[ENT] Der Hundefänger

[reißwolf]

Hallo, liebes Forum. Hier nochmal eine ganz andere Art von Text aus meiner Urheberschaft, ein Experiment zum Thema "unsynchrone Zeitstränge". Keine endlos gedrechselten Sätze, keine manieriert verschraubten Formulierungen, keine ungewohnten Adjektive. Versprochen.


Der Hundefänger

Lis ging einkaufen. Sie fand nicht alles, was sie brauchte, aber es gab ja noch andere Supermärkte. So machte sie sich auf den Weg. Ans andere Ende der Stadt. Da gab es auch ihre Gurken. Viel später als erwartet kehrte sie heim. Nachts stürmte es, und sie schlief schlecht.

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Als Jack morgens aufstand, da spürte er noch ganz deutlich den spezifischen Nachgeschmack eines Traumes am Gaumen seiner Empfindungen, obschon ihm die Handlung restlos verloren gegangen war.

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Der Tag des letzten Einkaufes lag schon ein bischen zurück, vielleicht eine Woche, da sah Lis, daß ihre Vorräte wiederum fast aufgebraucht waren. Diesesmal, so überlegte sie sich, würde sie gleich in den ferneren, größeren Supermarkt gehen, würde sich nicht länger mit dem nahegelegenen Laden aufhalten, der ohnehin nicht alles führte, was sie brauchte. Zurückgekehrt in die Wohnung, füllte sie Kühl- und andere Schränke und lies sich erschöpft auf das Sofa fallen. Es hatte wirklich sehr lange gedauert, diesmal. Da fiel es ihr ein: Sie könnte einen Einkaufsdienst beauftragen, der sie wöchentlich versorgte. Sie könnte. Ohne sich dagegen entschieden zu haben, unterließ sie es aber während der folgenden Tage, ihre Idee umzusetzen.

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Jack putzte sich die Zähne und dachte nicht weiter über den Traum nach, den sein verzweifelt danach greifender Geist ohnehin nicht mehr würde fassen können. Als er sich im Spiegel ansah, stellte er fest, daß sein Gebiß in ziemlich schlechtem Zustand war. Das lag daran, daß er sich einen guten Zahnarzt nicht leisten konnte. Geld mußte her. In der Morgenzeitung fand er ein Stellengesuch: Abenteuerlustiger und verwegener Mann gesucht. Für Einkaufsservice. Das ist ja wie gemacht für mich, dachte Jack und sog zögerlich an seinem viel zu bitteren Kaffee.

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Als wieder eine Woche vergangen war und die Vorräte zur Neige gingen, erfuhr Lis gerade noch rechtzeitig, daß der ferne, große Supermarkt pleite gegangen war und jetzt einem riesigen Teppich-Discounter Platz gemacht hatte. Mit überdachtem Parkplatz. Sie wußte nicht, wohin sie jetzt noch gehen sollte. So griff sie denn doch zum Telefon und machte wahr, was sie schon letzte Woche angedacht hatte: Ein Einkaufsdienst sollte sich um alle Widrigkeiten kümmern.

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Kaum, daß er das Stellengesuch gelesen hatte, griff Jack auch schon zum Telefon. Er wurde sogleich zu einem Vorstellungsgespräch geladen. Am Abend desselben Tages schon schmiß Jack in der Kneipe eine Lokalrunde, um seine neue Anstellung zu feiern. Der Spielautomat piepste ein penetrant optimistisches Motiv dazu.

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Erst Wochen später wurden die gewünschten Lebensmittel geliefert. Es hat lange gedauert, sagte der Mann vom Einkaufsdienst zu Lis, denn es gibt so gut wie keine Supermärkte mehr in der Gegend. Ich mußte erst mit meinem Geländewagen die halbe Wüste durchqueren, bis mein Weg jählings von einem unüberbrückten Fluß beendet wurde. Dort mußte ich mich einem Fährmann anvertrauen und wurde, kaum daß ich am anderen Ufer angelangt war, von einem Gebirge am Fortkommen gehindert. So charterte ich - Sie ahnen es bereits - ein Flugzeug und überwand das Gebirge, dazu noch eine gefährliche Sumpflandschaft, zwei Wüsten und ein Meer, bis ich in einer Stadt zur Landung ansetzte, deren Supermärkte auch die von Ihnen verlangten Spreewaldgurken führten. Es erübrigt sich, die Widrigkeiten des Rückwegs zu schildern – jedenfalls bin ich nun hier, mit allen ihren Einkäufen. Auch Gurken habe ich. Aber Lis schwieg nur auf seltsam steinerne Weise. Der Mann vom Einkaufsdienst sprach sie noch einmal lauter an. Und dann sah er, daß Lis nur noch ein Skelett war. Sie war verhungert.

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Die Kneipe hatte schon fast geschlossen, der traurige Spielautomat piepste so emsig wie vergebens sein optimistisches Motiv. Da wurde Jack von einem angetrunkenen Mann angesprochen: Sie haben also den Job beim Einkaufsservice? Sie tun mir leid. Ich bin Ihr Vorgänger. Ich habe gekündigt. Jack fragte nach Näherem. Er habe, fuhr der Fremde fort, das Risiko nicht mehr verantworten können. Letzte Woche sei ihm eine Kundin verhungert, weil er zu spät gekommen sei. Jack hatte kurze Zweifel, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Filialleiter eines Supermarktes wäre vielleicht ein besserer Job gewesen. Oder Hundefänger.

Gruß, Reißwolf

[Pencake]

Moin Reißwolf.

Das Gegenaneinanderstellen der beiden Zeitstränge - der eine
in die Länge gezogen, der andere auf einen Tag beschränkt -
gefällt mir gut. Die Thematik ist in sich logisch gewählt, damit
die Stränge ihre Überschneidung finden.

Nur der Inhalt der Geschichte(n) bringt in mir nichts zum
Köcheln. Der Tod am Ende in einem Strang reicht nicht, um
die ganze Sache wirklich spannend für mich zu machen.

Einer der Stränge bräuchte vielleicht mehr Druck, mehr
Spannungsaufbau, damit mich die Story fesselt, mich reinzieht.
Oder pointiertere Absurdität. Vielleicht bringt es auch was,
die beiden Protas untereinander zu verknüpfen - als
Verwandte, Paar, Freunde - je nach Geschichte.

Ansonsten finde ich das Spiel mit den Zeitmaßstäben einen
jederzeit lohnenden Ansatz, der mich stets neugierig macht.

Niko

[Brynhilda]

Lieber Reißwolf!

Das ist das erste Mal, daß ich so einen Text lese. Ich habe lange gezögert, es zu tun, weil mich die Form ein wenig abgeschreckt hat. Ich habe es nicht so mit experimentellen Ansätzen.

Aber nun habe ich den Text einmal gelesen und muß sagen, daß dies das Originellste ist, was mir jemals unter meine (noch) nicht vorhandene Lesebrille gekommen ist.

Zur Textkritik kann ich allerdings nichts anmerken, weil mir die Erfahrung im Umgang mit solcher Prosa fehlt. Aber die Rechtschreibung kann man noch mal durchgehen, da habe ich einige Mißgriffe bemerkt.

Ich habe den Text dann gern noch ein zweite Mal gelesen. Die Handlung, die Umsetzung, die Verkettung der Handlungsstränge, all das gefällt mir gut und inspiriert mich.


Vielen Dank,
Ilka/Brynhilda