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Voland Wortedrechsler
V Alter: 45 Beiträge: 66
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V 16.11.2011 00:21 Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln ? von Voland
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Ein älterer Text, den ich eben wieder entdeckt habe, und eine etwas eigenwillige, zugegeben vorzeitige und sehr durchgeknallte Weihnachtsgeschichte
Kommentare, zum Beispiel bezüglich der Frage, ob es sich lohnen würde, daran herumzufeilen oder dieses Werk besser dem Vergessen anheim fallen sollte, sind wie immer höchst willkommen. Und ich kann diejenigen befürchten, die ein Werk in der Länge der "Wölfe Gottes" befürchten :
„Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln?“
An einem so trivialen und gesichtslosen Ort wie einer Einkaufspassage meiner Heimatstadt T. zur Vorweihnachtszeit kann nur eine wahre Geschichte beginnen. Denn die lamettabekränzten Kümmerbäumchen, rotnasigen Nikoläuse mit nikotinverfärbten Bärten und hunderte Pakete verschiedener Größen , die manchmal einen Unterbau aus zwei Beinen besitzen und sich von diesen in verschiedene Richtungen fortbewegen lassen, muss ich mir nicht ausdenken.
Wasser tropft glucksend von der Decke und rinnt mir in den Kragen. Jemand hat den modrigen leerstehenden Kelleraum vor Jahrhunderten in die Eingeweide der Stadt gefräst . Jetzt rutsche ich auf dem glitschigen Untergrund herum und versuche mich zu erinnern, wie ich hierher geraten bin. Meine einzige Lichtquelle ist das erleuchtete Zifferblatt meiner Uhr, das ein grünliches Stempelzeichen auf schimmelfleckigen Wänden hinterlässt. Draußen stehen Christbäume in den Fenstern und schiefe Kinderstimmen plärren „Stille Nacht“. Ich habe indes noch kein Interesse daran, mein lichtloses Refugium zu verlassen.
„Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln?“ Der Spruch löste sich aus einer Schaufensterauslage, sprang mich an und verbiss sich in eine Synapse meines Gehirnes. Dabei bildete er bereits nach kurzer Zeit ein Spinnenetz aus endlosen mantrahaften Wiederholungen, die mir bald befremdete Blicke eintrugen. Ich besitze einen Magistertitel, etwas Geld , und eine kleine Bibliothek samt eines Weinkellers. Ob ich auch eine Uhr dazu zählen durfte , die im Dunklen leuchtet, ließ mir von diesem Moment an keine Ruhe mehr. Unglücklicherweise hatte mich mein Weg mitten am Tage in das Einkaufszentrum geführt, so das die Gelegenheit zu einer Probe noch auf sich warten lassen würde. Ich betrat also ein Cafe , von dem ich die Auslage des Uhrengeschäftes im Blick hatte, und rief mir immer wieder den Grund für meine Anwesenheit an diesem Ort in Erinnerung. „Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln?“ Von einem Foto grüßte ein braungebrannter Mann mit Pilotenmütze und Sonnenbrille, der seinen Doppeldecker auf einer Wanderdüne gelandet hatte. Der Text besagte etwa folgendes, aber genau erinnere ich mich nicht mehr : „ Ursprünglich einmal entwickelt für die Anforderungen von Kampfpiloten der US- amerikanischen Luftwaffe vereinen unsere Modelle edle Optik mit aufwendig gestalteter Präzisionstechnik.“ Der Text ging weiter und listete eine Reihe von Leistungen der Uhr auf, die als Frage und Antwort Spiel gestaltet waren. Alles von Bedeutung schrumpfte jedoch in einem einzigen Satz zusammen. „Leuchtet ihre Uhr im Dunklen ?“
Ich war nicht im Stande, etwas zu trinken oder zu essen, und wanderte mit den Augen vom Zifferblatt meiner Armbanduhr zu der langsam erkaltenden Tasse Kaffee vor mir , deren Inhalt ich sporadisch in den Blumenkübel hinter meinem Rücken kippte.
Eine schwarzhaarige eidechsenäugige Frau am Tresen rauchte parfümierte Zigaretten aus einem silbernen Mundstück und fixierte mich stundenlang über den Rand ihres Mobiltelefons hinweg. Als ich schließlich reagierte , von meinem Fensterplatz an die Bar wechselte und ihr die Frage stellte, die mich mehr als jede andere beschäftigte, ( „Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln ?“) geschah jedoch etwas merkwürdiges.
Ihre kajalumrundeten dunklen Augen verzerrten sich , und eines knallte im nächsten Moment unangenehm gegen meine Stirn. Es war ein Glasauge, das sie herausgenommen und nach mir geworfen hatte. Mit einer blaurot schillernden Beule zwischen meinen Augenbrauen zahlte ich und beschloss die Antwort auf meine Frage anderswo zu suchen.
Die frühe Dämmerung eines diesigen Dezembertages brach langsam herein und meine in den Hosentaschen zusammengeballten Hände begannen vor Aufregung zu zittern.
Ich ließ mich durch die Straßen treiben ohne meiner Umgebung Aufmerksamkeit zu schenken. Einige Male nahm ich quietschende Autoreifen und Flüche in meiner Nähe wahr. Herbeieilende hilfsbereite Passanten wussten auf meine Frage ( „Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln ?“) keine Antwort, und sperrten lediglich den Mund zu einem Fragezeichen auf.
Ich aber war ohnehin bereits weitergezogen, da mir auf meinem Zifferblatt lediglich Scheinwerfer und leuchtende Christbaumkugeln zuzwinkerten, aber nichts von innen heraus glomm.
Es war eine mondhelle Nacht und ungewöhnlich klar für die Jahreszeit. Der Erdtrabant grinste ohne es mit einem einzigen Wölkchen aufnehmen zu müssen, höhnisch auf mich herab und schien zusammen mit meiner wachsenden Verzweiflung kugeliger und heller zu werden.
Eine moosbewachsene Kelleröffnung tat sich neben mir auf. Beißender Hundeurin attackierte meine Nase und wagte zusammen mit einem Verbotsschild den hoffnungslosen Versuch, mich davon abzuhalten, in die Dunkelheit abzusteigen. Mein Atem beschleunigte sich und bildete flauschige stiebende Wölkchen , die meinen Weg markierten , bis auch sie vor dem lichtlosen Kelleraum am Ende einer Wendeltreppe zurückblieben.
Und meine Uhr leuchtete ! Sie schimmerte wie ein graugrüner magischer Kreis, und erfüllte mich mit einem Gefühl unsagbarer Erleichterung.
Nicht sofort erkannte ich, das ich den Sternenhimmel in der hohlen Hand hielt. Dann sah ich auf dem Zifferblatt den Mond, den Mars und die Venus , vom Andromeda – Nebel umwabert. Großer Bär und Wagen, Sirius und Polarstern fanden alle Platz unter dem matten Uhrenglas.
Als ich mich wieder aus dem Keller nach draußen tastete hatte ich keine Ahnung wie viel Zeit vergangen sein mochte. Jedenfalls hatte der Sonntag bereits begonnen und ich machte mich wie ein übernächtigter betrunkener Zecher auf den Heimweg. Vom Winter skelettierte Alleebäume standen mir stumm Spalier, der Himmel hatte die Farbe von abgestandenem Wasser, und ich begegnete keiner Menschenseele.
Seitdem sitze ich jede Nacht in meinem Keller und folge den Bewegungen der Himmelskörper in meiner Hand. Ich verwahrlose zusehends, esse und trinke kaum noch . Meine Wangen sind eingefallen, und meine Augen rot und entzündet. Nur gelegentlich ziehe ich meine Uhr auf, damit mein Herz nicht stehen bleibt.
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Gast
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16.11.2011 12:30
von Gast
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Hallo Voland,
um es deiner Erzählsprache nahe zu bringen, beginne ich mal so. Wenn sich ein störender Gedanke an einer Synapse festgebissen hat, lese ich hier und da ein wenig, bis der Störenfried verbrutzelt ist. Heute haben deine Zeilen meine Kanäle freigebrannt. Generell kritisiere ich aus diversen Gründen nicht mehr, aber in deinem Fall scheint es lohnenswert.
Die Wiedergabe deiner gedachten (?) Beobachtungen ist sprachlich gelungen. Deine Geschichte baut auf das erzählerische Detail in Form der Frage, „Leuchtet ihre Uhr im Dunkeln?“ Damit ist dir ein origineller Ansatz gelungen, der über das „fliegende Auge“ eine würdige Fortsetzung fand. Deine Frage zur Sinnhaftigkeit einer Nachbearbeitung würde ich mit „Ja“ beantworten. Denn trotz der gelungenen Wiedergabe ist der rote Faden insofern zu dünn gestrickt, als dass der Geschichte die Motivation fehlt. Die Frage: „Warum erzählt er/sie das?“ wartet auf eine Antwort.
Das erzählerische Detail und das „fliegende Auge“ bieten einen Lösungsansatz in Richtung Humor. Mein Vorschlag deshalb: Folge dem Auge, geh härter ran und füge etwas mehr Humor an, denn ab dem Flug des Auges hast du in mir eine Erwartungshaltung geweckt, die in der Folge nicht bedient wurde. Im Gegenteil; kurz darauf fällt die Handlung in eine gegensätzliche Konfusion, die mich ratlos zurückließ. Was war die Prämisse?, hab ich mich gefragt. Schärfst du den Humor und lenkst du die Handlung mehr in jene Richtung, die das „fliegende Auge“ vorgegeben hat, dürfte sie stärker und vergnügsamer werden. Ich meine, Humor wäre mit Blick auf den noch mageren Handlungsstrang die einzige Motivation, die eine eventuell notwendige Verlängerung der Zeilen tragfähig machen würde. Als Teil eines Ganzen funktioniert der Abschnitt m. E. der augenblicklichen inhaltlichen Leere wegen eher nicht. Erzählerisch ist das Konstrukt recht tragfähig.
Im Falle der Überarbeitung, viel Erfolg.
Bobbi
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Voland Wortedrechsler
V Alter: 45 Beiträge: 66
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Gast
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18.11.2011 11:51
von Gast
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Voland hat Folgendes geschrieben: | Danke fürs Lesen, und deine zahlreichen wertvollen Hinweise. Ich kann nicht sagen, dass ich den Text vor ein paar Jahren wirklich konzipiert habe, er ist mehr oder weniger in einer Tour einfach runtergeschrieben. Aber jetzt hast du mich überzeugt, dass eine Überarbeitung interessant sein könnte, auch weil ich im Bereich Humor bisher wenig vorzuweisen habe. Das Ergebnis werde ich hier einstellen
Liebe Grüße
Voland |
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es interessant werden düfte. Deine Einfälle und die Art sie zu formulieren, wecken einige Ewartungen.
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