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Blindflug


 
 
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ELsa
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 74
Beiträge: 1398



Beitrag01.06.2009 23:54
Blindflug
von ELsa
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„Mrs. Adele Reimer from Vienna, come to the Checkin, please“, schallte es durch die Abflughalle in Christchurch, Neuseeland.
„Ja, ja”, knirschte die Biologin durch die zusammengebissenen Zähne, während sie auf allen Vieren zwischen zwei Klappstuhlreihen, die noch dazu dicht besetzt waren, herumkroch, um ihre Habseligkeiten zusammenzuklauben.
In dem Augenblick, als sie aufgestanden war, um zum Schalter zu gehen, riss der Riemen ihrer kofferähnlichen Handtasche, deren Zipp Adele nie schloss und alles Mögliche und Unmögliche kullerte in den Gang und unter Sitze. Sie fluchte und schwitzte, die auf diverse Flüge Wartenden hoben unwillig oder lachend ihre Beine. Endlich war alles eingesammelt und Adele flitzte los. Es wirkte, als rolle ein aufgeblasener Pinguin durch die Halle. Das lag daran, dass die zierliche junge Frau in einem schwarzen, mit weißem Webpelz gefütterten Thermomantel steckte, der mindestens zwei Nummern zu groß war.
Am Checkin lehnte Dr. Rodrigo Alvarèz, Meeresbiologe. Er stammte aus La Mancha und sah ihr mit einen hochmütigen Ausdruck, wie Spanier das so gern machen, entgegen. Als Adele näher kugelte, stieß er sich von der Balustrade ab und begann ironisch zu applaudieren. Er trug nur lässige Lederjacke und Jeans. Adele rammte ihm ihre Tasche ans Knie. „Hör mit der blöden Klatscherei auf! Ich bin ja pünktlich da, was willst du!“
Rodrigo schloss sie in die Arme. „Ist ja gut, mein Vögelchen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Dann schob er sie von sich, drehte sie einmal um ihre Achse und sagte: „Dieser Mantel ist ja irre!“ Seine dunklen Augen blitzten, als würde er eine neue Frechheit aushecken.
„Halt den Mund, Rodrigo, sonst kannst du allein zum Südpol fliegen! Ich habe ihn geschenkt bekommen bei der Premiere von The Day After Tomorrow, er ist bestens geeignet für einen Trip ins ewige Eis.“
Er biss sich auf die Lippen und Adele blies eine ihrer braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Also los“, sagte sie, schälte sich aus dem schweren Mantel und überließ es Rodrigo, ihn zu tragen.
Sie waren die einzigen Passagiere der kleinen Transportmaschine und befanden sich auf dem Weg zur Station McMurdo, einer Forschungsbasis. Es war Anfang Juli, Hochwinter in diesen Breiten. Zu der Zeit hielten sich knappe zweihundertfünfzig Wissenschaftler in McMurdo auf, im Sommer tummelten sich dort um die tausend Menschen.
Rodrigo hatte vor, der erste zu sein, der im Winter tauchen würde, um das Wachstum der Algen zu dieser Jahreszeit zu erforschen. Adele nutzte die Gelegenheit, mitzureisen, nachdem sie bisher, in warmen Regionen gearbeitet hatte, die sich nicht sonderlich interessierten.
Die Maschine hob mit ohrenbetäubendem Triebwerk ab. Der Pilot bedeutete ihnen, die Headsets aufzusetzen. Adele hörte ihn nun. „Wir fliegen für eine ganze Weile über das Meer, dann drehe ich eine große Schleife übers Festland, ehe wir an der Küste bei der Station landen.“
„Warum das?“, fragte Adele.
„Wir müssen einem Blizzard ausweichen, durch ihn hindurchzusteuern, könnte übel enden“, erklärte der Pilot.
Rodrigo legte fürsorglich den Thermomantel über Adeles und seine Beine. Seit sie sich beim Studium kennengelernt hatten, bemühte er sich um sie. Und wieder probierte er es, schob die Hand auf ihren Schenkel. Dafür zwickte Adele ihn in die markante Nase. So endete auch dieser Annäherungsversuch in unromantischem Gelächter.
„Hexe“, murrte Rodrigo.

Sie flogen wieder über Land. Die Antarktis war in dem Schneegestöber nicht zu entdecken. Das Flugzeug sackte in einen Abwind.
„Ich kann die Maschine nicht mehr hochziehen, der Blizzard muss sich gedreht haben, wir sind mitten drin“, sagte der Pilot besorgt.
Es fühlte sich an wie in einer Hochschaubahn; ein Ruckeln, Schwanken, hoch und nieder ging es.
Ganz ohne erotische Komponente umklammerte Rodrigo Adeles Hand.
„Scheiße“, flüsterte er bleichwangig.
Auch Adele war das Lachen vergangen, ihr Magen krampfte sich zusammen, denn der Flieger trudelte wie ein Spielzeug abwärts.
„Ich kann nichts mehr tun“, schrie der Pilot.
Im selben Moment krachte und knirschte es gewaltig, der Bauch des Flugzeugs platzte auf, gepfählt von einer Eisspitze, die knapp vor den beiden Passagieren zum Stillstand kam. Ein Blick nach vorn genügte, um zu begreifen, dass der Pilot nicht überlebt hatte. Der Eisberg war durch ihn hindurchgeschossen.
Rodrigo übergab sich. Auf Adeles Mantel.

„Na großartig“, sagte sie heiser vor Entsetzen und wusste instinktiv, dass sie schleunigst das Wrack verlassen sollten. „Ausgekotzt, Rodrigo?“ Adele klopfte ihm auf den Rücken. „Los, raus hier!“ Sie schubste ihn beiseite, öffnete seinen Koffer und fand darin, wie gehofft, ordentliche Winterkleidung. Rodrigo benahm sich wie ferngesteuert, ließ es geschehen, dass Adele ihm einen dicken Pullover überzog, ihn in seine Daunenjacke packte. „Zieh gefälligst deinen Thermohosen an!“, schrie sie nun, verärgert über die Lethargie. Der Schrei wirkte, mit bebenden Händen tat er, was Adele angeordnet hatte.

Die Ausstiegsluken klemmten, die beiden Biologen mussten sich am blutverklebten Pilotenspieß vorbeidrängen, was Rodrigo erneut den Magen umdrehte. Adele, die schon Boden unter den Füßen hatte, sprang gerade noch beiseite.
Nun standen sie im weißen Nichts.
Der Schneesturm war mittlerweile vorbeigezogen, alles war still und eisig.
„Eisig ist kein Ausdruck. Es hat zirka -55 Grad“, sagte Rodrigo.
„Wo, zum Teufel, könnte denn McMurdo liegen?“, fragte Adele.
Rodrigos hilfloses Schulterzucken sprach Bände. Sie griff nach ihrem Handy, steckte es sogleich wieder ein. „Kein Empfang, klar doch“, schimpfte sie, „das Funkgerät ist zertrümmert, was machen wir nur?“
Nachdem von ihrem Kollegen, der stumpf vor sich hin brütete und in den Moonboots am Stand trippelte, nichts dazu kam, sagte sie: „Also gehen wir mal ein Stück, ehe wir einfrieren.“ Sie stapfte durch die Eiswüste, Rodrigo stolperte hinter ihr her.
Sie waren eine Stunde unterwegs, die ihnen wie Tage vorkam, als Adele vor sich einen großen dunklen Fleck ausmachte. Ob dort das Eis geschmolzen war? Sie hielten darauf zu und nach einer weiteren Stunde waren sie so nahe herangekommen, dass sie sehen konnten, dass der Fleck riesengroß war und sich ständig bewegte.
„Wie ein Wirbel, aber das kann eigentlich nicht sein“, meinte Adele.
Von Rodrigo kam keine Reaktion, er trottete einfach weiter.
Schließlich war Adele klar, was vor ihnen waberte und kreiste: Eine stattliche Kolonie von brütenden Kaiserpinguinen! Ihr klopfte das Herz bis zum Hals, denn diese wunderbaren Geschöpfe waren ihre Lieblingstiere.
Sie mahnte Rodrigo, sich leise und langsam zu bewegen, was jedoch überflüssig war. Er war zu dem Zeitpunkt bereits steif vor Kälte und hätte keinen schnellen Schritt mehr tun können. Adele zog ihn mit sich hinter eine Eiserhebung. Wohl wusste sie, dass die Jäger der Pinguine im Wasser lauerten und sie auf dem Festland keine Feinde kannten.
 Deswegen begegneten sie anderen Lebensformen relativ neutral, aber diese hier zeigten eindeutig, dass sie brüteten. Wer weiß, ob sie dann auch friedlich bei Annäherung reagieren würden? Adele beobachtete trotz der Wahnsinnskälte, die auch ihren überwarmen Mantel allmählich durchdrang, begeistert das ständige Kreisen ihrer Lieblingsvögel. Und sie beneidete jene, die nun an der Reihe waren, in der wärmenden Mitte ihrer Brüder zu sein, geschützt vor der Witterung.
Es ging auf den Abend zu, Schneefall und Wind hatten wieder eingesetzt. Adele ahnte, dass ihr und Rodrigos’ Leben sich dem Ende näherte, wenn nicht bald Hilfe käme, während sie den Pinguinen zusah, die mit dicht befederten Rücken den Kreis noch dichter schlossen.
Sie mussten sich an die zweihundert Kilometer von der Station landeinwärts befinden, denn in dieser Distanz zur Küste hielten sich Pinguine in ihrer Brutzeit auf. Ein Blindflug in die Eishölle, dachte Adele, drehte sich nach Rodrigo um und erschrak bis ins Mark, weil er reglos, mit geschlossenen Augen an der Eiswand lehnte. Sie stürzte sich auf ihn, packte seine Schultern und schüttelte ihn. Er reagierte nicht, da schrie Adele ihn an, schlug ihm ins Gesicht und wusste auf einmal, dass Rodrigo der Mann war, den sie liebte. Er durfte nicht sterben! Wärme. Irgendwas Warmes musste her. Adele sah auf seine Fäustlinge. Sie klebten leblos wie der ganze Rodrigo an der Eiswand.

Dabei liebte Adele seine schlanken, gebräunten Hände. Die Verzweiflung bescherte Adele eine Idee, sie riss sich den Mantel auf, Rodrigo die Fäustlinge herunter, und schob seine erstarrten Hände unter ihren Pullover. Es gab nur noch zwei Regionen an ihrem Körper, die Wärme abgaben; eine davon waren ihre Brüste. Und tatsächlich, nach einer Weile bewegten sich Rodrigos Hände und er murmelte: „Oh ...“ Dann zwinkerte er.         
„Komm mit“, sagte Adele entschlossen und zerrte ihn hinter sich her zum dunklen, schneebedeckten Kreis. Ein paar der Befrackten begannen auf ihre Weise zu schnattern und unruhig die Köpfe in Adeles und Rodrigos Richtung zu recken.
„Sag kein Wort jetzt“, flüsterte sie überflüssigerweise, denn er schien jenseits von irgendeiner Regung zu sein. Aber er schaffte es wenigstens, so wie Adele mit ganz kleinen Schritten, als trügen sie ein Ei auf ihren Füßen, in dem Außenkreis einen Platz zu ergattern. Nun standen sie zwischen den Vögeln, die beinahe so groß wie Adele waren. Immer weiter wanderten sie an der Spirale in den Kreis hinein, dorthin, wo die Daunen lebensrettenden Hauch von Wärme ausstrahlten. Die ganze Nacht ging das so.

Früh am Morgen landete ein Hubschrauber. Nachdem der Transporter nicht in McMurdo eingetroffen waren, hatte man sich auf die Suche nach ihnen gemacht.
Adele und Rodrigo brauchten eine Weile, in der sie vor Dankbarkeit über die Sozialität der Kaiserpinguine weinten, um den Kreis zu verlassen, ohne die Brütenden zu verstören.
Aber dann rannten sie auf die Rettungsmannschaft zu, die ihnen entgegenkam und sie in Decken hüllte.

Als sich der Hubschrauber in die Lüfte hob, ruhte Adeles Blick auf den Pinguinen da unten und sie wusste genau, warum sie ihre Lieblingsgeschöpfe waren. Sie hatten nicht nur ihrer beider Leben erhalten, sie hatten Adele auch neue Berufsperspektiven eröffnet, denn sie würde in McMurdo bleiben, um das Verhalten der Kaiserpinguine zu erforschen und ihnen nahe zu sein. Dann fiel ihr ein, dass dieses Abenteuer noch etwas mit ihr gemacht hatte.
„Rodrigo?“ Innig küsste sie seine aufgesprungenen Lippen. „Wir werden uns auf der Station einrichten, hm?“
Rodrigo richtete seine Glutaugen auf Adele. „Wo immer du willst, mein Vögelchen.“

by ELsa



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Gast







Beitrag03.06.2009 11:52

von Gast
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Hallo Elsa,

dein Stil ist schon sehr ansprechend und deine Geschichte hat mich gut unterhalten. Ich würde es der Handlung wegen, als modernes Märchen bezeichnen. Es hapert ein wenige an Realitätsnähe.

Hier ein wenig Manöverkritik.
Die ersten beiden Absätze verwirrten etwas. Entweder ist der gerissene Riemen ein Rückblick, dann wäre das Plusquamperfekt erforderlich, oder der reißt, nachdem sie alles schon einmal eingesammelt hatte. Ich könnte mir vorstellen, dass es der Geschichte gut tun würde, auf den Rückblick -, wenn es denn einer ist – zu verzichten, und Klarheit in die Reihenfolge der Ereignisse zu bringen. Warum sollte es nicht der Reihe nach geschehen?

Der Erklärungsdialog zum Mantel stelzt vor sich hin. Besser sie reklamiert, dass es zum Südpol geht. Woher der Mantel stammt, ist für die Geschichte nicht wichtig. Die  „Pinguine“ als Metapher sind unglücklich, weil sie die Pointe tragen. Ein paar überflüssige Adjektive gibt es auch. Die braunen Augen des Spaniers und ihre Haarfarbe.

Ein Biologe, der den Südpol und die vorherrschenden Klimaverhältnisse kennt, würde nie und nimmer in Jeans und Lederjacke anreisen. Bei -55° Celsius wäre er nach wenigen Minuten erledigt.

Zur Rettungsaktion.
Der Körper kühlt von außen nach innen ab. Das heißt, zuerst werden die Extremitäten geopfert, um die inneren Organe zu schützen. Das Wärmen der Hände änderte daran nichts. Im Gegenteil, die Prota (ebenfalls kundige Biologin) öffnet sogar ihren Mantel und wäre so noch schneller erledigt, als der vermeintlich sterbende. Nun weiß ich nicht, ob dir die Realitätsnähe wichtig war. Deshalb sind diese Zeilen unter Vorbehalt zu verstehen. Aber insgesamt kommt der Spanier schon sehr lasziv und infantil rüber. War das gewollt?

Grüße

Bobbi
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Hardy-Kern
Kopfloser

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Beiträge: 4832
Wohnort: Deutschland


Beitrag03.06.2009 14:36

von Hardy-Kern
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Hallo Elsa,

klasse geschrieben, gefällt mir. Gebe Bobbi Recht mit dem modernen Märchen, aber für mich uninteressant, weil es einen guten Autor auszeichnet, sich auch mal mit etwas eigentlich Unrealem auseinander zu setzen. Kleinere Schönheitsfehler kann man immer noch korrigieren. Smile

Vor allem gefällt mir, dass Elsa nicht nur Bemerkungen schreibt, sondern Geschichten, die man auch als solche bezeichnen darf. Daumen hoch

Hardy
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ELsa
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 74
Beiträge: 1398



Beitrag03.06.2009 16:19

von ELsa
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Hallo Bobbi,

Herzlichen Dank, dass du dich mit dem Text so genau befasst, find ich sehr nett!

Zitat:
Es hapert ein wenige an Realitätsnähe.
Ich habe natürlich einiges recherchiert zur Antarktis, wollte aber keine Abhandlung, sondern eine Abenteuergeschichte schreiben. Duchaus am Rand des Märchen.

Zitat:
Hier ein wenig Manöverkritik.
Die ersten beiden Absätze verwirrten etwas. Entweder ist der gerissene Riemen ein Rückblick, dann wäre das Plusquamperfekt erforderlich, oder der reißt, nachdem sie alles schon einmal eingesammelt hatte. Ich könnte mir vorstellen, dass es der Geschichte gut tun würde, auf den Rückblick -, wenn es denn einer ist – zu verzichten, und Klarheit in die Reihenfolge der Ereignisse zu bringen. Warum sollte es nicht der Reihe nach geschehen?
Ich überlege gerade, die Geschichte ins Präsens zu setzen, ich hasse ja das PQP unglaublich! Und es ist kein Rückblick, es geschieht doch in dem Moment, wo sie zum Schalter gehen soll? Das verstehe ich jetzt nicht, hm. Der einzige Rückblick ist später im Text zum Studium.

Zitat:
Der Erklärungsdialog zum Mantel stelzt vor sich hin. Besser sie reklamiert, dass es zum Südpol geht. Woher der Mantel stammt, ist für die Geschichte nicht wichtig. Die  „Pinguine“ als Metapher sind unglücklich, weil sie die Pointe tragen. Ein paar überflüssige Adjektive gibt es auch. Die braunen Augen des Spaniers und ihre Haarfarbe.
Schau ich mir an. Wobei der Pinguin als Planting für nachher gedacht war, vielleicht doch keine so gute Idee...

Zitat:
Ein Biologe, der den Südpol und die vorherrschenden Klimaverhältnisse kennt, würde nie und nimmer in Jeans und Lederjacke anreisen. Bei -55° Celsius wäre er nach wenigen Minuten erledigt.

Tut er ja auch nicht. Er hat ja alles dabei, wollte sich im Flugzeug dann anziehen, um bei der Station auszusteigen. Kann man das nicht lesen? Denn es ist Juli bei der Abreise.

Zitat:
Zur Rettungsaktion.
Der Körper kühlt von außen nach innen ab. Das heißt, zuerst werden die Extremitäten geopfert, um die inneren Organe zu schützen. Das Wärmen der Hände änderte daran nichts. Im Gegenteil, die Prota (ebenfalls kundige Biologin) öffnet sogar ihren Mantel und wäre so noch schneller erledigt, als der vermeintlich sterbende. Nun weiß ich nicht, ob dir die Realitätsnähe wichtig war. Deshalb sind diese Zeilen unter Vorbehalt zu verstehen.
Das ist schon richtig. Aber ich hab das absichtlich so gemacht @Märchen eben.

Zitat:
Aber insgesamt kommt der Spanier schon sehr lasziv und infantil rüber. War das gewollt?
Ja. Deswegen hat sie ihn ja nie haben wollen, solange er ihr Avancen machte. Erst in der Schwäche findet sie ihn zum Lieben.

Danke!

Grüße
ELsa


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ELsa
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 74
Beiträge: 1398



Beitrag03.06.2009 16:21

von ELsa
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Hallo Hardy,

Vielen Dank fürs Lob.

Ich werde sehen, was ich am Text noch bereinigen kann und stelle dann eine weitere Version ein.

Lieben Gruß
ELsa


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Einherjer
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Beitrag03.06.2009 18:54

von Einherjer
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Hallo ELsa.

Habe deine Geschichte sehr gerne gelesen, deshalb hier nur ein paar Kleinigkeiten.

Zitat:
Zu der Zeit hielten sich knappe zweihundertfünfzig Wissenschaftler in McMurdo auf, im Sommer tummelten sich dort um die tausend Menschen.


Zuerst sprichst du präzise von Wissenschaftlern, dann sind es im Sommer nur noch Menschen.
Der Leser fragt sich ob sich im Winter neben den 250 Wissenschaftlern in der Basis befinden noch andere Menschen da sind, und wieviel Wissenschaftler sich dann im Sommer in der Basis befinden, wenn tausend Menschen dort sind. Wer sind die anderen Menschen? Touristen?
Verstanden worauf ich hinaus will?

Zitat:
die sich nicht sonderlich interessierten.


...die sie nicht sonderlich...

Zitat:
Ganz ohne erotische Komponente umklammerte Rodrigo Adeles Hand.

Gibt sicherlich auch Situationen in denen Händchenhalten erotisch ist, aber "romantisch" o.ä. würde hier vielleicht besser passen.

Zitat:
„Ausgekotzt, Rodrigo?“

Geschmackssache. Wirkt für mich aber unrealistisch, da die beiden gerade abgestürzt sind, und sich klar sein sollten, dass es jetzt ums nackte Überleben geht. Vielleicht der falsche Zeitpunkt für "coole" Sprüche.

Zitat:
Es hat zirka -55 Grad.

Das ist kein Hochdeutsch. Gut, er sit kein Deutscher, aber ein Spanier der Mundart spricht?

Zitat:
...und schob seine erstarrten Hände unter ihren Pullover.

Wow, jetzt kommt die Wende von der Katastrophengeschichte zur Erotik. Gut, du bist eine Frau, du darfst sowas schreiben.
Bei einem Mann würde ich diese Textstelle als zu klischeehaft bemängeln.


Alles in allem, sehr gern gelesen. Hoffe auf eine Fortsetzung. Und hoffentlich an selber Stelle. In den Ü18 Bereich komm ich leider nicht rein, ohne meine Identität als Bestsellerautor preiszugeben. Laughing



Lieben Gruß

Einherjer


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Stil ist die Fähigkeit, komplizierte Dinge einfach zu sagen - nicht umgekehrt (Jean Cocteau)

Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen ist der gleiche wie zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen. (Mark Twain)
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ELsa
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Alter: 74
Beiträge: 1398



Beitrag03.06.2009 19:57

von ELsa
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Vielen Dank, Einherjer, das sind gute Korrekturangebote, die ich sogleich umsetzen werde!

In Ü18 schreib ich eh nicht Smile

Lieben Gruß
ELsa


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lupus
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Beitrag04.06.2009 13:05
Re: Blindflug
von lupus
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Servus Elsa,

Vorweg: du weißt ich mag deine Schreibe, deinen Stil, meistens deine Inhalte, und deshalb hab ich jetzt echt schon ein paar mal in deinen Text reingelesen, mich gezwungen durchzuhalten und es haut mich immer wieder mit Bomben und Granaten raus. Jetzt hab ich versucht herauszufinden warum (falls es interessiert - zu ändern is es eh nicht, weil's einfach in der Gesamtheit nicht meins ist).

zum Inhalt:

Zunächst einmal was ich mag:
der Einstieg: geht direkt los, man weiß woran man is, wo, wer ... ich find genau so gehört sich das. Ein bisserl all zu 'unoriginell' möglicherweise, die ganze G'schicht mit dem Zeugs das in der Gegend herumkollert u.U. etwas zu ausführlich ... is aber trotzdem gut. Dass du so völlig unkompliziert mit Englisch einsteigst und dich nicht darum scherst, dass der eine oder andere Purist die Nase rümpfen könnte - so ganz ohne Übersetzung (pfui) - find ich auch gut zur Charakterisierung der A.

Die Darstellung des Rodrigo, ein Macho einerseits, ein Schlappi wenn's drauf ankommt. Aber nicht vorwurfsvoll vorgetragen, sondern irgendwie 'lieb' halt. Ein bisserl ironisch.

Was mir nicht so gefällt:
Die Adele is also auf der einen Seite ein Schussel, verteilt ihre sieben Zwetscheken in der Weltgeschichte, hat einen zu großen MAntel, weiß eigentlich noch gar nicht, was sie da am Südpol forschen wird (sonst könnt' sie ja nicht einfach entscheiden, sich den Vogerln zu widmen) hat die ganze Zeit im Dschungel gehackelt, obwohl sie nicht wollte und das obwohl sie ja offensichtlich einfach nur (so ganz ohne Forschungsauftrag) da runter zu fliegen braucht und - schwupps - macht sie wozu sie gerade lustig.

Was mir gar nicht gefällt:
Die ganzen Ungereimtheiten. Auf der einen seite mag ich den Macho aber: gerade er, der ja offensichtlich - so les ich das raus - Erfahrung hat in den Kühlschrankgegenden der Welt, geht so völlig unvorbereitet an die Sache heran. Nur so nebenbei: die fliegen also mit einer Transportmaschine da runter. Eine solche landet ja nicht vor der Haustür, da kommt dann irgendein Raupengerät und holt die ab oder ein Heli, wenn's ganz blöd hergeht. Wenn der da ohne Thermokleidung einsteigt (is im Flieger schon arschkalt) und dann ins Pistengerät steigt, kann er seine Frostbeulen im Zehnerpack beim Portier abgeben. Im konkreten Fall (Bruchlandung). Wie kann man bitte auf 5 Grad genau die Temperatur in diesen Bereichen feststellen. Und wenn's so kalt is: Der Kollege ist innerhalb von Minuten eine einzige Frostbeule, noch dazu bei Wind. Wenn da der Piloteneiszapfen durch die Maschine ackert, dann spritzt Eis, da is alles voller Schnee, da is alles nass. Sich dann einmal g'wind einen Pulli überzuziehen hat was - äh - Suicidales. Ah ja noch was: bei solchen Temperaturen hilf ein Thermog'wand'l ohne entsprechende Unterwäsch' gar nix.

Ich glaub, das irritiert mich am Meisten

Fazit: Ich mag Skurillitäten - bin ein eingefleischter Boyle-Fan - aber du setzt Gesetze der Biologie einfach außer Kraft. Mein 'Vorwurf': mangelnde Recherche?

Sprachlich:

die Rückblende.. in jenem Augenblick, statt in diesem und PQP
knirschte [...] durch die zusammengebissenen Zähne ... das hab ich am Selben Tag schon einmal gelesen, mir scheint das schon so abgeschmackt, dass es mich mittlerweile stört.
Die Maschine hob mit ohrenbetäubendem Triebwerk ab.....irgendwie - glaub ich - paßt da was nicht.

Allgemein:
Du schaffst es üblicherweise - einfach nur mit der Sprache,  - auch wenn der Inhalt erst einmal gar nix an Spannung hergibt, Spannung zu erzeugen, irgendwas is da, was einem sagt: 'Hey weiterlesen, da kommt noch was'. Aber da, wo Spannung programmiert wär, is nix. Panik? nein. Verwirrung vor/während/nach dem Absturz? Verzweiflung weil man nicht weiß wohin? Todesangst? Kein Quietschen, kein Krachen, keine Fetzen die fleigen.
Mich will diese Geschichte - auch wenn ich so unbedingt will - nicht fesseln.
Bei den Vogerln steig ich dann einfach immer aus. auch da is nix von Hoffnung, vom Gefühl, die Sache u.U. doch zu überleben, da erzählst du einfach, erklärst.

Es kostet mich schon ein bisserl Überwindung, gerade dir zu sagen, dass die Story mE danebengegangen is, aber du weißt, dass das nicht bös gemeint is. Und: weil's anderen gefällt is auch nicht wichtig


 Wink

LGs
W

Edit: hab deine Antworten gelesen bezüglich Märchen. Wenn es ein Märchen sein soll, dann kommt das sprachlich nicht rüber und dann verwirrt es mich noch mehr. Naja und zu: 'der R. wollte sich im Flieger umziehn': dann hätte er spätestens, als der Pilot schwierigkeiten ankündigt zum Koffer greifen müssen. Und: Im Juli is da unten doch Winter. Christchurch: Juli 1-10 Grad max. Aber: es is ja ein Märchen Smile


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lg Wolfgang

gott ist nicht tot noch nicht aber auf seinem rückzug vom schlachtfeld des krieges den er begonnen hat spielt er verbrannte erde mit meinem leben

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"Ich bin leicht zu verführen. Da muss nur ein fremder Mann herkommen, mir eine Eiskugel kaufen und schon liebe ich ihn, da bin ich recht naiv. " (c) by Hubi
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ELsa
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Beitrag04.06.2009 16:07
Re: Blindflug
von ELsa
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lupus hat Folgendes geschrieben:

Es kostet mich schon ein bisserl Überwindung, gerade dir zu sagen, dass die Story mE danebengegangen is, aber du weißt, dass das nicht bös gemeint is. Und: weil's anderen gefällt is auch nicht wichtig



Achje, achje ....  Rolling Eyes  was soll ich sagen? Ich weiß schon: Nochmals ran nach deinen total ehrlichen und klaren Zeilen für mich. Verdammt, du hast recht. Von vorn bis hinten, na bumm.

Ich danke dir wirklich sehr, denn da steckt viel Arbeit in deinen Kommentaren, bist ein Schatz.

Frohe Grüße
ELsa


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ELsa
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Beitrag13.06.2009 22:24

von ELsa
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Hallo, hier ist meine Überarbeitung, vielen Dank an die helfenden Kommentare!

„Mrs. Adele Reimer from Vienna, come to the Checkin, please“, schallte es durch die Abflughalle in Christchurch, Neuseeland.
In dem Augenblick, als sie aufstand, um zum Schalter zu gehen, riss der Riemen ihrer kofferähnlichen Handtasche, deren Zipp Adele nie schloss und alles Mögliche und Unmögliche kullerte in den Gang und unter Sitze.
„Ja, ja, verdammte Scheiße”, fluchte die Biologin, während sie auf allen Vieren zwischen zwei Klappstuhlreihen, die noch dazu dicht besetzt waren, herumkroch, um ihre Habseligkeiten zusammenzuklauben. Die auf diverse Flüge Wartenden hoben unwillig oder lachend ihre Beine. Endlich war alles eingesammelt und Adele flitzte los. Es wirkte aber, als rolle ein schwarz-weißer Ball durch die Halle, da die zierliche junge Frau in einem dicken, viel zu großen Thermomantel steckte.
Am Checkin lehnte Dr. Rodrigo Alvarèz, Meeresbiologe. Er stammte aus La Mancha und sah ihr mit einen hochmütigen Ausdruck, wie Spanier das so gern machen, entgegen. Als Adele näher kugelte, stieß er sich von der Balustrade ab und begann ironisch zu applaudieren. Er trug einen eleganten Overall aus Goretex und die dazupassende Daunenjacke lässig über der Schulter drapiert. Beide Teile in schwarz gehalten mit silbernen Streifen. Adele rammte ihm ihre Tasche ans Knie. „Hör mit der blöden Klatscherei auf! Ich bin ja pünktlich da, was willst du!“
Rodrigo schloss sie in die Arme. „Ist ja gut, mein Vögelchen“, flüsterte er ihr ins Ohr. Dann schob er sie von sich, drehte sie einmal um ihre Achse und sagte: „Dieser Mantel ist ja irre!“ Seine dunklen Augen blitzten, als würde er eine neue Frechheit aushecken.
„Halt den Mund, Rodrigo, sonst kannst du allein zum Südpol fliegen! Ich habe ihn geschenkt bekommen bei der Premiere von The Day After Tomorrow, er ist bestens geeignet für einen Trip ins ewige Eis.“
Er biss sich auf die Lippen und Adele blies eine ihrer braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Also los“, sagte sie, schälte sich aus dem schweren Mantel und überließ es Rodrigo, ihn zu tragen.
Sie waren die einzigen Passagiere der kleinen Transportmaschine und befanden sich auf dem Weg zur Station McMurdo, einer Forschungsbasis. Es war Anfang Juli, Hochwinter in diesen Breiten. Zu der Zeit hielten sich knappe zweihundertfünfzig Wissenschaftler in McMurdo auf, im Sommer tummelten sich dort um die tausend.
Rodrigo hatte vor, der erste zu sein, der im Winter tauchen würde, um das Wachstum der Algen zu dieser Jahreszeit zu erforschen. Adele nutzte die Gelegenheit, mitzureisen, nachdem sie bisher die Vogelwelt warmer Regionen studiert hatte und ihre Aufgabe dort abgeschlossen war. Sie hoffte auf einen neuen Forschungsauftrag ihres Institutes für Ornithologie.
Die Maschine hob ab. Der Pilot bedeutete ihnen, die Headsets aufzusetzen. „Wir fliegen für eine ganze Weile über das Meer, dann drehe ich eine große Schleife übers Festland, ehe wir an der Küste bei der Station landen.“
„Warum das?“, fragte Adele.
„Wir müssen einem Blizzard ausweichen, durch ihn hindurchzusteuern, könnte übel enden“, erklärte der Pilot.
Rodrigo legte fürsorglich den Thermomantel über Adeles und seine Beine. Seit sie sich beim Studium kennengelernt hatten, bemühte er sich um sie. Und wieder probierte er es, schob die Hand auf ihren Schenkel. Dafür zwickte Adele ihn in die markante Nase. So endete auch dieser Annäherungsversuch in unromantischem Gelächter.
„Hexe“, murrte Rodrigo.
War das Licht beim Abflug in Christchurch nur von milchiger Dämmrigkeit, wurde es nun mit jeder Meile dunkler vor den Luken. Am Horizont zeigte sich die Sonne als orangeroter Streifen.
   
Sie flogen wieder über Land. Die Antarktis war in dem Schneegestöber nicht zu entdecken. Das Flugzeug sackte in einen Abwind.
„Ich kann die Maschine nicht mehr hochziehen, der Blizzard muss sich gedreht haben, wir sind mitten drin“, sagte der Pilot besorgt.
Es fühlte sich an wie in einer Hochschaubahn; ein Ruckeln, Schwanken, hoch und nieder ging es. Ganz ohne erotische Komponente umklammerte Rodrigo Adeles Schultern.
„Mierda“, flüsterte er bleichwangig.
Auch Adele war das Lachen vergangen, ihr Magen krampfte sich zusammen, denn der Flieger trudelte wie ein Spielzeug abwärts.
„Ich kann nichts mehr tun“, schrie der Pilot.
Im selben Moment krachte und knirschte es gewaltig, der Bauch des Flugzeugs platzte auf, gepfählt von einer Eisspitze, die knapp vor den beiden Passagieren zum Stillstand kam. Ein Blick nach vorn genügte, um zu begreifen, dass der Pilot nicht überlebt hatte. Der Eisberg war durch ihn hindurchgeschossen.
„Santa Maria!“ Rodrigo schlug ein Kreuz, dann übergab er sich. Auf Adeles Mantel.
„Na großartig“, sagte sie heiser vor Entsetzen und wusste instinktiv, dass sie schleunigst das Wrack verlassen sollten. Rodrigo benahm sich wie ferngesteuert, ließ es geschehen, dass Adele ihn hinter sich her zerrte. „Mach schon!“, schrie sie nun, verärgert über seine Lethargie.
Der Schrei wirkte, mit bebenden Händen versuchte er, die Riegel zu öffnen, doch die Ausstiegsluke klemmte. Die beiden Biologen mussten sich am blutverklebten Pilotenspieß vorbeidrängen, was Rodrigo erneut den Magen umdrehte. Adele, die schon Boden unter den Füßen hatte, sprang gerade noch beiseite.
Nun standen sie im weißgrauen Nichts.
Der Schneesturm war mittlerweile vorbeigezogen, alles war still und eisig.
„Eisig ist kein Ausdruck“, sagte Rodrigo, „hier haben wir fünfzig Minusgrade, meine Liebe.“
„Wo, zum Teufel, könnte denn McMurdo liegen?“, fragte Adele.
Rodrigos hilfloses Schulterzucken sprach Bände. Sie griff nach ihrem Handy, steckte es sogleich wieder ein. „Kein Empfang, klar doch“, schimpfte sie, „das Funkgerät ist zertrümmert, was machen wir nur?“
Nachdem von ihrem Kollegen, der stumpf vor sich hin brütete und in den Moonboots am Stand trippelte, nichts kam, sagte sie: „Also gehen wir, ehe wir einfrieren.“ Sie stapfte durch die Eiswüste, Rodrigo stolperte hinter ihr her. „Wir sollten in Richtung Küste, Adele.“
„Wenn du mir sagen kannst, wo die ist, gern!“ Sie hätte gern losgeheult, aber es war einfach zu kalt dazu.
Nach etwa einer Stunde sinnloser Wanderung, die ihnen wie Tage vorkam, machte Adele vor sich einen großen dunklen Fleck aus. Ob dort das Eis geschmolzen war? Sie hielten darauf zu und nach einer weiteren Stunde waren sie so nahe herangekommen, dass sie sehen konnten, dass der Fleck kreisrund und riesengroß war. Er bewegte sich.
„Wie ein Wirbel, aber das kann eigentlich nicht sein“, meinte Adele.
Von Rodrigo kam keine Reaktion, er trottete einfach weiter.
Schließlich begriff Adele, was da vor ihnen waberte und kreiste: Eine stattliche Kolonie von brütenden Kaiserpinguinen! Ihr klopfte das Herz bis zum Hals, denn diese Geschöpfe waren ihre Lieblingstiere. Sie mahnte Rodrigo, sich leise und langsam zu bewegen.
„Ich kann sowieso keinen schnellen Schritt mehr tun, steifgefroren, wie ich bin“, antwortete er.
Adele zog ihn mit sich hinter eine Eiserhebung. Wohl wusste sie, dass die Jäger der Pinguine im Wasser lauerten und sie auf dem Festland keine Feinde kannten.
 Deswegen begegneten sie anderen Lebensformen relativ neutral, aber diese hier zeigten eindeutig, dass sie brüteten. Wer weiß, ob sie dann auch friedlich bei Annäherung reagieren würden? Adele beobachtete trotz der Wahnsinnskälte, die auch ihren Mantel allmählich durchdrang, begeistert das ständige Kreisen der Vögel. Und sie beneidete jene, die nun an der Reihe waren, in der wärmenden Mitte ihrer Brüder zu sein, geschützt vor der Witterung.
Es ging auf den Abend zu, Schneefall und Wind hatten wieder eingesetzt. Adele ahnte, dass ihr und Rodrigos’ Leben sich dem Ende näherte, wenn nicht bald Hilfe käme, während sie den Pinguinen zusah, die mit dicht befederten Rücken den Kreis noch dichter schlossen.
Sie mussten sich an die zweihundert Kilometer von der Station landeinwärts befinden, denn in dieser Distanz zur Küste hielten sich Pinguine in ihrer Brutzeit auf. Ein Blindflug in die Eishölle, dachte Adele, drehte sich nach Rodrigo um und erschrak fürchterlich, weil er reglos, mit geschlossenen Augen an der Eiswand lehnte. Sie stürzte sich auf ihn, packte seine Schultern und schüttelte ihn. Er reagierte nicht, da schrie Adele ihn an, schlug ihm ins Gesicht und wusste auf einmal, dass Rodrigo der Mann war, den sie liebte. Er durfte nicht sterben! Wärme. Irgendwas Warmes musste her. Adele sah auf seine Fäustlinge. Sie klebten leblos wie der ganze Rodrigo an der Eiswand.

Dabei mochte Adele seine schlanken, gebräunten Hände immer schon; dass sie womöglich abfroren, eine schreckliche Vorstellung. Die Verzweiflung bescherte Adele eine Idee, sie riss Rodrigo die Fäustlinge herunter, öffnete den Mantel und schob seine erstarrten Hände unter ihren Pullover. Dann drückte sie ihn fest an sich, bis beide von dem großen Mantel umhüllt waren. Es gab nur noch zwei Regionen an ihrem Körper, die wirklich Wärme abgaben; eine davon waren ihre Brüste. Und tatsächlich, nach einer Weile bewegten sich Rodrigos Hände und er murmelte: „Oh ...“ Dann zwinkerte er.         
„Komm mit“, sagte Adele entschlossen, stülpte ihm die Fäustlinge wieder über, zippte den Mantel zu und zerrte den Spanier hinter sich her zum dunklen, schneebedeckten Kreis. Ein paar der Pinguine begannen auf ihre Weise zu schnattern und unruhig die Köpfe in Adeles und Rodrigos Richtung zu recken.
„Sag kein Wort jetzt“, flüsterte sie überflüssigerweise, denn er schien jenseits von irgendeiner Regung zu sein. Aber er schaffte es wenigstens, so wie Adele mit ganz kleinen Schritten, als trügen sie ein Ei auf ihren Füßen, im Außenkreis einen Platz zu ergattern. Nun standen sie zwischen den Vögeln, die beinahe so groß wie Adele waren. Würden sie weggestoßen werden oder aufgenommen? Um sie herum plusterten sich die Pinguine, einer zupfte an Adeles Kapuze, dann glättete er seine Federn am Bauch. Sie und Rodrigo wanderten an der Spirale, die die Tiere bildeten, hinterher, immer tiefer in den Kreis hinein, dorthin, wo die Daunen lebensrettenden Hauch von Wärme ausstrahlten. Wenn Adele Platz gehabt hätte, wäre sie vor Dankbarkeit auf die Knie gefallen. Rodrigo bewegte die Lippen lautlos. Sie vermutete, dass er betete. Die orangefarbenen Hälse der Vögel in ihrer Nähe glimmten wie kleine Laternen auf, wenn die spärliche Sonne sie traf. Hie und da seufzte einer der brütenden Männer aus tiefster Seele, streckte sich, beugte dann den Kopf zu seinem Ei, um es zurechtzurücken. Schon bald würden die Kleinen schlüpfen und als kugelige Federbällchen Hunger schreien. Adele beschäftigte ihren Kopf damit, um ihre Angst zu vertreiben. Sobald die Küken auf der Welt waren, watschelten schon die Mütter herbei, vollgefressen und in der Lage, die Jungen zu atzen bis zur Selbständigkeit, während nun die ausgehungerten Väter an der Reihe waren, zum Meer zu wandern, sich zu stärken. Was für eine ausgeklügelte Methode! Immer wieder drückte Adele Rodrigos Hand und flüsterte: „Alles wird gut“, auch wenn sie selbst nicht mehr daran glaubte.
 
Die ganze Nacht ging es im Kreis herum und gegen Morgen hörten die beiden Wissenschaftler Motorengeräusche. Bald danach sahen sie einen Hubschrauber kreisen, schließlich landen.  

Nachdem der Transporter nicht in McMurdo eingetroffen war, hatte man sich auf die Suche nach ihnen gemacht.
Adele und Rodrigo brauchten eine Weile, in der sie wegen der Gastfreundschaft der Kaiserpinguine weinten, um den Kreis zu verlassen, ohne die Brütenden zu verstören. Hinter ihnen schloss sich der Kreis wieder und sie rannten mit ihren letzten Kraftreserven auf die Rettungsmannschaft zu, die ihnen entgegenkam und sie in Decken hüllte.

Als sich der Hubschrauber in die Lüfte hob, ruhte Adeles Blick auf den Pinguinen unter ihnen und sie wusste genau, warum sie ihre Lieblingsgeschöpfe waren. Sie hatten nicht nur ihrer beider Leben erhalten, sie hatten Adele auch neue Berufsperspektiven eröffnet, denn sie wollte unbedingt in McMurdo bleiben, um das Verhalten der Kaiserpinguine zu erforschen und ihnen nahe zu sein. Dann fiel ihr ein, dass dieses Abenteuer noch etwas mit ihr gemacht hatte.
„Rodrigo?“ Innig küsste sie seine aufgesprungenen Lippen. „Wir werden uns auf der Station einrichten, hm?“
Rodrigo richtete seine Glutaugen auf Adele. „Wo immer du willst, mein Vögelchen.“


by ELsa


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