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reißwolf Leseratte
Beiträge: 138
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02.06.2007 14:17 [ROM] Diodotus im Sturm von reißwolf
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Und hier Nr. 2 - wie die Kammer auf dem Dach ebenfalls ein Text aus der Schublade. Es ist ein Teil aus einem Roman, der in der Antike spielt. Aus Plot-Gründen mußte ich die Passage herausnehmen und kann sie also hier veröffentlichen. Für diesen Roman habe ich versucht, eine sinnlich-überspitzte Kunstsprache zu entwickeln (um es knapp auszudrücken). Sagt mir doch mal, was ihr von diesem Tonfall haltet.
Diodotus im Sturm
Der Zerfleischer, herrliches Schreckensbiest, war bislang noch notdürftig zurückgehalten worden, an dünner Leine. Jetzt aber, oh Gott, entriß er sich, brach aus und fiel her über seine Opfer. Der fürchterlich Befreite spritzte mit Feuer, mit Wetter und Getöse und trampelte vor Wut. Kleingetier der Gegend, Ziesel, Fuchs und Langschwanzmaus, flüchtete ins Gestrüpp, in geheime Kauerwinkel, als über ihm der Gott niederstieg, mit Schwefel und mit Paukenwirbel, um das Land und seine Bewohner zu versehren, oder doch um mindestens so zu tun. Denn weil der Wettergott gar kein echter Unheilsreiter war, trat er wenigstens mit dem Gefuchtel von hundert solchen auf, eine Maskerade war's recht eigentlich.
Herab mit dem Zerfleischer fuhr also auch ein ordentlicher Schrecken, und nicht nur die Tiere, auch Sträucher, Bäume und Berge entsetzten sich über diese tolle Generalprobe der Apokalypse. Wenn man sich ein Wetter vorstellen müßte, bei dem kein fröhlich singender, kaum bekleideter Reiter über einen Bergkamm traben würde - kaum wilder als das hier könnte es sein.
Und nun geschah aber eben dies, daß nämlich Diodotus über den von Blitzen umzankten Kamm ritt, ganz in besagter Weise: singend. Helene trabte nicht, sie trottete. Den Hals wie von der nassen Mähne tief gebeugt, kümmerte sie sich längst nicht mehr um das unentwegte Geläut. Wie man an lachenden Sonnentagen tut - und wir dürfen annehmen, daß der Anblick den Wettergott verwirrte - hatte der Frohe alle Kleider von sich geworfen, saß mit gewölbter Brust und nackt bis auf einen Lendenwickel zu Roß - nicht hoch übrigens, denn Helene war ein niedriges Pferd - und sang sich selbst einen Lobpreis. Wie ein Sieger schüttelte er sich dabei abwechselnd neben dem rechten und dem linken Ohr selbst die Hand und nickte hier einem Strauch, dort einem Baum zu. In den aufflammenden Blitzlichtern erkannte man sogar, daß die schmerzhafte Note, die sein Lächeln gewöhnlich verhärtete, nun fast vollständig verschwunden war. Ja, er war es, Didotus - und er hatte es! In einem ledernen Behältnis, einer Art Röhre die er an einer Kordel quer über Rücken und Brust trug, bewahrte er die Urkunde. So bummelte er, vom verzweifelten Zorn des Zephyros ungerührt, singend und gestikulierend über den Olivenhügel, in Richtung Milet. Alle Eile hatte er zurückgelassen, denn nun konnte kaum noch etwas den guten Verlauf der Dinge hindern.
Gruß, Reißwolf
Weitere Werke von reißwolf:
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Kaius Wortedrechsler
Alter: 40 Beiträge: 99
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02.06.2007 20:03
von Kaius
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Hi,
wie bereits in anderem Thread geschrieben, deine Sprache und Ausdrucksweise ist sehr gekonnt. Aber das hier finde ich schlichtweg zu schwierig. Das macht mir persönlich keinen Spaß zu lesen.
Einfachere, klarere Sätze wären von Vorteil. Das was du hier geschrieben hast, ist schon zu poetisch, als dass man es als "normale" Geschichte sehen könnte.
Kaius
_________________ kaiseuthe.de (Hier wird geschrieben)
kaiuslp.blogspot.de (Hier wird gezockt)
Kolossia - Mein Fantasy-Roman. Überall zu haben! |
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Brynhilda Felix Aestheticus
Alter: 44 Beiträge: 7748 Wohnort: Oderint, dum probent.
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02.06.2007 20:05
von Brynhilda
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Lieber Reißwolf!
Das ist großartig! Die Sprache hat geradezu lyrische Qualität. Es zieht einen hinein wie ein Strudel. Es lebt, es atmet, es lodert wie Flammen!
Mich würde wirklich sehr der Rest dieses Romanes, aus dem dieser Ausschnitt entnommen ist, interessieren.
Es ist bestimmt ein ganz besonderer Text.
Sicher brichst du mit deinem Text aus dem aus, was von der Moderne als "Pflichtsprache der Literatur" vorgegeben wird, aber gerade das finde ich gut. Es ist ein sehr starker Text.
Viel mehr möchte ich dazu auch nicht sagen. Das machen vielleicht andere.
Mir gefällt der Text, mir gefällt deine Art zu schreiben.
Und ich habe nur einen Wunsch: Mehr davon!
Viele Grüße,
Ilka/Brynhilda!
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Kino Vollbart Eselsohr
Beiträge: 236
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02.06.2007 21:04
von Kino Vollbart
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Hi, reißwolf.
Finde ich nicht wirklich gut. Ich denke, Kaius hat teilweise recht, wenn er es zu schwierig nennt. Allerdings würde ich eher zu "gewollt" sagen. Ich meine damit, dass der Text keinen rechten Schwung entwickelt. Die Sätze blockieren sich teilweise gegenseitig im Lesefluss. Man merkt dem Text an, dass er konstruiert ist. Zudem klingt stellenweise eine gewisse parodistische Note durch - rein sprachlich, meine ich. Schwer für mich fest zu machen. Und: Worte wie "Generalprobe" oder "echt" passen hier nicht.
Auch auf die Gefahr hin wieder den Buhmann zu machen: Ich habe lateinische und alt-griechische Texte übersetzt und als ich klein war "Sagen des Klassischen Altertums" von Schwab gelesen: Sprachlich hat dein Text nichts von diesen. Aber möglicherweise ist das gar nicht beabsichtigt.
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MosesBob Gehirn²
Administrator Alter: 44 Beiträge: 18339
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03.06.2007 00:59
von MosesBob
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Nabend!
Nach dem ersten, zweiten und dritten Lesen bin ich hin- und hergerissen zwischen der Meinung von Brynhilda und der von Kino Vollbart. Auf der einen Seite mag ich zwar die sprachliche Vielfalt und das Spiel mit den Worten. Kurioserweise gefällt mir der Stil trotzdem nicht. Er trifft meinen Geschmack einfach nicht.
Grüße,
Martin
_________________ Das Leben geht weiter – das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
Der Weise lebt still inmitten der Welt, sein Herz ist ein offener Raum.
(Laotse) |
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Pencake Exposéadler
Alter: 55 Beiträge: 2364 Wohnort: Hamburg
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04.06.2007 19:58
von Pencake
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Hi Reißwolf,
sinnlich überspitzt - gut und schön, ist gelungen.
Einzig die Tonlage ist entscheidend für mich: hast du geplant eine altertümliche Sprache zu schreiben, die gleichzeitig ironisch wirkt, ja sich geradezu lustig macht über das Geschehen? Dann ist dir das hervorragend gelungen, für meinen Geschmack.
Wehe aber, das Ganze hier soll altertümlich ernsthaft und "ehrlich" emotional klingen. Dann ist es dir gründlich daneben gegangen und dein Text entspricht ganz und gar nicht der von dir gewollten Wirkung.
Obwohl ersteres gelungen wäre, würde mir ein ganzer Roman in diesem Stil schwerfallen. Wäre aber einen Versuch wert, vielleicht liest man sich da rein wie in Rushdie-Texte auch...
Niko
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reißwolf Leseratte
Beiträge: 138
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05.06.2007 17:51
von reißwolf
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Zitat: | Wehe aber, das Ganze hier soll altertümlich ernsthaft und "ehrlich" emotional klingen. Dann ist es dir gründlich daneben gegangen und dein Text entspricht ganz und gar nicht der von dir gewollten Wirkung. |
Selbstverständlich ist das Ironie, aber daumendick aufs Brot geschmiert! Mit diesem Manierismus wollte ich bestimmte altorientalische Texte parodieren. - Parodieren deshalb, weil die Geschichte in einer Zeit spielt, als die reichen Mythen unwahr zu werden begannen und einen Aspekt des Komischen, des Lächerlichen bekamen. Gemeinsam mit ihren Tempeln "zerbröselten" die alten Götter sozusagen.
Als visuelle Grundlage hatte ich das eher jetzt-zeitliche Bild eines "Siegers" vor Augen, der unter Jubel und Blitzlichtgewitter ins Publikum lächelt und triumphierend die Arme hebt.
Zitat: | [...]würde mir ein ganzer Roman in diesem Stil schwerfallen. Wäre aber einen Versuch wert, vielleicht liest man sich da rein wie in Rushdie-Texte auch... |
Ein ganzer Roman in dieser Art würde vor allem auch dem Schreiber schwerfallen Allerdings hast du recht: Es gibt das Phänomen, daß man sich nach einer Handvoll Seiten an die sonderbarsten Sprachstile gewöhnt. Fragt sich nur, wie markttauglich ein Konzept wäre, das 99% der Leser nach zwei Seiten rausschmeißt, nur damit 1% dann durchhält und es am Ende vielleicht sogar richtig gut findet...
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