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Rote Wölfin Leseratte
Alter: 64 Beiträge: 195
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06.05.2013 13:13 Zeitform von Rote Wölfin
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Hallo,
Die Szene, in der ein Mann ein Bild betrachtet, ist in der Vergangenheit geschrieben.
Muss die Bildbeschreibung auch in der Vergangenheit stehen oder darf sie in der Gegenwart geschrieben werden?
Beispiel:
A. legte den Kopf in den Nacken und studierte das Deckenbild über sich. Ein Mann führt ein Pferd am Zügel durch die Stadt. Gaffer stehen herum. In der Mitte befindet sich ein Scheiterhaufen.
Nachdenklich griff sich A. an den Hals.
Also das ist jetzt nur ein Beispiel
Danke schon mal.
_________________ Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. (Albert Einstein)
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Nicki Bücherwurm
Alter: 68 Beiträge: 3611 Wohnort: Mönchengladbach
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06.05.2013 13:21
von Nicki
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Auf jeden Fall Vergangenheit, also die gleiche Zeitform wie der Rest.
Und jetzt frag mich nicht, warum. Es gibt da sicher eine Regel, die fällt mir gerade nicht ein ...
_________________ MfG
Nicki
"Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist." Henry Ford
"Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt." A.Einstein
*Sommerblues* September 2017 Eisermann Verlag
*Trommelfeuer* November 2017 Eisermann Verlag
*Silvesterliebe* 30. November 2018 Eisermann Verlag
*Gestohlene Jahre* Work in Progress |
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Eimerian Leseratte
E Alter: 38 Beiträge: 193
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E 06.05.2013 14:48
von Eimerian
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Hallo
Kurze Antwort:
Präteritum durch und durch
Zitat: | A. legte den Kopf in den Nacken und studierte das Deckenbild über sich. Ein Mann führte ein Pferd am Zügel durch die Stadt. Gaffer standen herum. In der Mitte befand sich ein Scheiterhaufen.
Nachdenklich griff sich A. an den Hals. |
Lange Antwort:
Dein Roman ist nicht "in der Vergangenheit" geschrieben.
Für Romane sind im Deutschen zwei Tempussysteme üblich:
1) Präteritum für die Handlung, Plusquamperfekt für Vorzeitiges. Die gebräuchlichere Variante.
2) Präsens für die Handlung, Perfekt für Vorzeitiges. Ist eher unüblich, aber in letzter Zeit immer beliebter, weil amerikanische Romane teilweise im Präsens geschrieben werden (siehe Hunger Games) und weil behauptet wird, der Leser könne sich mit dem Präsens "leichter in die Figuren hineinversetzen".
Dein Roman ist im Präteritum geschrieben also sind wir im System 1.
Das Präteritum ist in diesem Fall keine Vergangenheitsform. Man spricht vom sogenannten epische Präteritum (oder Präteritum narrans).
Das Präteritum (er ging/er sah) beschreibt, was "jetzt gerade" in der Handlung geschieht oder in der Welt des Romans immer so ist.
Zum Beispiel könnte in einem Roman folgender Satz stehen:
Berlin war die Hauptstadt Deutschlands.
Da darfst du nicht "ist" schreiben.
"Aber es ist immer noch die Hauptstadt" ist sch-egal.
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sleepless_lives Schall und Wahn
Administrator Alter: 58 Beiträge: 6477 Wohnort: München
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06.05.2013 17:27
von sleepless_lives
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Thomas Mann hat Folgendes geschrieben: | Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.
Von Hamburg bis dort hinauf, das ist aber eine weite Reise; zu weit eigentlich im Verhältnis zu einem so kurzen Aufenthalt. Es geht durch mehrerer Herren Länder ... |
Thomas Mann (1924) "Der Zauberberg", Fischer. Berlin
Thomas Mann hat Folgendes geschrieben: | ... und die daran speisenden Völkerschaften waren ehrenwerte Mitglieder der Menschheit, wenn sie auch kein Latein verstanden und sich beim Essen nicht übertrieben zierlich benahmen.
Die Zeit, die nicht von der Art der Bahnhofsuhren ist, deren großer Zeiger ruckweise, von fünf zu fünf Minuten fällt, sondern eher von jener ganz kleiner Uhren ... |
Thomas Mann (1924) "Der Zauberberg", Fischer. Berlin
Keine Ahnung, wo diese eigenartigen angeblichen Regeln immer herkommen (Hervorhebungen in den Zitaten natürlich von mir).
_________________ Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)
If you had a million Shakespeares, could they write like a monkey? (Steven Wright) |
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Jo-jo Wortedrechsler
Alter: 26 Beiträge: 61 Wohnort: Schw. Gmünd
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06.05.2013 17:37
von Jo-jo
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Hallo,
ich glaube, das hängt davon ab, wie eng das in die Geschichte gehört. Wenn etwas ein Kommentar des Erzählers und allgemeingültig ist, kann es auch im Präsens geschrieben werden. Das kommt darauf an, wie direkt er den Leser anspricht. Das gab es früher wahrscheinlich noch häufiger.
Ich persönlich finde es besser, im Präteritum zu bleiben, weil mich der Tempuswechsel rausreißt.
Kann natürlich sein, dass ich total falschliege. Ich kann ja mal meine Deutschlehrerin fragen ...
LG Jojo
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Rote Wölfin Leseratte
Alter: 64 Beiträge: 195
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06.05.2013 21:36
von Rote Wölfin
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Ich danke euch für eure ausführlichen Antworten.
Jo-jo, mich würde die Meinung deiner Deutschlehrerin auch interessieren.
LG die Wölfin
_________________ Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. (Albert Einstein)
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Bananenfischin Show-don't-Tellefant
Moderatorin
Beiträge: 5339 Wohnort: NRW
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06.05.2013 21:55
von Bananenfischin
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In der Literatur gibt es beides immer wieder; eine verbindliche Regel existiert da nicht.
Ich persönlich habe hier im Forum schon oft das oben erwähnte "epische Präteritum" ins Spiel gebracht und bevorzuge die Variante, es durchzuziehen, weil mich das Präsens ebenfalls rausreißt; es sich im Zusammenhang für mich "falsch" liest.
Aber du kannst dir tatsächlich getrost die Freiheit nehmen, es zu machen, wie es dir selbst am meisten zusagt.
_________________ Schriftstellerin, Lektorin, Hundebespaßerin – gern auch in umgekehrter Reihenfolge
Aktuelles Buch: Geliebte Orlando. Virginia Woolf und Vita Sackville-West: Eine Leidenschaft
I assure you, all my novels were first rate before they were written. (Virginia Woolf) |
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sleepless_lives Schall und Wahn
Administrator Alter: 58 Beiträge: 6477 Wohnort: München
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07.05.2013 12:19
von sleepless_lives
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Bananenfischin hat Folgendes geschrieben: | Ich persönlich habe hier im Forum schon oft das oben erwähnte "epische Präteritum" ins Spiel gebracht und bevorzuge die Variante, es durchzuziehen, weil mich das Präsens ebenfalls rausreißt; es sich im Zusammenhang für mich "falsch" liest. |
Liest sich "falsch" für dich nur auf dein eigenes Schreiben bezogen oder auch in fremden Werken?
Ich hab gerade festgestellt, dass mir Zeitenwechsel, wenn sie richtig gesetzt sind, nicht auffallen. Ich wollte mal schauen, wie konsequent Saramago das macht, und stelle fest, der wechselt ungeniert hin und her. Er verwendet sogar Präsens und Präteritum im selben Satz (siehe Beispiel unten)! Ob die Zeitformen im Portugiesischen weniger stark getrennt sind als im Deutschen und Englischen, weiß ich nicht. Aber das ist auch nicht der Punkt. Der . ist: Ich hab es überhaupt nicht bemerkt.
José Saramago hat Folgendes geschrieben: | Er öffnete das Fenster, stützte die Ellenbogen auf die Brüstung, er fühlte sich wohl, trotz der rauhen Luft, ein Glück nur, daß dieses Haus dem Nordwind den Rücken zukehrt, der jetzt in jähen kleinen Böen um die Ecke fährt und ihm, wie eine kalte Liebkosung, über das Gesicht streicht. |
José Saramago (1995). "Die Geschichte der Belagerung von Lissabon". Deutsch von Andreas Klotsch. Rowohlt. Reinbek bei Hamburg.
_________________ Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)
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Gast
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07.05.2013 14:00
von Gast
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Die Schwierigkeit ist, dass Saramago und Mann alles dürfen, sie unterliegen keinem Regelwerk. Daraus lässt sich aber nur bedingt ableiten, was sich für einen Autor von normalsterblicher Unterhaltungsliteratur empfiehlt. Und soweit ich mich erinnere, schreibt Wölfin im U-Bereich, oder?
Ich pers. bevorzuge absolut und immer den Zeitwechsel, das "epische Präteritum" ist nicht meines, das liest sich für mich immer glattgebügelt (mit dem Hammer). Aber auf mich hört ja keiner
Der Punkt ist: m.E. werden 90 % der Lektoren den Zeitenwechsel streichen. Einfach weil es genau so empfunden wird, wie BaFi sagt, als Störung des Leseflusses.
Es gibt durchaus so etwas wie Lektoratsvorgaben/Schreibregeln, die schlicht und einfach vom Verlag vorgegeben werden.
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BlueNote Stimme der Vernunft
Beiträge: 7306 Wohnort: NBY
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07.05.2013 14:50
von BlueNote
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Die Beschreibung eines Gemäldes würde ich im Präsens halten, denn selbst wenn das Bild in der Vergangenheit betrachtet wurde, so sind die Aktionen, die auf dem Bild geschildert werden, bis zum jetzigen Moment nicht "vergangen", sondern immer noch genauso wie zum Zeitpunkt des Betrachtens gegenwärtig. Oder auch: allgemein(=immer)gültig.
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seitenlinie Reißwolf
Beiträge: 1829
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07.05.2013 18:10
von seitenlinie
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Rote Wölfin hat Folgendes geschrieben: | Hallo,
Muss die Bildbeschreibung auch in der Vergangenheit stehen ...?
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Das epische Präteritum ist in seiner Konsequenz einleuchtend und in der Anwendung sinnvoll.
Wechseln wir mal zum Ich-Erzähler:
Ich legte den Kopf in den Nacken und studierte das Deckenbild über mir. Darauf führte ein
Mann ein Pferd am Zügel durch die Stadt. Gaffer standen herum. In der Mitte befand sich
ein Scheiterhaufen.
Nachdenklich griff ich an meinen Hals.
Der Protagonist erzählt aus der (zeitlichen) Distanz wie er das Bild damals wahrgenommen hatte. Dabei spielt
der aktuelle Zustand des Bildes keine Rolle.
Und diese Variante?
Ich legte den Kopf in den Nacken und studierte das Deckenbild über mir. Darauf führt ein
Mann ein Pferd am Zügel durch die Stadt. Gaffer stehen herum. In der Mitte befindet sich
ein Scheiterhaufen.
Nachdenklich griff ich an meinen Hals.
Der Erzähler springt aus der Geschichte in eine Bildbeschreibung - als hätte er die Geschichte in der Vergangenheit
erlebt und das Bild jetzt vor sich hängen. Das kann man bewusst nutzen, sollte aber eindeutiger erfolgen.
sleepless_lives hat Folgendes geschrieben: | Thomas Mann hat Folgendes geschrieben: | Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.
Von Hamburg bis dort hinauf, das ist aber eine weite Reise; zu weit eigentlich im Verhältnis zu einem so kurzen Aufenthalt. Es geht durch mehrerer Herren Länder ... |
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Auch hier haben wir diesen Effekt. Der auktoriale Erzähler unterbricht seine Geschichte und informiert den Leser
erstmal über Reisebedingungen.
Verhält sich der personale Erzähler so, bekommen wir einen Bruch der Erzählsituation. Es sei denn, wir können die
Bildbeschreibung eindeutig als Zitat (Rede oder Gedanken) identifizieren. Das sollte gekennzeichnet sein oder sich
klar aus dem Zusammenhang ergeben.
So vielleicht:
A. legte den Kopf in den Nacken und studierte das Deckenbild über sich.
Hatte er das Motiv nicht irgendwo gesehen? Der Mann, der ein Pferd am Zügel führt, die Gaffer ringsum. Ein Scheiterhaufen brennt,
das Stadttor ... Ja, es war eindeutig! A. sprang auf. Die Szene zeigte den Kupferstich, den er im verbotenen Buch entdeckt hatte.
Gruß,
Carsten
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Rote Wölfin Leseratte
Alter: 64 Beiträge: 195
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27.06.2013 21:57
von Rote Wölfin
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oh hier kamen ja noch mal richtig gute Antworten!
Ich danke euch!
_________________ Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. (Albert Einstein)
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