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Dieses Werk wurde für den kleinen Literaten nominiert Ein Leben auf der Müllhalde


 
 
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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7306
Wohnort: NBY



Beitrag14.01.2012 16:35
Ein Leben auf der Müllhalde
von BlueNote
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Harry lebt auf der Müllhalde,
Franz im goldenen Turm.
Harry träumt von der Vergangenheit, als sein Leben noch im Lot war und die Sonne am Morgen über den Apfelbäumen aufging und hinter dem Fahrradschuppen wieder versank.

Franz denkt an die Zukunft, daran, dass er immerzu nach oben muss in seinem Turm, treppauf, treppauf, den ganzen Tag. Keine Zeit bleibt ihm, auch nur ein einziges Mal aus einem der zahlreichen Turmfenster zu sehen. Das Bezwingen der Treppenstufen erfordert seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit.

Harry dagegen verbringt den Tag mit Träumereien. Rauchschwaden ziehen öfters zu ihm herüber. Irgendwo schwelt es immer. Der Müllberg lebt, wächst ständig weiter und zersetzt sich anderswo, einem lebenden und ebenso sterbenden Organismus gleich. Harry wohnt in einem Fass wie einst Diogenes, einem merkwürdiger Behälter aus Leichtmetall, der aussieht wie eine übergroße Bierdose. Um ihn herum der Müll aus der Millionenstadt. Von diesem Müll ernährt er sich, kleidet er sich, mit dem Müll beschäftigt er sich. Da gibt es Briefe zu lesen, Romane, Notizen. Der Müll bietet so viel Möglichkeiten. Harry kann sich verkleiden als Beamter, Kyniker oder Prostituierte. Irgendetwas findet er immer. Manchmal liest er in der Zeitung von Reaktorunglücken oder Anschlägen der Terroristen, die aber alle schon lange Zeit zurückliegen. Darüber braucht er sich keine Sorgen mehr zu machen. Sorgen bereiten ihm eher die Kälte im Winter oder die ausgiebigen Regenschauer im Herbst.

Franz ist geschützt vor Wind und Regen, hat ein Dach über dem Kopf. Er hält sich fit, denn Franz ist immer in Bewegung. Jeden Tag. Treppauf, treppauf. Endlos im Kreis herum, aber setig aufwärts. Dabei denkt Franz an Diagramme und Möglichkeiten, Börsenkurse und daran, wie man die Welt aus den Angeln heben kann. Ja, Franz möchte etwas bewegen und deshalb bewegt er sich. Immer nach oben. In den siebten Geldhimmel der Für-oder-Wider-Spekulanten.

Harry hat Ruhe. Hört ab und zu den Müllvögeln zu, die ihr energisches „Krah, Krah“ in die Stille hineinstoßen. An manchen Tagen denkt Harry daran, sich aus alten, kaputten Möbeln ein Heim zu zimmern. Doch irgendwann lässt er diesen Gedanken wieder fallen und zieht sich in seine vertraute Bierdose zurück. Auch von dort aus kann er die Welt betrachten, wie sie ist, hat einen guten Überblick über den Müllhügel und eine großartige Sicht auf den goldenen Turm am Fuße des Hügels. Der goldene Turm glitzert so verführerisch und leuchtet in der Sonne. Doch für ihn sind die Türen des Turmes verschlossen. Das jedenfalls steht fest. Harry muss auf dem Müllhügel leben bis an das Ende seiner Tage.

Franz nimmt solche Existenzen wie Harry nicht zur Kenntnis. Er könnte aus dem Fenster sehen, das Fenster sogar öffnen, etwas in die Welt hinaus rufen. Doch wozu? Vielleicht ist Franz bereits in einem Stockwerk angelangt, in dem das gar nicht mehr sinnvoll ist. Vermutlich befindet er sich längst außer Hörweite, hat den Kontakt zu denen da unten unwiderruflich verloren.

Harry will es nicht wissen, wie sich das Leben in diesem Turm abspielt. An schönen Tagen sieht er ihn in der Sonne glänzen. Das genügt ihm. Wenn die Sonne genau hinter dem goldenen Turm steht, weiß er, dass die Nacht bald anbricht und er sein Nachtlager sichern muss gegen die Ratten und Schakale, die ewigen Widersacher und Konkurrenten im täglichen Kampf um Nahrung.

Franz hat es eher mit Haien und Raubfischen zu tun, die sich im virtuellen Meer der WeltWeitVernetzung tummeln. Der Konkurrenzkampf mit diesen theoretischen Existenzen treibt ihn weiter, lässt ihn pausenlos die Stufen erklimmen. Jeden Tag geht es ein Stückchen höher. Und auf einmal ist da eine Tür, die man öffnen muss. Franz tut dies und steht plötzlich auf dem Dach des Turmes. Zum ersten Mal seit vielen Jahren sieht er die Sonne. Sie ist so hell und ungemütlich. Blendet seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen. Da ist eine Brüstung, die das Dach des Turmes umgibt. Hier geht es nicht mehr weiter. Franz hält irritiert inne. Das ist das Ende. Ein Ankommen ist in seinem Lebensplan nicht vorgesehen. Der Stillstand schmerzt ihn. Seine Muskeln fangen an zu zittern, die Gedanken sprühen Funken. Franz tritt auf der Stelle. Ist verzweifelt. Da nimmt er sich ein Herz, springt über die Brüstung und spürt im Fallen noch ein letztes Mal diesen fantastischen Rausch des Vorwärtskommens. Dann landet er unsanft auf der Müllhalde.

Harry hat den Sturz in stoischer Gelassenheit aus seiner Tonne heraus beobachtet. Er macht sich auf und begibt sich zu dem leblosen Mann. Er durchsucht ihn. Harry findet nur jede Menge wertlose Plastikkarten und elektronische Kleingeräte in seinen Taschen. Mit der Hose kann er noch etwas anfangen. Harry zieht dem Körper die Beinkleider aus, dann die Unterhose und schlüpft in die Kleidungsstücke des Toten. Sie duften nach Kaufhallen und künstlichen Blumenwiesen. Harry ist sehr froh darüber, dass er jetzt neue, saubere Kleider besitzt. Die Jacke hebt er sich auf für kühlere Tage. Dann ist es Zeit, sich wieder in die Tonne zurückzuziehen. Harry beobachtet die Sonne, wie sie den goldenen Turm links neben sich liegen lässt und denkt an Dinge, die warm und weich sind. Mit dem Gedanken Wie schön wäre es doch, wenn man auch durch das Reiben des Bauches das Hungergefühl vertreiben könnte schläft er zufrieden ein.

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Isa
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 153
Wohnort: München


Beitrag14.01.2012 20:22

von Isa
Antworten mit Zitat

Hallo BlueNote,

ein anspruchsvoller Text, gefällt mir.

Was mir so auffällt, dass die Namen zumindest für mein Ohr irgendwie ähnlich klingen, so dass ich sie verwechselt habe.

Zitat:
Treppauf, treppauf. Endlos herum im Kreis, aber setig aufwärts.

Kann es in einem Kreis nach oben gehen? Wäre vielleicht Serpentine oder Ähnliches besser???

Zitat:
Dann landet er unsanft auf der Müllhalde.

Diese  Stelle irritiert mich etwas, ich würde daraus eher schließen, dass er noch am Leben ist.

LG, Isa
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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7306
Wohnort: NBY



Beitrag14.01.2012 20:32

von BlueNote
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Hey Isa,

jetzt ist also Schluss mit editieren. wink Auch gut!
Zitat:

Kann es in einem Kreis nach oben gehen? Wäre vielleicht Serpentine oder Ähnliches besser???

Franz befindet sich in einem Turm. Da ist eine Wendeltreppe doch naheliegend, d.h.: Im Kreis und trotzdem hinauf.
Zitat:

Zitat:
Dann landet er unsanft auf der Müllhalde.

Diese Stelle irritiert mich etwas, ich würde daraus eher schließen, dass er noch am Leben ist.

Mir gefällt die Stelle außerordentlich gut, weil sie so ironisch ist - und außerdem ein bisschen ... stoisch ... oder kynisch ... oder halt irgendwie philosophisch ... wink
Zitat:

ein anspruchsvoller Text,

Ja, ein bisschen schon! Etwas in der Tradition von http://www.dsfo.de/fo/viewtopic.php?t=19524, einem Uralt-Text von mir.

Danke für die schnelle Rückmeldung.

Ciao

BN
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lupus
Geschlecht:männlichBücherwurm

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Beiträge: 3913
Wohnort: wien



Beitrag14.01.2012 20:42

von lupus
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hallo BN,

sprachlich, also stilistisch find ich das recht gelungen. Die Variationen der Satzlänge passen gut und sind auch an den richtigen Stellen angebracht, wie mir scheint.

die eine oder andere Sache würd ich vielleicht ändern, aber Fehler hab ich keine gefunden, aber auch nicht gesucht.

Den Anfang halt ich für viel versprechen, die Idee die Absätze jeweils mit den Namen zu beginnen ist gelungen.

aber:
(1) mE is die Geschichte zu lang, im Mittelteil kommt sie nur sehr, sehr langsam voran, Dinge, die schon längst klar sind, werden breitgetreten, v.a. das hinauf, hinauf wird massiv strapaziert und verliert an Wirkung

(2) der Text soll ja eine Aussage haben (hat er auch), aber dadurch, dass du die beiden in ihren Extremsituationen setzt wird es klischeehaft (untermauert durch so Sachen wie 'Haie'), dadurch dass du den einen (Harry) bzw seine Situation gerade zu verherrlicht, romantisch darstellst, den anderen - Franz - in seiner Situation geradezu verdammst, verliert der Text an Aussagekraft, sie verschwimmt. In Extremis is nix leinwand.

(3) Dadurch, dass das Setting eher realitätsnah ist verliert der Text seine Allegorische Wirkung

Und der Schluss ist dir dann mE davongelaufen. Da blüht die blaue Blume der Sandlerromantik. Er hat Hunger, das Bauchreiben hilft nix, aber mein Gott ... trotzdem schläft er zufrieden ein.

Fazit: wenn du den Text straffst, etwas weniger explizite Message reinlegst, sondern den Text für sich sprechen lässt, ein bisserl weniger 'Romantik' ... dann hat das was ...

lgl

edit: das mit dem Kreis gehen passt mE schon, in Spiralen gehn klingt ein bisserl sehr strange Smile

die Philosophie an 'unsanft in der Müllhalde landen' kann ich auf den ersten Blick nicht erkennen Wink, aber ironisch is es, auch wenn es ein bisserl ausgelutscht klingt. 'Unsanft irgendwo landen' für 'hart aufschlagen' is ein bisserl ... naja .. aber es passt an dieser Stelle recht gut


_________________
lg Wolfgang

gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben

-------------------------------------------------------
"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi
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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7306
Wohnort: NBY



Beitrag14.01.2012 22:50

von BlueNote
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Hi lupus,
Zitat:

sprachlich, also stilistisch find ich das recht gelungen. Die Variationen der Satzlänge passen gut und sind auch an den richtigen Stellen angebracht, wie mir scheint.

Das freut mich!
Zitat:

(1) mE is die Geschichte zu lang, im Mittelteil kommt sie nur sehr, sehr langsam voran, Dinge, die schon längst klar sind, werden breitgetreten, v.a. das hinauf, hinauf wird massiv strapaziert und verliert an Wirkung

Da könntest du Recht haben ...
Meine Idee war, durch die ständige Wiederholung des "Hinaufs" eine gewisse Verzweiflung (oder Verbissenheit) in die Situation oder den Charakter von Franz  zu legen.
Zitat:

untermauert durch so Sachen wie 'Haie

Die Haie sind eine kleine Anspielung an das "Hai/Delfin und Karpfen-Modell" aus der Kommunikationsforschung -> siehe:
http://www.perspektive-mittelstand.de/Kommunikation-Sind-Sie-ein-Hai-ein-Karpfen-oder-ein-Delfin-/management-wissen/1711.html
Zitat:

dadurch dass du den einen (Harry) bzw seine Situation gerade zu verherrlicht, romantisch darstellst, den anderen - Franz - in seiner Situation geradezu verdammst, verliert der Text an Aussagekraft, sie verschwimmt.

Aber ist diese einseitige Pro-Haltung des Textes nicht zwingend notwendig durch die Anlehnung der Person Harry an den Philosophen Diogenes?
Zitat:

Dadurch, dass das Setting eher realitätsnah ist verliert der Text seine Allegorische Wirkung

Das Setting (die Müllhalde, der goldene (fast unendlich lange) Turm) findest du realitätsnah? Hatte da eher gegenteilige Einwürfe befürchtet.
Zitat:

Fazit: wenn du den Text straffst, etwas weniger explizite Message reinlegst, sondern den Text für sich sprechen lässt, ein bisserl weniger 'Romantik' ... dann hat das was ..

Da die Idee zu dem Text erst heute um 14 Uhr entstanden ist, bin ich für Vorschläge noch recht offen.
Zitat:

Und der Schluss ist dir dann mE davongelaufen. Da blüht die blaue Blume der Sandlerromantik. Er hat Hunger, das Bauchreiben hilft nix, aber mein Gott ... trotzdem schläft er zufrieden ein.

Das "zufrieden" muss nicht unbedingt sein. Aber der Schluss ist nicht so harmlos (Sandlerromantik), wie du möglicherweise denkst. Vielleicht hat ja jemand noch Lust auf eine genauere Google-Recherche. wink


Ciao

BN
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Sabine A.
Eselsohr


Beiträge: 385



Beitrag14.01.2012 23:26

von Sabine A.
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Hallo BN,

ich fühle mich nicht "so weit fortgeschritten, um Kritik üben zu können", so gebe ich nur meinen "Senf" ab, wenn mir ein Text wirklich gut gefällt.

Aber für mich war dies einer der besten Texte, die ich die letzten Tage gelesen habe.

LG
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Ric
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Alter: 80
Beiträge: 216
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Beitrag15.01.2012 00:50
Probleme
von Ric
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wälzen ist für mich kein Vergnügen, aber man kommt nicht drum herum.
Harry wälzt keine, er betrachtet sie gelassen. Allein. Und ohne Aussicht, auch wenn diese gut ist.
Franz wälzt sie umso schwerer, weil er - mit ihnen - nach oben - muss. Ob er will... und ob! Und als es nicht mehr weiter geht - nach oben - sein Problem. Es löst sich in Müll auf...
Ich hatte ein kleines - mit treppauf, treppauf. Ich hab es einfach nicht gepackt, dass es nicht treppab hieß. Mein kleines Problem.
Das große wälze ich vor mir her: Wie viele solcher Geschichten muss ich wohl aufsaugen, um den steilen Weg zur Prosa ohne Absturz zu schaffen - bis zur ersten kleinen Aussicht? Gibt es diesbezüglich vielleicht Problemlöser in Tuben oder Konserven? Frisch gebacken ist wohl nicht...
Dank schön, und habe die Ehre,
Ric


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agu
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Beitrag15.01.2012 02:49

von agu
Antworten mit Zitat

Gefällt mir gut, der kurze Text, eine hübsche Allegorie.
Auch wenn sie stark ins Schwarz-Weiß driftet, aber das läßt sich auf so komprimiertem Raum wohl nicht vermeiden, und passt ja irgendwie auch zum Gleichnis-Charakter.

Nur der Schluss hält für mein Gefühl nicht ganz mit der Stärke des restlichen Textes mit. Harry, der Franz auf den Kleiderspender reduziert oder Futter für die Würmer. Der läßt mich irgendwie unbefriedigt, als müsste da noch eine Botschaft sein, die sich aber versteckt, oder vergessen wurde.

Aber sonst - hat es Spaß gemacht, das Lesen.
Liebe Grüße,
Andrea


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Meine Bücher:
Engelsbrut (2009 Sieben, 2011 LYX) | Engelsjagd (2010 Sieben) | Engelsdämmerung (2012 Sieben)
Die dunklen Farben des Lichts (2012, SP)
Purpurdämmern (2013, Ueberreuter)
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sleepless_lives
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Beitrag15.01.2012 10:08

von sleepless_lives
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Das Problem mit dem Text und seiner Schwarz-Weiß-Malerei ist zweierlei:

(1) Nach den ersten Abschnitten kann man den Rest so in etwa voraussagen und das Weiterlesen wird überflüssig, bis wieder etwas passiert.

(2) Die Konsequenz aus der Geschichte, ihr Lehre sozusagen, ist, dass wir die Armen ruhig auf ihrer Müllhalde lassen können und sollen, denn die sind ja dort glücklich und zufrieden. Kein Wort von Hoffnungslosigkeit, Gewalt, Krankheit, Schmerz, Umweltgiften, frühzeitigem Tod. Was wenn Harry krank wird? Ich finde solche Geschichten, ehrlich gesagt, verlogen, weil sie aus dem Bollwerk der materiellen Sicherheit geschrieben werden und die Slums in ein goldenes Licht tauchen. Die Realität sieht anders aus. Frag mal die Leute in den Entwicklungsländern, die wirklich auf und an Müllhalden leben, wie toll das ist. Wenn das eine Geschichte über ein Individuum wäre, klar gezeichnet als individueller Charakter mit einer Vorgeschichte und bestimmten Eigenheiten, wäre das vielleicht etwas anderes. Wenn es rauskäme, dass Leute, die in Armut leben, trotz der widrigen Umstände glücklich sein können, weil sie sich an einfachen Dingen erfreuen können und die Hoffnung nicht aufgeben, irgendwie ihre Situation doch mal ändern zu können, zumindest für ihre Kinder, dann wäre das vielleicht was anderes. Aber mit dem deutlichen Parabelcharakter des Textes ist das nicht der Fall. Deinem Text zufolge sollten wir den weltweiten Kampf gegen die Armut sofort einstellen.


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Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

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BlueNote
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Beitrag15.01.2012 10:49

von BlueNote
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Guten Morgen allerseits,

bevor ich auf die Einzelheiten eingehe (wenn ich die Zeit dafür habe), möchte ich erst auf den wichtigsten Punkt eingehen: Ja, es stimmt was sleepless sagt, der Aspekt der "Zufriedenheit" muss unbedingt aus dem Text genommen werden. Harry hat seinen Tag gemeistert, mehr aber auch nicht. Der Schluss, der das ein bisschen andeutet, bekommt durch das "zufrieden" eine verkehrte Wendung.  
Man könnte das zufrieden mit "traumlos" oder etwas ähnlichem auswechseln, oder anfügen, dass er mit einer Angst vor dem Morgen einschläft etc.

Mit dem Gedanken Wie schön wäre es doch, wenn man auch durch das Reiben des Bauches das Hungergefühl vertreiben könnte, schläft er traumlos  ein.
Zitat:

Nur der Schluss hält für mein Gefühl nicht ganz mit der Stärke des restlichen Textes mit. Harry, der Franz auf den Kleiderspender reduziert oder Futter für die Würmer. Der läßt mich irgendwie unbefriedigt, als müsste da noch eine Botschaft sein, die sich aber versteckt, oder vergessen wurde.

Die Botschaft oder die (kleine) Aussage, die im Schlusszitat von Diogenes steckt, wurde meiner Meinung nach noch nicht richtig erkannt.
Aber das Wichtigste: Die Parabel darf auf keinem Fall auf eine eine Akzeptanz der Situation Harrys hinauslaufen. Das muss ich ändern.

Später (die Tage) mehr.

BN
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Gast







Beitrag15.01.2012 11:11

von Gast
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Guten Morgen Blue,

du hast deine Geschichte als Parabel deklariert – und genauso möchte ich sie auch sehen. Eine große Metapher. In Zeiten da die Spanne zwischen Reich und Arm immer größer wird darf/sollte/muss Schwarz/Weißmalerei durchaus erlaubt sein.
Meinem Empfinden nach hast du es wunderbar hinbekommen, Auf- und Abstieg parallel zu zeigen. Wie nachvollziehbar ist es doch, dass Typen wie Franz zu Tode kommen, wenn es nichts mehr zu erreichen gibt. In der Realität ist es dann wohl eher der Herzinfarkt.
Harry dagegen kann gar nicht anders – wie viele heutzutage – er muss sich in sein Schicksal fügen. Wenn er die Kleider des Toten an sich nimmt und dann „zufrieden“ einschläft, ist das für mich der Schritt, der nach tiefster Resignation kommt. Und ist in keiner Weise schändlich! Ob man das nun zufrieden nennen kann, ist mir persönlich egal – ich empfinde es so.

Zitat:
Aber das Wichtigste: Die Parabel darf auf keinem Fall auf eine Akzeptanz der Situation Harrys hinauslaufen. Das muss ich ändern.


Akzeptanz der Situation: Auf keinen Fall – Akzeptanz für sein Handeln: Auf jeden Fall.

Liebe Grüße
Monika
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agu
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Beitrag15.01.2012 12:57

von agu
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Das ist interessant, ich habe es genau andersherum gelesen - ich fand, dass die Sinnlosigkeit des hochehrgeizigen und hart arbeitenden Franz etwas zu extrem und zu hoffnungslos geraten ist. Harrys Situation habe ich dagegen nicht als wörtlich genommen, sondern (wie den goldenen Turm) als Übersteigerung des Lebens auf der sogenannten Verliererseite, also zusammengenommen alle 'kleinen' Leute, die von Allmosen / Sozialbeihilfen / Überresten des Wohlstands leben, egal ob nun unverschuldet oder nicht.

Denn genauso wie ein Teil der Leser das Gefühl hat, bei Harry käme zuviel Zufriedenheit rüber, so habe ich das Gefühl, Franz verkörpert seine Rolle, die stellvertretend für alle modernen 'Hochleistungs'berufe (weiß gerade kein besseres Wort) stehen soll, ein bisschen zu plakativ. Nicht jeder, der in einem Glashochhaus in seiner 2x2m Box 16 Stunden am Tag für ein hohes Gehalt schuftet, ist automatisch ein von Ehrgeiz zerfressener Raffzahn, der sich das Leben nehmen möchte, wenn er mal mit einer Ruhephase konfrontiert wird.

Aber das ist das, was ich mit der Schwarz-Weiß-Malerei meinte.
Andererseits ist es natürlich schwierig, auf einer so kurzen Allegorie die Komplexität von tausend Graustufen unterzubringen, wenn nicht unmöglich. Dafür braucht man dann wieder eine Novelle oder gar einen Roman.


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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7306
Wohnort: NBY



Beitrag15.01.2012 13:05

von BlueNote
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hi, ich bins wieder!

@Sabine A.
Zitat:
ich fühle mich nicht "so weit fortgeschritten, um Kritik üben zu können
Gut, dass du trotzdem deinen "Senf" abgegeben hast. Kritik üben ist nicht so schwer, man muss sich nur trauen.
Zitat:
Aber für mich war dies einer der besten Texte, die ich die letzten Tage gelesen habe.
This makes me really happy.


@Ric
Zitat:
Harry wälzt keine, er betrachtet sie gelassen. Allein. Und ohne Aussicht, auch wenn diese gut ist.
Den positiven Aspekt wollte ich ja noch etwas schwächen.
Zitat:
Ich hatte ein kleines - mit treppauf, treppauf. Ich hab es einfach nicht gepackt, dass es nicht treppab hieß.
Ja, das "treppab" ist einfach drin in den Gehirnzellen. Aber treppab geht's ja auf keinen Fall.
Zitat:
Das große wälze ich vor mir her: Wie viele solcher Geschichten muss ich wohl aufsaugen, um den steilen Weg zur Prosa ohne Absturz zu schaffen
Also, ich kenne (fast) nur Top-Texte von dir. Lyriker haben ja oft Probleme, sich beim Prosaschreiben von der Lyrik zu lösen. War das etwa bei dir genauso?
Zitat:
Dank schön, und habe die Ehre,
Danke, hab ich! Dein Kommentar hat mich sehr gefreut.


@agu
Ein Kommentar von agu ist schon was besonderes, den hatte ich glaube ich noch nie.
Zitat:
Gefällt mir gut, der kurze Text, eine hübsche Allegorie.
Über solche Beurteilungen bin ich ziemlich erleichtert, weil ich den Text für meine Verhältnisse sehr überstürzt geschrieben habe. Gedanklich bin ich noch sehr in der Modifikationsphase. Aber in der Werkstatt soll das erlaubt sein.
Zitat:
Auch wenn sie stark ins Schwarz-Weiß driftet, aber das läßt sich auf so komprimiertem Raum wohl nicht vermeiden, und passt ja irgendwie auch zum Gleichnis-Charakter
Ich denke auch, dass man das Schwarz-Weiß nicht zu einem Grau vermengen sollte.
Zitat:
Nur der Schluss hält für mein Gefühl nicht ganz mit der Stärke des restlichen Textes mit. Harry, der Franz auf den Kleiderspender reduziert oder Futter für die Würmer. Der läßt mich irgendwie unbefriedigt, als müsste da noch eine Botschaft sein, die sich aber versteckt, oder vergessen wurde
Nun ja, der Schluss ... lehnt sich an an folgende Anekdote (Zitat wikipedia):
Diogenes wird nachgesagt, auf dem Marktplatz öffentlich masturbiert zu haben. Darauf angesprochen, sagte er (Diog.Laert., Leben, 6.2.46[42]): „Wie schön wäre es doch, wenn man auch durch das Reiben des Bauches das Hungergefühl vertreiben könnte!“ (Εἴθε καὶ τὴν κοιλίαν ἦν παρατρίψαντα μὴ πεινῆν.) Diogenes Laertios kommentiert diese Haltung mit den Worten: „Nichts von dem, was lebensnotwendig ist, ist schändlich für die Sterblichen.“
Ich finde die zitierte Geschichte recht ... hübsch. wink Diesen Gedanken wollte ich als Schluss verwenden - aber das soll nicht dazu führen, dass die Situation Harrys als angenehm, erstrebenswert empfunden wird. Vielleicht hat ja jemand eine Idee, wie man das formulieren könnte.
Zitat:
Aber sonst - hat es Spaß gemacht, das Lesen.
Super!


@sleepless_lives
Dein Kommentar hat mich ja oben bereits aktiviert, weil das hier:
Zitat:
Deinem Text zufolge sollten wir den weltweiten Kampf gegen die Armut sofort einstellen.
soll keinesfalls die Quintessenz der Geschichte sein. Das muss ich entsprechend ändern.
Zitat:
Nach den ersten Abschnitten kann man den Rest so in etwa voraussagen und das Weiterlesen wird überflüssig, bis wieder etwas passiert.
Für mich ist das in Ordnung, dass der Text vorausschaubar ist. Es soll ja nichts Ungeahntes passieren, sondern ein gesellschaftlicher Zustand beschrieben werden, der jedem bekannt ist. Für mich ist es wichtig, dass alles im ersten Satz bereits klar ist (bzw. gesagt wird).
Ich hoffe es gelingt mir mit deinem Kommentar, den Text in die richtige Richtung zu lenken, in die ich ihn auch haben will. Allerdings: "Hoffnungslosigkeit, Gewalt, Krankheit, Schmerz, Umweltgifte, frühzeitiger Tod" werde ich nicht beschreiben, das muss sich aus dem Text erschließen.


@Paloma
Zitat:
In Zeiten da die Spanne zwischen Reich und Arm immer größer wird darf/sollte/muss Schwarz/Weißmalerei durchaus erlaubt sein.
Sehe ich auch so!
Zitat:
Meinem Empfinden nach hast du es wunderbar hinbekommen, Auf- und Abstieg parallel zu zeigen.
Schön, dass du diese Verzahnung erwähnst, weil sie eine wesentliche Konstruktionsgrundlage der Geschichte ist.
Zitat:
Wie nachvollziehbar ist es doch, dass Typen wie Franz zu Tode kommen, wenn es nichts mehr zu erreichen gibt. In der Realität ist es dann wohl eher der Herzinfarkt.
Ich finde das sehr sympathisch, wenn Leser die Geschichte weiterdenken.
Zitat:
Wenn er die Kleider des Toten an sich nimmt und dann „zufrieden“ einschläft, ist das für mich der Schritt, der nach tiefster Resignation kommt.
Diese Sicht halte ich für die richtige. Das muss in meinem Text klar rüberkommen - und darauf muss ich achten.
Zitat:
Akzeptanz der Situation: Auf keinen Fall – Akzeptanz für sein Handeln: Auf jeden Fall.
Gut gesagt! Ich freue mich, dass der Text deinem geschulten Auge einigermaßen standhält.

Ciao

BN
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Gast







Beitrag15.01.2012 13:19

von Gast
Antworten mit Zitat

Belehrungen sollten kurz sein. Mir ist das zu lang, dafür dass es relativ wenig erzählt. Vor allem nichts neues.

Müllmensch, Turmmensch. Arm, Reich - beides ist zwar schön plakativ, trifft aber weder ins Schwarze noch ins Herz. In das meine jedenfalls nicht, was nun wiederum darin liegen kann, dass ich keines habe.

Was ist die Moral von der Geschicht? Die Welt ist schlecht? Der Arme wenigstens ein bisschen klüger als der Reiche? Seid gegen Atomkraft und esst mehr Biohühner?

Insgesamt kann man solche lehrreichen Texte machen, es gibt Leser dafür - nur bitte wesentlich reduzierter und sprachlich mit mehr Feuer. Wenn schon, denn schon.
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Ric
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 80
Beiträge: 216
Wohnort: Hianzei


Beitrag15.01.2012 14:08
Probleme
von Ric
Antworten mit Zitat

BlueNote,

"Lyriker haben ja oft Probleme, sich beim Prosaschreiben von der Lyrik zu lösen. War das etwa bei dir genauso?"
schreibst Du. Und weißt sicher, das es bei mir genau so ist.
Aber man soll die Hoffnung nicht briefen. Noch fühl ich mich nicht alt...

LG
Ric

PS.: Bin neugierig, wie Du den Schluss hinkriegst, um Deinen eigenen Ansprüchen zu genügen. Andere sind da nicht so relevant.


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Gast







Beitrag15.01.2012 16:37

von Gast
Antworten mit Zitat

Je länger der Text auf mich wirkt, je weniger stört mich die Zufriedenheit.

Dieser spezielle Tag war für Harry zufriedenstellend. Wahrscheinlich ist er sogar ein wenig glücklich über die neue Jacke. Sieht doch in der Realität nicht anders aus. Viele der Menschen, die am/unter dem Existenzminimum leben, sind zufrieden, zeitweise froh, wenn sie die paar Mäuse für ein paar Flaschen Plastikbier und ne Tüte Chips beim Discounter zusammenkratzen können. Deshalb ist ihr Leben nun nicht grade idyllisch.  
Die vermeintliche Gelassenheit, mit der Harry sein Leben und den Turm betrachtet, gründet meiner Auffassung nach darin, dass er weiß – wie viele Harzt V ler – dass er nichts – absolut nichts – tun kann, um auch nur in die Nähe des Turms zu kommen.
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agu
Geschlecht:weiblichExposéadler

Alter: 49
Beiträge: 2009
Wohnort: deep down in the Brandenburger woods


Beitrag15.01.2012 17:36

von agu
Antworten mit Zitat

Ich finde es in sich eigentlich auch gut, wenn ich so drüber nachdenke.
Eigentlich ist es auch ein Gleichnis über die Relativität von Glücksempfinden.
Dass nämlich jemand, der - nach Maßstäben unserer Gesellschaft - alles hat, nicht zwingend individuell glücklicher sein muss als einer, der nach den gleichen Maßstäben dahinvegetiert. Solange die elementaren Grundbedürfnisse des Körpers erfüllt sind, werden die Kriterien für individuelle Zufriedenheit vor allem durch die persönliche Erwartungshaltung bestimmt.


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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7306
Wohnort: NBY



Beitrag15.01.2012 18:23

von BlueNote
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Hi ihr!

@agu
Zitat:

Das ist interessant, ich habe es genau andersherum gelesen - ich fand, dass die Sinnlosigkeit des hochehrgeizigen und hart arbeitenden Franz etwas zu extrem und zu hoffnungslos geraten ist

Vielleicht wäre es besser, wenn der Text weniger wertet (bzw. der Leser den Text weniger als Wertung versteht). Es soll nicht herausgefunden werden, wer von den beiden mehr zu bedauern oder unglücklicher ist, sondern lediglich ein gesellschaftlicher Zustand beschrieben.
Zitat:

Harrys Situation habe ich dagegen nicht als wörtlich genommen, sondern (wie den goldenen Turm) als Übersteigerung des Lebens auf der sogenannten Verliererseite, also zusammengenommen alle 'kleinen' Leute, die von Allmosen / Sozialbeihilfen / Überresten des Wohlstands leben, egal ob nun unverschuldet oder nicht.

Das ist sehr gut ausgedrückt und entspricht meiner Intention.
Zitat:

Andererseits ist es natürlich schwierig, auf einer so kurzen Allegorie die Komplexität von tausend Graustufen unterzubringen, wenn nicht unmöglich. Dafür braucht man dann wieder eine Novelle oder gar einen Roman.

Deswegen fange ich mit den Graustufen lieber erst gar nicht an. wink So käme man vom Hundertsten ins Tausendste.
Zitat:

Eigentlich ist es auch ein Gleichnis über die Relativität von Glücksempfinden

Wenn man nach Diogenes geht, schon, wenn man gesellschaftliche Missstände anprangern möchte, weniger. Ich weiß noch nicht, ob die Geschichte beide Ebenen verträgt.


@deburma
Zitat:

Mir ist das zu lang, dafür dass es relativ wenig erzählt. Vor allem nichts neues.

Was sollte das auch sein, was "Neues"?
Zitat:

Was ist die Moral von der Geschicht? Die Welt ist schlecht? Der Arme wenigstens ein bisschen klüger als der Reiche? Seid gegen Atomkraft und esst mehr Biohühner?

Was ist die Moral deines Kommentar bzw. wo ist die Moral in deinen Ansichten? Tim Bendzko will wenigstens noch die Welt retten, aber was willst du?


@Paloma
Zitat:

Dieser spezielle Tag war für Harry zufriedenstellend. Wahrscheinlich ist er sogar ein wenig glücklich über die neue Jacke.
Sehe ich genauso! Deine Gedanken passen sehr gut zu der Geschichte.

Schönes Restwochenende

BN
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Gast







Beitrag15.01.2012 19:10

von Gast
Antworten mit Zitat

Zitat:
Was sollte das auch sein, was "Neues"?


Gerade zu dem Thema Banken, Manager - die Veränderung der kapitalistischen Welt, die Verschiebung von der Unternehmerpersönlichkeit zum Investmentfond. Doch. Da gibt es eigenes an Neuigkeiten.

Gut, das mag nicht dein Thema sein, ich kann auch noch andere Beispiele mir aus dem Hirn schütteln, wenn es denn der Textfindung dient - aber ich glaube dennoch, dass du Sprachgewalt und Beobachtungsgefühl genug hast, einiges tiefer zu gehen. Wenn du es denn willst, muss ja nicht.

Zitat:
Tim Bendzko will wenigstens noch die Welt retten, aber was willst du?


Mindestens Grönemeyer hören. Bitte.

Ich mag es nicht, es ist mir zu flach gedacht. Da kannst du knurren, wie soviel du willst.

Rein sachlich aber ist der Text zu lang, zu wenig reduziert. Solches muss mehr auf den Punkt, sonst verliert sich das Brennen und wird zur Funzel.
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BlueNote
Geschlecht:männlichStimme der Vernunft


Beiträge: 7306
Wohnort: NBY



Beitrag15.01.2012 20:46

von BlueNote
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Guten Abend debruma,

freilich gibt es viele neue Entwicklungen in unserer industrialisierten Welt oder in der Finanzwelt (wohnst du eigentlich wirklich in Westsibirien?). Aber würde das diese einfach Parabel nicht hoffnungslos überfrachten, wenn man versuchen würde, solche komplexen Zusammenhänge, wie von dir angeschnitten, auch noch ansprechen zu wollen? Ich finde die Matapher des Müllberges als lebender (und sterbender) Organismus und die Wechselwirkung der beiden Lebenswelten von Harry und Franz schon kompliziert genug für eine Geschichte, die eigentlich möglichst einfach sein will.

Ich mag die Geschichte hauptsächlich wegen ihrer Konstruktion. Wenn es ganz dunkel ist, sind auch kleine Funzeln schön.

BN
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Dorade
Wortedrechsler


Beiträge: 62



Beitrag15.01.2012 21:51

von Dorade
Antworten mit Zitat

Einer oder eine meiner VorposterInnen war der Ansicht, die Geschichte sei anspruchsvoll. – Ich kann nichts anspruchsvolles daran entdecken. Die Geschichte ist langweilig, nichtssagend und schlecht geschrieben.

Langweilig, weil sie außer Klischees nichts enthält – keinen Realitätsbezug, kein Fazit. Wenn die Geschichte eine Moral enthalten soll, dann erschließt sie sich mir nicht. Um gesellschaftskritisch zu sein (falls das die Intention war), ist sie zu unrealistisch. Ein Besuch in der wirklichen Welt wäre dem Schreiber / der Schreiberin dringend zu empfehlen; er / sie hat nichts von der Psychologie der Menschen begriffen.

Aber eine Fantasiegeschichte oder ein Märchen soll es offenbar auch nicht sein. Wozu also das?

Schlecht geschrieben ist die Geschichte wegen der Widersprüche (Beispiel: dass Harry vorgeblich zufrieden ist, gleichzeitig träumt er aber von vergangenen besseren Tagen, als die Sonne über den Apfelbäumen aufging etc.) und der gnadenlosen Aufzählung nichtssagender Aussagen.
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agu
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Beitrag15.01.2012 21:54

von agu
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BlueNote hat Folgendes geschrieben:
Ich mag die Geschichte hauptsächlich wegen ihrer Konstruktion. Wenn es ganz dunkel ist, sind auch kleine Funzeln schön.

Recht hast Du smile


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