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Siegfried
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Beiträge: 104



S
Beitrag13.10.2013 14:39
Leseprobe
von Siegfried
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Ist der Text lesbar/nicht lesbar?
Ist er interessant/uninteressant?
Der Text wurde 1987 verfasst und 1990 überarbeitet.
Die Rechtschreibung wurde 2010 sehr behutsam auf die NDR angepasst.

Vorabinformation:

Hartmut ist 8 Jahre alt, als Adolf Hitler Reichskanzler wird. Hartmuts Vater, ein Lehrer, ist deutsch-national und kaisertreu. Und damit ein Gegner der "Quasselbude", wie er den demokratisch gewählten Reichstag in Berlin nennt. Am 30. Januar 1933 bezeichnet er gegenüber seinem Sohn Hartmut den neuen Reichskanzler Hitler als "zwar nicht sehr sympathisch, aber nun würde endlich reiner Tisch gemacht".

Hartmut muss ins Jungvolk und kommt später in die Hitlerjugend. Im November 1938 erlebt er im kleinstädtischen Celle die Ausschreitungen gegen die Juden in der Reichspogromnacht, damals "Reichskristallnacht" genannt.



9. November 1938 – Das verdrängte Entsetzen

Bis zu diesem Tage konnten wir wohl wirklich meinen, Hitler habe im guten Sinne »reinen Tisch gemacht«, Ordnung geschaffen. Es gab keine Arbeitslosen, keine Bettler mehr. Viele Familien mit kleinem Einkommen hatten mit öffentlicher Hilfe Siedlungshäuser bauen können, in denen sich gut wohnen ließ. Es gab keine Straßenkämpfe mehr, und man konnte auch zu später Stunde ohne Furcht durch die Straßen gehen. Die Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs war gut, die Preise stabil. Wir erlebten eindrucksvolle Opern- und Schauspieldarbietungen im Stadttheater, Orgelkonzerte in der Kirche.

Wir waren stolz auf die Anerkennung Deutschlands durch das Ausland bei den Olympischen Spielen, auf unsere schönen schnellen Ozeandampfer, auf die Autobahnen.

Allerdings gab es da einen weißen Fleck in dem schönen Bild. Irgendwann, wohl schon vor 1936, gab es ein Getuschel unter uns Schülern: »Weißt du schon? Die Regierung hat in Dachau ein Konzentrationslager für Arbeitsscheue und politische Gegner einrichten lassen!« Aber wir hatten auch schnell eine einleuchtende Rechtfertigung zur Hand: »Nun ja, was soll man auch mit denen machen, wenn sie sich dauernd querstellen? Die haben’s in einem Lager immer noch besser als im Gefängnis!«

So verschwand Dachau schnell wieder aus unseren Gesprächen, aus unserem Bewusstsein. Dass es nach und nach viel mehr Konzentrationslager wurden, drang nicht bis zu uns durch, weder über die Schule, noch über die Familie, noch über die HJ. Fleißige Zeitungsleser waren wir Jungen wohl alle in der Zeit noch nicht. Ich wurde es erst nach Kriegsausbruch; und dann interessierten mich vor allem die Wehrmachtsberichte, nach denen ich auf den Karten an der Wand meines Zimmers den aktuellen Frontverlauf mit Nadeln markierte.

Dass es »Nürnberger Gesetze« gab, habe ich in jenen Jahren bestimmt erfahren. Denn mein Vater begann damals mit Eifer, die ohnehin recht reichlich vorhandenen familiengeschichtlichen Dokumente nach Möglichkeit zu ergänzen. Ich kannte auch die Rede vom »arischen Großvater«, den »man« nachweisen müsse. Was das aber für die Menschen bedeutete, die keinen vollständigen arischen Stammbaum vorweisen konnten, blieb mir unbekannt. Allenfalls wusste ich durch meinen Vater, dass sie nicht Lehrer werden konnten. Aber so streng wurde das offenbar nicht gehandhabt; denn mein halbjüdischer Biologielehrer blieb, solange ich die Schule besuchte, also bis Sommer 1942, im Amt (er wurde zwar später, 1943 oder 1944, entlassen, blieb aber vor dem KZ verschont; dafür bin ich heute noch dankbar).

Das Bild des »Dritten Reiches« war also für uns, für mich durchaus akzeptabel.

Aber dann kam das Entsetzen.

Als ich am Morgen des 10. November in die Klasse kam, war es auffallend still. Nur hier und da hörte man ein Flüstern. Mein Banknachbar, dessen Schulweg im Gegensatz zu meinem durch die Innenstadt führte, flüsterte dann auch mir zu: »Jüdische Geschäfte demoliert! Schaufenster eingeschmissen! Auch Wohnungen verwüstet!«

Der Geschichtslehrer, sonst stets pünktlich, kam mit einiger Verspätung in die Klasse. Er war bleich, hielt die Augen an den Boden geheftet, machte die Handbewegung »Hinsetzen!« noch wegwerfender als sonst – und begann, unkonzentriert zwar, den Unterricht. Der Vormittag lief ab, ohne dass auch nur einer der Lehrer etwas zu den Ereignissen der vergangenen Nacht gesagt hätte.

Als mein Vater nach Hause kam, setzte er sich schweigend zu uns an den Mittagstisch, an dem wir auf ihn gewartet hatten. Ich sehe ihn noch vor mir, bleich, verstört. Nach kurzem Schweigen schlug er mit der Faust auf den Tisch und sagte: »Davon kann der Führer nichts gewusst haben! Das war bestimmt der Goebbels, der Lump!« – Damit war das Thema erledigt. Was hätten wir beiden »Großen«, sechzehn und vierzehn Jahre alt, auch sagen sollen? Die beiden kleinen Geschwister verstanden wohl ohnehin noch nicht, was geschehen war.

Aus den Nachrichten erfuhren wir dann, dass in einer »spontanen Aktion« außer der Verwüstung der Geschäfte und Wohnungen auch die Synagogen niedergebrannt worden waren. »Unsere« Synagoge war verschont geblieben, weil sie in einem Fachwerkhaus mitten zwischen den anderen Häusern gleicher Bauart untergebracht war und ein Brand nicht hätte eingedämmt werden können. Der Saal war allerdings auch demoliert worden.

Ich kann es heute noch nicht fassen, dass dieses Ereignis, das doch offenbar so viele Menschen meiner Umgebung – meine Lehrer, meinen Vater – in Entsetzen gestürzt hatte, doch so gänzlich ohne Folgen in ihrer und meiner Haltung gegenüber dem NS-Staat geblieben ist.

Ich kann es nicht fassen; aber ich kann heute eine Erklärung versuchen, die allerdings nichts entschuldigt: Hitler stand zu der Zeit knapp sechs Jahre an der Spitze der deutschen Regierung. Was er in dieser Zeit bewirkt hatte, konnte sich sehen lassen. Es hatte Zustimmung, ja die Begeisterung der Menschen gefunden, mit denen ich damals Kontakt hatte, an denen ich mich orientieren zu können glaubte, dazu die Zustimmung der »Massen«, die Zeitung und Rundfunk uns vorführten. Von den Abgründen, die sich hinter dem auftaten, was sich sehen lassen konnte, erfuhr ich nichts; niemand in meinem Lebenskreis schien davon zu wissen, auch mein halbjüdischer Biologielehrer sprach kein Wort darüber (wie sollte auch ausgerechnet er es wagen?).

So war Hitler für mich und für die Menschen in meiner Umgebung, soweit ich das erkennen konnte, zu einem Über-Vater geworden, zum Garanten für Gegenwart und Zukunft unseres Volkes. So wie das Leben-Können eines Jungen an der Anerkennung durch seinen Vater hängt, so schien das Leben-Können unseres Volkes am Da-Sein Hitlers und an seiner Anerkennung zu hängen. Es gab keine Alternative. Seine Paladine ganz gewiss nicht: Göring wurde ob seiner Machtfülle akzeptiert, aber wegen seiner Eitelkeit auch belächelt; Goebbels wurde von vielen als unsympathisch empfunden, aber dank seiner Beredsamkeit doch auch respektiert.

Ich könnte die Reihe fortsetzen. Aber in meinen Urteilen fließen zu viele Erkenntnisse späterer Zeit mit Empfindungen und Ahnungen von damals zusammen. Vor allem aber: An die Frage, wer Hitlers Nachfolger werden könnte, dachte ich nicht, dachte damals wohl kaum jemand, in meiner Generation schon gar nicht. Es geht  mir hier auch nur darum, zu zeigen, dass wir – ich und die Menschen meiner Umgebung, aber darüber hinaus sicher der größte Teil des deutschen Volkes – unbewusst auf die makellose Vaterfigur Hitlers angewiesen waren, wenn wir nicht ins Bodenlose versinken wollten. Die oben wiedergegebene Äußerung meines Vaters, die Hitler entlastet und so oder ähnlich sicher millionenfach gedacht und gesprochen worden ist, zeigt deutlich, dass dies nicht nur ein Überlebensbedürfnis der Jugend war, sondern auch der älteren Generation.

In dieser Weise unbewusst »abgeschirmt«, konnte ich es auch mit einem Achselzucken hinnehmen, dass am nächsten Tag der einzige jüdische Mitschüler, den ich kannte, nicht in der Schule erschien. Es ging das – wahrscheinlich richtige – Gerücht, seine Familie sei »ausgewandert«. Das Geschäft, das seinem Vater gehört hatte, wurde bald unter anderem Namen wieder eröffnet.

Von anderen jüdischen Mitbürgern habe ich nichts gehört. Das lässt sich immerhin damit erklären, dass ich keinen von ihnen kannte. – Bei der Frage, ob ich Menschen mit dem Judenstern gesehen habe, bin ich unsicher, ob ich mich auf mein Gedächtnis verlassen kann. Ich erinnere mich an keine solche Begegnung. Dass ich in unserer Stadt niemanden mit dem diffamierenden Abzeichen gesehen habe, ist immerhin möglich. Ich wurde etwa ein Jahr nach dem Kennzeichnungserlass Soldat und bin in diesem letzten Schuljahr wohl nicht mehr oft im Stadtzentrum gewesen. Außerdem darf ich vermuten, dass die meisten Juden unsere Stadt bis 1941 verlassen hatten. Aber als Soldat war ich in Städten wie Lemberg, Prag, Brünn, Wien. Ob diese Städte zu der Zeit , also 1942 und 1943, schon »judenfrei« waren oder ob ich den Anblick eines Judensterns verdrängt habe, kann ich in meiner Erinnerung nicht ergründen.

Was in jener Schreckensnacht wirklich geschah und was ihr vorausging, habe ich erst viele Jahre später erfahren, zum Teil erst Jahrzehnte später. Ich habe es gelesen, und umfassende Publikationen erschienen m. W. erst um 1980 herum, mehrere erst 1988, also zur 50. Wiederkehr der Pogrome.

Die Vorgeschichte: 1.4.33 Boykott-Aktion gegen jüdische Geschäfte; 7.4.33 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (d. h. »Entfernung« der Juden aus der Beamtenschaft; Folge: Auswanderung vieler deutscher Gelehrter); 10.5.33 Bücherverbrennung, darunter natürlich alle Werke jüdischer Autoren; 15.9.35 Nürnberger Gesetze, bekannt als Rassegesetze (u. a. Verbot von »Mischehen«); 1. Halbjahr 1938 Verordnungen über Anmeldung jüdischer Vermögen, Kennzeichnung jüdischer Betriebe, Berufsverbote für jüdische Ärzte und Anwälte, Eintragung der zusätzlichen Vornamen »Sarah« und »Israel« im Ausweis.
Ende Oktober 1938 wurden ca. 17.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit, die im Deutschen Reich lebten, nach Polen abgeschoben. Da für sie die Grenzübergänge verschlossen waren, wurden sie über die Grüne Grenze gejagt. Unter ihnen waren die Eltern des jungen Herschel Grynszpan, der daraufhin einen verzweifelten Racheakt beschloss: Er wollte den deutschen Botschafter in Paris erschießen. Auf dem Flur der Botschaft aber begegnete ihm als erster der Botschaftsrat Ernst vom Rath: Wohl in der Befürchtung, nicht mehr bis zum Botschafter vordringen zu können, schoss Grynszpan auf ihn und verletzte ihn schwer.

Die Nachricht von diesem Attentat löste schon am 8.11.38 Einzelaktionen gegen Synagogen, jüdische Geschäfte und Personen aus.

Am Abend des 9.11. sind Hitler, Goebbels und die »Alten Kämpfer« zum Gedenken an den »Marsch auf die Feldherrnhalle«, den Münchener Putschversuch vom 9.11.1923, in München versammelt. Als die Nachricht vom Tode Ernst vom Raths eintrifft, flüstern Hitler und Goebbels miteinander, Hitler verlässt den Saal, Goebbels hält eine »zündende« Rede, die von den Zuhörern als Signal zum Beginn der – wohl schon lange geplanten – »Vergeltungsaktion« verstanden werden soll und verstanden wird. Die hohen Funktionäre telegrafieren entsprechende Befehle an ihre Dienststellen. Um 3 Uhr am 10.11. folgt ein von Hitler gebilligter telegrafischer Befehl von Goebbels an alle Dienststellen der Partei und SA, alle Synagogen seien zu sprengen oder in Brand zu setzen, Geschäfte von Juden zu zerstören – wobei aber eigenmächtige Plünderungen zu verhindern seien!

Die Bilanz des Hasses: 91 Juden wurden ermordet; 29 Warenhäuser niedergebrannt; 171 Wohnhäuser zerstört; 195 Synagogen und 7.500 Geschäfte verbrannt oder verwüstet; 35.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt (viele von ihnen konnten sich gegen hohes Lösegeld freikaufen).

Schon am 12.11. wurde den deutschen Juden durch Verordnung eine »Sühneleistung« auferlegt: Sie hatten 1 Mrd. (!) RM an das Deutsche Reich zu zahlen, sie hatten die Schäden, die am 8., 9. und 10.11. »durch die Empörung des Volkes entstanden« waren, selbst zu beseitigen, und die Versicherungsansprüche der Geschädigten wurden zugunsten des Reiches beschlagnahmt.

Ich vermute, dass man wenigstens einiges über diese Aktionen und Maßnahmen hätte erfahren können, wenn man gewollt hätte. Und Gleiches gilt sicher für die später folgenden Greuel der Vernichtung. Aber – darüber habe ich oben schon nachgedacht – die Mehrheit unseres Volkes, ich und meine Umgebung inbegriffen, muss von einer Blockierung erfasst gewesen sein, die jedes Wissenwollen verhinderte. Wissen erschien uns offenbar gefährlich, noch ehe wir wussten.

Ich entdeckte – lange nachdem ich obige Zeilen geschrieben habe – eine gewisse Parallele in Stefan Heyms Schilderung seines Denkens und Fühlens nach den Stalin’schen Schauprozessen 1936ff in seinem »Nachruf« (S. 166f): Er verbietet sich, seine »Stellung zur Sowjetunion« zu korrigieren. »Denn war nicht die kommunistische Sowjetunion, angefeindet von den Nazis wie sonst nur die Juden, der einzig prinzipienfeste, einzig ernstzunehmende und unter allen Umständen verlässliche Gegner des Hitler-Regimes? Sie durfte, auch nach S. H.s (Stefan Heyms, d. Verf.) Gefühl, nicht in Zweifel gestellt werden, bei Strafe des Zusammenbruchs der letzten verbliebenen Hoffnung auf bessere Zeiten.«

Ich zitiere Heym ohne jede Häme und vor allem ohne jeden Versuch, unser Denken und Verhalten mit dem seinen zu rechtfertigen. Ich sehe auch den grundlegenden qualitativen Unterschied zwischen Stalins Vorgehen gegen einige Hunderte oder Tausende möglicher innerer Gegner und dem einer völlig verderbten, verbogenen Seele entspringenden Versuch, aus purem Hass ohne jeglichen realen Grund, ein ganzes Volk auszurotten, maschinell zu vernichten. Aber ich entdecke eben auch, wie sehr selbst hochintelligente Menschen, die sich einem ideologischen und politischen System verschrieben haben und sich in ihm, nur in ihm, geborgen glauben und auf dieses System alle Hoffnung setzen, - wie sehr also Menschen in der Lage sind, ihre Wahrnehmung zu filtern und ihr Gewissen zu kontrollieren, wenn sie ihre »Geborgenheit« bedroht sehen.

Ich stelle dies nicht mit Genugtuung, sondern mit tiefem Erschrecken fest, und sehe in Stefan Heyms Bekenntnis eine Herausforderung an uns alle, die wir damals beteiligt waren, nun endlich auch schonungslos ehrlich zu sein.

Aber dem 9. November 1938 folgte noch ein Ereignis, das mich wegen seiner Peinlichkeit bis heute nicht losgelassen hat. Unsere HJ-Gefolgschaft wurde – wohl 1939 oder 1940 – zu einem ganz ungewöhnlichen Zeitpunkt und an einen ungewohnten Treffpunkt zusammengerufen. Der Gefolgschaftsführer ließ uns antreten und übte mit uns einen Sprechchor ein, dessen antijüdischen Text ich aber nicht mehr rekonstruieren kann. Dann marschierten wir einige Hundert Meter stadtauswärts auf der Straße, an der mein halbjüdischer Biologielehrer wohnte. Vor seinem Haus hieß es »Halt« und »Links um!«. Mir schwante Schreckliches. Und tatsächlich mussten wir hier den eingeübten Sprechchor etliche Male hinausschreien und, wenn ich mich recht erinnere, auch noch ein antisemitisches Lied singen, von dem ich nur die letzten beiden Zeilen behalten habe: »... Parole, sie bleibet, die Juden schmeißt raus« – Ich hätte, als rechter Flügelmann im hinteren Glied stehend, keinen wegzustoßen brauchen, um beiseite zu treten oder gar davonzulaufen. Aber meine Füße waren wie auf dem Pflaster festgeklebt. Ich hätte vielleicht schweigen können, ohne dass es aufgefallen wäre. Aber meine Mundbewegungen ließen sich nicht kontrollieren, wenn ich auch wohl ziemlich leise gesprochen habe, weil die Scham mir den Hals zuschnürte. Im Haus bleib alles ruhig. Auch hinter den Gardinen war keine Bewegung, kein Gesicht zu ahnen. Ich hoffte inständig, dass die Familie sich in die Räume zur Gartenseite hin zurückgezogen haben möge ...

In welcher Stimmung ich danach nach Hause gekommen bin, ob ich Vater oder den Geschwistern von dem widerlichen Vorgang erzählt habe, weiß ich nicht mehr. Ich hätte eine schlechte Zensur bei der nächsten Arbeit oder im Zeugnis als Reaktion des geschmähten Mannes eingesteckt. Aber ich fürchtete mich davor, dass der Lehrer mich zur Seite nehmen und fragen könnte: »Warum hast du da mitgemacht?«, oder dass er mich schneiden könnte. Es geschah nichts dergleichen. Er war freundlich zu mir wie immer. Als aber mein Vater 1947 ihn um ein Entlastungszeugnis für die Entnazifizierung bat, weigerte er sich – verständlicherweise!
Heute frage ich mich, was mir hätte geschehen können, wenn ich mich auf irgendeine Weise geweigert hätte, bei dem schändlichen Unternehmen mitzumachen. Ich vermute, die härteste Strafe wäre eine Degradierung gewesen. Aber als ich im Glied stehen blieb und mitsprach, dachte ich nicht über die Folgen einer Verweigerung nach. Der Hordenzwang hielt mich fest, machte mich überlegens- und handlungsunfähig. Mit der Erinnerung an dieses totale Versagen muss ich leben.

Tags darauf erfuhr ich, dass dieses Unternehmen von unserem Bannführer, dem Ranghöchsten in unserer Stadt, in der Schule zwei Klassen über mir, als Racheakt gegenüber dem Lehrer angezettelt worden war. Aber diese Erklärung änderte nichts mehr an den Tatsachen.

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wonderland
Eselsohr

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Beitrag13.10.2013 15:08

von wonderland
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Hi,
ich finde diesen Text sehr bewegend. Gut lesbar? Unbedingt. Ein paar kleine Stolperer und inhaltliche Fragen, aber ein sehr wichtiges Thema, gerade für jüngere Leute, finde ich.
Wie man dazu gebracht werden kann, sich mitschuldig zu machen.
Wissen zu wollen oder lieber nicht wissen zu wollen was eine Regierung wirklich macht ... aktueller geht nicht.
Respekt!
LG

P.S.:
Was allerdings die Säuberungen Stalins anbelangt, da denke ich, liegt hier wohl eine eklatante Fehleinschätzung vor:
http://de.wikipedia.org/wiki/Stalinsche_S%C3%A4uberungen

Der qualitative Unterschied zu den Naziverfolgungen liegt m.E. in der Verfolgung nicht nur Andersdenkender, sondern in der "Rassenlehre" als Grundlage von Verfolgung.


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Isabelle34
Klammeraffe
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Beitrag13.10.2013 19:24

von Isabelle34
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Hallo Siegfried,

gut zu lesen ist dein Text. Er ist auch interessant - weil mich die Thematik interessiert.

Allerdings entstamme ich einer Generation, die, in den 70ern geboren, einfach weitgehend übersättigt ist mit diesem Thema. Es wurde in der Schule durchgekaut bis zum Gehtnichtmehr, wir haben gelesen, Filme gesehen, Geschichten gehört und so weiter und so fort. Was ich damit sagen will: In deinem Text steht nichts, das ich so nicht schon gefühlte 1000 Mal gelesen oder gehört hätte. Zahlen und Fakten, die mir nichts Neues bringen.

Ich würde das Buch also nicht kaufen und ich schätze, so würde es auch vielen anderen gehen. Was mich zum Kauf verleiten könnte, wäre, wenn du mir diesen 13-Jährigen an die Hand geben würdest. Mich mit ihm die Ereignisse erleben lassen würdest.

Hier fehlt mir das Zeigen, das vom Erzählen völlig verdrängt wird bei dir. Das mag beabsichtigt sein. Ob es der richtige Weg ist, die Geschichte zu erzählen, sei mal so dahin gestellt.

Gerade jüngere Leser wirst du damit, denke ich, nicht erreichen. Vielleicht war unsere Generation so die 'Grenzgeneration'. Unsere Eltern hat natürlich noch interessiert, was ihre Eltern erlebt haben. Unsere Kinder interessiert der zweite Weltkrieg so viel wie der Dreißigjährige Krieg. Ich denke, du würdest hier besser fahren, wenn du die Geschichte als Roman aufbaust und den Jungen - dich - zur Hauptfigur machst, an deren Seite der Leser die Zeit erleben kann.

Das ist aber nur meine Meinung, andere empfinden es vielleicht völlig anders.
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Harald
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Alter: 76
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Wohnort: Schlüchtern


Beitrag13.10.2013 19:28

von Harald
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Isabelle34 hat Folgendes geschrieben:


Das ist aber nur meine Meinung, andere empfinden es vielleicht völlig anders.


Keineswegs, genau das ist der Kritikpunkt, der zur Ablehnung durch einen Publikumsverlag geführt haben dürfte!

Der Text fesselt keine Leser, es macht sich Langeweile breit!

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Siegfried
Leseratte
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Beiträge: 104



S
Beitrag13.10.2013 23:46

von Siegfried
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Isabelle34 hat Folgendes geschrieben:
Ich denke, du würdest hier besser fahren, wenn du die Geschichte als Roman aufbaust und den Jungen - dich - zur Hauptfigur machst, an deren Seite der Leser die Zeit erleben kann.


Es ist keine fiktive Geschichte, kein Roman, sondern Teil der Memoiren eines Mannes Jahrgang 1924 (gestorben 1994), der sich wegen der Möglichkeit eines Medizinstudiums 1941 zur Waffen-SS gemeldet hat und 1945/46 aus der Kriegsgefangenschaft heraus vor Gericht gestellt wurde, weil alle Mitglieder der SS als Kriegsverbrecher galten.

Die Intention des Textes ist auch nicht, Action zu zeigen, sondern die Entwicklung eines Menschen darzulegen, der seit seinem 8. Lebensjahr von den Nationalsozialisten auf einen ganz bestimmten Weg geführt wurde und diesen Weg, so lange er andauerte, nie hinterfragt hat. Das kam erst nach Kriegsende. Zeitlebens stellte er sich die Frage, ob er Täter, Mitläufer oder Verführter war.

Ich zitiere mal das Geleitwort zum Original-Manuskript:

Zitat:
Geleitwort

Dies ist ein wichtiges Buch. Zwar ist die Zahl der Berichte von Zeitgenossen und der klugen Analysen von Leuten, die nicht dabei waren, unübersehbar geworden zur bösen unmittelbaren Vergangenheit. Aber eigentlich immer sind es Zeugnisse vom Widerstand oder vom sinnlosen Opfer der Juden oder Rechtfertigungen der Täter. Nur Carola Stern hat ein Zeugnis ihrer eigenen, so jugendlichen Verstrickung vorgelegt.

Hier schreibt ein Mann die Geschichte von Hunderttausenden auf, keine Heldentaten, keine strafwürdigen Handlungen, sondern den Weg, den so viele gegangen sind und den sie verdrängt und vergessen haben. Er schreibt auch von Einsicht und Wandlung – ohne falsches Pathos.

Vor allem junge Leute sollten diesen Bericht lesen, damit sie weniger hochmütig über ihre Großväter und Väter urteilen und die Gefahren eigner Verstrickung erkennen. Torheit und Feigheit sind zeitlos. Aber Vernunft und Hoffnung auch.

Dies ist ein wichtiges Buch

Heinrich Albertz


@Harald:

Harald hat Folgendes geschrieben:

Der Text fesselt keine Leser, es macht sich Langeweile breit!


Ich finde es immer wieder schön, wie eine einzelne Person für eine große Gruppe sprechen kann! Very Happy
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Isabelle34
Klammeraffe
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I
Beitrag14.10.2013 07:02

von Isabelle34
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Ein Roman muss nicht zwingend fiktiv sein. Er kann durchaus reale Elemente beinhalten. Ein Roman braucht auch nicht unbedingt Action. Viele Geschichten überzeugen gerade durch leise Töne. Nicht zuletzt sollte ein Roman die Entwicklung der Hauptperson zeigen, sie den Leser miterleben lassen. Es spricht also theoretisch nichts dagegen, Erinnerungen in einem Roman zu verarbeiten.

Das war aber nur ein Vorschlag, weil ich bei der Vermutung bleibe, dass du in dieser Form nicht viele Leser finden wirst. Es stimmt, dass derartige Erinnerungen wichtig sind. Dass sie gerade für die jüngeren Generationen erhalten bleiben müssen. Wenn du das Manuskript aber in dieser Form selbst veröffentlichst - auf welchem Weg auch immer - wirst du nicht viele Leser erreichen, denn da hat Harald nun einmal recht. Es fesselt nicht und das ist schade. Denn dein Hauptziel ist doch sicher nicht, es einfach gedruckt zu sehen, sondern die Menschen dazu zu bringen, es zu lesen, oder?

Bestenfalls lesen Menschen auch um etwas zu lernen. Aber ein Großteil davon möchte auch unterhalten werden und das erreichst du, soweit ich das nach dem Textabschnitt beurteilen kann, in dieser Form mit diesem Manuskript nicht.
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Harald
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Beitrag14.10.2013 08:26

von Harald
Antworten mit Zitat

Siegfried hat Folgendes geschrieben:
Harald hat Folgendes geschrieben:
uot;]
Der Text fesselt keine Leser, es macht sich Langeweile breit!


Ich finde es immer wieder schön, wie eine einzelne Person für eine große Gruppe sprechen kann! Very Happy


Ach, ich nehme einfach mal in Anspruch, dass ich als Vielschreiber , Vielleser und Rezensent, als - zwar inzwischen schon verrenteter - Arbeitnehmer und Selbstständiger  mit mittlerem Bildungsabschluss schon eine gewisse Ahnung habe, was der Leser im Allgemeinen bevorzugt.

Ich könnte zwei, drei ähnlich strukturierte  Lebensläufe inzwischen verstorbener gleichalter Protagonisten aus meinem direkten Umfeld schildern, da ist einer dabei, der deutlich tragischer ist, denn da verliert ein deutscher Hochsprung-Jugendmeister im Krieg sein Bein und darf seinen Beruf (Lehrer) nicht einen Tag ausüben, da er von der Uni weg  in den Krieg zog und nach dem Krieg den Zugang verwehrt bekam!

Aber mir wäre klar, dass man dies in eine Geschichte "verpacken" müsste, Irrungen, Wirrungen, Wendungen spannend beschreiben, z. B. der Moment. als der junge Vater und Supersportler schwerst verwundet wird, mit dem Leben abschließt, in Lazarett kommt, aus der Narkose erwacht und realisiert, dass das linke Bein am Oberschenkel endet.

Zum Schluss:

Dass es Bücher gibt, die der allgemeine Leser nicht braucht, das habe ich auch realisiert, ich lese, besser las, "Warum ich unsterblich bin" von Hans Conrad Zander, hervorragend recherchiert - aber sterbenslangweilig, irgendwann nervt es nur noch, eine neue Hölle einer weniger bekannten Glaubensgemeinschaft vorgestellt und mit bereits beschriebenen verglichen zu bekommen.

Das zweite Buch ever, das ich bewusst nicht fertiggelesen habe!

Und nun erlaube ich mir zu konstatieren, dass ich, wenn das Buch so weitergeschrieben für mich zu lesen wäre dies auch irgendwann zur Seite legen würde, die Fakten bekomme ich bei Wikipedia schneller zu lesen …

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hexsaa
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Beitrag14.10.2013 09:00

von hexsaa
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Ich muss Harald und Isabelle zustimmten. Das Thema ist nicht unbedingt neu, was nicht heißen soll, dass man nicht darüber schreiben darf oder sollte. Einen Verlag zu finden, vor allem für Biografien, ist schwer - um die Chancen zu erhöhen sollte das Thema möglichst kreativ und spannend aufgearbeitet sein. In der von dir gewählten Erzählform würde ich das Buch wohl nicht zu Ende lesen, weil es mir die Ereignisse zu distanziert beschreibt, fast wie in einem Geschichtsbuch.

Lg
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wonderland
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Beitrag14.10.2013 10:31

von wonderland
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Ein bisschen wunder ich mich schon über eure harten Reaktionen. Oder hab ich was verpasst? Roman? Ablehnung Verlage? Shocked

Frage habe ich so verstanden, ob sich das gut liest.
Und es ist doch ziemlich gut geschrieben, wenn auch diese Art der Erzählung vielleicht kaum einer (mehr) lesen will.

In der Einschätzung der Vermarktungsfrage stimme ich euch natürlich zu. In dieser Form: Null, und selbst wenn anders, wahrscheinlich auch eher nicht.
WEIL: Ganz viele ganz wichtige Themen leiden darunter, dass sich keiner gern mit ihnen auseinandersetzen mag ... und ist ja auch alles schon so lang her ... und wer sich doch für Hitler interessiert, hat ja Guido Knopp im TV.

Aber wenn ein Autor es als Mission begreift, mit der Jugend ins Gespräch zu kommen, warum nicht mit so einem Text, zum Beispiel in Schulen? Oder leb ich hinterm Mond?

LG


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wonderland
Eselsohr

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Beitrag14.10.2013 10:45

von wonderland
Antworten mit Zitat

Harald hat Folgendes geschrieben:

Ach, ich nehme einfach mal in Anspruch, dass ich als Vielschreiber , Vielleser und Rezensent, als - zwar inzwischen schon verrenteter - Arbeitnehmer und Selbstständiger  mit mittlerem Bildungsabschluss schon eine gewisse Ahnung habe, was der Leser im Allgemeinen bevorzugt.


wer ist das: "der Leser im Allgemeinen", reden wir hier gleich schon wieder von Massentauglichkeit?

Zitat:
Ich könnte zwei, drei ähnlich strukturierte  Lebensläufe inzwischen verstorbener gleichalter Protagonisten aus meinem direkten Umfeld schildern, da ist einer dabei, der deutlich tragischer ist, denn da verliert ein deutscher Hochsprung-Jugendmeister im Krieg sein Bein und darf seinen Beruf (Lehrer) nicht einen Tag ausüben, da er von der Uni weg  in den Krieg zog und nach dem Krieg den Zugang verwehrt bekam!


Aber das hier ist schon bislang jedenfalls was anderes, da geht es
eindeutig um die Frage der Mitschuld an den Greueltaten der Nazis.
Langweilig?


Zitat:
Aber mir wäre klar, dass man dies in eine Geschichte "verpacken" müsste, Irrungen, Wirrungen, Wendungen spannend beschreiben, z. B. der Moment. als der junge Vater und Supersportler schwerst verwundet wird, mit dem Leben abschließt, in Lazarett kommt, aus der Narkose erwacht und realisiert, dass das linke Bein am Oberschenkel endet.


Wenn man Massentauglichkeit anstreben wollte, würde das auch hier notwendig sein, sicher. Die persönliche Geschichte müsste schneller kommen, klarer herausgearbeitet werden, die Fakten nach und nach eingestreut, usw. Eine Menge Arbeit.

Zitat:
Zum Schluss:

Dass es Bücher gibt, die der allgemeine Leser nicht braucht, das habe ich auch realisiert, ich lese, besser las, "Warum ich unsterblich bin" von Hans Conrad Zander, hervorragend recherchiert - aber sterbenslangweilig, irgendwann nervt es nur noch, eine neue Hölle einer weniger bekannten Glaubensgemeinschaft vorgestellt und mit bereits beschriebenen verglichen zu bekommen.


Ich verstehe den Vergleich an dieser Stelle nicht. Und aus dem vielleicht unmodernen Erzählstil zu schließen, dass der "allgemeine Leser" so ein Buch nicht braucht, geht m.E. ein bisschen weit.
Dass die Menschheit diese Thematik nicht bräuchte, würde ich auch nicht als allgemeingültige Wahrheit stehen lassen wollen.

LG


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hexsaa
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Beitrag14.10.2013 10:48

von hexsaa
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Wonderland: In einem anderen Thread ging es um die Veröffentlichungsmöglichkeiten, deshalb wurde das erwähnt.

Natürlich ist der Text nicht schlecht geschrieben, aber eben nicht eingängig und bisher eher informativ denn unterhaltend. Die Frage für die Verlage ist: Welche neuen Informationen bietet die Story und wie gut wird sie sich verkaufen?
Erlebnisse aufzuschreiben als Erinnerung an eine dunkle Zeit in unserer Geschichte ist gut und richtig, nur mit dem Veröffentlichen in einem renommierten Verlag wird es halt schwierig.

Wonderlang hat geschrieben:
Zitat:
Aber das hier ist schon bislang jedenfalls was anderes, da geht es
eindeutig um die Frage der Mitschuld an den Greueltaten der Nazis.
Langweilig?

Stimmt, das ist interessant. Die Frage nach der Mitschuld habe ich mir oft gestellt, vor allem wenn ich meine Großeltern interviewt und diese behauptet haben, sie hätten nichts mitbekommen und während des Krieges waren sie mit sich selbst beschäftigt. Um jedoch viele Leser anzusprechen, muss das Thema entsprechend aufbereitet werden.

LG
csar


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kskreativ
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Beitrag14.10.2013 10:50

von kskreativ
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Zitat:
Ist der Text lesbar/nicht lesbar?
Ist er interessant/uninteressant?

Kurz gesagt: lesbar ja, interessant, nein. Abgesehen von der Tatsache, dass Biografien an sich schwer an den Mann zu bringen sind, ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, wenn du die Erlebnisse deines Protagonisten so erzählst, dass Leser sich mit ihm identifizieren können. Erst dann hast du die Chance, mit diesem Thema Menschen zu berühren und vielleicht auch zum Nachdenken zu bringen. Mit der personalen Erzählperspektive hast du ein Stilmittel dafür in der Hand. So wie der Text jetzt da steht, muss ich meinen Vorrednern recht geben: er langweilt. Am Thema liegt es nicht, ich bin davon überzeugt dass gerade diese Periode deutscher Geschichte niemals in Vergessenheit geraten darf.


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MosesBob
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Beitrag14.10.2013 10:53
Re: Leseprobe
von MosesBob
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Hallo Siegfried!

Siegfried hat Folgendes geschrieben:
Ist der Text lesbar/nicht lesbar?
Ist er interessant/uninteressant?

Lesbar ist dein Text. Sprachlich gibt es keine störenden Stolpersteine, hier und da höchstens ein paar Füllwörter, die das Gefüge strecken. Ansonsten ist er flüssig zu lesen. Interessant finde ich deinen Text am Anfang. Ich finde die Perspektive interessant, aus der das Unheil reflektiert wird. Leider liegt genau da auch der Knackpunkt. Wenn der Text einen biografischen Auslöser hat, kann ich die Intention nachempfinden, eine gewisse Rechtfertigung in der Erzählung unterzubringen. Dies kann provokativ klingen durch Sätze wie diesen: „Das Bild des »Dritten Reiches« war also für uns, für mich durchaus akzeptabel.“ Hier wird das Dritte Reich als plausible, bzw. akzeptable Sache definiert. Natürlich ist die Perspektive keine neue und der Standpunkt, der vertreten wird, alles andere als provokativ, als vielmehr furchteinflößend – es geht um die Manipulation des Menschen an sich und somit auch um die eigene. Wie ging sie vonstatten, was haben Hitler und seine Verbündeten unternommen, um ihre Idee von Hass und Krieg so unters Volk zu bringen, dass sie gutgeheißen oder nicht erkannt wurde? Was haben sie verheimlicht, wie arbeitete die Propagandamaschine?

Eine Erzählung aus der Sicht eines Menschen, der das Unheil damals nicht kommen sah, hätte ich interessant gefunden – das Erinnern eines Menschen, der wie Hartmuts Vater zugibt: Hitler war „zwar nicht sehr sympathisch, aber nun würde endlich reiner Tisch gemacht". Mir scheint es auch, als wären sowohl das Verständlichmachen als auch das Eingeständnis jeweils Intentionen, die deiner Erzählung zugrunde liegen. Korrigiere mich bitte, wenn ich mit der Einschätzung falsch liege. Das Problem ist: Gleich mit dem allerersten Satz wird dem Text die Kontroversität genommen:

Siegfried hat Folgendes geschrieben:
Bis zu diesem Tage konnten wir wohl wirklich meinen, Hitler habe im guten Sinne »reinen Tisch gemacht«, Ordnung geschaffen.  

Ich stelle mir vor, wie der Text sich wohl gelesen hätte, wenn er sinngemäß mit einem solchen Satz begonnen hätte: Hitler hatte Wort gehalten. Es gab keine Arbeitslosen, keine Bettler mehr. (…)

Worauf ich hinaus will: Ich glaube, der Text ist kraftvoller, wenn er darauf verzichtet, dass der Ich-Erzähler sich rechtfertigt – und genau das tut er mit einer Regelmäßigkeit, die menschlich zwar nachvollziehbar ist, aber beim Lesen lästig wird.

Zitat:
So verschwand Dachau schnell wieder aus unseren Gesprächen, aus unserem Bewusstsein. Dass es nach und nach viel mehr Konzentrationslager wurden, drang nicht bis zu uns durch, weder über die Schule, noch über die Familie, noch über die HJ. Fleißige Zeitungsleser waren wir Jungen wohl alle in der Zeit noch nicht. Ich wurde es erst nach Kriegsausbruch; und dann interessierten mich vor allem die Wehrmachtsberichte, nach denen ich auf den Karten an der Wand meines Zimmers den aktuellen Frontverlauf mit Nadeln markierte.  

Man muss davon ausgehen, dass der Leser das weiß. Die Erwähnung folgt also aus persönlichen Gründen heraus. Ist das nötig?

Siegfried hat Folgendes geschrieben:
Das Bild des »Dritten Reiches« war also für uns, für mich durchaus akzeptabel.  

Der Satz ist in seiner Aussage schwach, er liest sich wie eine Entschuldigung.

Siegfried hat Folgendes geschrieben:
Ich kann es heute noch nicht fassen, dass dieses Ereignis, das doch offenbar so viele Menschen meiner Umgebung – meine Lehrer, meinen Vater – in Entsetzen gestürzt hatte, doch so gänzlich ohne Folgen in ihrer und meiner Haltung gegenüber dem NS-Staat geblieben ist.  

Auch hier kommt wieder Reue durch.

Siegfried hat Folgendes geschrieben:
Ich kann es nicht fassen; aber ich kann heute eine Erklärung versuchen, die allerdings nichts entschuldigt: Hitler stand zu der Zeit knapp sechs Jahre an der Spitze der deutschen Regierung. Was er in dieser Zeit bewirkt hatte, konnte sich sehen lassen. Es hatte Zustimmung, ja die Begeisterung der Menschen gefunden, mit denen ich damals Kontakt hatte, an denen ich mich orientieren zu können glaubte, dazu die Zustimmung der »Massen«, die Zeitung und Rundfunk uns vorführten. Von den Abgründen, die sich hinter dem auftaten, was sich sehen lassen konnte, erfuhr ich nichts; niemand in meinem Lebenskreis schien davon zu wissen, auch mein halbjüdischer Biologielehrer sprach kein Wort darüber (wie sollte auch ausgerechnet er es wagen?).  

Ich würde deine Erzählung anders aufbauen. Ich würde von Anfang an als Ich-Erzähler ohne Konjuktive, vorgreifende und erklärende Einschübe arbeiten: Hitler kam an die Macht, mit ihm wurde alles besser. Rums! Dass es anders war und anders kam, wissen wir heute. Das weiß auch der Leser. Man muss es ihm nicht zusätzlich unter die Nase reiben. Falls du Interesse daran hast, die Geschichte so aufzubauen, kann ich mir auch vorstellen, dass der zweite Knackpunkt aus der Erzählung verschwindet – der Aspekt nämlich, dass die Art, wie er jetzt erzählt wird, eine Mischung ist aus sachlicher, journalistischer Berichterstattung und einer Erzählung. Das ist irritierend. Zu keinem von beiden bekennt sich der Text aber jemals, und die derzeitige Mischung funktioniert meiner Ansicht nach nicht. Vom Gefühl her würde ich sagen, dass sich dieser Text so liest wie ein Geschichtsunterricht, der leider nicht besonders fesselnd ist, es aber durchaus sein könnte.

Viele Grüße,

Martin


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Siegfried
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Beitrag14.10.2013 11:14

von Siegfried
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Okay. Aufgrund der hier eindeutig vorherrschenden Resonanz landet das Manuskript jetzt im Schredder.

Ich bedanke mich bei allen für die Mühe und die Zeit, die sie in die Leseprobe investiert haben.

@Martin:
MosesBob hat Folgendes geschrieben:
Wenn der Text einen biografischen Auslöser hat, kann ich die Intention nachempfinden, eine gewisse Rechtfertigung in der Erzählung unterzubringen.


Nicht "wenn" ... Der Text IST autobiographisch. Er stammt nicht von mir, sondern von einem 1994 verstorbenen "Schwieger"-Onkel (nennt man angeheiratete Onkel so? Keine Ahnung!).
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wonderland
Eselsohr

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Beitrag14.10.2013 11:16

von wonderland
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Shocked

 Laughing

... endlich mal einer, der hinter seinem Text steht! (Wenn auch nur am Aktenvernichter...)


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KeTam
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Beitrag14.10.2013 11:16

von KeTam
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Siegfried hat Folgendes geschrieben:
Okay. Aufgrund der hier eindeutig vorherrschenden Resonanz landet das Manuskript jetzt im Schredder.



Hallo Siegfried,

ich habs zwar nur angelesen, finde aber nicht, dass ein Mansukript im Schredder landen sollte. Ich würd mich eher hinsetzen udn dran feilen, oder es liegen lassen, was Neues anfangen und später noch mal reinschauen.

Kopf hoch!

Lg, KeTam.
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G.T.
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Beitrag14.10.2013 11:20

von G.T.
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HÄÄÄÄ?
Du hast doch tolle Impulse bekommen.
Ich wollte eigentlich nur anmerken, dass ich Martins Vorschläge prima finde, damit kann man doch was anfangen!
Du streckst 'n bisschen schnell die Waffen. Liegt dir so wenig an dieser Geschichte, die im Geleitwort zum Originalmanuskript sogar zweimal als "wichtig" angepriesen wird? Wenn du sie für wirklich wichtig hältst, dann sollte sie es doch wert sein, angemessen erzählt zu werden.

Mein Tipp: Lass erstmal sacken, was du zu hören bekommen hast - gerade Martins Beitrag, der ja doch ermutigt und nicht abwürgt - und dann überarbeite.

Schon das alte Geleitwort gibt dem Buch einen hehren Anspruch, gerade junge Leute sollen die Geschichte lesen. Dass ist nunmal ein großer Anspruch, weil junge Leute völlig übersättigt sind mit 3.-Reich-Literatur und meistens - verständlicherweise - nur noch gähnen. Es ist eine Gratwanderung, ein so wichtiges Kapitel der Geschichte immer wieder in Erinnerung zu rufen, OHNE es so zu strapazieren, dass es langweilig wird. Langeweile, das Schlimmste, was passieren kann.
Da gilt es eben, sich immer wieder mit der Erzählweise auseinanderzusetzen und diese Auseinandersetzung ist vielleicht nicht einfach, aber sinnvoll. Etwas mehr "Brutalität", also Direktheit der Empfindungen des Jungen, wie Martin sie anrät, kann da nur hilfreich sein. Wink
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Siegfried
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Beitrag14.10.2013 11:28

von Siegfried
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G.T. hat Folgendes geschrieben:

Du streckst 'n bisschen schnell die Waffen. Liegt dir so wenig an dieser Geschichte, die du doch selbst im Vorwort zum Originalmanuskript sogar zweimal als "wichtig" anpreist?


Noch einmal:
a) Es ist nicht mein Text! Es ist die Autobiographie eines Mannes, der vor 20 Jahren verstorben ist.

b) Es war ein Wunsch der Witwe des Autors und der Kinder des Autors, dass dieser Text den Menschen von heute zugänglich gemacht wird. Dieser Wunsch wurde jetzt wieder aktiv, als das Original-Manuskript, das seit fast 20 Jahren als verschollen galt, im Nachlass eines anderen verstorbenen Familienmitglieds wiedergefunden wurde. Man will damit den Willen des Verstorbenen erfüllen. Auszug aus dem Autoren-Vorwort des Manuskriptes von 1990:

Zitat:
Die meisten meiner Altersgenossen waren einst Mitläufer – ebenso wie die meisten Menschen, die in der nun vergehenden DDR gelebt, sie mitgestaltet und, so gut es ging, funktionsfähig gehalten haben. Wie es mich Überwindung gekostet und erregt hat, meine damalige Blindheit und Taubheit preiszugeben, so wird es den meisten meiner Mit-Mitläufer ergangen sein und denen in der DDR noch ergehen. Für sie und an ihrer Stelle möchte ich unseren Kindern und Kindeskindern erzählen, wie es damals war oder wie ich es erlebt habe. Denn die Gefahr, Mitläufer zu werden, gibt es überall, auch wenn ihr Weg nicht an so grauenhaften Abgründen vorbeiführt wie unser Weg damals.


c) Ich kann nicht in fremde Texte eingreifen und sie für den Zeitgeschmack aufmotzen, wenn dadurch die ursprüngliche Intention des Verfassers verloren geht. Ich kann - und will - auch keine Szenen einfügen, wenn diese so damals überhaupt nicht stattgefunden haben. Das wäre für mich eine klare Verfälschung.

Nochmal: Es ist eine Autobiographie. Selbsterlebtes. Kein Roman und kein Selbsterfundenes.
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MosesBob
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Beitrag14.10.2013 11:30

von MosesBob
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Siegfried hat Folgendes geschrieben:
Nicht "wenn" ... Der Text IST autobiographisch. Er stammt nicht von mir, sondern von einem 1994 verstorbenen "Schwieger"-Onkel (nennt man angeheiratete Onkel so? Keine Ahnung!).

Jau, das meine ich ja. Du hattest schon weiter oben von darauf hingewiesen, dass er autobiografisch ist. Und genau deswegen ist wahrscheinlich auch der Drang so groß (beziehungsweise vorhanden), eine erklärende, selbstreflektierende Note unter den Text zu mischen. Würdest du eine fiktive Geschichte über eine fiktive Person schreiben, sieht man die Sache vielleicht differenzierter. Würde ich eine solche Geschichte aus der Hitlerzeit über meinen Opa schreiben, müsste ich mir wahrscheinlich auch die Zunge beißen, damit ich keine erklärenden Worte schützend in den Text streue. Ich denke aber nicht, dass es dieser Erklärungen bedarf. Die Einstellung deines Schwiegeronkels sollte sich meiner Meinung nach von ganz allein aus der Erzählung heraus ergeben, darauf wollte ich hinaus. smile

Beste Grüße,

Martin


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Siegfried
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Beitrag14.10.2013 11:37

von Siegfried
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MosesBob hat Folgendes geschrieben:
Würdest du eine fiktive Geschichte über eine fiktive Person schreiben, sieht man die Sache vielleicht differenzierter.


Wenn ich eine fiktive Geschichte über eine fiktive Person der damaligen Zeit schreiben würde, dann würde ich die Zeit und die Ereignisse so schildern, wie ich glaube, dass sie gewesen sind. Nicht, wie sie wirklich waren. Weil ich diese Zeit damals nicht erlebt habe. Genau das macht für mich den Unterschied: Ereignisse und Zeiten tatsächlich erleben und drüber schreiben ... oder so tun, als hätte man sie erlebt und denkt sich aus, wie es gewesen sein könnte.

Man kann sich ausmalen, wie es gewesen sein muss, unter Lebensgefahr aus der DDR zu fliehen - oder man kann es beschreiben, weil man diese Lebensgefahr selbst erfahren hat. Für mich ist das ein elementarer Unterschied: (Zeit-)Geschichte aus erster oder aus dritter Hand ...
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G.T.
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Beitrag14.10.2013 11:38

von G.T.
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Siegfried, da hatte ich mich zunächst verlesen, wie du sehen kannst, hatte ich meinen Beitrag aber auch geändert. Wink
Zitat:
Ich kann nicht in fremde Texte eingreifen und sie für den Zeitgeschmack aufmotzen,

Irgendwie verständlich. Aber wo fängt eingreifen für dich an? Schon beim Umformulieren, um Aussagen eindringlicher zu machen? Dann frage ich mich, warum du eine Leseprobe einstellst, denn es hieße ja, dass du an dem Text überhaupt nicht arbeiten willst, weil du dich nicht dazu berechtigt fühlst.
Da würde aber auch kein Lektorat mitmachen - an Texten muss nunmal sprachlich gefeilt werden. Dass man sich gerade bei so einem sensiblen Thema nicht einem "Zeitgeschmack" unterwerfen will, ist ebenso verständlich. Da muss ein Autor (bzw. wohl eher Herausgeber) sicher auch eigene Grenzen setzen und nicht alles Reisserische mitmachen. Aber er sollte zumindest soviel Selbstbewusstsein und so viel Eigenes im Text haben, dass er daran arbeiten kann. Wenn du dich nicht berechtigt siehst, den Bericht zu überarbeiten, sprachlich daran zu feilen oder ihn vielleicht als Grundlage eines eigenen Werkes zu nehmen, dann lässt sich der vielleicht interessante und vielleicht sogar wichtige Inhalt ja gar nicht sinnvoll bearbeiten. Da geht es nicht um "Zeitgeschmack".
Wenn du dir nicht erlaubst, an dem Text zu arbeiten, solltest du dich fragen, inwiefern ein Streben nach Veröffentlichen überhaupt Sinn macht.
Oder - nochmal gefragt - wo fängt "Eingreifen" für dich an?

Edit: In das Manuskript eingreifen willst du nicht, aber es schreddern? Verstehe ich auch nicht.
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Siegfried
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Beitrag14.10.2013 11:49

von Siegfried
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G.T. hat Folgendes geschrieben:

Oder - nochmal gefragt - wo fängt "Eingreifen" für dich an?


Ganz eindeutig: Bei inhaltlichen Veränderungen.

Die Leseprobe wird hier mehrheitlich - nahezu einstimmig - als "langweilig" aufgefasst. Folglich muss sie "aufpoliert" werden.

Es geht um die Ausschreitungen gegen Juden am 9.11.1938. Um sie spannend zu machen, müsste die Hauptfigur vielleicht Dinge tun oder sehen, die sie in Wahrheit nie getan oder gesehen hat. Die Hauptfigur beobachtet, wie SA-Männer eine Wohnung stürmen, die Bewohner auf die Straße prügeln, sie dort brutal zusammenschlagen.

Das ist szenisch vielleicht besser - entspricht in diesem Fall aber nicht der Wahrheit. Es ist fiktiv.

In der Leseprobe ist die Rede von einem verschwundenen Mitschüler. Er sei "ausgewandert". Nun lässt sich daraus prima eine Szene bauen, wo dieser Mitschüler sich mitsamt Familie irgendwo auf einem Dachboden oder in einer Scheune vor den Nazis versteckt. Oder wo die Hauptfigur miterleben muss, wie sein Mitschüler samt Familie mit Gewehrkolbenschlägen auf einen Lkw verladen und dann ins Unbekannte abtransportiert wird.

Auch das mag für den Leser emotional zugänglicher sein. Es entspricht aber nicht den biographischen Tatsachen.

Die Frage ist auch, ob solche Eingriffe eine Überprüfung der generellen historischen Fakten standhalten. Ob solche Eingriffe in den Text nicht historisch verfälschend im Sinne des "üblichen Zeitgeschmacks" sind - und damit den autobiographischen Ansatz des Manuskriptes vollständig zerstören: "Da wird sich auch was mit der Brille der political correctness von heute fröhlich zusammengelogen!"
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