wegner schlägt die Augen auf. Durch das Fenster dringt heller Sonnenschein, ein frisches Lüftchen bauscht die Vorhänge.
Er bleibt noch eine Weile liegen und betrachtet einen hellen Fleck, den ein Sonnenstrahl auf die Tapete zaubert. Fast unmerklich bewegt sich das blendende Quadrat und wird allmählich zur Raute.
Vom Turm der Marktkirche weht zitternd der Stundenschlag herein. Eins – zwei – drei – vier ... zehn. Zehn Uhr. Sollte er? Oder lieber doch noch nicht?
Das späte Aufstehen war keine Faulheit, sondern Kalkül. Vor langer Zeit – nein, vor etwas mehr als einem halben Jahr, aber das war noch in seinem ehemaligen Leben und somit gefühlt eine Ewigkeit her – vor etwa einem halben Jahr hatte er erfahren, dass ein entfernter Verwandter, ein umtriebiger Kerl und notorischer Kurzschläfer, der auf allen Hochzeiten tanzte, wie man so sagt, und sich nie Ruhe gönnte, mit sechsundfünfzig  gestorben war. Dagegen lebte eine seiner Tanten, die seit zwanzig Jahren die Zeit vor dem Fernseher verdöste, mit 98 noch in ihrer Wohnung und konnte die meisten ihrer Tagesgeschäfte selbst erledigen.
Danach hatte er sich umgetan und festgestellt, dass Kurzschläfer zwar viel erreichen – auch viel Böses, wie die Geschichte zeigt – aber in der Regel relativ früh sterben, während notorische Langschläfer, wie diese Tante ... Nun ja, so genau wollte er es gar nicht wissen. Der Vermutung reichte ihm.
Wegner richtet sich auf und greift nach seinem Smartphone. Ein wohliger Schauer freudiger Erwartung läuft über seinen Rücken. Er ruft die App auf und schließt für einen Moment die Augen.
Der Eindruck ist zu stark, und die Freude raubt ihm fast die Sinne! Er schaut zweimal, dreimal hin. Um ganz sicher zu sein, vergleicht er die Zahl mit dem Eintrag von vor acht Tagen, obwohl er sie auswendig weiß. Da stand schwarz auf weiß: 26846, und heute: 26846! Sein Cd steht! Mit steilen Buchstaben notiert er in sein Tagebuch: Fantastisch! Seit mehr als einer Woche nimmt die Zahl meiner Tage nicht ab!
Er lässt sich wieder in die Kissen zurückfallen und stöhnt wohlig auf. Endlich! Das Ziel ist erreicht! Gegenwärtig bin ich unsterblich!, jubelt er. Der Einsatz trägt endlich Früchte!
Aufs Äußerste beglückt verspürt er einen Hauch vom ewigen Leben ...
Nun fühlte er sich stark und mächtig wie ein Magier, der den Naturgewalten gebieten kann. Denn die Zeit ist eine Naturgewalt, vielleicht die mächtigste überhaupt, überlegt er, denn sie hat keinen Anfang und kein Ende, und wir sind ihr hilflos ausgeliefert.
Und ich habe sie besiegt!
Eine kleine Wolke verdunkelt seine Gemüt.
Nun ja, die letzte Wochen und Monate waren auch schwer gewesen, sehr schwer, nicht nur wegen der Scheidung und des Umzugs. Fast Tag und Nacht hat er an sich gearbeitet, langsam, beharrlich, unerbittlich. Mehrfach hat er bei Engelmacher angerufen und um Beistand gebeten. Doch der polterte nur: „Hör auf zu jammern! Lerne leiden ohne zu klagen! Ohne Schmerzen an Leib und Seele hat noch nie jemand den höchsten Gipfel erreicht!“
Dann wieder, als die Schmerzen im linken Arm unerträglich sind: „Reg dich nicht auf, mein Lieber, es ist nichts Ernstes. Deine Daten sind ohne Befund. Nur dein Gehirn spielt dir einen Streich. Es will nicht, dass du deinen Körper so quälst. Das geht vorüber, glaub es mir! Denk´ an das Ziel!“
Und es ging vorüber. In fröstelndem Alleinsein ist es ihm schließlich gelungen, die Sehnsucht nach Besitz, Weib und Kind auszulöschen, und seinen täglichen Nahrungsmittelbedarf auf eine Minimum zu reduzieren. Der Erfolg belohnt die Mühsal. Und seit etwas vierzehn Tagen träumt er nachts nicht mehr von der Vergangenheit.
 *
Vier Wochen später ...
Eine viertel Stunde stellte er sich unter die eiskalte Dusche, dann putzte er sich fröhlich, unter häufigem Grimassenschneiden, die Zähne. Aus dem Spiegel blickte ihn ein unregelmäßiges Asketengesicht an. Es sieht bleich, fremd und übernächtigt aus, aber auf seine Weise edel und intelligent. Es strahlt den Adel von Leuten aus, die lange gefastet haben. Und schmal ist er geworden, sehr schmal. Die Nase: Nur noch ein Strich, seine Ohren schimmern durchsichtig wie die Ohren neugeborener Ferkel.
Er verließ sein Schlafzimmer, das die Gemütlichkeit einer Gefängniszelle ausstrahlte – der eingebaute Kleiderschrank, das Waschbecken in der Ecke, die Liege, der Tisch, zwei Stühle, das Bücherbord – und hüpfte mit federleichtem Schritt die Treppe hinunter, Karl der Große hinter ihm her. Wegner war nicht nur dünner geworden, sondern auch kleiner und leichter. Nur seine Füße und sein Schädel waren gleich groß geblieben, was ihm etwas Clowneskes verlieh.
In der Küche aß er ein Dutzend Oliven, zwei Scheiben Weißbrot, dazu mehrere Tassen stark gezuckerten Schwarztee. Das musste bis zur nächsten Mahlzeit, die um achtzehn Uhr fällig war, reichen. Die Banane ausgenommen, die er gegen vierzehn Uhr aß, wenn Karl der Große sein Fressen bekam. Vorgesehen war für heute Abend gedünsteter Seelachs, zwei mittelgroße Pellkartoffeln mit einem Klacks Butter, und ein Schüsselchen Kopfsalat. Dazu würde eine Karaffe mit warmem Wasser bereitstehen. Und dann, später, ein Glas Rotwein.
Wegner zog sich die Joggingschuhe an, nahm den Hund an die Leine und verließ das Haus. Der mehrstündige Vormittagsspaziergang stand bevor. Er fühlte sich bestens: Leicht, kühn und erfüllt vom Pulsschlag eines standhaften Herzens.
Es war heute nicht so schwül wie in den vergangenen Tagen. Das war etwas, das ihm zunehmend Sorgen bereitete: Dieser August war außergewöhnlich warm. In der Zeitung stand: Die wärmsten Augusttage seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Wenn das so weitergeht, dachte er, steht zu befürchten, dass mein Dm wieder zurückfällt. Das wäre nicht gut. „Die Mühsal von Wochen nutzlos vertan“, murmelte er betrübt. Er blickte zur Kirchturmspitze und atmete auf. Der Wetterhahn wies nach Norden. Ein gutes Zeichen. Bald würde es kühlere Luft geben. Da er sich in dieser Gegend noch nicht auskannte, ahnte er nicht, dass der Wetterhahn in diesem Moment nicht nur die Himmelsrichtung, sondern auch kommendes Unheil anzeigte.
Er wandte sich nach rechts, denn er hatte vor, über den Alten Deich bis zum Siel zu gehen und seinen und Karls Beinen freien Lauf zu lassen. Gerade trat der Nachbar, Herr Morgenknecht, aus dem Haus.
„Moinmoin!“
„Moinmoin!“
Die ortsübliche Begrüßung.
„Auch schon so früh auf den Beinen?“ rief Wegner gutgelaunt.
Morgenknecht grinste. So früh! Um elf! Er war ein stämmiger, untersetzter Mittfünfziger mit dreieckigem Gesicht, auffällig großen Ohren und Bürstenschnitt. „Man muss ja, die Arbeit ruft!“
„Was arbeiten Sie denn?“, fragte Wegner.
„Ich bin Trainer beim FC Tönnhausen.“
„Aha! Aber ist es denn zum Trainieren heute morgen nicht zu warm?“
„Ich gehe nicht zum Training, sondern ins Vereinslokal!“ Er lachte. „Nein, nein, nicht, was Sie jetzt denken. Um halb zwölf ist Krisensitzung.“
Wegner blickte ihn fragend an. „Wo kriselt´s denn?“ Er ist als Neubürger natürlich an allem interessiert, was so im Städtchen passiert.
„Wenn Sie mich ein Stück begleiten, dann erzähl´ ich´s Ihnen! Sie zittern ja, ist Ihnen nicht gut?“
„Doch, doch, es ist alles bestens.“
Sie setzten sich in Bewegung, und Morgenknecht berichtet. Karl der Große trottete ergeben hinterher.
Nach einer Weile fragte Wegner: „Sagen Sie mal, Herr Morgenknecht, sind diese hohen Temperaturen hier eigentlich normal? Ich bin extra von Süddeutschland mit der Hoffnung auf kühleres Klima hierher gezogen.“
Morgenknecht machte eine abwehrend Handbewegung. „Hier ist nichts mehr normal! Am allerwenigsten das Wetter.“
Er lachte trocken.
„Vor fünfzehn Jahren“, fuhr er fort, „hat es hier zum letzten Mal geschneit! Ich könnte Ihnen noch das Datum sagen. In der Nacht musste ich unsere Gerda bei dichtem Schneetreiben in die Entbindungsstation nach Husum fahren. Dafür gibt´s jetzt immer häufiger Frost im April!“
Morgenknecht schüttelte den Kopf.
„Seit einigen Jahren beobachte ich einige sehr merkwürdige Wetteranomalien: Ein paar warme Tage im Mai, dann wird es wieder kalt und unbeständig bis in den extrem heißen August hinein, und ab Mitte September wieder kalt und Regen, Regen, Regen! Manchmal denke ich, wir leben auf einem Regenplaneten ... Es scheint, als beschränke sich der Sommer neuerdings auf die paar Wochen im August. Und dann die Stürme! Unberechenbar und total außerhalb der Reihe! Waren Sie schon mal im Katinger Watt? Da sieht´s aus wie nach einem Atomschlag! Überall umgestürzte und zerfetzte Bäume. Es ist sogar für einen gelernten Nordfriesen wie mich manchmal nicht zum Aushalten!“
„Dann trinken Sie doch einen Eiergrog und eine ordentlichen Becher Ostfriesentee mit Speck!“
Der Trainer lachte grob. „So viel Grog und Tee können Sie gar nicht trinken, wie ihnen das Wetter manchmal auf die Nerven geht!“
„Für mich ist dieses Wetter gerade richtig! Nur der August macht mir Sorgen!“
Ein erstaunter Seitenblick. „Sie sind ein komischer Kauz, Herr Wegner, wenn ich das mal sagen darf! Die Touristen bleiben aus, und dann kommt eins zum anderen. Dieser leckere Ort, hahaha, hat von den Sommergästen gelebt. Und die bleiben allmählich aus. Sogar die Seehunde haben schon Reißaus genommen. Seit zwei Jahren sind die Seehundbänke leer, weiß der Teufel warum.“ Er grinste anzüglich. „Demnächst macht auch noch die einzige Nachtbar zwischen Heide und Husum dicht!“
„Aber bestimmt nicht wegen ausbleibender Seehunde!“
„Herr Wegner, wissen Sie was?“, sagte Morgenknecht, „kommen Sie doch heute Abend zu unserer Grillfete. Sie sind herzlich eingeladen! Dann kann ich Ihnen mehr über diese Gegend. Als Neubürger sollten Sie nämlich ein paar Kleinigkeiten wissen!“
Wegner zierte sich. „Das ist furchtbar nett von Ihnen, mein lieber Herr Morgenknecht, doch nehmen Sie mir das bitte nicht übel, aber Grillfeten sind nicht so meine Sache.“
„Aber, aber! Wer wird denn gleich kneifen!“
„Ich kenne doch niemanden.“
„Das wird sich schnell ändern! Wir Tönnhausener sind ein lustiges Völkchen.“
„Außerdem esse ich kein Fleisch.“
Morgenknecht lachte unbeschwert. „Herr Wegner, Sie sind ein Meister im Erfinden von schwachen Ausreden! Dann besorgt Ihnen meine Frau eben leckere vegane Würstchen! Schon mal Algen- oder Kartoffelkrautwürstchen gegessen? Lecker, lecker, kann ich Ihnen sagen! Wie viele wollen Sie? Eins, zwei, drei, vier? Die Gisela wird sie besorgen! Nein, nein, lassen Sie mal! Das geht aufs Haus! Also, abgemacht, Sie kommen! Halb sieben geht´s los. Keine Widerrede! Meine Frau? Die wird sich freuen! Noch gestern sagte sie zu mir: Joseph, lad´ doch unseren neuen Nachbarn auch ein, der ist immer so alleine! Wenn Sie wollen, können Sie ja ´ne leckere Flasche Rotwein mitbringen.“
Wegner blickte ihm nach, wie er mit knorrigen Knien und knotigen Waden davon stapfte und sich vor lachen bog. „Lecker, lecker, hihihi ... Lecker vegane Würstchen, hahaha ... Lecker, lecker, hohoho ...“
F.f

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Beitrag29.12.2022 20:39

von Federfuchser
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Der Abend verspricht lustig zu werden.
Gisela stellt eine eisdampfende Schnapsflasche auf den Tisch und reicht Gläschen herum.
Ihr Mann kommt mit zwei beladenen Tellern zurück. Sein Polohemd ist schwitznass, und von seiner Stirn tropft es. Er stellt die Teller ab und setzt sich zu Wegner. Mit der zartfühlenden Aufmerksamkeit eines frisch Verliebten sagte er: „Dein Würstchen sieht aber lecker aus!“
Wegner schweigt. Er blickt auf die glühend heiße Ziegelwand, an der sich im flackernden Kerzenschein die Schatten des Ehepaars Sixta und Ulf Müller-Mondschein wie Kobolde bewegten. Er, lang aufgeschossen, sie eine üppige Matrone. Wegner überlegt, ob der Mensch im Allgemeinen und er selbst im Besonderen wirklich ein vernunftbegabtes Wesen sei, denn welches vernünftige Wesen käme auf die Idee, bei diesen Temperaturen zu grillen? Die Hitze hängt wie heißer Schleim zwischen den Hauswänden.
Und er hat sich auch noch ohne zwingende Not zu einer Grillfete überreden lassen!
Morgenknecht, dem Wegners Teilnamslosigkeit missfällt, fragt: „Darf ich?“ Und schon ist Wegners Gläschen gefüllt. Morgenknecht blickt in die Runde. „Auf euch alle!“ ruft er und kippt den Schnaps in einem Zug hinunter.
Wegner denkt: Halunke, so leicht kriegst du mich nicht! Er kippt ebenfalls, aber nicht in die Kehle, sondern über die Schulter am linken Ohr vorbei in die Blumenrabatten.
„Mama, ich muss mal!“, schreit Morgenknechts Enkelin, eine kleine blonde Göre mit runden Kulleraugen. Silke Morgenknecht, ihre Mutter mit einem Gesicht wie ein Buntglasfenster aus schwarzen Haaren, knallroten Lippen, blauen Lidschatten, rosa glänzender Haut, leert hastig ihr Gläschen, quetscht sich aus der Bank und geht mit der Kleinen ins Haus.
Wegners Miene verfinstert sich. Woran denkt er?  Daran, dass seine Enkelin, deren Vater er nie kennengelernt hat, mit ebensolchen Kulleraugen im gleichen Alter ist? Vermisst er seine Tochter, seine Frau? Wir wissen es nicht, können aber vermuten, dass ihm diese Erinnerung unangenehm ist, denn er trinkt in großen Zügen sein Rotweinglas leer und gießt sofort nach.
Durch das Gartenpförtchen tritt eine Gestalt, über die Wegner trotz seiner soziophoben Laune lächeln muss. Der Mann besitzt einen gewaltigen fass-runden Oberkörper, auf dem ein mächtiger Schädel thront. Der kümmerliche Rest steckt in kurzen weißen Hosen, aus denen zwei dünne, fast wadenlose Beine mit knubbeligen Knien herausragen.
„Rainer!“ ruft Morgenknecht und springt hurtig auf, „wie schön! Hast du´s doch noch geschafft!“
Das Riesenei auf Stelzen tritt an den Tisch, vom flackernden Kerzenschein fremdartig beleuchtet. „Ich komme direktemang von der Baustelle“, dröhnt er, „heute Nacht soll es hier ordentlich krachen, und da wollte ich noch mal nach dem Rechten sehen.“
„Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, sagt Sixta Müller-Mondschein schlicht.
„Bedien´ dich!“ ruft ihm Morgenknecht mit großer Geste zu, „es ist von allem noch reichlich da!“ Er setzt sich wieder und rückt dabei noch näher an Wegner heran. Es herrscht jetzt eine gewisse abwartende Stille.
Rainer kommt mit gut gefülltem Grillteller zurück und nimmt neben Gisela Platz. Er schaufelt sich reichlich Nudelsalat auf den Teller und haut kräftig rein.
„Sag mal, Reiner, warum baut ihr eigentlich schon wieder um?“, ruft Ulf Meier-Mondschein dröhnend über den Tisch, „der alte Laden war doch groß genug! Dann senkt doch lieber die Preise, anstatt das Geld unnötig zu verbauen!“
„Wir sind froh, hmpf, wenn wir unsere Preise halten können. Und um sie zu halten, hmpf, bauen wir um.“
„Sixta lacht kurz und spitz. „Reiner, erzähl keine Märchen!“
„Ich erzähle keine Märchen, meine Liebe. “ Reiner schiebt den leeren Teller beiseite. „Die Hütte ist vom Umweltstandart her nicht mehr zeitgemäß. Die Energiekosten sind zu hoch.“
„Aber Energiekosten werdet ihr doch immer haben! Oder wie willst du bei diesen Temperaturen kühlen?“, hakt Sixta nach.
„Mit Solarstrom vom heißen Blechdach, du Dummchen!“, witzelt ihr Götter-Gatte gut gelaunt.
„Und im Winter, mein Dicker, he? Dann ziehen sie den Strom dem Reiner aus der Nase, oder wie?“
„Eben nicht“, sagt Reiner sichtlich vergnügt. „Meine Nase wird für andere Dinge gebraucht! Der Neubau wird ganz ohne Strom auskommen.“
„Du meinst ohne Zukauf von Strom.“
„Nein, ganz ohne Strom. Wir werden der erste Discounter auf der Welt sein, der völlig ohne Fremdenergie auskommt.“
„Mit Solarmodulen.“
„Im Winter? Ich sagte ganz!“
„Und wie soll das gehen?“
„Mit überflüssigem Helium.“
Sixta lacht schallend. „He, Alter, was erzählst du da für´n Onk! Überflüssiges Helium? Das wüsste ich aber gern ´nen Tacken genauer!“   
„Ja, so nennt man tiefgekühltes Helium.“
„Und warum überflüssig?“, will Gisela wissen. „Du sagtest doch gerade, mach braucht es zum Kühlen.“
„Weil es die Eigenschaft besitzt, an glatten Wänden hoch zu fließen. Man bezeichnet es deshalb auch als superfluid.“
„Aha!“
„Nichts aha!“, grunzt Ulf. „Das würd´ ich auch gerne wissen! Ich meine, wie man damit kühlen kann.“
„Bitte jetzt keine Vorlesung!“, sagte Sixta und legte eine bildungsferne Stirn in Falten.
„Na gut, dann fasse ich mich dir zuliebe kurz. Wir kühlen Helium auf minus zweihundertsiebzig Grad herunter und befüllen mit der jetzt entstandenen Flüssigkeit Stahlzylinder, so genannte Heliumbomben, in deren Wänden sich feinste Poren, so genannte Kapillaren, befinden. Durch diese Poren tritt das überflüssige Helium, das unter hohem Druck steht, wieder aus und verdampft. Dabei entzieht es der Umgebung Verdunstungswärme, und das ist der Kühleffekt –“
„Also so eine Art Heliumdusche“, bemerkt Joseph, der von seinem Posten am Grill zurückgekehrt ist.
Sixtas schlichtes Gemüt witterte hinter jeder Bemerkung, die sie nicht versteht, einen Ostfriesenwitz. Also lacht sie vorsorglich lautstark und erhält von ihrem Mann einen kräftigen Rippenstoß.
„Genau! Die Zylinder werden in speziell konstruierte Kühlkammern unserer neuen Gefriertruhen eingestellt“, erklärt Rainer. „Wir benötigen also keine repereturanfälligen Kühlaggregate mehr. Die neuen Truhen arbeiten völlig verschleißfrei.“
„Aber die Angelegenheit ist doch nicht energieneutral!“, wandte Ulf dröhnend ein. „Wo kommt denn die Energie fürs Herunterkühlen her? Du erzählst uns hier den gleichen Ulk wie die Heinis, die Elektroautos für emissionsfrei halten.“
„Da verwechselst du Äpfel mit Birnen, mein Lieber! Wenn wir –“
Wegner hat schon eine ganze Weile nicht mehr zugehört. Irgendein Gedanke scheint ihn schwer zu beschäftigen, denn er starrt wie abwesend auf seinen Teller. Plötzlich fragt er: „Und was geschieht mit den ausgemusterten Kühltruhen?“
„Die werden entsorgt“, antwortet Reiner ziemlich förmlich. Er ärgert sich über diese dumme Unterbrechung.
„Wissen Sie zufällig, wie lang und tief die Truhen sind?“, fragt er leise.
Rainer sagt es ihm.
„Könnten Sie mir eine davon überlassen?“
„Wenn Sie die Truhe selber abholen, gerne. Wann wäre es Ihnen denn recht?“
Das ist zu viel. Sixta knallt die Faust auf den Tisch und keucht: „Hihihi, Alter, willst du etwa darin schlafen?“
Ohne sich im Geringsten um die Häme zu kümmern, die in der Frage lauert, blickt Wegner das Buntglasfenster ernst an uns sagt: „Ja“.
Zunächst herrscht, wie in solch bizarren Situationen nicht unüblich, verblüfftes Schweigen. Man sieht sich erstaunt an, schüttelt ungläubig den Kopf, kratzt sich verwundert das Kinn. Das kann doch unmöglich ernst gemeint sein! Man blickt Wegner misstrauisch an. Häufig wird ja ein scharfer Witz oder ein kühner Scherz mit todernster Miene vorgetragen, um die Wirkung zu steigern. Aber in dessen Gesicht liegt auch nicht die kleinste Andeutung, dass dieses Ja nicht ernst gemeint sein könnte.
„Sag das nochmal!“, röhrt Sixta.
„Ja.“
Auf einmal bricht brüllendes, schenkelklopfendes Gelächter los.

In Wegners Gehirn verfestigt sich immer mehr die Überzeugung, dass der Umbau des Supermarktes extra für ihn geschieht. Die Gefriertruhe: Ein Geschenk des Himmels! Das ist die Lösung!, jubelt er. Ich kann noch gesünder leben, mir die Truhe zum Bett umbauen, das ganze Jahr bei tiefen Temperaturen schlafen und  bei Hitzewellen wie der gegenwärtigen darin abkühlen. Mein Dm wird davongaloppieren wie ein Turnierpferd! Und nicht nur das!
Ein anderer Gedankensplitter blitzt auf. Vielleicht wäre es mithilfe der Gefriertruhe sogar möglich, den nächsten Gipfel zu ersteigen! Er schaudert. Das ewige Leben, zum Greifen nah! Der Gedanke ist zu aufregend, um ihn jetzt, wo ihn alle anstarren, zuende zu denken. Um sich zu beruhigen, kippt er einen Kurzen, aber diesmal nicht in die Rabatten. Er kommt sich vor wie einer dieser alten Seefahrer, der gerade am fernen Horizont einen neuen Kontinent entdeckt. Spontan nimmt er sich vor, gleich morgen früh Engelmacher anzurufen und ihm das neue Projekt vorzutragen. Schon hört er dessen erstauntes Schweigen.

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Kurzer Bericht zum Hintergrund des Erfrierungstodes des Arbeitslosen Wolf Wegner
 
Am 15, 8, 20.. fand Herr Joseph Morgenknecht, ein Nachbar, Herrn Wolf Wegner tot und steif gefroren in der Gefriertruhe, die der Verblichene seit einiger Zeit als Nachtlager benutzte. Die sofort vorgenommene Temperaturmessung in der Truhe ergab in dreißig Zentimeter Höhe eine Temperatur von minus neunundzwanzig Grad Celsius.
Die Kriminalpolizei ging zunächst aus Überlegungen, die nicht bewiesen werden konnten, von Selbstmord aus. (Die Gründe, warum Wegner überhaupt in einer Gefriertruhe schlief, stehen hier nicht zur Debatte.)
Von Anfang an unterlag die Selbstmordtheorie jedoch erheblichen Zweifeln. Zum Beispiel fehlte ein Abschiedsbrief, ohne den ein Suizid sinnlos bleibt. Nach gründlicher Durchsicht der schriftlichen Hinterlassenschaften des Toten sowie eingehender Befragung der Zeugen erwies es sich bald, dass ein Selbstmord überhaupt nicht zum psychologischen Hintergrund des Toten passte. Es gab nicht den geringsten Hinweis auf depressive Angstzustände oder eine anders begründete Todessehnsucht. Hingegen geht aus dem Material eindeutig hervor, dass er sich immer mehr in eine euphorische Grundstimmung hineinsteigerte, die schließlich in wahnhaften Unsterblichkeitsfantasien mündete. Warum also sollte er sich  umbringen?
Nichts lag deshalb näher, als einen Unfall ins Auge zu fassen.
Laut mündlicher Mitteilung des Joseph Morgenknecht hatte Herr Wegner am Abend zuvor auf einer Grillfete für seine Verhältnisse etwas über den Durst getrunken. Somit war folgendes Szenario denkbar: Wegner, erheblich alkoholisiert, verstellt beim Einsteigen in sein bizarres Bett unbemerkt den Temperaturregler und erfriert. Obwohl auch diese Möglichkeit erhebliche Schwächen aufweist – es bleibt völlig unklar, wie viel Wegner an diesem Abend trank und ob er danach tatsächlich nicht mehr Herr seine Sinne war – wurde sie doch als die wahrscheinlichste akzeptiert.
Um sicher zu gehen, schaute sich der Berichterstatter einige in Frage kommende Gefriertruhen bei einem Discounter an. Dabei erwies es sich, dass die Unfalltheorie kaum noch zu halten war, denn keines dieser Modelle besaß einen Regler, der unbeabsichtigt verstellt werden konnte. Die Regelmodule befanden sich durchweg hinter einem Sichtfenster am rechten unteren Rand der Truhen. Es gab zwei Versionen: Eine mit Temperaturanzeige und Drucktastatur, die andere ohne Temperaturanzeige und mit einer unscheinbaren kleinen weißen Scheibe, die mit einem Schraubenzieher oder einem Ein-Cent-Stück gedreht werden konnte und Einstellungen von 1 bis 8 erlaubte. Nach Auskunft einer Angestellten betrug der Regelumfang dieser Truhen plus zwei bis minus fünfundvierzig Grad.
Wegners Tiefkühltruhe, die er als Bett benutzte, entsprach diesem Modell.
Damit waren wieder alle Fragen offen und eine Lösung nicht in Sicht.
War es Mord, ein Unfall oder gar ein verhängnisvoller Irrtum?
Jetzt ging es zunächst darum, diejenige Möglichkeit auszuschalten, die am unwahrscheinlichsten war: Zunächst einmal Mord.
Die Kriminalpolizei hatte Mord schon ausgeschlossen, weil sie kein Motiv und keinen Tatverdächtigen sah. Aber auch andere, praktische Umstände sprachen dagegen. So hätte der Täter die Regelscheibe verstellen müssen, während Wegner schlief – will sagen, er hätte das Sichtfenster unbemerkt abschrauben und das Scheibchen mühsam verstellen müssen, und das alles völlig geräuschlos und beim schwachen Schein einer Taschenlampe – und dann noch in Anwesenheit des Hundes, der nach Aussage Morgenknechts im selben Zimmer schlief – nur sehr schwer vorstellbar.
Auch ein Unfall schied aus bereits bekannten Gründen aus. Also blieb noch die Möglichkeit eines tragischen Irrtums.
Doch worin sollte der bestanden haben?
Denkbar ist dies: In dieser drückend schwülen Nacht sehnt sich Wegner nach schnellerer Abkühlung und dreht die Stellscheibe auf Position 8, übersieht dabei allerdings – und das wäre dann der fatale Irrtum –, dass damit minus fünfundvierzig Grad vorprogrammiert sind, denn, wie schon gesagt, eine Temperaturanzeige gibt es nicht. Er steigt er ins Bett und schläft er ein.
Ja, so könnte es gewesen sein.
Aber bei näherer Betrachtung zeigt sich schnell der seidene Faden, an dem auch diese Theorie hängt. Warum stellt er auf minus fünfundvierzig Grad ein? Zehn oder fünfzehn hätten doch auch gereicht! Hat er sich beim Einstellen geirrt? Und: Ist ihm ein solcher Irrtum überhaupt zuzutrauen? Auch wenn er einer Art Unsterblichkeits-Wahn lebte, so zeigte er doch in allem was er tat Methode, und es ist kaum anzunehmen, dass er sich unbedacht auf ein solch eisiges Wagnis einlässt. Und so betrunken kann er nicht gewesen sein, dass ihm die Gefahr nicht bewusst war.
Der Berichterstatter hat lange gezögert, die Möglichkeit eines Suizids auch nur ansatzweise zu erwägen. Doch da er Morgenknecht und Wegners Ex-Frau Aufklärung versprochen hat, sieht er sich gezwungen, trotz erheblichster Bedenken auch diese Variante in den Abschlussbericht aufzunehmen.
Der Berichterstatter stützt sich dabei auf Wegners Tagebuch, in dem der Verfasser von sich fast immer in der dritten Person spricht. Es gibt also für ihn zwei Wegner: Den Tagebuchschreiber – und einen erzählten, fiktiven, den er in seinem Wahn für den wirklichen hält. In schizophrener Verblendung will er mit dem Schreiber, dem total Gescheiterten, dem an der Welt Verzweifelten, nichts mehr zu tut haben. In einem ungeheuren Willensakt übergibt er den Schreiber entsprechend seine Logik dem Kältetod, um als erzählter Wegner in ewiger Jugend weiterzuleben, denn schließlich bildet er sich ja mittlerweile ein, unsterblich zu sein. Um ganz sicher zu gehen, dass der Tod auch wirklich eintritt – denn wie oft gehen Selbstmordversuche schief – stellt er die tiefste Temperatur ein: Minus fünfundvierzig Grad.
Jetzt passt auch der so genannte psychologische Hintergrund: Wolf Wegner tötet sich nicht, weil er des Lebens überdrüssig ist, sondern weil er in unbändiger Lebensfreude auf einer höheren Stufe des Daseins weiterexistieren will.
Zugegeben, Psychologie hin, Psychologie her, auch diese Version klingt ziemlich unwahrscheinlich. Doch Hand aufs Herz: Was ist bei einem Menschen wie Wolf Wegner schon wahrscheinlich …
Gez.
Heinrich Struchholz, psychologischer Sachverständiger

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