Currywurst und Freiheit

[Margarete59]

Currywurst und Freiheit

Auf der Überholspur durch die Milchstraße und die Fleischallee, auf dem Weg zur Getreidegasse noch ein kurzer Halt in Apple Road und Baker Street. Anschließend Körperkulturpalast und Avenue de Champagne. Warentransportband und Kasse. Der Einkauf war erfolgreich gewesen. Sie hatte sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Kein Schweißausbruch.
Gemächlich schob sie nun ihren Einkaufswagen auf den Parkplatz, vorbei an der knallroten Imbiss-Bude.
Erst kürzlich hatte ihre beste Freundin gesagt:
»Mach doch einfach mal was ganz Spontanes!«
Genau! Sie würde sich jetzt ganz spontan eine Currywurst kaufen. Eine fettige, muffig riechende, total ungesunde, köstliche Currywurst!
Es genügte ein kurzer Schlenker nach rechts und schon konnte sie ihre Bestellung aufgeben:
»Einmal Currywurst mit Pommes!«
»Rot oder weiß?«
Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet.
Als sie ziemlich spontan: »Weiß!« sagte, lag die Wurst bereits zehnfach guillotiniert und mit rot-braun-gelber Sauce bekleckert im gräulichen Schälchen.
Die hurtige Verkäuferin ermahnte nebenher den Mann, der links von ihr stand: »Stellen Sie sich doch bitte hinten an!«
Dieser erwiderte:
»Ich stehe schon länger hier!«
Erschrocken wandte sie sich dem Herrn zu.
»Habe ich mich vorgedrängelt?«
Er hatte keine Zeit zu antworten, da er seine Bestellung aufgab und einen Geldschein hinaufreichte.
Sie nahm ihr Wechselgeld entgegen, doch der Mann neben ihr sagte eisig:
»Das ist meins!«
Stimmt! Sie hatte ja die 3,90 € auf den Cent genau aus ihrem Portemonnaie zusammengekratzt. Eine gute Gelegenheit, endlich das Kleingeld loszuwerden.
Also reichte sie das Geld weiter und versuchte, ihren Nachbarn unbefangen anzustrahlen. Aber der hielt sein Essen schon in der Hand und verschwand.
Auch bemerkte sie jetzt, dass die übervolle Schale mit den Pommes ihr gehörte und griff glücklich nach der spontanen Mahlzeit.
Dummerweise war der Einkaufswagen randvoll gefüllt, unter anderem mit Tiefkühlkost. Also sollte sie ihn vielleicht erst zum Auto fahren, um die Waren zu verstauen. Gar nicht so einfach mit einer Hand! Alles ging gut. Sie verlor nur wenige Pommes aus der Schale.
Ein Krähenpaar beobachtete sie vom Zaun aus sehr aufmerksam. Auch schaffte sie es, alle Waren im Kofferraum zu verstauen und gab den wartenden Autos ein Zeichen, dass sie noch nicht bereit war, ihren Parkplatz zu räumen.
Stattdessen machte sie es sich auf dem schmalen Grünstreifen vor dem Auto bequem, spießte saucengetränkte, kalte Pommes frites auf und entdeckte darunter auch die verschrumpelten Wurststückchen. Es schmeckte nicht so schlecht, wie es aussah, Erinnerungen wurden wach: Deppendorf, Berlin, …
Ihre Freundin hatte Recht: Es war beglückend, einfach mal etwas ganz Spontanes zu tun!
Träumerisch sah sie hinüber zu dem kleinen Park.
Die Tankfüllung ihres Wagens würde bis Genua reichen.

[Arminius]

Leicht und heiter erzählte Geschichte mit Wiedererkennungswert .
Lesefreundlich und - soweit ich sehe - fehlerfrei gestalteter Text.
Hier könntest Du Zeilen einsparen:
Dieser erwiderte: »Ich stehe schon länger hier!«
Erschrocken wandte sie sich dem Herrn zu. »Habe ich mich vorgedrängelt?«
Na dann: "Sei spontan!" (Paul Watzlawick)
Gern gelesen!
Arminius

[Margarete59]

Ja, vielen Dank. Ich schau noch mal drüber.

[Constantine]

Hallo Margarete59

vielen Dank für deinen Einstandstext. Eine aus dem Leben gegriffene alltägliche Szene mit einigen feinen Beobachtungen und auch dem Mut zur Lücke.

Es gibt einige Andeutungen:

[RaiBruHerte]

Ein schöner Einstand, schöner Blick auf einen Lebensmoment. Der sponante Wunsch nach Currywurst ist nicht so einfach umzusetzen.
Der knurrige Nachbar, die Angst sich vorgedrängt zu haben, die Wechselgeld"affäre", Pommesvergessenheit, auftauende Kost, Parkplatzsucher. Die Dame ist ungeübt in Sachen Spontanität.
Aber ein neuer Wunsch kommt:  Genua

[Margarete59]

Liebe Constantine,
den Dank gebe ich gern zurück. Deine Analyse trifft es genau und ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Liebe Grüße

[Margarete59]

[RaiBruHerte]

[Struwwelpeter]

Gern gelesen! Stilistisch einfallsreicher Anfang. Der letzte Satz gefällt mir auch sehr gut. Das mit den Pommes war so aufregend und erfrischend, dass es nun gleich nach Genua geht. Erinnert mich spontan ein bisschen an Wilhelm Genazino, z.B. Abschaffel. Immerzu lächeln über das Innenleben einer Figur, die auf eigenwillige Weise durch den Alltag geht.

[Margarete59]

Danke für die positive Rückmeldung. Wilhelm Genazino kenne ich noch nicht, danke für den Hinweis.