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[Rom] After Life Prolog+Kapitel 1


 
 
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Hydrael
Gast






Beitrag19.12.2007 10:03
[Rom] After Life Prolog+Kapitel 1
von Hydrael
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Hallo zusammen,

ich habe mich jetzt dazu entschlossen, auch mal einen Thread für meine gesammelten Ergüsse zu eröffnen wink

Und zwar möchte ich euch mit meinem Fantasy/Horror Roman namens After Life belästigen. Das Manuskript ist mittlerweile bei knapp 70 Seiten angelangt, und liesst sich soweit - so finde ich zumindest - halbwegs flüssig. Auch wenn das Ganze zugegebenermaßen noch weit entfernt ist von einem Zustand, dem man den Stempel "vollständig überarbeitet" aufdrücken könnte.

Zum Hintergrund hatte ich in meinem Vorstellungsthread, bzw. im Mein erstes Mal Bereich schon ein bischen was gesagt, deshalb hier jetzt nur nochmal kurz das nötigste:

Die Geschichte dreht sich - wie der Name vermuten lässt - um das Leben nach dem Tod. Genauer gesagt: Die Hölle, bzw. einen Ort, den man als solche bezeichnen könnte.
Mein Protagonist ist Andy Warhol, ein junger Chaot, der sein verkorkstes Leben wieder auf die Reihe bekommen will.
Der Großteil des ersten Kapitels beschäftigt sich damit Andys Lebensumstände und seine Charaktereigenschaften zu beschreiben, so daß man ihn lieben, bzw. hassen lernt. Das Kapitel endet mit der Überleitung zu dieser Hölle, die dann für den Rest der Geschichte den Hauptschauplatz darstellen wird.
Ausserdem wird im ersten Kapitel kurz der Antagonist namentlich erwähnt.

Ich hatte vor vielleicht alle zwei Tage einen neuen Abschnitt zu posten (längere Abschnitte werde ich unterteilen) und würde mich sehr freuen, wenn ihr mich mit Feedback bombardieren würdet smile

Kurz noch, bevors losgeht: Vorgestern habe ich angefangen ein kleines Blog zu füttern. Dort poste ich die Geschichte ebenfalls. Denjenigen, die am Bildschirm lesen, ist das Blog vielleicht ans Herz zu legen, da es sich dort evtl. von der Formatierung her etwas angenehmer lesen lässt.

Ich danke euch schonmal für die Aufmerksamkeit, und es folgt: Der Prolog wink

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Hydrael
Gast






Beitrag19.12.2007 10:06

von Hydrael
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Prolog

Endlich waren die Schreie verstummt.
  Wäre er vor wenigen Tagen gefragt worden, ob er sich jemals vorstellen könne, Erleichterung beim Tode seiner Familie zu empfinden, so hätte Daniel den Fragesteller vermutlich für verrückt erklärt.  Aber er war erleichtert. Selbst sein Zorn, die Hilflosigkeit und die Rachegelüste, die er empfand, konnten das Gefühl der Erleichterung nicht überwiegen. Ihre unmenschliche Qual hatte ein Ende gefunden. Nicht einmal die unausweichliche Tatsache, dass ihm in wenigen Augenblicken das Selbe widerfahren würde, konnte das Gefühl der Erleichterung nicht überwiegen.


  Als die Hinrichtung begann, blickte er in die tränenerfüllten, panisch um ihr Leben flehenden Augen seiner Frau. Anna und seine Tochter Agnes waren jeweils an einen Holzpfahl gebunden und ihm gegenüber aufgestellt. Zu ihren Füßen waren trockene Holzscheite aufgestapelt. Die Menge johlte, während Agnes vor Todesangst wimmerte. Mit den Lippen formte er an seine Tochter gerichtet die Worte: „Hab keine Angst mein Schatz. Es wird alles gut. Sobald es vorbei ist, werden wir uns im Jenseits wieder sehen“. Sie reagierte nicht. Völlig apathisch fixierte sie einen Punkt, der sich scheinbar ein paar Meter von ihr entfernt am Boden befand. Ihr langes, von Schweiß und Tränen durchnässtes Haar hing ihr wie ein Mahnmal der Erschöpfung ins Gesicht.

  Ein Priester der heiligen Inquisition betrat den Schauplatz. Er platzierte sich an Daniel gewandt in der Mitte des Dreiecks, das die drei Scheiterhaufen bildeten. Plötzlich herrschte Totenstille.

  „Wollt ihr ein letztes Mal Beichte ablegen, bevor ihr dem Schöpfer gegenübertretet?“

  Daniel schloss die Augen und atmete tief ein. Ihm war bewusst, dass er nichts mehr tun oder sagen konnte, um seiner Familie die Qualen des bevorstehenden Feuertodes zu ersparen. Auf einen Akt der Gnade in Form einer vorherigen Enthauptung wagte er nicht mehr zu hoffen. Das Urteil, das über ihn verhängt wurde war unmisverständlich: Er sollte seine Liebsten brennen sehen, bevor die Fackel des Scharfrichters seinen eigenen Scheiterhaufen anstecken würde.

  Allerdings konnte ihr Leiden auch kaum noch verschlimmert werden. In diesem Bewusstsein öffnete er die Augen.

  „Richard! Du gottloser Feigling! Ich kann dich nicht sehen, aber ich weiss, dass du hier bist!“ brüllte er mit Leibeskräften. Der Teil des Pöbels, der sich unmittelbar hinter ihm befand, wich aufgeschreckt gesammelt ein paar Schritte zurück.

  Daniel versuchte krampfhaft seine hinter dem Rücken an den Pfahl gefesselten Hände zu befreien, um den Mann, der ihn und seine Familie der Ketzerei bezichtigte das anzutun, was ein Mann einem anderen mit bloßen Händen anzutun vermochte. Aber natürlich brachte das nichts. Die Schlinge zog sich nur noch fester um seine Handgelenke, so dass ihm das Seil mit jeder Bewegung tiefer ins Fleisch schnitt. Aber das spürte er nicht. Schmerzen spürte er schon lange nicht mehr. Die einzigen Empfindungen, die ihn so kurz vor seinem Tode noch beherrschten waren Schuld und Hass.

  „Du Schweinehund wirst deine gerechte Strafe noch erfahren! Irgendjemand wird dein verlogenes, intrigantes Antlitz durchschauen und dir an meiner Stelle dein falsches Herz heraus…“. Der Schlag in die Magengegend mit dem unteren, stumpfen Ende der Fackel des Scharfrichters, der zu seiner Linken stand, ließ ihn abrupt mit einem erstickten Laut verstummen. Nach Luft ringend keuchte er mit nach vorne gebeugtem Haupt, während der Priester den Henker mit einer Kopfbewegung anwies, mit der Exekution zu beginnen.

  Während der Henker mit der Fackel in der Hand auf seine Frau zuging, begann der Pöbel, der sich kreisförmig um den Schauplatz aufgestellt hatte, wieder sein Gejohle aufzunehmen. Einige verkündeten lautstark, dass die Hexen endlich brennen sollten. Andere spuckten ihm und seinen beiden Angehörigen von hinten auf Nacken, Kopf und Rücken. Der Rest warf mit faulem Gemüse nach ihnen und feuerte den Scharfrichter an. Als das flehende Klagen seiner Frau begann, während der Scharfrichter im Begriff war ihren Scheiterhaufen anzustecken, schloss wieder Daniel die Augen. Er wusste nicht, ob man Erinnerungen mit ins Jenseits nehmen konnte. Sollte dies der Fall sein, so wollte er seine Familie lebend und unversehrt in Erinnerung behalten.

  Dann begannen die Schreie. Markerschütternd und alles andere übertönend schrie Anna aus voller Lunge, als die Flammen begannen an ihren Füßen zu zehren. Kurz darauf stimmte seine Tochter Agnes mit ein, die zusammen mit ihrer Mutter ein makabres Duett des Grauens bildete. Es war unerträglich mit anzuhören, wie diejenigen, die er so sehr liebte, einen langsamen und qualvollen Tod starben. Tränen krochen unter seinen geschlossen Augenlidern hervor.

  Er hatte sich geirrt. Er konnte sehr wohl noch Schmerzen fühlen. Diese Art jedoch, war schlimmer als alles andere, was er in seinem Leben an Schmerzen je ertragen musste. Selbst die peinliche Befragung, mitsamt ihrer Daumenschrauben und dem spanischen Stiefel, unter dessen Qualen er letztendlich geständig wurde, waren nur wie kleine Nadelstiche verglichen mit dem Schmerz den er jetzt empfand, als sich die gequälten Schreie in seinen Kopf fraßen.

  Er fragte sich, wie es nur so weit kommen konnte. Aber im Nachhinein betrachtet, war ihm das völlig klar. Und so begann auch er zu brennen. Und während die Flammen langsam, gierig und unaufhaltsam an seinem Körper empor krochen, vergaß er nach und nach seine Angehörigen. Stück für Stück verließen ihn Trauer, Angst und Hilflosigkeit. Übrig blieb nur Hass. Grenzen- und zügelloser Hass auf diejenigen, die ihn hintergangen hatten. Hass war das Letzte was er empfand, bevor seine Seele langsam aus ihm wich.
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Gabi
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Beitrag19.12.2007 23:49

von Gabi
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Schreit auf jeden Fall nach mehr!

Auch deine Einweisung fand ich sehr interessant. Da könnte sich was entwickeln. Also immer her mit deinen Texten.

L.G.
Gabi
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Hydrael
Gast






Beitrag20.12.2007 08:29

von Hydrael
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Kapitel I
- Erwachen -

1

„Wollt ihr noch was trinken, Jungs?“ fragte Nicci sichtlich genervt. Andy und seine beiden Kumpels hingen schon den ganzen Abend hier herum und betranken sich. Hier ist eine kleine, verruchte aber gemütliche Kneipe namens „The Singin’ Snowman“ in Burnsville, einem kleinen Vorort von Vancouver, Kanada.

  Nicci, die Kellnerin deren eigentlicher Name Zoe Blacksmith lautete, hatte an diesem Abend allen Grund zur Klage: Ihr Boss Steve war wegen eines grippalen Infekts ausser Gefecht gesetzt und ihr Kollege Ray verweilte in New York bei seiner Mutter. Vorgestern wurden beide Türme des World Trade Center durch zwei von Terroristen entführte Boeing 767 zum Einsturz gebracht und Rays Vater arbeitete zum Zeitpunkt des Einschlags der ersten Maschine im 95. Stockwerk des Nordturms. Er war – so hofften Ray und seine Mutter zumindest – auf der Stelle tot. Deshalb war neben Zoe nur Martha, die Köchin anwesend. Zoe musste den Laden also alleine schmeissen, womit sie ihre liebe Not hatte. Denn wie es die Ironie des Schicksals so mit sich brachte, wählten Andy Warhol, Mike Oslender und Billy Stonewash diesen Abend für ihren regelmäßigen Umtrunk. Gestern wäre es ihr gleich gewesen diese drei Kasper zu bedienen. Gestern war Steve noch gesund. Aber sie kamen heute. Samstag.

  Zugegeben, es hätte schlimmer sein können. Die drei machten keinen wirklichen Ärger – sie nervten einfach nur wahnsinnig. Das äusserte sich beispielsweise in ihrer Angewohnheit grundsätzlich jede Kellnerin Nicci, und jeden Kellner Ralph zu nennen – nur so zum Spaß. Beim ersten Mal guckt man etwas verwirrt und korrigiert freundlich, mit einem Lächeln, man hiesse nicht Nicci, sondern Zoe. Beim zweiten, dritten und vierten Mal lachte man mit. Man gab den Typen vielleicht sogar selbst ein paar zufällige Scherznamen und blödelte ein wenig mit ihnen herum. Beim fünften und sechsten Mal nagte es allerdings allmählich an den Nerven und irgendwann hatte man die Schnauze einfach voll. Das ist dann der Zeitpunkt, ab dem Andy, Mike und Billy beginnen die Situation richtig witzig zu finden. Kindsköpfe.

  „Wie sieht’s aus Mike?“ grölte Andy, der bereits ziemlich lädiert war. Mike runzelte die Stirn und tat so, als ob er über etwas wahnsinnig kompliziertes, wie etwa die zweihundertsiebzehnte, vierzigstellige Primzahl in Pi nachdachte. Dann lehnte er sich zurück, öffnete den Mund weit und rülpste einmal kräftig und lange. Daraufhin meinte er trocken mit einem bestimmten Nicken:

  „Kommt noch nichts mit, ich würde sagen da geht schon noch was“. Billy prustete.

  „Dann noch ein zehner Tablett Bacardi Cola, Nicci, und drei Jägermeister!“ antwortete Andy und schnalzte arrogant mit den Fingern. Zoe wandte sich ab und wollte zurück zur Theke, als ihr Billy und Mike ein kehliges „Heeeey!“ in den Rücken schmetterten. Zoe drehte sich langsam wieder zu ihnen um, ohne jedoch auf sie zuzugehen. Sie wusste genau was jetzt kam. Der gleiche dämliche Spruch wie jedes Mal, wenn sie volltrunken waren. Sie verdrehte genervt ihre kastanienbraunen Augen und seufzte tief.

  „Für uns beide bitte das Selbe!“

  Die Drei lachten, als ob das der Witz des Jahrhunderts gewesen wäre.

  „Ich sollte mir einen Gefallen tun und euch wirklich pro Kopf ein Tablett, oder besser gleich ein paar Flaschen auf den Tisch stellen. Da könnt ihr euch dann volllaufen und mir meine Ruhe lassen.“

  Andy setzte einen Gesichtsausdruck auf, als stünde er kurz vor einem Heulkrampf. Mit bebenden Lippen und übertrieben zitternder Falsettstimme meinte er: „Nicci? Magst du uns etwa nicht?“

  „Ja, was haben wir dir denn getan?“ stimmte Billy mit ein.

  Mike entsagte der Gruppendynamik und meinte im selben trockenen Tonfall wie zuvor: „Nicci, mal ernsthaft. Du kannst uns nicht einfach uns selbst überlassen. Wer soll denn später bitte den Notdienst rufen, wenn Billy wieder droht an seinem Erbrochenen zu ersticken, während Andy und ich pennen?“.

  „Halt die Klappe Mann! Ich wäre nicht erstickt!“ entgegnete der Denunzierte.

  „Wenn mir heute einer von euch hier eine Sauerei auf dem Tisch, unter dem Tisch, auf dem Klo oder sonst wo hinterlässt, schwöre ich euch, dass ich euch das selbst aufwischen lasse! Verdammt noch mal! Die Bude hier ist voll, ich bin alleine und ihr drei Pfeifen habt nichts Besseres zu tun, als mir ständig auf den Geist zu gehen!“. Zoes Gesicht lief hochrot an und aus ihren Augen schossen Blitze. Sie drehte sich wieder um und ignorierte die weiteren dämlichen Sprüche.

  „Wo bleibt mein Bier?“ tönte es von anderswo aus der Kneipe. Ja, Zoe war heute Abend definitiv nicht zu beneiden.

  Während sie sich an den bestellten Longdrinks zu schaffen machte, lallten, grölten und lachten die Drei vor sich hin. Andy, Mike und Billy waren Kumpels seit mindestens einer Million Jahre. Gut, fünfzehn Jahre trifft es wohl eher, was aber angesichts ihres Durchschnittsalters von 22 Jahren eine durchaus bemerkenswerte Zeitspanne war. Mike, mit 23 Jahren der Älteste, war der einzige mit einem festen Job als Elektroniker in einer lokalen Reparaturwerkstatt für TV und HiFi Geräte. Billy, der jüngste mit 21 Lenzen, verkaufte abends Eintrittskarten in dem kleinen Kino in Burnsville und arbeitete tagsüber als Einpacker im ansässigen Supermarkt. Andy hatte momentan überhaupt keinen Job und noch weniger Lust sich in absehbarerer Zukunft einen zu suchen. Er meinte, sein letzter Job als „Telefonist“ bei einer Gay Hotline sei ihm zu gruselig gewesen und er brauche jetzt eine Auszeit. Deshalb liess er sich von seinen Freunden aushalten. Alle drei hatten zuviel Zeit, zuviel Unsinn im Kopf und träumen vom Durchbruch ihrer Death Metal Band namens Facial Mutilation.

Andy war eigentlich ein ziemlich cleverer Bursche. Vor zwei Jahren war er sogar – sehr zum Stolz seiner Eltern - auf dem College gewesen. Allerdings fragte er sich bereits nach zwei Wochen Studientätigkeit, ob er wirklich diese Art von Leben führen wollte: Anzugtragend anderen Anzugträgern wohlartikuliert in den Arsch zu kriechen um Kohle zu scheffeln wie ein Hamster mit unendlich großen Backentaschen. Nein, das wollte er nicht. Eine kurzfristig ausgelegte Zukunftsplanung, die sich hauptsächlich mit Bier und Musik beschäftigen sollte, erfüllte ihn doch um einiges mehr. Nachdem er das College wieder hingeschmissen hatte, wurde er von seinen Eltern rausgeworfen.

    „Ich habe nicht jahrelang deine Eskapaden, deine verdammten langen Haare, den Krach, den du als Musik bezeichnest und deine aufmüpfige Art ertragen, um dich schlussendlich als Sozialschmarotzer vor die Hunde gehen zu sehen! Hau ab!“.

    Das waren die letzten Worte seiner Mutter. Seitdem lebte er zusammen mit Billy in einer ziemlich heruntergekommenen, 60 Quadratmeter großen Drei-Zimmer Wohnung in der Ortsmitte von Burnsville. Einmal wöchentlich gingen Billy und er zusammen mit Mike, der nur am Wochenende Zeit hatte, in den Singin’ Snowman um sich ordentlich die Birne zu vernebeln – wie auch heute.


---------------------------------------

So, hier mach ich erstmal nen Schnitt. Der Abschnitt geht noch ein bischen weiter.
@Gabi: Danke - I'll keep it coming wink
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Hydrael
Gast






Beitrag21.12.2007 09:15

von Hydrael
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Und weiter gehts:

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  „Ey, hört mal zu. Ich hab euch was zu sagen.“ begann Billy mit einer seltsam ernsten und vor allem nüchternen Stimme. Andy und Mike waren immer beeindruckt von Billys Fähigkeit seinen Blutalkoholpegel scheinbar auf Knopfdruck temporär um mindestens ein Promille senken zu können.
  
„Was denn? Bist du schwanger?“ meinte Mike. Andy quittierte diesen Spruch mit einem hölzernen Lachen, ähnlich dem Lachen des braunhaarigen aus Beavis & Butthead. He-he-he.

  „Naja, in einer gewissen Hinsicht...“ Andy und Mike sahen sich verdutzt an.

  „Andy. Ich will’s kurz und schmerzlos machen. Ich werde nächste Woche ausziehen.“

  „Verarsch jemand anders.“

  „Nein, ernsthaft. Ich habe auf Arbeit jemand kennen gelernt.“

  „Was? In deinem Tickethäuschen?“. Wieder lachten Mike und Andy ob dieses göttlichen Scherzes.

  „Verdammt Leute, ich meins ernst. Sie heisst Nadine. Wir sind seit gut einem halben Jahr zusammen, und wir werden uns eine gemeinsame Wohnung suchen.“ meinte Billy in einem schon fast zickigem Tonfall.

  Andy beugte sich nach vorne und musterte Billy mit einer hochgezogenen Augenbraue: „Ähm, Billy? Nur um eins klarzustellen. Dir ist klar, dass du seit Jahren jede freie Minute breit, besoffen oder beides warst? Und zwar zusammen mit mir?“. Andy musste sich sehr zusammenreissen nicht wieder laut loszulachen. „Und eine Frau ist mir in unserer Bude irgendwie nie aufgefallen“, fuhr er fort. „Mal davon abgesehen, dass sich da ohnehin keine reintrauen würde“. Jetzt lachte er doch und Mike stimmte mit ein: „Bis auf dieses eine Mal, als ihr diese eine Blondine abgeschleppt hattet“ prustete er.

  „Die ist doch postwendend wieder abgehauen, als sie unseren Mülleimer gesehen hatte.“ brüllte Andy.

  Ihr Mülleimer, war eine eklige, überquillende Plastiktüte, die an der Klinke der Küchentür hing und deren Inhalt vor sich hinschimmelte. Sie wechselten sie vielleicht alle drei Wochen. Damals, als sie die Blondine, deren Namen sie bereits an der Schwelle zu ihrer Wohnungstür vergessen hatten, irgendwie dazu überredet hatten mit ihnen nach Hause zu kommen, lag ganz oben auf dem Mülleimer Steiner, Andys Wellensittich der tragischerweise verstorben war. Gemerkt hatten sie das erst nach ein paar Tagen. Doch statt ihn direkt nach draussen in die Mülltonne zu befördern entschied sich Andy für den kürzeren Weg und entsorgte den Vogel in ihren Mülleimer. Die Maden, die sich dort einen Stock tiefer an einem halbverzehrten Steak zu schaffen machten, wanderten nach oben und begannen den armen Steiner zu bearbeiten. Als die Blondine das sah, war ein angewiedertes „Oh mein Gott!“ das Letzte, das sie von sich gab, als sie die Wohnung wieder fluchtartig verliess. So viel zu dem einzigen Frauenbesuch im Hause Warhol und Stonewash.

  „Verdammt, jetzt hört mir doch gefälligst mal zu! Wir haben unsere Beziehung bisher in unseren gemeinsamen Pausen im Supermarkt und zwei oder dreimal nach Feierabend in einem Café geführt. Wir lieben uns, und wir wollen heiraten und zusammenziehen.“

  Das war's. Andy und Mike konnten nicht mehr. Sie brachen in grölendes Gelächter aus. Andy klopfte mehrmals mit der flachen Hand auf den Tisch und Mike hielt sich den Bauch. Ihnen gingen Bilder durch den Kopf, wie Billy mit Bundfaltenhose, Hemd, Krawatte und Weste mit seinen blonden, langen Haaren in einem Piekfeinen Café saß und mit abgespreiztem, kleinen Finger Cappuccino trank und über Kunst philosophierte. Oder Bilder von einem Billy der im Pausenraum von Marty’s Mart in Angestelltenuniform verliebt mit Handküsschen um sich warf und dabei debil kicherte.

  In diesem Moment kam Zoe mit dem 10er Tablett Bacardi Cola und den drei Jägermeistern zurück.

  „Nicci! Stell dir vor! Billy hier will heiraten und Kinder kriegen!“ keuchte Andy heiser. Zoe verstand kein Wort. Mike hingegen explodierte in einer weiteren Lachsalve als er Zoes verwirrtes Gesicht sah.

  „So lange ihr mir meine Ruhe lasst, ist mir alles recht.“ fauchte sie und zog wieder von dannen.

  Billy, der einfach nur da saß und die Sache über sich ergehen liess, lief hochrot an. Nicht aus scham, sondern weil er stinksauer war. Er wartete, bis sich die beiden wieder gefangen hatten, was allerdings ziemlich lange dauerte. Als es dann soweit war, und er weiterreden wollte meinte Mike nur „in der Pause“ und das Gebrüll begann wieder von vorne.

  „Ok, ich hab die Schnauze voll ihr Ärsche! Ich hatte wirklich vor vernünftig mit euch zu reden. Vor allem mit dir Andy, weil du wirst dir einen Job suchen und deine scheiß Miete selbst zahlen müssen!“

  Schlagartig war Andy still.
  „Was zur Hölle meinst du mit Miete selbst zahlen müssen? Meinst du den Scheiß mit dieser Tussi tatsächlich ernst?“

  „Diese Tussi heisst Nadine, und ja, ich meine es verdammt ernst.“

  Mike schaltete sich ein: „Billy. Jetzt noch mal langsam: Du hast vor einem halben Jahr auf Arbeit eine Frau kennen gelernt.“
  Vor einem halben Jahr zog er übertrieben in die Länge um der Aussage mehr Gewicht zu verleihen.
  „Mit dieser Frau – Nadine? – führst du bereits eine Beziehung. Ihr hattet bisher jedoch noch keinerlei Privatsphäre, und ihr seht euch nur Montag bis Freitag jeweils eine halbe Stunde? Sehe ich das richtig? Wenn ja, ich hoffe, dir ist klar, wie irrsinnig sich das anhört?“

  „Ja, das siehst du richtig, und ja, ich weiß wie sich das anhört. Es ist nur...es war mir einfach peinlich, verdammt. Die Wohnung. Andy.“

  „Hey!“

  „Sie wohnt noch bei ihren Eltern. Einmal meinte sie, ihr Vater hätte gesagt, er dulde nicht, dass sie einen Freund hätte, so lange sie bei ihm wohnen würde. Und er würde ihm, sollte sie doch einen Freund haben, die Eier abreissen. Ich hänge an meinen Eiern verdammt! Am liebsten hätte ich euch gar nichts gesagt. Aber Nadine meinte, sie wolle nicht verheimlicht werden. Vorallem nicht vor euch.“
Der Tonfall des euch gefiel Andy und Mike irgendwie nicht.

  Andys blassgrüne Augen blickten in die Augen Billys.
  „Alter, was soll das, Mann? Kündigst du uns hier die Freundschaft, oder was?“ Andy wurde sauer.

  „Nein, natürlich nicht! Sorry Leute, für mich ist das auch nicht gerade einfach. Es ist nur...“ er seufzte tief. Als er mit seiner Rechtfertigung fortfahren wollte klopfte Andy Billy freundschaftlich auf die Schulter und stürzte mit der anderen Hand seinen Jägermeister herunter.

  „Ich sag dir was“ lallte Andy, dem der Jägermeister nun doch ziemlich zu Kopf stieg. „Wir vergessen die Scheiße jetzt wieder, trinken gemütlich aus, und dann gehen wir bei uns noch ein bischen abhängen. Ich hab noch ’nen Brocken Shit daheim. Vielleicht fällt uns ja eine passable Lösung ein. Was meint ihr?“

  Mike hob kurz die Hand zum Mund, um sich leise in die hohle Faust zu rülpsen (oder unterdrückte er ein Auf-den-Tisch-kotzen?) und meinte „Ja Mann, gute Idee“. Billy nickte resigniert.

  Zwanzig Minuten später machten sie sich völlig fertig auf den Weg zu Andys und Billys Bude. Ihre Rechnung zu zahlen hatten sie mal wieder vergessen. Das würden sie wie immer beim nächsten Mal nachholen.

  Sie kamen ohne grössere Zwischenfälle an. Unterwegs hatte sich Mike lediglich auf den Gehweg übergeben und Billy war kurz in eine Hecke gefallen...nichts von Bedeutung. Zum Kiffen kamen sie allerdings nicht mehr. Binnen von Minuten waren sie alle eingeschlafen. Andy auf dem dreckigen Fussboden im Wohnzimmer neben einem riesigen, völlig überfüllten Marlboro Aschenbecher. Billy auf der Couch und Mike in Andys Bett.
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Hydrael
Gast






Beitrag22.12.2007 11:02

von Hydrael
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2


Vier Wochen später durfte Andy feststellen, dass er tatsächlich in Schwierigkeiten steckte.

    Billy machte wirklich ernst. Nachdem sie ihren Rausch am Tag nach Billys Offenbarung ausgeschlafen hatten, begann er damit seine Sachen zu packen. Am darauf folgenden Tag hatte er alles beisammen. Ein Karton voll mit seinen paar Klamotten; hauptsächlich schwarze T-Shirts mit aufgedruckten Bandlogos, ein paar Jeans und eine geschnürte Lederhose. Ein zweiter Karton war gefüllt mit seiner kleinen Sammlung Bücher, hauptsächlich esoterischer  Art. Dann war da noch sein Ibanez Elektronikbass samt Verstärkerkombo mit eingebautem fünfzehn Zoll Lautsprecher. Dazu noch eine Reihe von Kleinigkeiten, die er in zwei Plastiktüten untergebracht hatte.

    Billy fühlte sich mies. Nachdem seinem Mitbewohner klar geworden wurde, dass er wirklich ausziehen würde, hatte Andy kein Wort mehr mit ihm geredet. Er versteht es einfach nicht, versuchte Billy sich selbst zu beruhigen. Aber verstand er es selbst? Fakt war: Sie alle drei hatten bisher wenige, bis gar keine Erfahrungen mit Frauen. In Burnsville waren sie die einzigen Metalheads – es gab keine Szene - und deshalb waren sie entsprechend vom Rest der gleichaltrigen Welt isoliert. Nicht dass sie das gestört hätte – im Gegenteil. Sie waren stolz darauf anders zu sein. Sie waren auch fest davon überzeugt nicht nur anders, sondern sogar überlegen zu sein.

    Geschmacksverirrte, oberflächliche Idioten. Dumme Lämmer, die völlig hirnlos durchs Leben rennen und ihre eigene Scheiße fressen, bis sie letztendlich zur Schlachtbank geführt wurden. Männlein wie Weiblein. Das war so im Großen und Ganzen ihr Bild der Gesellschaft.

    Und dieses Bild versteckten sie nicht. Ihre völlig überhebliche, herablassende Art der Kommunikation schreckte vor niemandem zurück. Das hatte selbstverständlich zur Folge, dass sie für das weibliche Geschlecht de facto nicht existierten. Allerdings störte sie das auch nicht großartig. Sprüche wie „Puh! Gestern war ich kurz davor meine rechte Hand wegen Vergewaltigung zu verklagen.“ waren kein Produkt einer Mangelerscheinung. Es hatte sogar Vorteile sich offiziell aus dem Genpool zu verabschieden. So konnte man selbst den bestaussehensten Schnäpfen die unverblümte Meinung ins Gesicht schmettern – etwas, worauf ein normal denkender Mann im Leben nicht kommen würde.

    So hatte Andy beispielsweise vor kurzem Beth Parker, der ehemaligen Highschoolschönheit, als er hinter ihr im Bus nach Vancouver saß und eine Unterhaltung mit einer Freundin über das Thema „Bin ich schon bereit für ein Kind?“ mithören konnte, geraten, die Sache doch lieber gleich zu vergessen und der Nachwelt einen Gefallen zu tun, indem sie nicht das Risiko eingeht etwas ähnlich blödes wie sich selbst in die Welt zu setzen. Es gäbe schon genug Idioten auf dem Planeten. Dass er sich nicht für ihr empörtes Gezeter interessierte, signalisierte er durch provokatives Einsetzen der Ohrhörer seines billigen MP3 Players.

    Ja, Andy war ein Misanthrop in Reinform und auch die anderen beiden hatten wirklich wenig für die Menschheit übrig.

    Doch Billy hat es tatsächlich geschafft irgendwie Eindruck auf eine Frau zu erwecken. Vermutlich gelang ihm das aufgrund des neutralen Bodens, auf dem er sie kennen lernte. Ohne den Einfluss seiner beiden Kumpels. Ohne Cannibal Corpse Shirt. Ohne Nietenarmband. Sondern in weiss-grüner Marty’s Mart Uniform. Billy wusste, dass eine Frau Gift für ihre Dreifaltigkeit war. Aber verdammt, Nadine mochte ihn! Nach langem Überlegen kam er zu dem Schluss, dass er gar nicht erst versuchen würde Frau und Freundschaft unter einen Hut zu bringen. Es ist schon fast ein Naturgesetz, dass Frauen grundsätzlich jede Freundschaft durcheinanderbrachten. Das wusste er. Deshalb stand sein Entschluss fest: Die Zeit des Austobens war vorbei. Es war Zeit erwachsen zu werden und Vergangenes hinter sich zu lassen. Diese Vorstellung schmerzte ihn, aber insgeheim war er davon überzeugt, dass es das Beste sei.

    Bevor er ging, versuchte er noch mal mit Andy zu reden. Vielleicht schaffte er es ja doch noch ihm seine Beweggründe klar zu machen. Der jedoch meinte nur, er solle sich endlich verpissen. Kameradenschwein.

    Andy blutete das Herz. Er war nicht völlig bescheuert. Auch ihm war klar, dass sein Leben und die Leben von Billy und Mike nicht ewig so weitergehen würden. Dass sie sich verändern würden. Aber dass es so unvermittelt und auf eine solch klischeehafte Art und Weise geschehen sollte? Er könnte kotzen.

    Heute, vier Wochen später, klingelte es an Andys Tür. Er konnte sich immer noch nicht dazu aufraffen sich einen neuen Job zu suchen. Scheinbar hoffte er darauf, dass der Gott, an der er nicht glaubte, seine Miete schon irgendwie zahlen würde. Deshalb war auch zu Hause. Umso überraschter war er, in Mr. Wrights Gesicht zu blickten, als er die Tür öffnete. Mr. Wright war sein Vermieter. Verdammt, scheinbar muss ich mich wirklich selbst um die Miete kümmern ging es Andy durch den Kopf. Er grinste Mr. Wright an und sagte: „Na wenn das keine Überraschung ist! Kommen sie doch...“

    „Was bitte ist das für ein gotterbärmlicher Gestank?“ entfuhr es Mr. Wright mit seiner angeschlagenen Stimme. Der Kerl war schätzungsweise 60 Jahre alt, wirkte aber wesentlich älter. Er hatte graues, lichtes Haar und kalte, blaue Augen. Und seine Stimme krächzte als ob sein Kehlkopf und der komplette Bereich darum herum ein einziges, riesiges Karzinom wären und ihn nur eine tägliche Dosis von tausend Zigaretten am Leben erhalten könnte. Ähnlich wie das sprichwörtliche, alte Auto, das nur noch vom Rost zusammengehalten wurde. Seine Mundwinkel zog er angewidert nach unten, so dass sein Gesicht wirkte, wie das einer fetten Bulldogge, die böse schaut um den Briefträger zu verjagen. Er hob seine Hand zum Gesicht und verdeckte seine rote, knollige Nase um den tatsächlich vorhandenen Gestank abzuschirmen. Da fiel Andy der Truthahn wieder ein.
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Hydrael
Gast






Beitrag23.12.2007 11:37

von Hydrael
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Vor drei Tagen hatte er im Alkohol- und Marihuanadelirium beschlossen Billy im Supermarkt zu besuchen. Als er so durch Marty’s Mart schlenderte, fiel ihm die große, extra für das bevorstehende Thanksgivingfest aufgestellte Tiefkühltruhe auf, die mit massig backfertigen Truthähnen ausgestattet war. Eine plötzliche Eingebung sagte ihm, heute Abend würde es Truthahn geben.

    So schleppte er den zwölf Kilo schweren Eisklotz zur Kasse. Billy hatte heute frei, aber den hatte Andy sowieso schon wieder vergessen, jetzt galt es den Truthahn heimzubringen. Als er dort ankam spürte er seine Hände, die Arme, seine Brust und sein Kinn nicht mehr – er hatte das Ungetüm umarmt wie eine auf Truthahngröße komprimierte, tiefgekühlte Traumfrau und es so die drei Blocks nach Hause transportiert.

    Ein wahrlich ulkiger Anblick für alle, die ihn dabei zu Gesicht bekamen. Daheim angekommen brachte er erstmal den sinkenden Alkoholpegel wieder auf Vordermann und machte sich anschließend daran den Truthahn zuzubereiten. Bei der Gelegenheit fiel im auf, dass er gar keinen Backofen besaß, sondern nur eine Mikrowelle. Und deren Fassungsvermögen war nicht ansatzweise ausreichend. Kein Problem dachte er. Ich zerstückle das Vieh einfach und gare es portionsweise in der Mikrowelle. Doch da stand er schon vor dem nächsten Problem. Er hatte weder eine Geflügelschere, noch ein ausreichend großes Messer. Ausserdem war der Truthahn nach wie vor tiefgefroren. Allerdings hatte er im Keller eine Flex, die Billy und er mal von einer Baustelle hatten mitgehen lassen. Es war eine ziemliche Sauerei, als Andy begann den äusserlich langsam antauenden Truthahn mit der Flex zu bearbeiten. Nachdem sich die Hälfte des Truthahns überall in der Küche verteilt hatte dämmerte ihm langsam, dass es wohl ohnehin keine allzu gute Idee wäre rohes Fleisch in der Mikrowelle zuzubereiten.

    Er hatte die Schnauze voll und stopfte die Überreste des Truthahns in den Mülleimer an der Tür. Dort faulte er nun seit drei Tagen vor sich hin...

    „Mr. Warhol. Ich habe keine Ahnung was sie in dieser Wohnung treiben. Aber ich sage ihnen dies: Sie sind seit einer Woche überfällig mit der Miete, und die Anwohner beschwerten sich schon mehrfach bei mir über sie wegen Ruhestörung. Scheinbar hören sie nachts laute Musik, oder was weiß ich.“

    Tatsächlich spielte er nachts laut auf seiner E-Gitarre.

    „Deshalb meine einzige und letzte Warnung. Wenn ich nicht innerhalb einer Woche meine Miete habe, oder sich noch eine einzige Person über sie beschwert, dann sind sie die Wohnung los Mr. Warhol! Und gottverdammt – tun sie etwas gegen diesen Gestank!“.

    „Ja, Mr. Wright. Selbstverständlich Mr. Wright. Ich appelliere an die Güte ihres Herzens mir zu vergeben, Mr. Wright.“ antwortete Andy in seinem selbstgefälligen Tonfall.

    Der alte Mann guckte kurz etwas verwirrt, nickte hastig, drehte sich um und ging wieder. Andy blickte ihm hinterher und zeigte ihm just in dem Moment, als sich Mr. Wright noch einmal umdrehte wie Columbo, dem beim Verlassen des Raumes in dem sich der Täter befand noch eine letzte Frage einfiel, den Mittelfinger. Ups dachte er und zog die Hand wieder ein. Mr. Wright hingegen machte wieder kehrt und verlies Andys Sichtbereich – er war offensichtlich kurzsichtig.
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Hydrael
Gast






Beitrag24.12.2007 10:27

von Hydrael
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4


Andy ging wieder zurück, gab der Wohnungstür einen leichten schubs und sie fiel – ganz zu seiner Überraschung – leise ins Schloss. Er stand in dem kleinen Flur, von dem aus man sämtliche Zimmer betreten konnte. Die erste Tür links führte in Billys ehemaliges Zimmer, das nun leer stand. Die zweite Tür zu seiner Linken führte in sein eigenes Zimmer. Rechts waren Badezimmer und Küche. Geradeaus befand sich ein Durchgang in das von Andy und Billy gemeinsam genutzte Wohnzimmer. Eine typische WG Aufteilung.

    Dämlicher, alter Pisskopf dachte sich Andy. Er sah sich um. Direkt zu seinen Füßen lagen eine halbleere Chipstüte und ein völlig verbogener Drahtkleiderbügel, mit dem er versucht hatte den Ohrring, der ihm letzte Woche im Bad ins Waschbecken und von dort in den Abfluss gefallen war, wieder herauszufischen – was ihm aber leider mislang. Der ganze verdammte Flur war voll mit irgendwelchem Kram. Der Teppich...moment mal, sie hatten doch im Flur garkeinen Teppich, oder? Ja, er erinnerte sich; der Flur war eigentlich weiß gefliesst gewesen. Ungläubig ging er in die Hocke und betrachtete den bräunlichen Fußboden etwas genauer. Tatsache. Gefliesst. Plötzlich fiel ihm ein, dass sie im Grunde genommen nie sauber gemacht hatten.

    Vielleicht hat der alte Pisskopf garnicht mal so Unrecht?
    Was hatte er sonst schon zu tun? Er hatte sich ohnehin vorgenommen eine Zeit lang mit der Sauferei etwas kürzer zu treten. Er hatte keinen Bock mit 30 an einer Leberzirrhose zu verrecken, und was er momentan so wegschluckte würde dieses Vorhaben nicht gerade begünstigen. Lieber ab und zu mal richtig wegknallen, als ständig blau zu sein, so wie Mike es handhabte. Dann gibts auch keine mit Truthahn tapezierte Küche.

    „Ich sollte besser sofort anfangen, bevor ich wieder die Lust verliere“ murmelte Andy vor sich hin. Er beschloss, dass die erste Amtshandlung von Andy 2.0 die Beseitigung des Mülleimers sein sollte. Er ging also in die Küche und starrte auf die eklige Plastiktüte, die an der Tür hing. Sie war völlig überfüllt. Ein Wunder, dass sie noch nicht nirgendwo aufgerissen und durchgebrochen war. Und sie stank gotterbärmlich. Wieso war ihm das nie aufgefallen? Angewidert zerrte er die Tüte von der Klinke. Da sie so voll war, konnte er sie nicht mit einer Hand halten. Die beiden Tragehenkel ließen sich nicht nah genug zusammenführen weshalb er den herausquellenden, von den Toten auferstandenen Inhalt des Mülleimers hätte berühren müssen. Und das wollte er auf keinen Fall, nein. Also hatte er einen Henkel in jeweils einer Hand und trug die abscheuliche Imitation eines Abfalleimers in Hüfthöhe vor sich her in Richtung Wohnungstür, um sie nach draussen zur Mülltonne zu bringen. Als er etwa in der Mitte des Flurs angekommen war passierte es: Kein „ratsch“, kein Knall. Es war, als ob der Boden der Tragetasche von einen Moment auf den anderen einfach nicht mehr existierte. Der komplette, grösstenteils pelzige Inhalt des Mülleimers verteilte sich im Bruchteil einer Sekunde über Andys Beine, seine Stiefel und auf dem Fußboden. Ein bestialischer Gestank von faulendem Fleisch, schimmligen Resten chinesischen Essens und anderen undefinierbaren Widerlichkeiten stieg ihm in die Nase. Er unterdrückte den plötzlichen Brechreiz und warf die leere Plastiktüte wütend durch den Flur.

    „Fuck! Verdammt, was für eine ekelhafte Scheisse!“ brüllte er und wollte den stinkenden Haufen am Boden wegtreten, was er sich im letzten Moment dann aber doch noch anders überlegte. Nach ein paar Sekunden Fassungslosigkeit überkam ihn wieder ein spontaner Brechreiz und er hastete ins Badezimmer, wobei er klebrige, stinkende Fußabdrücke hinterliess. Er stand vor dem Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Er war blass. Einzelne Bartstoppeln wuchsen wild wie zertretener Rasen eines ungepflegten Fussballfeldes und seine blonden, langen Haare hingen ihm fettig ins Gesicht.

   „Gott, ich sehe vielleicht scheisse aus.“

   Sein Magen beruhigte sich wieder und er sah an sich herab. Die Jeans war hinüber, definitiv. Er schnappte sich eins der gebrauchten Handtücher, das oben auf dem Dreckwäschehaufen in der Ecke des Badezimmers lag. Die Wäsche wurde bis vor kurzem noch halbwegs regelmäßig von Billys Mutter gewaschen. Er wischte die Jeans und seine Stiefel hastig ab und verzog das Gesicht zu einer angewiderten Fratze als er die durch den Stoff dringende Feuchtigkeit auf seinem Schienbein spürte. Er warf das Handtuch dorthin zurück, wo er es her hatte und ging wieder in den Flur. Der Gestank wurde immer schlimmer, aber irgendwie kam er erst nachdem er die ganze Wohnung auf Vordermann gebracht hatte auf die Idee, ein Fenster zu öffnen.

   Den Haufen im Flur beseitigte er mit einer Plastikschaufel, die er sich aus dem Kindersandkasten im Hinterhof geschnappt hatte. Zufällig fand er unter dem Bett in seinem Zimmer eine ganze Reihe von großen, schwarzen Müllsäcken. Er fing an, alles in diese Müllsäcke zu packen, das er a) nicht mehr brauchte, b) kaputt war oder c) nicht mehr lebte, oder bald wieder leben würde – kurz: den Großteil des gesamten Hausrates.

    „Okay, jetzt wird geputzt.“ dachte sich Andy. Zur moralischen Unterstützung schloss Andy seinen MP3 Player per Adapterkabel an der Lautsprecherbox seines Gitarrenverstärkers im Wohnzimmer an. Nach nur wenigen Sekunden donnerte „At The Gates“ aus den vier Lautsprechern des Mesa Boogie Cabinets. Was Musik angeht war Andy bestens ausgerüstet.
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Enfant Terrible
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Ein Fingerhut voller Tränen - Ein Gedichtband
Beitrag24.12.2007 11:30

von Enfant Terrible
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Keine Kritik, aber: Mach nen Dauerbrenner draus!

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"...und ich bringe dir das Feuer
um die Dunkelheit zu sehen"
ASP

Geschmacksverwirrte über meine Schreibe:
"Schreib nie mehr sowas. Ich bitte dich darum." © Eddie
"Deine Sprache ist so saftig, fast möchte man reinbeißen." © Hallogallo
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Hydrael
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Beitrag24.12.2007 12:32

von Hydrael
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Wie geht das vonstatten? Embarassed
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Mana
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Apollon
Beitrag24.12.2007 12:36

von Mana
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Einfach Boro ne PN schicken....

Frohe Weihnachten^^

Gruss Ralf


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Der Verstand schreibt mit Tinte, das Herz mit Leidenschaft...

Wissenschaft ist ein stahlharter Metalldildo zum umschnallen.- Vince Masuka

Mein Lieblingsepigramm:
"Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse
Und mich in gott und gott in mich zusammenfasse." von Johannes Scheffler
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Hydrael
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Beitrag24.12.2007 12:49

von Hydrael
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Danke - dir, und allen anderen Threadbesuchern ebenfalls schöne Feiertage wink
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Hydrael
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Beitrag27.12.2007 11:09

von Hydrael
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Während ich auf eine Antwort von Boro warte, gehts erstmal hier weiter wink

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    „Yeah, jetzt geht los“. Andy kam richtig in Fahrt und etwa fünf Stunden später hatte seine Wohnung einen Zustand erreicht, den man ruhigen Gewissens als ordentlich bezeichnen konnte. Zwar musste er die Arbeit mehrmals unterbrechen, weil er alltägliche Gegenstände und Reinigungsutensilien, wie beispielsweise Schaufel und Besen nicht besaß, aber er konnte sich dank seines ausgeprägten Improvisationstalents – das in nicht allzu ferner Zukunft über Leben und Tod entscheiden würde – stets vor einem Spaziergang zu Marty’s Mart drücken. So wurde ein schwarzes T-Shirt mit dem aufgedruckten Schriftzug der Band Paradise Lost kurzerhand zum Putzlappen umfunktioniert. „Die haben eh nachgelassen und es nicht besser verdient“ war Andys Kommentar dazu.

    Während er durch die vergleichsweise neu wirkende Wohnung schlenderte, überlegte Andy, was er nun tun sollte. Aus seinem Lautsprechern dröhnte nach wie vor Musik der härteren Gangart: derzeit Unleashed. Ihm fiel auf, dass die Musik doch ziemlich laut war und erinnerte sich an das, was Mr. Wright über Ruhestörungen gesagt hatte.

Er drehte den Lautstärkeregler etwas  zurück und ließ danach den Blick auf die Digitaluhr seines DVD Players wandern, der sich – nun staubfrei – neben einem großen Röhrenfernseher auf einem wackeligen Furnierholztischchen breit machte. Die grünen LED Ziffern sagten ihm, es sei Viertel vor sieben Uhr abends. „Noch nicht zu spät um Mike auf den Geist zu gehen“ grinste Andy in sich hinein. Er schlurfte in den Flur, dessen neue, helle Atmosphäre ihn irgendwie beeindruckte. Er wollte Mike anrufen und ihm die unglaubliche Botschaft überbringen: Andy Warhol hatte sauber gemacht.

    Vor zwei Stunden noch lag das Telefon inmitten eines Müllberges in Andys Zimmer. Jetzt jedoch schmückte es die mit goldenem Samtimitat überzogenene Sitzfläche eines alten Polsterstuhls, den Andy zwischen Badezimmer- und Küchentür aufgestellt hatte. Sobald er mal wieder flüssig war, wollte er sich etwas Besseres einfallen lassen. Aber immerhin hatte das Telefon jetzt einen festen Platz, was eine mehr als gute Übergangslösung darstellte. Andy nahm den Hörer ab und wählte Mikes Nummer.

    Nachdem das Telefon etwa zehn Mal geklingelt hatte, wollte Andy den Hörer wieder auflegen, da er der Meinung war, Mike wäre nicht zu Hause. Im letzten Moment jedoch meldete sich Mike mit einem „Ja?“, das den Anschein erweckte, er hätte sich ziemlich gehetzt um an das Telefon zu kommen.

    „Hey Alter, rat mal.“

    „Ich weiß nicht...was denn?“ antwortete Mike, der mit irgendetwas anderem beschäftigt war. Andy konnte durchs Telefon ein reibendes Geräusch und das Klappern einer Gürtelschnalle vernehmen.

    „Was zum Geier treibst du?“ wollte Andy wissen.

    „Ich zieh gerade meine Hose hoch. Du hast mich vom Klo gescheucht – ich war gerade dabei ein Ei zu legen. Was ist denn jetzt?“

    „Du musst unbedingt mal vorbeikommen. Das musst du mit eigenen Augen sehen!“

    „Andy, ich kann nicht. Ich muss morgen wieder früh raus und das weisst du genau.“

    „Dauert nicht lange, ich schwörs dir. Ausserdem hab ich gerade weder Alkohol, noch Pot im Haus, insofern brauchst du keine Angst davor haben zu versumpfen.“

    „Wer sind sie? Und was haben sie mit Andy angestellt?!“

    „Oh, du wirst dich noch wundern.“

    „Na gut. Gib mir eine halbe Stunde.“

    „Alles klar.“. Kurzes Zögern. „Magst du vielleicht etwas Bier mitbringen?“ bat Andy mit einem schelmischen Grinsen, das Mike vor seinem geistigen Auge förmlich sehen konnte.

    „Nein, will ich nicht.“ entgegnete Mike amüsiert. „Bis gleich“
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Hydrael
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Beitrag28.12.2007 18:40

von Hydrael
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4

Mike war kein Kind der Pünktlichkeit. Eine gute Stunde war vergangen, als es klopfte. Andy schlenderte zur Wohnungstür und öffnete sie schwungvoll. Mike stand draussen.

    „Warum klingelst du denn nicht?“ fragte Andy mit einem breiten Grinsen.

    „Ich dachte, die Klingel funktioniert ni... heilige Scheisse!“ entfuhr es Mike, als er über Andys Schulter hinweg einen Blick in das Wohnungsinnere erhaschen konnte.

    „Krass, oder? Komm rein.“ Andy ging einen Schritt zur Seite und wies seinen Freund mit einer einladenden Handbewegung an doch einzutreten. Als Mike über die Türschwelle trat, legte Andy seine Hand auf Mikes Schulter und hielt in an.

    „Sei doch bitte so freundlich, und zieh’ deine Treter aus, ja?“. Er deutete mahnend auf Mikes abgenutzte Stiefel.
Sie waren nicht besonders schmutzig, nur ein wenig staubig, aber Andys scharfer Blick duldete keine Widerworte. Mike musterte ihn fassungslos. Seit er Andy kannte, wurde er nicht ein einziges Mal um Ordentlichkeit gebeten. Im Gegenteil. Andy hatte nicht einmal gemotzt, wenn man vergessen hatte die Toilettenspühlung zu betätigen. Nach einem grösserem Geschäft wohlgemerkt. Und nun sollte er seine Boots ausziehen? Er sah, daß Andy es ernst meinte und schluckte seinen Protest - vorerst. Gerade als er in die Knie ging, um die fest verschnürten Stiefel abzulegen, platzte es lauthals aus Andy heraus. Sein wieherndes Lachen drang durch die noch offene Wohnungstür hinaus in das Treppenhaus und erzeugte dort hallende Echos.

    „Du blöder Arsch“ keifte der Verspottete. Er erhob sich aus seiner gebückten Haltung und schloss die Tür hinter sich, als er Andys „neue“ Wohnung betrat.
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Hydrael
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Beitrag29.12.2007 15:01

von Hydrael
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5 - Intermezzo

Nog’Shur musste absolut sicher sein. Er durfte kein Risiko eingehen. Sollte das giftige Extrakt des Taxurkrauts Abedabt nicht auf der Stelle töten, wären Qualen fernab menschlicher Vorstellungskraft die Folge. Er hatte Experimente mit Tieren durchgeführt, die man Shibblys nannte.

    Shibblys sahen Siamkatzen zum Verwechseln ähnlich. Cremefarben, mit durchdringenden, indigofarbenen Augen. Sie bewegten sich anmutig und geschmeidig und schienen äusserst intelligent zu sein. Vermutlich waren sie sogar Siamkatzen. Egal. Für Nog’Shur waren sie Testobjekte. Versuchskaninchen.

Er brauchte Anhaltspunkte, um die letale Dosis seines Extrakts bestimmen zu können. Er konnte nicht einfach eine beliebige Dosis unter Abedabts Abendmahl mischen, bevor er es ihm servieren würde, denn Taxurkraut roch sehr intensiv; ein beissender Geruch wie Ammoniak, der bereits in winzigen Mengen Tränen zu Tage förderte. Abedabt durfte auf keinen Fall bemerken, dass mit seinem Essen etwas nicht stimmte. Deshalb musste das Gift äusserst genau dosiert werden. Ausserdem war Nog’Shur passionierter Alchimist. Er musste diese besondere Pflanze einfach durchschauen und analysieren. Wie ein Archeologe, der ein längst vergessenes, unter Wüstensand verborgenes Dorf eines uralten Stammes entdeckt hatte.

    In den letzten zwei Tagen hatte er insgesamt sieben Shibblys mit jeweils unterschiedlichen Mengen Taxurextrakt vergiftet – mit mäßigem Erfolg: Sie waren alle augenblicklich tot gewesen.

    Etwa zwei bis drei Sekunden – er konnte die Zeit nicht genau messen – nachdem er den Tieren die vergifteten Fleischbröckchen in den Rachen gestopft hatte, wurden sie von extremen Krämpfen heimgesucht. Alle Muskeln arbeiteten auf Hochtouren. Bei zwei Tieren konnte man mehrere knackende Geräusche vernehmen – das waren Knochen, die unter der Kraft der eigenen Muskeln zerbarsten wie umstürzende Glaszylinder. Jedem Shibbly schoss Blut in Schwällen aus sämtlichen Körperöffnungen. Letztendlich verdrehten sie die Augen, so daß nur noch das Weisse zu sehen war und verweilten mausetot in ihrer Blutlache.

    Das alles brachte ihm nichts. Die Resignation wich und blanke Wut überkam ihn. Er packte den Kadaver des vor wenigen Minuten verendeten Shibblys, der am Eingang der großen Granithöhle lag und schleuderte ihn mit aller Kraft davon. Das blutige Knäuel flog im hohen Bogen über die Böschung, die sich wenige Meter vor ihm kilometerweit erstreckte. Nein, das alles brachte ihm nichts. Sein Gift war zu potent und die Shibblys zu zierlich. Ohne vernünftige Messgeräte würde er niemals etwas Brauchbares aus den Versuchen mit den Tieren ableiten können. Er konnte aber auch kein Risiko eingehen. Er brauchte ein grösseres und kräftigeres Testobjekt. Einen Menschen. Daran führte kein Weg vorbei, das wurde ihm jetzt bewusst.

    Plötzlich kamen ihm die Versuche der letzten Tage so lächerlich vor, so unnötig. Denn schließlich wollte er ja keine Rattenplage beseitigen. Sein Ziel war etwas viel grösseres. Ein Wesen, das weit jenseits jeder Menschlichkeit existierte.

    Alles in ihm sträubte sich gegen diese Erkenntnis. Aber wie wollte er Abedabt töten, wenn er nicht einmal wusste, wie das Gift auf einen Menschen wirkte? Er wusste ja nicht einmal, ob Abedabt überhaupt sterblich war. Abedabt war der allmächtige Herrscher. Hier war Abedabt Gott.

    Er blickte zum von dunkelvioletten Wolken verhangenen, orangefarbenen Himmel hinauf. Eine leichte Brise wehte ihm ins Gesicht. Es war wieder Zeit. Er musste zurück, bevor jemand wegen seiner Abwesenheit Verdacht schöpfte.
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Leona
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L
Beitrag29.12.2007 18:15

von Leona
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Hallo Hydrael!
Sag mal, ist der letzte Text eine neue Geschichte? Oder kommt jetzt einfach ne andere Person rein? Ich steig da gerade nicht ganz durch...
Aber den Teil mit Andy fand ich gut. Irgendwo hatte ich noch was anzumerken... Leider weiß ich nicht mehr wo, bei so viel Text. Ich werde es noch einmal suchen.
lg,
Leona
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Hydrael
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Beitrag29.12.2007 18:42

von Hydrael
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Hi Leona.

Nein, der letzte Abschnitt ist ein kurzes Intermezzo, aber die selbe Geschichte. Ein kurzer Einblick in die Welt, um die sich die Handlung eigentlich drehen wird.

Die Tatsache, daß es etwas verwirrt, ist volle Absicht.
Gegen Ende des ersten Kapitels wird allerdings aufgeklärt, was das Ganze soll - zumindest im Groben wink
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Leona
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Beitrag29.12.2007 19:04

von Leona
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aha... da bin ich jetzt ja gespannt Very Happy
lg,
Leona
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Hydrael
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Beitrag30.12.2007 10:21

von Hydrael
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6

„Jetzt pass auf Alter, ich kann ´nen neuen Fatality.“ brüstete sich Mike, der neben Andy auf dessen altmodischer, aber äusserst gemütlicher Couch im ehemaligen Gemeinschaftsraum saß. Sie spielten Mortal Kombat. Beide bearbeiteten ihre Playstationcontroller wie zwei wahnsinnige Epileptiker und Andy hatte gerade das siebte Spiel in Folge verloren. Mikes Spielfigur war kein guter Gewinner. Statt dem besiegten Gegner die Hand zu geben und sich für den guten Kampf zu bedanken, liess Mike seinen Protagonisten durch eine komplizierte Kombination verschiedener Tastendrücke Andys strauchelnden Charakter kurzerhand den Kopf abreissen. Das Pixelblut ergoss sich völlig übertrieben literweise über den Bildschirm. Mike unterstrich seinen Triumpf durch ein lautes „Strike!“.

    „Nächstes Mal bist du fällig!“ meinte Andy, als er Mike freundschaftlich schubste. Nachdem Mike staunend Andys aufgeräumte Wohnung begutachtet hatte, wollte er wissen, welche Tarantel Andy denn nun gestochen hat. Er berichtete ihm von Mr. Wrights Besuch. „Dann kam es halt einfach so über mich“ erklärte er weiter. Danach liessen sie sich am Sofa nieder und vertrieben sich die Zeit mit Videospielen. Andy und Mike waren im Grunde genommen zwei in etwa gleich starke Kontrahenten. Heute jedoch schien Andy abgelenkt zu sein.

    „Was is denn los, Mann? Du gehst doch sonst nicht so unter.“ zog Mike Andy auf.

    Andy warf seinen Controller leicht zur Seite. Er prallte von der federnden Sitzfläche des Sofas ab und fiel zu Boden.

    „Mist“. Andy bückte sich und hob ihn wieder auf. Auch etwas, woran er vor wenigen Stunden noch nicht einmal im Traum gedacht hätte. „Ich weiß auch nicht. Seit Billy ausgezogen ist, habe ich irgendwie das Gefühl ...“

    Mike unterbrach ihn: „Jetzt hör’ endlich auf wegen Billy rumzuflennen. Der fängt sich schon wieder, keine Panik.“

    „Nein, lass mich doch mal ausreden“ entgegnete Andy ungewollt patzig. Er stand auf und lief durch das Wohnzimmer. „Es ist nicht wegen Billy. Es ist...was ist, wenn er Recht hat? Verstehst du? Vielleicht sollte ich wirklich langsam mal meinen Arsch hochbekommen und aufzuhören mich wie ein Vollasi zu benehmen.“

    „Äh, Andy. Mach bitte nicht den Fehler zu glauben, ich wäre der vernünftigere von uns beiden, nur weil ich einen festen Job habe.“ Mike zuckte mit den Schultern. „Ich beneide dich um deinen Lebensstil – ehrlich.“

    „Ich bin mir eben nicht mehr sicher, ob mein Lebensstil wirklich beneidenswert wäre.“ Andy trottete weiterhin im Wohnzimmer auf und ab. „Weißt du, ich hätte in den letzten Wochen wirklich viel Zeit gehabt, mal ein wenig nachzudenken. Habe ich aber nicht. Ich habe einen konstanten Alkoholpegel gehalten und vor mich hin gelebt.“

    „So, wie du es immer getan hast“ grinste Mike.

    „Genau. So wie ich es immer getan habe.“ Andy blieb stehen und hob den rechten Zeigefinger wie ein ermahnender Lehrer: „Der Unterschied jedoch ist, daß die letzten Wochen niemand hier war, der mich von der Eintönigkeit meines Lebens ablenkte. Ich habe zwar wie gesagt nicht über mein Leben nachgedacht, scheinbar aber mein Unterbewustsein.“ Andy setzte seinen Wohnzimmerspaziergang fort. Er spielte mit Daumen und Zeigefinger an seinem bärtigen Kinn. „Ausgelöst wurde diese Erkenntnis wohl durch Mr. Wrights Besuch. Und langsam meine ich...nein, ich bin mir sicher, daß es Zeit ist erwachsen zu werden.“ Andys Augen leuchteten, als ob er die Entdeckung des Jahrhunderts gemacht hatte.

    „Herzlichen Glückwunsch Sherlock. Das ist so ziemlich der abgedroschenste Spruch den es gibt. Gleich nach Lass uns Freunde bleiben.“ Es war offensichtlich, daß Mike ihn nicht ernst nahm.
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Leona
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L
Beitrag30.12.2007 13:37

von Leona
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Hallo Hydrael,
mit dem Zwischenteil komme ich immer noch nicht klar, aber du meintest ja, das klärt sich noch... Very Happy
Was mir aufgefallen ist, dass Andy ja eine ziemliche Wende gemacht hat - von betrunken, unordentlich etc zu einem Menschen, der... nun ja... über sein Leben nachdenkt. Das geht schon ins Philosophische, finde ich. Find ich etwas krass, kann aber ja mal vorkommen...
Zitat:
Nachdem Mike staunend Andys aufgeräumte Wohnung begutachtet hatte, wollte er wissen, welche Tarantel Andy denn nun gestochen hat

Es heißt, wenn ich mich nicht irre: ...welche Tarantel Andy denn nun gestochen habe...
Ich finde diesen Teil
Zitat:
„Nächstes Mal bist du fällig!“ meinte Andy, als er Mike freundschaftlich schubste. Nachdem Mike staunend Andys aufgeräumte Wohnung begutachtet hatte, wollte er wissen, welche Tarantel Andy denn nun gestochen hat. Er berichtete ihm von Mr. Wrights Besuch. „Dann kam es halt einfach so über mich“ erklärte er weiter. Danach liessen sie sich am Sofa nieder und vertrieben sich die Zeit mit Videospielen. Andy und Mike waren im Grunde genommen zwei in etwa gleich starke Kontrahenten. Heute jedoch schien Andy abgelenkt zu sein.

nicht so gelungen. Machen die beiden eine Pause beim Spielen und während dieser Pause erklärt Andy sein "Problem"? Oder ist das nur ein Einschub? Wenn ja, würde ich den Einschub vielleicht mehr verdeutlichen, indem ich einen Absatz oder so setzen würde...
Ansonsten: sehr schön und ich warte auf die Fortsetzung. Very Happy
lg,
Leona
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Hydrael
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Beitrag30.12.2007 14:50

von Hydrael
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Hi Leona,

Leona hat Folgendes geschrieben:
mit dem Zwischenteil komme ich immer noch nicht klar, aber du meintest ja, das klärt sich noch


Ein wenig musst du dich noch gedulden, ja wink

Leona hat Folgendes geschrieben:
Es heißt, wenn ich mich nicht irre: ...welche Tarantel Andy denn nun gestochen habe...


Jups, hast recht - da hat sich der Schreibfehlerteufel eingeschlichen - wird korrigert, danke smile

Leona hat Folgendes geschrieben:
Machen die beiden eine Pause beim Spielen und während dieser Pause erklärt Andy sein "Problem


Zu dem Zeitpunkt spielen sie noch, Andy wirft ja dann im nächsten Absatz seinen Controller zur Seite. Kann das aber auch noch etwas hervorheben.
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Hydrael
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Beitrag01.01.2008 17:29

von Hydrael
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Andy liess sich aber nicht aus der Ruhe bringen. „Jaja, ganz wie du meinst. Hör zu, Mike. Ich wollte dich fragen, ob es in deiner Firma nicht vielleicht irgendwelche Aushilfsjobs gibt. Irgendetwas, mit dem ich mich vorübergehend über Wasser halten könnte, während ich nach einem richtigen Job Ausschau halte.“

    Mike schwieg einen Augenblick und sah sich mit übertriebenen Bewegungen im Raum um. „Okay, das reicht jetzt. Wo sind die versteckten Kameras?“. Andy wusste nicht was er sagen sollte. Er war es nicht gewohnt mit seinen Freunden Unterhaltungen über ernste Themen zu führen. Normalerweise war Nonsens wie Wieviel Kilo scheisst man wohl in seinem Leben? Gegenstand ihrer Dialoge. Er wollte die Flucht nach vorne antreten und Mike anfahren, daß er es sehr wohl ernst meine.
Mike schien das jedoch zu bemerken und kam ihm zuvor: „Ruhig Blut Alter. Ich zieh dich nur auf.“ Mikes Stimme klang jetzt anders. Ernst. „Also bei uns ist momentan nichts frei.“ erklärte er. „Aaaber. Boris, ein russischer Kollege von mir besitzt eine paar Ländereien. Getreide, Mais und ein bischen Vieh und so. Vor ein paar Tagen hat er rumgejammert, daß ihm die Arbeit langsam zuviel werden würde.“ Mike versuchte einen russischen Akzent nachzuahmen indem er abgehakt und mit betontem „r“ sprach: „Mikey, ich weiss nicht, wie ich das alles schaffen soll. Arrbeit hierr, arrbeit zuhause auf Rranch. Alles stinkt nach Scheisse. Frrau ist weg, mein Saatgut fängt bald an zu verfaulen und das Vieh frrisst mirr noch die Haare vom Kopf.“

Andy hob amüsiert die Augenbrauen. „Ich denke, wenn ich ihm sage, daß ich jemanden hätte, der ihm bei der Arbeit auf der Ranch helfen würde, wäre er sicherlich begeistert. Und ein paar Dollars lässt er sicherlich auch springen.“

    „Ich soll auf ´nem Bauernhof arbeiten?“ fragte Andy ungläubig.

    „Wäre zumindest ein Anfang.“

    Andy dachte einen Augenblick darüber nach. Er beschloss der Sache eine Chance zu geben und trug Mike auf Boris zu fragen, ob er für ihn arbeiten könne.

    „Prima, das wäre also erledigt. Können wir dann weiterzocken?“ wollte Mike wissen.

    „Sicher. Und jetzt bist du fällig.“

    Sie spielten noch etwa vierzig Minuten Mortal Kombat, bevor Mike den Heimweg antrat. Andy verlor alle Spiele.
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