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Sieben Meter Freiheit


 
 
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ricochet
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 68
Beiträge: 389
Wohnort: Graz


Beitrag06.04.2012 16:27
Sieben Meter Freiheit
von ricochet
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Frei. Was für ein Wort! Es fühlte sich gut an, es klang nach mehr, es roch nach aller Seligkeit dieser Welt. Und mit für immer anderen Augen siehst du vorwärts, in diese Welt, Gustav, sagte er sich. Danach könnte man süchtig werden. Immerhin hatte er Jahre unter Entzugserscheinungen gelitten.
Beinahe hätte sich Gustav umgedreht, aber das wäre die falsche Botschaft gewesen für sich und den Rest der Welt. Wollte er doch jedem Passanten auf dem Gehsteig aus tiefstem Herzen zurufen: „Ich habe eine Zukunft und ich werde sie bestimmen!“
Nicht umsonst liegt die Vergangenheit hinter einem, in seinem Falle sogar wörtlich. Sie war erfüllt von den harten Geräuschen, mit denen Metalltüren in das Schloss fallen, barschen Stimmen, vom Gestank der Klomuschel, die im einzigen, viel zu kleinen Raum ihr im wahrsten Sinn des Wortes beschissenes Dasein fristete.
Geh, befahl er sich und genoss es, sich selbst etwas anschaffen zu können. Tief sog er die Luft der offenen Straße und damit dieses unglaubliche Gefühl ein. Und wieder ausatmen ... Genießen – genau das war es!
Im gleichen Ausmaß wie sich das Gewicht seines Körpers nach vorn verlagerte, gelangte der eine Fuß nach hinten, wurde Vergangenheit, während der andere spiegelgleich nach vorwärts, in die Zukunft, ausschritt. Und anschließend war der andere Fuß dran, damit sich keiner benachteiligt vorkommen musste. Was für ein Erlebnis!
Ein kleines Mädchen lief von der linken Seite her an ihm vorbei. Gustav wich zurück, die Kleine wäre sonst möglicherweise über seine Füße gestolpert. Eine junge, blonde Frau, wohl die Mutter, folgte ein paar Meter dahinter. Sie murmelte: „Entschuldigung!“
„Bitte sehr, nichts passiert.“
Zum ersten Mal seit Jahren lächelte Gustav. Aber es war ein missratenes Lächeln. Ganz offenbar waren die Muskeln im Gesicht, die man zum Lächeln braucht, aus der Übung. Er würde trainieren müssen.
Wäre schön gewesen, hätte jemand auf ihn gewartet. Hätte ja nicht gleich jemand von Bedeutung sein müssen, ein kleines Mädchen, wie das vorhin, hätte schon genügt. Hauptsache, es wäre ihm ein freundliches „Hallo!“ vergönnt gewesen. Aber da gab es niemanden. Ein Gedicht in diesen Augenblicken hätte er wohl „Niemand da“ betitelt.
Vor ihm lag ein Zebrastreifen, der ihm mit seinen Farben schwarz-weiß-schwarz-weiß eine merkwürdige Scheu einflößte. Das sah ein bisschen nach Gitter - kein Gitter - Gitter - kein Gitter usw. aus. Auf der anderen Seite der Straße lockte ein kleiner Park mit Bänken zwischen blühenden Sträuchern und einem kleinen Teich. Drei Enten zogen auf der Wasseroberfläche ihre Runden. Dorthin zog es ihn. Sich niedersetzen, in Freiheit schwelgen, lächeln üben. Und irgendwann einmal überlegen, was er nun anfangen sollte. Ja, dazu drängte es ihn.
Grün wurde es und damit sagte ihm die Ampel aufmunternd: „Geh, alter Junge!“
In der Mitte des Zebrastreifens geschah es ... Im Polizeiprotokoll stand zu lesen: „Gustav M. verließ um ca. 10.30 Uhr die Haftanstalt. Beim Überqueren einer Kreuzung wurde er nach einer Entfernung von sieben Metern um 10.33 Uhr von einem PKW erfasst. Dessen Fahrer war mit einem Alkoholspiegel von 1,8 Promille bei Rot mit ca. 80 km/h in die Kreuzung eingefahren. Gustav M. starb noch an der Unfallstelle.“



_________________
Ich schreibe, also bin ich.
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Durazell
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 16



Beitrag06.04.2012 16:41

von Durazell
Antworten mit Zitat

Tja, so kanns gehn. Nun ist er wirklich frei, der gute Gustav.
Gefällt mir sehr gut, deine kleine Geschichte.  Very Happy
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Hoody
Geschlecht:männlichExposéadler


Beiträge: 2273
Wohnort: Alpen


Beitrag06.04.2012 16:53

von Hoody
Antworten mit Zitat

HeyHo ricochet.
Der Text teilt meine Meinung: Du hast ein paar sehr gute Sätze drinnen, aber das Thema ist nicht unbedingt neu (trotzdem hat die Handlung Potenzial) und die Pointe wurde schon öfter benutzt, besser gesagt: Man kennt sie schon in diversen Formen, deshalb war ich nicht einmal überrascht und getroffen hat es mich auch nicht.
Der Titel gefällt mir. Sieben Meter Freiheit ist ein starker Titel.
Das größte Problem ist der "Kitsch". Dieses ganze Freiheitserlebniss wird von dir nicht glaubwürdig rübergebracht.
Zitat:
Es fühlte sich gut an, es klang nach mehr, es roch nach aller Seligkeit dieser Welt.

Der fett markierte Teil wäre so eine Stelle, dir mir nicht gefällt. Würde so ein Mensch so denken? Ich glaube nicht. Teilweise versuchst du kramphaft richtig schöne Sätze zu zaubern, versuchst das ganze Gefühl in nur einen Satz zu packen, was aber nicht möglich ist. Ich hätte die ganze Szene ausführlicher geschrieben, ohne die vielen Gedanken der Figur, die mich immer wieder rausreißen. Alles ein wenig lebendiger, statt "monologisch". Aber ist Geschmackssache, anderen wird der Text dadurch super gut gefallen.
Zitat:
Wollte er doch jedem Passanten auf dem Gehsteig aus tiefstem Herzen zurufen

Solche Stellen bzw., solch eine Wortwahl finde ich :too much.

[quote]Nicht umsonst liegt die Vergangenheit hinter einem, in seinem Falle sogar wörtlich.[/quote]
Solche Stellen werfen mich ein paar Mal aus der Geschichte.

Zitat:
Sie war erfüllt von den harten Geräuschen, mit denen Metalltüren in das Schloss fallen, barschen Stimmen, vom Gestank der Klomuschel, die im einzigen, viel zu kleinen Raum ihr im wahrsten Sinn des Wortes beschissenes Dasein fristete.

Der Satz ist super, aber der fett markierte Teil liest sich ein wenig holprig, obwohl mir der Teil auch am besten gefällt. Eventuell könnte man es ein bisschen umstellen.

Zitat:
Geh, befahl er sich und genoss es, sich selbst etwas anschaffen zu können.

Der Satz war auch sehr gut. Selbst anschaffen - gute Doppeldeutigkeit, sogar dreideutig --> wenn es beabsichtigt war.

Man könnte viele Adjektive auch als gewollt ansehen. Offene Straße, da könnte man im Zusammenhang viel herauslesen, was es wieder spannend macht, aber ich weiß nicht. Hast du es so geplant? Weil wenn nicht, dann denk mal dran. Daran könnte man sich mal versuchen. Eine gute Stelle habe ich noch:

Zitat:
Vor ihm lag ein Zebrastreifen, der ihm mit seinen Farben schwarz-weiß-schwarz-weiß eine merkwürdige Scheu einflößte. Das sah ein bisschen nach Gitter - kein Gitter - Gitter - kein Gitter usw. aus.

Super. Hat mir sehr gut gefallen. Nur noch das usw. streichen und der Satz ist top. Mir hat er gefallen.
Ansonsten solltest du auf deine Adjektive achten:
Kleinen Teich - da reicht Teich vollkommen.

Also, wie gesagt. Der Text ist nicht gut oder schlecht. Aber man könnte da viel mehr herausholen und auch die Pointe sollte noch einmal angeschaut werden, vielleicht ein wenig überraschender gestalten.

lg Hubi smile


_________________
Nennt mich einfach Hubi oder J-da oder Huvi : D

Ich bin wie eine Runde Tetris. Nichts will passen.

"Ein schlechter Schriftsteller wird manchmal ein guter Kritiker, genauso wie man aus einem schlechten Wein einen guten Essig machen kann."
Henry de Montherlant

"Wenn die anderen glauben, man ist am Ende, so muss man erst richtig anfangen."
Konrad Adenauer
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Hitchhiker
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 34
Beiträge: 227
Wohnort: Münster


Beitrag06.04.2012 17:39

von Hitchhiker
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Hallo ricochet!

Mir gefällt dein Text im Großen und Ganzen eigentlich sehr gut, da sind einige echt starke Sätze dabei! Trotzdem muss ich Hubi in seinen Ausführungen zustimmen, ein paar Schwächen werden schon deutlich.

Der bereits genannte Kitsch ist mir jetzt zwar nicht in dem Maße negativ aufgefallen, dafür aber das Ende. Nicht falsch verstehen, das Ende rein thematisch betrachtet finde ich gut, die formale Umsetzung allerdings nicht. Das Potential des Schlusses wird meiner Meinung nach nicht ausgenutzt, es liest sich wie ein Anhängsel, das nur wenig Atmosphäre versprüht. Vielleicht liegt das vor allem an dieser Überleitung:
Zitat:
In der Mitte des Zebrastreifens geschah es ...

In diesem Moment verpuffte die Spannung bei mir und der nachfolgende Polizeireport, der in derselben Zeile beginnt, folgt zu plötzlich. Vielleicht täte dem Schluss hier eine deutlichere Abgrenzung zur eigentlichen Geschichte besser, denn dieser Part wird ja nicht mehr von Gustav erzählt.

Das nur mal als kurzer Eindruck, der Text hat mir aber ansonsten ganz gut gefallen.

Liebe Grüße,
Julia


_________________
Das hier ist 'ne verdammt harte Galaxis. Wenn man hier überleben will, muss man immer wissen, wo sein Handtuch ist!
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Maestro
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 67
Beiträge: 337



Beitrag07.04.2012 16:19

von Maestro
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Zitat:
Frei. Was für ein Wort!


Nach fünf! Worten weiß ich, wo der Prota herkommt.

Zitat:
„Ich habe eine Zukunft und ich werde sie bestimmen!“


Hier ahne ich bereits was passieren wird. Die Zeit bis zum "Showdown" wird gefüllt mit sehr vielen Versuchen, das Gefühl des Protas rüber zu bringen.
Das gelingt nicht, da die Wortwahl nicht passt, und die Formulierungen viel zu umständlich sind.

 
Zitat:
Nicht umsonst liegt die Vergangenheit hinter einem, in seinem Falle sogar wörtlich.


Tut mir Leid, ich kann mich in keiner Phase in Gustav hinein versetzen.
Daher kommt automatisch das Fazit: verbrauchtes Thema, nichts Neues.
Um dies zu vermeiden, muss der Leser mit Gustav eins sein können, und der Schluss wesentlich spannender sein.

Mich persönlich hat diese Geschichte nicht erreicht.

LG Maestro


_________________
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell
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ricochet
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 68
Beiträge: 389
Wohnort: Graz


Beitrag26.04.2012 15:16

von ricochet
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke schön, Leute, für die Rückmeldungen. Aus aktuellen Zeitgründen kann ich leider im Forum nicht so auf jeden einzelnen Hinweis eingehen wie ich möchte, werde aber im Originaltext alle Rückmelungen akribisch überprüfen.

LG


rico


_________________
Ich schreibe, also bin ich.
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BiggY
Geschlecht:weiblichWortedrechsler


Beiträge: 76
Wohnort: Ruhrgebiet


Beitrag26.04.2012 19:26

von BiggY
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Hallo ricochet
jaja, die Zeit...wäre man doch endlich frei...oder?!

Für mich ein ganz toller Text Daumen hoch

Herzlichst
Stein Very Happy chen
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