18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Feedback
Der Grinser – Versuch einer Satire


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 384



W
Beitrag25.01.2024 21:56
Der Grinser – Versuch einer Satire
von wunderkerze
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

1
   An seine Geburt konnte er sich nicht erinnern. Man legte ihm entsprechende Dokumente vor. Das seien Fälschungen, meinte er. Als man ihm Tonaufnahmen seines frühkindlichen Geplappers hören ließ, behauptete er, er könne sich nicht erinnern, jemals dergleichen gesagt zu haben.
   Diese Methode machte er sich zum Prinzip, als er Jahre später zum Kämmerer seiner Gemeinde ernannt wurde.
   Eines Tages stellte man fest, dass er jahrelang Soll und Haben verwechselt hatte.
   Als man ihn darauf ansprach, meiner er, er könne sich nicht erinnern, wie das passieren konnte und dass ihn jemand auf den Fehler hingewiesen hätte.
  Etwa zur der Zeit machten sich die ersten Anzeichen eines seltenen Nervenleidens bemerkbar. Immer öfter musste er anlasslos grinsen.

                                                                2
   Seine Unfähigkeit, sich zu erinnern und dabei selbstgefällig zu grinsen, blieb auch der größten Bank der Stadt nicht verborgen. Jenes findige Geldhaus suchte jemanden, der, an den Finanzbehörden vorbei, bestimmte Steuerschulden unter den Teppich kehren könnte. Man stellte ihn ein. Der Schwindel flog in letzter Minute auf. Mit breitem Grinsen erklärte er vor Gericht, er habe von nichts gewusst und könne sich auch nicht erinnern, dass ihn jemand gewarnt habe; im übrigen habe das Land genug andere Sorgen, als sich über einen Bankskandal aufzuregen. Er grinste unverschämt und verließ den Saal.
   Diese kesse Chuzpe katapultierte ihn in den Sessel des Finanzministers.

   Um sich ein Denkmal und der Stadt ein neues Wahrzeichen zu setzen, schob er ein gigantisches Bauprojekt an, einen hohen, weithin sichtbaren Turm am Eingang zur Stadt, wegen seiner eigenwilligen Architektur „Schiefer Turm“ genannt. Schon bald stand der Turm tatsächlich schief, nicht in seinen Fundamenten, jedoch in der Finanzierung: Die Baufirma war pleite.   
   Wieder stand er mit breitlippigem Grinsen vor der Presse; von der Schieflage der Baufirma habe er nichts gewusst, erklärte er, und er könne sich auch nicht erinnern, jemals gewarnt worden zu sein. Er sei aber zuversichtlich, dass das Problem in Bälde einer tragfähigen Lösung zugeführt werde. „Zuversicht!“, rief er, „Zuversicht!“, grinste und entschwand.
   Dieser kühne Streich bewirkte, dass ihn einflussreiche Kreise zum Kanzler haben wollten. Diese Mischung aus Gedächtnisverlust, frechem Grinsen und dickärschiger Kaltschnäuzigkeit gefiel. Die Argumente seiner Gegner, vom Regieren habe er keine Ahnung, und von Problemlösung verstehe er erst recht nichts, ließen seine Befürworter nicht gelten. Das wäre etlichen seiner Vorgänger auch nicht anders gegangen. Er solle sich nur weiterhin an nichts erinnern, sagten sie, unverdrossen grinsen und Zuversicht verbreiten.  
   Er wurde gewählt, und bald stellte sich heraus, dass es eine gute Wahl gewesen war. Schon früh morgens lief der neue Regierungschef durch seine Amt, riss die Türen auf und rief seiner übermüdeten Beamtenschaft zu: „Zuversicht! Zuversicht!“ Aus seiner Staatskarosse winkte er der Menge breit grinsend zu und rief: „Zuversicht! Zuversicht!“ Bald war „Zuversicht“ ein geflügeltes Wort, und nicht nur das; schon grüßten sich viele Bürger statt mit „guten Morgen!“ oder „guten Abend“ mit „Zuversicht! Zuversicht!“, wobei ihnen der Magen knurrte, und die Gebete in den Kirchen endeten nicht mit Amen, sondern mit „Zuversicht, Amen“.

                                                                      3
   Eines Tages, als der Frisör gerade das Messer wetzte, stellte er verblüfft fest, dass er nicht mehr grinsen konnte. Krampfhaft versuchte er eine Grimasse zu ziehen – vergebens. Wie er seine Wangen auch knetete und zwang – immer wieder verfiel sein Gesicht in eine ausdruckslose Starre.
   Es ließ sich nicht mehr übersehen: Er hatte, verursacht durch das ständige Grinsen, eine beidseitige Fazialisparese, eine totale Gesichtsmuskellähmung erlitten. Besonders fatal daran war, dass eine solche Lähmung Zeit braucht, um wieder zu verschwinden – wenn überhaupt –, und in einem halben Jahr standen die nächsten Wahlen an. Schon tuschelten die Leute hinter vorgehaltener Hand: „Haben Sie das gesehen? Unser Kanzler grinst nicht mehr! Da muss etwas Furchtbares passiert sein!“ Viele Bürgerinnen und Bürger waren sich jetzt nicht mehr sicher, ob die Zuversicht, die er bisher ausgestrahlt hatte, begründet gewesen war. Zwar hatten sie sich bisher um keinen Deut darum gekümmert, doch jetzt . . .
   Die Kaufkraft der Verbraucher sank, immer das sicherste Zeichen, dass etwas faul ist im Staate. Unermüdlich versuchte seine Gefolgschaft, diese unheilvolle Entwicklung aufzuhalten. Man stellte an allen belebten Plätzen starke Lautsprecher auf, die unentwegt „Hoffnung! Zuversicht!“, brüllten. Es half nichts. Die Stimmung sackte immer weiter ab.
   Ein findiger Kopf verordnete ihm eine schwarze Augenklappe und ließ verbreiten, der Kanzler sei bei einem Waldlauf gestürzt, habe sich schwer im Gesicht verletzt und könne deshalb für eine ungewisse Zeit nicht grinsen.
   Es half nichts. Die schlechte Stimmung erreichte jetzt auch noch die Börse.
   Da stellte man in aller Eile riesige Plakate auf, die, über lebensgroß, sein altes grinsendes Gesicht zeigten. Und siehe da – die Zukunftserwartungen der Menschen verbesserten sich erheblich. Es schien, als sorgten nicht Konjunktur, Wohlstand und treffliches Regieren für Zufriedenheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern allein das Grinsen des Kanzlers.
  Der Wahltermin rückte näher, doch die Gesichtslähmung dauerte an, und die Zeit eilte. Die Leute wollten wieder ein echtes, lebendiges Grinsen sehen, und keines künstlich-plakatives.
  Da, endlich, zeigten sich Anzeichen einer leichten Besserung. Zwar konnte der Kanzler immer noch nicht grinsen, aber es gelang ihm, mit den Ohren zu wackeln.

  Da trat ein Ereignis ein, mit dem niemand rechnen konnte. Ein Unwetter verwüstete weite Teile des Landes. Plötzlich sahen sich Tausende und Abertausende um Hab, Gut und Existenz gebracht. Die Politiker eilten herbei, um ihre Erschütterung zu bekunden, und setzten Trauerminen auf. Auch die schwarze Limousine des Kanzlers fuhr vor und hielt auf dem letzten noch benutzbaren Parkplatz.
   Alles starrte auf den Wagen, aus dem in wenigen Sekunden der mächtigste Mann des Staates aussteigen würde. Die Geschädigten hofften, dass er großzügige Hilfe ankündigen werde.
   Endlich stieg der Mann aus; er sah sich kurz um; rief : „Hoffnung! Zuversicht!“, wackelte mit den Ohren, stieg wieder ein und fuhr davon.

                                                                         4
   Der Aufschrei, der durch die Menge ging, war noch auf dem Mond zu hören. Die Stimmung erreichte einen nie dagewesenen Tiefpunkt, die Kauflaune sank ins Bodenlose. Sogar die Kirchenglocken klangen, als wären sie mit einer Schicht aus Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit überzogen. Schon brachte sich der schärfster Widersacher des Kanzlers in Stellung. „Skandal!“, wetterte er mit grimmiger Miene; „Unerhört!“, schrie das Oberhaus; die Unterhäusler zogen die Schuhe aus und trommelten damit auf den Tischen herum.
  Seine Verteidiger verbreiteten, der Kanzler habe andeuten wollen, nicht mehr sein Grinsen, sondern die Fähigkeit, mit den Ohren zu wackeln führe in Zukunft zu mehr Lebensmut und Zuversicht.
  Dieses Missverständnis stürzte das Land noch tiefer in die Krise.
   Die Angelegenheit schien jetzt gründlich verfahren, eine Wiederwahl des Kanzlers unmöglich. Die Opposition wieherte vor Vergnügen. Eile war geboten.
 Demoskopen wurden beauftragt, die Gründe für diese unheilvolle Entwicklung zu erforschen. Es stellte sich heraus, dass die wenigsten Leute in der Lage waren, mit den Ohren zu wackeln, dafür konnte die meisten jedoch die Nase rümpfen,
   Sofort griffen windige Populisten diese Steilvorlage auf und gründeten eine neue Partei, die „Alternativen Freien Naserümpfer“ (AfR), die vom Start weg der Kanzler-Partei der „Christdemokratischen Ohrenwackler“ (CDO) eine Unmenge an Wählerstimmen abzog.
   Es folgte eine Krisensitzung nach der andern. Jemand schlug vor, die „Alternativen freien Naserümpfer“ zu verbieten, da sie keinerlei ernstzunehmende Lösungsvorschläge hätten und eine Gefahr für die Konjunktur darstellten. Der Abgeordnete dieser Partei stand auf, schrie: „Verbieten? Bei dreißig Prozent?“, und verließ wutschnaubend den Saal. Der Vertreter der CDO gab zu bedenken, dass ein Verbot der AfR nichts daran ändere, dass eben die meisten Wähler die Nase rümpfen, aber nicht mit den Ohren wackeln könnten.
   So ging es hin und her, bis sich die Tür öffnete. Eine Frau im blauen Kittel, mit Mobb und Eimer, erschien. Auf die verblüffte Frage des Innenministers, was sie hier wolle, antwortete sie ziemlich patzig, es sei sieben Uhr, und sie müsse jetzt putzen.
   „Die Stimme des Volkes!“, rief der Innenminister geistesgegenwärtig und erhob sich, „liebe Frau, Sie kommen wie gerufen“, und er schilderte ihr das Problem.
   Die Frau dachte kurz nach, dann lachte sie laut und sagte, der Kanzler solle nicht nur mit den Ohren zu wackeln, sondern dabei auch noch die Nase zu rümpfen.
    
                                                                            5
    Wieder trat der Kanzler vor sein Wahl-Volk. „Zeitenwende! Zuversicht!“, rief er mit lauter Stimme, „Zeitenwende! Zuversicht!“ Er rümpfte kräftig die Nase, wackelte heftig mit den Ohren und entschwand.
   Die Zahlen der „Alternativen freien Naserümpfer“ (AfR) rauschten in den Keller, die  „Christdemokratischen Ohrenwackler“ (CDO), die Partei des Kanzlers, legten wieder deutlich zu. Der Kanzler hörte es mit Wohlgefallen und grinste.
   Verblüfft sah er in den Spiegel, in dem der Frisörmeister gerade das Messer wetzte. „Verdammt“, rief er, „ich kann ja wieder grinsen!“ Von dieser Wende begeistert, beschloss er, Präsident zu werden. Mangels eines besseren Kandidaten wurde er gewählt.
   An seine Zeit als Kanzler konnte er sich nicht mehr erinnern, auch nicht, warum man ihn zum Präsidenten ernannt hatte. Da er kein guter Redner war, und ihn das Naserümpfen und Ohrenwackeln zu sehr anstrengte, verlegte er sich wieder aufs Grinsen.
   Doch die Zeiten hatten sich geändert, sein Grinsen war nicht mehr gefragt. Man beförderte ihn auf einen hohen überstaatlichen Posten, auf dem es darum ging, notwendige Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben. Legte man ihm unterschriftsreife Dokumente vor, sagte er breit grinsend, er könne sich nicht erinnern, wo er sein Schreibzeug gelassen habe, und er kenne auch niemanden, der ihm bei der Suche behilflich sein könnte.



_________________
wunderkerze
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Arminius
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 65
Beiträge: 1241
Wohnort: An der Elbe


Beitrag26.01.2024 09:17

von Arminius
Antworten mit Zitat

Bissig geschrieben, mit hohem Wiedererkennungswert.
An einer Stelle habe ich gestutzt: "mit Mobb und Eimer" Ist Mobb eine Anspielung auf Mobbing oder ist das Reinigungsgerät Mop gemeint?
Gern gelesen.


_________________
A mind is like a parachute. It doesn´t work if it is not open (Frank Zappa)
There is more stupidity than hydrogen in the universe, and it has a longer shelf life (Frank Zappa)
Information is not knowledge. Knowledge is not wisdom. Wisdom is not truth. Truth is not beauty. Beauty is not love. Love is not music. Music is the best (Frank Zappa)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 384



W
Beitrag26.01.2024 17:23

von wunderkerze
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Neuerdings wird Mopp geschrieben (Duden).
Mit Mobb wollte ich auf ihre patzige Art hindeuten. Na ja ...


_________________
wunderkerze
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Drakenheim
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 44
Beiträge: 391
NaNoWriMo: 50166
Wohnort: Burg Drakenheim Gelehrtenturm


Beitrag31.01.2024 20:00

von Drakenheim
Antworten mit Zitat

Buch

Doch. Kann man lesen.

Dass die 1 in der ersten Zeile nicht eingerückt ist, irritiert etwas, aber das lässt sich nicht mehr ändern.

Ich habe eine Grammatikerbse gefunden:
Zitat:
Er wurde gewählt, und bald stellte sich heraus, dass es eine gute Wahl gewesen war. Schon früh morgens lief der neue Regierungschef durch seine Amt, riss die Türen auf und rief seiner übermüdeten Beamtenschaft zu: „Zuversicht! Zuversicht!“

Zitat:
Die Frau dachte kurz nach, dann lachte sie laut und sagte, der Kanzler solle nicht nur mit den Ohren zu wackeln, sondern dabei auch noch die Nase zu rümpfen.

Und hier verstehe ich die Funktion der beiden "zu" nicht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 384



W
Beitrag31.01.2024 20:34

von wunderkerze
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Drakenheim, danke für dein Interesse und die Erbsen.

_________________
wunderkerze
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Feedback
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Roter Teppich & Check-In
Ein freundliches Hallo einer Hufflepuff!
von Elli.Evans
Elli.Evans Roter Teppich & Check-In 5 25.04.2024 20:24 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Werkstatt
Der Glücksritter
von Peter Hort
Peter Hort Werkstatt 0 22.04.2024 20:39 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Einstand
Der Bandit
von dirkheg
dirkheg Einstand 5 22.04.2024 12:43 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Rechtliches / Urheberrecht / Copyright
Nach Vertragsabschluss wird der Verla...
von Mion
Mion Rechtliches / Urheberrecht / Copyright 34 22.04.2024 12:05 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Roter Teppich & Check-In
Der rote Teppich hat Flecken - oder t...
von schreiby
schreiby Roter Teppich & Check-In 5 22.04.2024 10:09 Letzten Beitrag anzeigen


Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!