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Dein Kissen


 
 
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denLars
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 31
Beiträge: 522
Wohnort: Düsseldorf
Extrem Süßes!


LOONYS - Die Vergessenen Rosen der Zeit
Beitrag22.02.2010 00:32
Dein Kissen
von denLars
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Dein

Irgendwo muss man beginnen und so ist es deine Betthälfte, der ich mich als erstes widme. In den Nächten habe ich mich nicht hier hinüber gewagt. Habe der Hälfte immer den Rücken zugekehrt und so viel Platz zwischen sie und mich gebracht, wie ich konnte. Jetzt aber setze ich mich auf sie, sinke ein in der Matratze. Ich spüre den wohlvertrauten, sanften Druck der Federn, die weiche  Festigkeit des Lakens. Hier habe ich dich immer morgens gesehen, in deiner liebsten Schlafposition. Auf der Seite, die Beine eingezogen, die Decke bis über die Schultern. Es war warm, wenn ich zu dir herüber gerutscht bin. Dein Körper hat Wärme ausgestrahlt, deine Anwesenheit, angestaut unter dem Trapez der Decke. Jetzt ist es kalt hier. Die Matratze, das Kissen, die Decke, der Raum – alles kalt. Du hattest immer dieses spezielle System, fünf Minuten das Fenster auf, dann wieder die Heizung an, das zweimal am Tag. Du weißt ja, ich war nie der Ordnungstyp. Ich bekomme es einfach nicht hin. Die Fenster sind zu und die Heizung aus. Es ist kalt und stickig – Gott, wie du mit mir schimpfen würdest.
Ich streiche über das Laken, die Finger gespannt. In der letzten Zeit habe ich es mir angewöhnt, überall nach Spuren von dir zu suchen. Nicht nach Bildern, Gegenständen oder Kleidung – das wäre ja zu einfach in unserer Wohnung. Nein, es sind Haare, Hautpartikel, ja sogar Zehennägel. Jetzt würdest du mich wieder schief anschauen, dann lächeln und "Du bist und bleibst ein Freak!" hervorbringen. Red' dich nicht raus, ich kenn' dich! Und lass mir meine Marotten, ich brauche sie. Wenn ich diese Spuren von dir finde, gibt es mir das Gefühl, du bist noch da. Überall. Der Wind trägt dich davon mit dem Staub. Du wirst immer da sein.
Auf ihrer Suche werden meine Finger fündig. Ein mittellanges Haar, das kann nur von dir sein! Ich lege es auf meine Handfläche, umschließe es in meiner Faust. Dann lasse ich es los und es schwebt davon. Ich lasse es ziehen. Das hast du immer gesagt. Ich soll dich ziehen lassen. Einfach ziehen lassen.
Wenn ich nicht endlich anfange, sitze ich noch morgen hier. Ich weiß, ich weiß, ich schiebe alles vor mir her, Schatz. Also nehme ich das Kissen, beginne die Knöpfe zu lösen. Vor ein paar Tagen hast du noch deinen Kopf gegen es gestützt, um zu lesen. Irgendein Kriminalroman von Fred Vargas. Jetzt wirst du nie wissen, wer der Mörder ist. Nicht zu Ende gelesene Bücher, vielleicht sind sie das größte Zeugnis dafür, wie schnell es doch vorbei sein kann. Ein unvorhergesehener Anfall und schon wird man nie wissen, wer die Opernsängerin umgebracht hat.
Die Knöpfe habe ich hinter mich gebracht. Ich ziehe den Bezug vom Kissen. Kaum vorstellbar, dass du auf ihm noch vor so wenig Zeit etwas so Banales wie Schlafen getan hast. Wenn ich ihn nun wasche, wird nichts mehr von dir an ihm übrig sein. Ich drücke meine Nase in den Stoff hinein. Oh Gott, dein Parfüm. Ich wusste nicht, wie schnell man solche Düfte vergessen kann. Schon jetzt fällt es mir schwer, mich zu erinnern. Wie es ist, dich zwischen die Schulterblätter zu küssen. Die Erhebungen deiner Wirbelsäule entlangzustreichen. Vielleicht werde ich in einigen Jahren noch nicht einmal mehr wissen, wie es war, als du da warst – und das ist vielleicht das Schlimmste. Entschlossen ziehe ich den Bezug wieder über das Kissen, mache die Knöpfe fest. "Du kannst dich auch nie entscheiden", höre ich dich sagen, nehme das Kissen und drücke meine Tränen in den Stoff, der immer noch deinen Duft in sich trägt.



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Vreneli
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
V

Alter: 62
Beiträge: 21
Wohnort: Schwarzwald


V
Beitrag22.02.2010 08:54

von Vreneli
Antworten mit Zitat

Hallo Lars!
Du schreibst von einem Mann, dessen Frau vor kurzer Zeit erst gestorben ist, nun das Bettzeug wechselt und sich dabei schmerzvoll in Erinnerungen verliert.
Du schreibst das mit viel Gefühl!Daumen hoch

Ich lese Deine Geschichte, ich kann mich da auch ganz gut hineinversetzen, „spüre“ den Schmerz. Am Schluss frage ich mich dann allerdings: ja, und was nun? Confused
Ich spür als Leser den Drang, diesen Mann zu schütteln und zu sagen: „Mensch, jetzt mach mal was, damit ich sehe, dass es vorwärtsgeht!“

So ist es „nur“ eine Szene, aber keine vollständige Geschichte. Es fehlt der dramaturgische Aufbau, ein Wendepunkt, die Verwandlung Deines Protagonisten.
Du zeigst die Ausgangssituation: Der Mann ist alleine und trauert. Und am Schluss ist er das immer noch. Dazwischen sucht er nach Erinnerungen. Aber diese Funde bewirken letztendlich nichts.
Dadurch lässt Du mich als Leser schon ein bissi unbefriedigt zurück. Confused

Bei einer Stelle möchte ich protestieren:
Zitat:
Nicht zu Ende gelesene Bücher, vielleicht sind sie das größte Zeugnis dafür, wie schnell es doch vorbei sein kann.

Du glaubst gar nicht, wie viele nicht zu Ende gelesene Bücher ich im Regal stehen hab, deswegen ist es hoffentlich bei mir noch lang nicht vorbei!Wink
Nein, Scherz! Du machst hier plötzlich einen Nebenschauplatz auf. Dieses Buch (von wem das geschrieben ist, von was es handelt, das ist für Deine Geschichte nicht wichtig und das kannst Du streichen. Du könntest das Buch allerdings einbauen, indem Du zeigst, dass es auf dem Nachttischchen liegt.

Es wäre schön, wenn Du Dir da noch ein bissi etwas überlegen würdest, damit Deine Geschichte spannender wird.

mit herzigem Gruß,
s'Vreneli


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(Zarah Leander)
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Scritoressa
Geschlecht:weiblichGraue Hexe

Alter: 29
Beiträge: 686



Beitrag22.02.2010 09:58

von Scritoressa
Antworten mit Zitat

Hey du!

Ich sage mal nicht viel zur TExtarbeit, aber mich hat das echt berührt.


 cry Tränchen im AUgenwinkel


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Better to have loved and lost but to have never loved at all.
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ono
Eselsohr
O


Beiträge: 347



O
Beitrag23.02.2010 01:37

von ono
Antworten mit Zitat

hallo denlars,

ich finde deinen text sehr hübsch ausgedacht und eigentlich auch sehr schön beschrieben. wenn man ein bisschen mit dem lappen drüberfährt und da und dort ein wenig putzt, fängt das stückchen sogar richtig an zu glänzen. schau mal, wie wär's damit:
Zitat:
Irgendwo muss man beginnen komma und so ist es deine Betthälfte, der ich mich als erstes widme. In den Nächten danach habe ich mich nicht (hier) mehr hinüber gewagt. Habe der Hälfte (immer) den Rücken zugekehrt und so viel Platz zwischen sie und mich gebracht besser: ihr und mir gelassen, wie ich konnte. Jetzt aber setze ich mich auf sie besser: dorthin, sinke ein in der Matratze. Ich spüre den wohlvertrauten, sanften Druck der Federn, die weiche Festigkeit des Lakens. Hier habe ich dich (immer) morgens (gesehen)so gerne betrachtet, in deiner liebsten Schlafposition. Auf der Seite, die Beine eingezogen, die Decke bis über der Schulter(n). Es war warm, wenn ich zu dir herüber hinüber gerutscht bin(.) komma (Dein Körper hat) Wärme (ausgestrahlt, deine Anwesenheit), angestaut unter dem Trapez der Decke besser: wie unter einem hüttendach. Jetzt ist es kalt (hier). Die Matratze, das Kissen, die Decke, der Raum – alles kalt. Du hattest immer dieses spezielle System, fünf Minuten das Fenster auf, dann wieder die Heizung an, (das) zweimal am Tag. Du weißt ja, ich war nie der ein Ordnungstyp besser: freak. Ich bekomme bekam es einfach nicht hin. Die Fenster sind jetzt zu und die Heizung ist aus. Es ist kalt und stickig – mein Gott, wie du mit mir schimpfen würdest(.) ausrufezeichen
Ich streiche mit vorsichtigen Fingern über das Laken(, die Finger gespannt). In der letzten Zeit habe ich es mir angewöhnt, überall nach Spuren (von dir) zu suchen. Nicht nach Bildern, Gegenständen oder Kleidung – das wäre (ja) zu einfach (in unserer Wohnung). Nein, (es sind) nach Haaren, Hautpartikeln, ja sogar nach Zehennägeln. (Jetzt) du würdest (du) mich (wieder) dabei schief anschauen, dann lächeln und dein "du bist und bleibst ein Freak besser: spinner!" hervorbringen. (Red' dich nicht raus, ich kenn' dich! Und) lass mir meine Marotten, ich brauche sie. Wenn ich (diese) Spuren von dir finde, gibt es mir das Gefühl, du bist wärest noch da. Überall. Der Wind trägt dich davon mit dem Staub(.) komma aber du wirst immer da sein.
Auf ihrer Suche werden meine Finger fündig. Ein mittellanges, farbe? Haar, das (kann) nur von dir sein kann! Ich lege hab es auf meiner Handfläche, umschließe es in mit meiner Faust. Dann lasse ich (es) los und es schwebt davon. (Ich lasse es ziehen. Das) du hast (du) immer gesagt(.) komma Ich solle dich ziehen lassen. Einfach ziehen lassen.
Wenn ich nicht endlich anfange, sitze ich noch morgen (hier) so da. Ich weiß, ich weiß, ich schiebe alles vor mir her, Schatz. (Also) ich nehme (ich) das Kissen, beginne die Knöpfe zu lösen. Vor ein paar Tagen noch hast du (noch) deinen Kopf gegen es besser: dagegen gestützt, um zu lesen. Irgendeinen Kriminalroman von Fred Vargas. Jetzt wirst du nie wissen, wer der Mörder ist war. Zurück gelassene, Nicht zu Ende gelesene Bücher(,) (vielleicht) sind (sie) das größte besser: schlimmste Zeugnis dafür davon, wie schnell (es doch) etwas vorbei sein kann. Ein unvorhergesehener Anfall besser: ein winziger anlass nur, und schon wird man nie wissen, wer die Opernsängerin umgebracht hat.
Die Knöpfe habe ich hinter mich gebracht besser: das aufknöpfen habe ich hinter mir(.) komma Ich ziehe besser: streife den Bezug vom Kissen. (Kaum vorstellbar, dass du auf ihm noch vor so wenig Zeit etwas so Banales wie Schlafen getan hast) diese wiederholung ist banal, nicht das schlafen an sich. ich würz weglassen. Wenn ich ihn (nun) wasche gewaschen haben werde, wird nichts mehr von dir an ihm übrig sein. Ich drücke meine Nase in den Stoff hinein. (Oh Gott,) dein Parfüm(.) ausrufezeichen Ich wusste nicht, wie schnell man solche Düfte besser: einen solchen duft vergessen kann. Schon jetzt fällt es mir schwer, mich zu erinnern(.) komma Wie es ist war, dich zwischen die Schulterblätter zu küssen. Die Erhebungen besser: vorsprünge deiner Wirbelsäule entlangzustreichen. Vielleicht werde ich in einigen Jahren (noch) nicht einmal mehr wissen, wie es war, als du da warst (– und das ist vielleicht das Schlimmste). Entschlossen ziehe ich den Bezug wieder über das Kissen besser: stopfe ich das kissen wieder in seinen bezug, mache die Knöpfe fest zu. "Du kannst dich auch besser: wohl nie entscheiden", höre ich dich sagen, nehme das Kissen (und drücke meine Tränen in den Stoff, der immer noch deinen Duft in sich trägt.) und wisch mir damit über die augen.

wenn einer großen schmerz in ganz kleine dinge einpacken kann, so wie du, dann hat er's drauf und wird, wenn er weitermacht und sich ein bisschen mehr mühe gibt, mal ein ganz berühmter schriftsteller werden...*promise*...

liebe grüße aus der unterwelt

ono
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Kaius
Geschlecht:männlichWortedrechsler

Alter: 40
Beiträge: 99



Beitrag13.03.2010 18:49

von Kaius
Antworten mit Zitat

Hi,

ich habe lange nicht mehr so einen emotionalen Text gelesen. Von meinem Gefühl her gab es keine Stelle, die mich aus dem Erleben herausgerissen hat. Ich finde ihn wunderbar.

Kaius


_________________
kaiseuthe.de (Hier wird geschrieben)
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Kolossia - Mein Fantasy-Roman. Überall zu haben!
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Alogius
Geschlecht:männlichKinnbeber

Alter: 47
Beiträge: 3206

Die Goldene Bushaltestelle Goldene Feder Prosa (Anzahl: 2)


Vom Verschwinden der Muse
Beitrag14.03.2010 13:43

von Alogius
Antworten mit Zitat

Moin,

eine Tragödie wird in "kleinen" Gesten und Handlungen reflektiert und, in Ansätzen, verarbeitet. Die Erinnerungen keimen auf und lassen nicht mehr los. Eine Auflösung (Katharsis, Abschließen, was auch immer) findet nicht statt. Damit ist der Text auch nah an der Realität, denn katastrophale Ereignisse mögen zwar erinnert werden, doch nie in ihrer Gänze verarbeitet werden. Man schließt nie ganz ab.
Und das fängt der Text sehr gut ein.

ono hat ja bereits einige Probleme aufgezeigt, hier noch ein paar Kleinigkeiten dazu:

Zitat:
der ich mich als erstes widme

"Widme" liest sich im Zusammenhang seltsam, da distanziert. Und Distanz ist es ja nicht gerade, die hier herrscht.

Das gilt auch für:
"Schlafposition"

Sehr schönes Bild:
Zitat:
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Eine der besten Passagen des Textes.

Zitat:
Oh Gott, dein Parfüm

Die erste "Gott-Anrufung" (weiter vorn im Text) passte, hier wirkt es mir etwas aufgesetzt und deshalb banaler.


Fazit:
Ein sehr schöner Text. Sehr gut geschrieben. Ein paar Holprigkeiten und Fehlerchen solltest Du noch ausbessern.

Danke

Gruß
Tom


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Aus einem Traum:
Entsetzter Gartenzwerg: Es gibt immer noch ein nullteres Fußballfeld. Wir werden viele Evolutionen verpassen.
Busfahrer: Tröste dich. Mit etwas Glück sehen wir den Tentakel des Yankeespielers, wie er den Ereignishorizont des Schwarzen Loches verlässt.
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denLars
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LOONYS - Die Vergessenen Rosen der Zeit
Beitrag14.03.2010 15:54

von denLars
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Hallo an alle!



Pro forma und als Bestätigung für die Kritiker, die sich hier die Mühe gemacht haben, zu rezensieren, noch einmal eine überarbeitete Version (allerdings habe ich, wie ich gestehen muss, längst nicht alle Änderungen einfließen lassen. In manchen Fällen ist es wohl einfach eine Frage des jeweiligen Gefallens):

Dein Kissen

Irgendwo muss man beginnen, und so ist es deine Betthälfte, um die ich mich als erstes kümmere. In den Nächten danach habe ich mich nicht hier hinüber gewagt. Habe der Hälfte den Rücken zugekehrt und so viel Platz zwischen ihr und mir gelassen, wie ich konnte. Jetzt aber setze ich mich auf sie, sinke ein in der Matratze. Ich spüre den wohlvertrauten, sanften Druck der Federn, die weiche  Festigkeit des Lakens. Hier habe ich dich immer morgens gesehen, in deiner liebsten Schlafposition. Auf der Seite, die Beine eingezogen, die Decke bis über die Schultern. Es war warm, wenn ich zu dir hinüber gerutscht bin. Dein Körper hat Wärme ausgestrahlt, deine Anwesenheit, angestaut unter dem Trapez der Decke. Jetzt ist es kalt hier. Die Matratze, das Kissen, die Decke, der Raum – alles kalt. Du hattest immer dieses spezielle System, fünf Minuten das Fenster auf, dann wieder die Heizung an, das zweimal am Tag. Du weißt ja, ich war nie ein Ordnungstyp. Ich bekomme es einfach nicht hin. Die Fenster sind zu und die Heizung aus. Es ist kalt und stickig – mein Gott, wie du mit mir schimpfen würdest!
Ich streiche über das Laken, die Finger gespannt. In der letzten Zeit habe ich es mir angewöhnt, überall nach Spuren von dir zu suchen. Nicht nach Bildern, Gegenständen oder Kleidung – das wäre ja zu einfach in unserer Wohnung. Nein, es sind Haare, Hautpartikel, ja sogar Zehennägel. Jetzt würdest du mich wieder schief anschauen, dann lächeln und "Du bist und bleibst ein Spinner!" hervorbringen. Red' dich nicht raus, ich kenn' dich! Und lass mir meine Marotten, ich brauche sie. Wenn ich diese Spuren von dir finde, gibt es mir das Gefühl, du bist noch da. Überall. Der Wind trägt dich davon mit dem Staub. Du wirst immer da sein.
Auf ihrer Suche werden meine Finger fündig. Ein mittellanges Haar, das kann nur von dir sein! Ich lege es auf meine Handfläche, umschließe es in meiner Faust. Dann lasse ich es los und es schwebt davon. Ich lasse es ziehen. Das hast du immer gesagt. Ich soll dich ziehen lassen. Einfach ziehen lassen.
Wenn ich nicht endlich anfange, sitze ich noch morgen hier. Ich weiß, ich weiß, ich schiebe alles vor mir her, Schatz. Also nehme ich das Kissen, beginne die Knöpfe zu lösen. Vor ein paar Tagen hast du noch deinen Kopf dagegen gestützt, um zu lesen. Irgendein Kriminalroman von Fred Vargas. Jetzt wirst du nie wissen, wer der Mörder ist. Nicht zu Ende gelesene Bücher, vielleicht sind sie das größte Zeugnis dafür, wie schnell es doch vorbei sein kann. Ein unvorhergesehener Anfall und schon wird man nie wissen, wer die Opernsängerin umgebracht hat.
Die Knöpfe habe ich hinter mich gebracht. Ich streife den Bezug vom Kissen. Kaum vorstellbar, dass du auf ihm noch vor so wenig Zeit etwas so Banales wie Schlafen getan hast. Wenn ich ihn nun wasche, wird nichts mehr von dir an ihm übrig sein. Ich drücke meine Nase in den Stoff hinein. Rieche dein Parfüm. Ich wusste nicht, wie schnell man solche Düfte vergessen kann. Schon jetzt fällt es mir schwer, mich daran zu erinnern, wie es war, dich zwischen die Schulterblätter zu küssen. Vielleicht werde ich in einigen Jahren noch nicht einmal mehr wissen, wie es war, als du da warst – und das ist vielleicht das Schlimmste. Entschlossen stopfe ich das Kissen wieder in seinen Bezug, mache die Knöpfe fest. "Du kannst dich auch nie entscheiden", höre ich dich sagen, nehme das Kissen und drücke meine Tränen in den Stoff, der immer noch deinen Duft in sich trägt.



Dem werten Kaius und der huldvollen Scritoressa ein auf jeden Fall übermäßiges Dankeschön für das große Lob, das ihr mir gemacht habt. Vreneli, dir einen Dank für das Erstlesen, das Lob und die Frage, warum es denn keine wirkliche Katharsis, keine abschließende Erkenntnis gibt. Diese wird dann auch vom Fachmann Alogius direkt beantwortet, der es eigentlich genau so getroffen hat, wie ich es ausdrücken wollte: Solch eine Katastrophe kann nie zur Gänze verarbeitet werden, in der Trauer gibt es keinen plötzlichen Wendepunkt, auch wenn man ihn sich geren herbei wünschen würde. Und wo wir gerade bei Alogius sind, auch dir ein herzliches Dankeschön für tiefergehende Gedankengänge, mutmachende Worte und Aufreihung letzter Kleinigkeiten, die der unermüdliche ono noch übrig gelassen hat, nachdem er den Text noch einer äußerst nützlichen Entschlackungs- und Schönheitskur unterzogen hat, die ich sehr zu schätzen weiß.

Liebe Grüße,

denLars


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